OGH 9Ob32/11p

OGH9Ob32/11p30.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. U***** V*****, vertreten durch Dr. Stefan Joachimsthaler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei „U*****“ ***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 25.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. März 2011, GZ 5 R 251/10h-48, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juli 2010, GZ 37 Cg 31/07y-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.470,24 EUR (darin 245,04 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage, unter welchen Umständen der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters entfalle, wenn der Unternehmer die vom Handelsvertreter erfolgreich entwickelte Unternehmensstrategie ändere, noch keine Rechtsprechung vorliege. Die Revisionswerberin schloss sich dieser Begründung der Zulässigkeit der Revision an. Darüber hinaus sei die Revision aber auch deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht bezüglich der Beurteilung der Behauptungs- und Beweislast des Handelsvertreters, dass die Handelsspanne die Werterhöhung des Unternehmens durch seine Tätigkeit nicht abdecke, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei. Das Berufungsgericht sei auch bei der Beurteilung des Prognosezeitraums von der Rechtsprechung abgewichen. Die Revisionsgegnerin bestritt demgegenüber die Zulässigkeit der Revision der Beklagten. Erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO lägen hier nicht vor. Es werde deshalb die Zurückweisung der Revision beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Der von der Klägerin geltend gemachte Ausgleichsanspruch kann nach § 24 HVertrG 1993 auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung beurteilt werden. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gebührt dem Handelsvertreter nach § 24 Abs 1 HVertrG 1993 ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat (Z 1), zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann (Z 2), und die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht (Z 3).

Entgegen der offenbaren Auffassung der Revisionswerberin kommt es für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung nach § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993 nur auf die bloße Möglichkeit an, die vom Handelsvertreter neu aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen zu können (arg „Vorteile ziehen kann“), nicht jedoch darauf, dass der Unternehmer diese auch wirklich nutzbringend verwertet (Nocker, HVertrG 1993 § 24 Rz 517, 519; 6 Ob 83/03d; RIS-Justiz RS0122237 ua). Dem Unternehmer bleibt es unbenommen, seine Geschäftstätigkeit strategischen Änderungen zu unterziehen. Allfällige Misserfolge von Neuausrichtungen nach Vertragsbeendigung können aber nicht automatisch zu Lasten des Ausgleichsanspruchs gehen. Ob sie bei der Ausmittlung des Ausgleichsanspruchs eine Rolle spielen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wie schon erwähnt, ist stets zu prüfen, ob und inwieweit die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung „aller Umstände“ der Billigkeit entspricht. Soweit es um die Zulässigkeit der Revision geht, genügt hier der Hinweis, dass nach der Lage des Falls nicht davon gesprochen werden kann, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Beendigung der Vertragsbeziehung gar keine vernünftige Möglichkeit mehr hatte, die von der Klägerin geschaffenen Verdienstchancen zu nutzen (1 Ob 118/07w ua). Nach den Feststellungen hat die Klägerin für die Beklagte einen neuen Verkaufsstandort aufgebaut und der Beklagten neue Kunden zugeführt, sodass bei Aufkündigung des Vertrags durch die Beklagte zu erwarten war, dass sie auch noch nach der Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile aus der Tätigkeit der Klägerin ziehen kann. Weiterer Erörterungen bedarf es bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht. Die „unter Berücksichtigung aller Umstände … [nach] Billigkeit“ festzusetzende Ausgleichszahlung ist nämlich geradezu ein Musterbeispiel für eine nach dem jeweiligen Einzelfall zu treffende Billigkeitsentscheidung, weshalb sie - abgesehen von einer krassen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, von der hier nicht ausgegangen werden kann, - regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RIS-Justiz RS0112590 ua).

Der Hinweis der Revisionswerberin, dass die Klägerin nicht geltend gemacht habe, dass die von ihr erzielte „Handelsspanne“ die Werterhöhung des Unternehmens (des Unternehmers) durch ihre Tätigkeit nicht abgedeckt habe, geht an der konkreten Fallgestaltung und dem Klagevorbringen vorbei. Die Überlegung der Revisionswerberin beruht auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, in denen die analoge Anwendung des § 24 HVertrG 1993 auch auf Vertragshändler bejaht wurde (vgl 3 Ob 44/09f ua). Für Vertragshändler ist typisch, dass sie - neben weiteren Voraussetzungen - im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Geschäfte tätigen (RIS-Justiz RS0109284 ua). Unter Berücksichtigung ihrer Einkaufspreise beim Unternehmer erzielen sie beim Weiterverkauf im eigenen Namen und auf eigene Rechnung eine „Handelsspanne“, die im Einzelfall so beschaffen sein kann, dass sie auch die durch ihre Tätigkeit geschaffene Werterhöhung beim Unternehmer durch Überlassung des Kundenstamms deckt oder nicht (RIS-Justiz RS0062645 ua).

Demgegenüber war die Klägerin nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig. Sie trat als „Shopmanagerin“ im Namen der Beklagten auf und verkaufte auf deren Rechnung. Sie erwirtschaftete keine „Handelsspanne“, sondern eine als „Entgelt“ („Gewinnanteil“) bezeichnete Provision. Der Ausgleichsanspruch soll das Vertragsverhältnis überdauernde Vorteile, die dem Unternehmer aus der vom Handelsvertreter zugeführten Kundschaft bleiben, abgelten (RIS-Justiz RS0109283 ua). Ausnahmsweise mag (auch) eine Provision so beschaffen sein, dass sie die durch die Tätigkeit des Handelsvertreters geschaffene Werterhöhung des Unternehmens zur Gänze abdeckt. Diesbezüglicher (zusätzlicher) negativer Behauptungen der Klägerin bedurfte es aber nicht. Die Klägerin machte ohnehin geltend, dass sie für die Beklagte einen gut gehenden Verkaufsstandort aufgebaut habe, dessen Vorteile die Beklagte in Hinkunft allein nutzen wollte. Damit verneinte sie implizit, dass die von ihr schon empfangene Provision die Werterhöhung des Unternehmens durch ihre Tätigkeit gedeckt habe.

Der „Prognosezeitraum“ bestimmt sich nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts danach, wie lange sich die vom Handelsvertreter hergestellten Geschäftsverbindungen weiterentwickelt hätten, wenn der Vertretervertrag fortbestanden hätte. Dabei dienen die Umsätze im letzten Jahr vor Beendigung des Vertragsverhältnisses als Prognosebasis (RIS-Justiz RS0121118 ua). Die Dauer des Prognosezeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; für „feste Formeln“ besteht auch insoweit kein Raum (vgl 4 Ob 65/06x; 2 Ob 252/08k ua). In der bisherigen Rechtsprechung kommen vor allem Prognosezeiträume von drei bis fünf Jahren vor. Dass der vom Berufungsgericht in diesem Rahmen angenommene Prognosezeitraum von vier Jahren unvertretbar wäre, ist nicht hervorgekommen. Entgegen der Befürchtung der Revisionswerberin hat das Berufungsgericht die bisherige Vertragsdauer nicht 1:1 auf den Prognosezeitraum übertragen. Dass die Prognose auf der bisherigen Vertragsbeziehung der Parteien aufbaut, ist naheliegend, sind doch Einschätzungen künftiger Entwicklungen umso eher möglich, je verlässlicher die Daten über Vergangenes sind.

Zusammenfassend ist die Revision der Beklagten mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Die Revisionsgegnerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979 ua).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte