OGH 5Ob245/11g

OGH5Ob245/11g20.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin S***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Erlagsgegner 1.) MMag. Dr. K***** P*****, vertreten durch Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2.) A***** AG, *****, wegen 1.315.577,73 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Ersterlagsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. September 2011, GZ 48 R 169/11z‑10, womit infolge Rekurses der Erlegerin der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. April 2011, GZ 8 Nc 14/11i‑2, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Erlegerin ist schuldig, dem Ersterlagsgegner die mit 3.442,36 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 573,72 EUR USt) und die mit 4.354,26 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 222 EUR Barauslagen und 688,71 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Nach übereinstimmendem Vorbringen der Erlegerin und des Ersterlagsgegners ‑ die Zweiterlagsgegnerin hat sich am Verfahren nicht beteiligt ‑ ist der Ersterlagsgegner Eigentümer von 429.927,364 Stück I***** Aktien, die in Wertpapierdepots der Zweitantragsgegnerin bei der Erlegerin verwahrt werden. Bei der Zweitantragsgegnerin handelt es sich um die ehemalige C***** AG, die ihre Bankkonzession zurückgelegt hat.

Zwischen dem Ersterlagsgegner und der Erlegerin ist ein Rechtsstreit anhängig, in dem der Ersterlagsgegner von der Erlegerin die Herausgabe von 1.231,364 Stück Aktien der I***** begehrt.

Ihr Erlagsgesuch gründete die Erlegerin auf folgende Behauptungen:

Der Ersterlagsgegner habe bei der Zweiterlagsgegnerin, bevor diese ihre Bankkonzession zurückgelegt habe, zwei Wertpapierdepots eröffnet und dort seine I*****‑Aktien erlegt. Aufgrund der Zurücklegung ihrer Bankkonzession habe die Zweiterlagsgegnerin bei der Erlegerin Wertpapierdepots eröffnet, auf denen sie treuhänderisch unter anderem auch die Wertpapiere des Ersterlagsgegners verwahre. Während der Ersterlagsgegner die Erlegerin aufgefordert habe, diese I*****‑Aktien herauszugeben und auf sein Wertpapierkonto bei der U***** AG zu übertragen, habe die Zweiterlagsgegnerin als Depotinhaberin die Erlegerin angewiesen, diese Aktien, die sie treuhändig für den Ersterlagsgegner erlegt habe, nicht an diesen auszufolgen. Die Erlegerin sei der Aufforderung des Ersterlagsgegners nicht nachgekommen, weil dieser nicht Inhaber des bei ihr geführten Wertpapierdepots sei, sondern die Zweitantragsgegnerin. Der Erstantragsgegner habe nunmehr eine Herausgabeklage gegen die Erlegerin erhoben, die sich auf eines der beiden Wertpapierdepots der Zweitantragsgegnerin richte. Somit stünden der Antragstellerin zwei Forderungsprätendenten gegenüber, was sie zur schuldbefreienden gerichtlichen Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB berechtige.

Das Erstgericht wies das Erlagsgesuch ab. Es bestehe kein tauglicher Erlagsgrund. Tatsächlich handle es sich in Anbetracht der anhängigen Herausgabeklage des Ersterlagsgegners gegen die Erlegerin um einen Sicherungserlag. Wenn auch das Herausgabeklagebegehren nur einen Teil der Aktien umfasse, die sich nunmehr auf einem Depot bei der Erlegerin befänden, würden auch die restlichen Aktien dasselbe Schicksal teilen wie der eingeklagte Teil. Das Erstgericht wäre daher nur Verwahrschaftsgericht bis zur rechtskräftigen Erledigung des bereits anhängigen Verfahrens. Es sei nicht Zweck der Bestimmung des § 1425 ABGB, einen Erleger vor einer bereits eingebrachten Klage zu schützen. Durch die Annahme eines Erlags würden sich überdies die Parteien des Herausgabeverfahrens ändern.

Dem dagegen von der Erlegerin erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz Folge und nahm den Erlag an. Bei Auftreten mehrerer Forderungsprätendenten sei der Gerichtserlag durch den Schuldner dann zulässig, wenn ihm objektiv nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden könne, auch bei sorgfältiger Prüfung den Berechtigten zu erkennen. Auch wenn sich die Prätendenten auf verschiedene, einander ausschließende Ansprüche auf die Leistung stützten, sei dem Schuldner das Hinterlegungsrecht zur Vermeidung mehrfacher Inanspruchnahme einzuräumen. Auch im vorliegenden Fall stünden der Erlegerin zwei Anspruchssteller gegenüber. Während einerseits der Ersterlagsgegner die Herausgabe der Wertpapiere verlange, habe die Zweitantragsgegnerin die Erlegerin angewiesen, die bei ihr deponierten, verfahrensgegenständlichen und treuhändig für den Erstantragsgegner erlegten Wertpapiere nicht auszufolgen. Während der Ersterlagsgegner Eigentumsansprüche geltend mache, stütze sich die Zweiterlagsgegnerin auf den Depotvertrag. Wenn der Verwahrer aber bei zumutbarer Prüfung nicht erkennen könne, wer Eigentümer der Sache sei, sei er zu Hinterlegung berechtigt. Auch bei unklarer Sach‑ und/oder Rechtslage dürfe hinterlegt werden. Die Erhebung strittiger Tatumstände sei auch einem rechtskundigen Schuldner mehrerer potentieller Gläubiger grundsätzlich nicht zumutbar. Den Ausgang eines potentiellen Rechtsstreits zwischen mehreren potentiellen Gläubigern müsse der Schuldner nicht lösen, indem er entscheide, wem die Wertpapiere auszufolgen seien.

Die Erlegerin habe daher die den Erlag begründenden Umstände ausreichend schlüssig dargelegt. Nicht zu prüfen sei, ob der behauptete Hinterlegungsgrund tatsächlich gegeben sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Ersterlagsgegners mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Erlegerin hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit, eine Revisionsrekursbeantwortung zu erstatten, Gebrauch gemacht und darin beantragt, den außerordentlichen Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Ersterlagsgegners ist zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtslage in zu korrigierender Weise verkannt hat. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

1.) Nach ständiger Rechtsprechung hat der Erleger in seinem Erlagsgesuch einen Erlagsgrund anzugeben. Das Erlagsgericht hat sodann zu prüfen, ob der angegebene Grund zur Hinterlegung iSd § 1425 ABGB an sich tauglich sei. Dem Erlagsgericht obliegt insoweit eine Schlüssigkeitsprüfung, die verhindern soll, dass die Gerichte aus beliebigen Gründen mit Verwahreraufgaben belastet werden. Ob die Erlagsgründe tatsächlich gegeben sind, hat das Außerstreitgericht grundsätzlich nicht zu untersuchen. Der Annahmebeschluss ist daher im Rechtsmittelverfahren auch nur insoweit überprüfbar (RIS‑Justiz RS0112198; 4 Ob 218/98g SZ 71/158 = JBl 1999, 315).

2.) Ein Schuldner kann aus den in § 1425 ABGB bezeichneten Gründen hinterlegen, von denen im vorliegenden Fall nur der „andere wichtige Erlagsgrund“ in Frage kommt. Ein solcher liegt vor, wenn mehrere Forderungsprätendenten auftreten und dem Schuldner objektiv nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, den in Ansehung seiner Leistung Berechtigten auch bei sorgfältiger Prüfung zu erkennen (RIS‑Justiz RS0033597). Forderungsprätendent ist, wer Anspruch auf die (bzw eine) Gläubigerstellung erhebt (Reischauer in Rummel ABGB3 § 1425 Rz 2a; ders, Hinterlegung zu Gunsten mehrerer [potentieller] Gläubiger bzw Forderungspfandgläubiger, JBl 2001, 541 ff; RIS‑Justiz RS0033610; RS0033597; RS0033644)).

Auch wenn aufgrund verschiedener, auch einander ausschließender Ansprüche die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Schuldners durch unterschiedliche Prätendenten besteht, kann eine Hinterlegung unter Umständen gerechtfertigt sein (vgl 3 Ob 105/98g RdW 2000, 211).

3.) Nach den Behauptungen der Erlegerin ist die Zweiterlagsgegnerin, die sich der Herausgabe an den Ersterlagsgegner widersetzt, aus dem Depotvertrag mit der Erlegerin berechtigt, der Ersterlagsgegner macht hingegen nach den Behauptungen der Erlegerin Eigentumsansprüche an den Wertpapieren geltend, die die Erlegerin für die Zweiterlagsgegnerin in Verwahrung genommen hat.

4.) Wohl ist eine in Verwahrung gegebene Sache (zum Depotvertrag als Sonderform des Verwahrungsvertrags: Griss in KBB³ § 957 ABGB Rz 4) gemäß § 962 ABGB auf Verlangen dem Hinterleger rückzustellen, sodass sich dessen Rückstellungsbegehren allein auf den Vertrag stützen kann, ohne dass er sein Eigentum an der hinterlegten Sache behaupten und beweisen müsste, weil auch eine fremde, nicht dem Hinterleger gehörende Sache Gegenstand eines Verwahrungsvertrags sein kann. Dementsprechend kann der Verwahrer dem allein fordernden Hinterleger nicht einwenden, dass ein Dritter Eigentümer sei (1 Ob 755/80 MietSlg 32.121 mwN; 9 Ob 96/01k MietSlg 53.240 mwN; RIS‑Justiz RS0019017).

5.) Begehrt aber der Eigentümer vom Verwahrer die Herausgabe der Sache, kann der Verwahrer den Herausgabeanspruch nicht unter Hinweis auf den Verwahrungsanspruch ablehnen (RIS‑Justiz RS0018995; Schubert in Rummel ABGB3 § 961 Rz 2).

6.) Es gilt auch für die Verwahrung von Wertpapieren, dass der Eigentümer sie kraft seiner dinglichen Rechtsposition, die durch die Sonderverwaltung nicht verloren geht, heraus verlangen kann. Im Verhältnis der Ansprüche des Hinterlegers und des Eigentümers gegen den Verwahrer ist zu unterscheiden: Im Besitzstreit kann sich der Verwahrer durch Rückgabe der Sache gemäß § 348 ABGB an den Hinterleger und Verständigung des Eigentümers befreien. Geht der Eigentümer hingegen petitorisch gegen den Verwahrer vor, darf dieser die Ausfolgung an ihn nicht unter Berufung auf den Verwahrungsauftrag verweigern.

7.) Nach dem (für die Plausibilitätsprüfung ‑ 6 Ob 71/11a; RIS‑Justiz RS0112198 ‑ maßgeblichen) Vorbringen der Erlegerin in ihrem Erlagsgesuch ist die Eigentümerposition des Ersterlagsgegners nicht zweifelhaft, wird diese doch nicht nur an keiner Stelle in Frage stellt, sondern in ihrem Vorbringen sogar mehrfach bei Ausführung des zugrundeliegenden Sachverhalts betont (etwa in Punkt 1.3., 1.4., 1.7. sowie in den von ihr vorgelegten Urkunden über die Einlagerungen des Treuhanddepots der Zweiterlagsgegnerin; insoweit unterscheidet sich auch 9 Ob 96/01k sachverhaltsmäßig von der hier vorliegenden Fallkonstellation). Die Ausführungen der Revisionsrekursgegnerin verkennen diesen Umstand, wenn unter Punkt 2.d. der Revisionsrekursbeantwortung mit der Unzumutbarkeit der Prüfung, wer Eigentümer sei, argumentiert wird. Die Notwendigkeit der Erhebung strittiger Umstände, die zum Erlag berechtigen würden (vgl Reischauer aaO mwN), bestand nicht. Die Erlegerin ist auch bereits mit einer Herausgabeklage belangt worden. Die Berufung auf eine Unzumutbarkeit der Prüfung der Rechtslage ist der Erlegerin, die zum Betrieb des Depotgeschäfts gemäß § 1 Abs 1 Z 5 BWG berechtigt ist und dieses auch ausübt, zu verwehren (Heidinger in Schwimann, ABGB3 § 1325 Rz 16). Zeitaufwändiges Studium von Judikatur und Literatur war auf Grund der bei ihr vorauszusetzenden besonderen Kenntnisse (vgl Heidinger aaO Rz 13) nicht erforderlich. Zur sorgfältigen Prüfung und Erkundigung (vgl RIS‑Justiz RS0033597) ist sie ohnedies verpflichtet.

Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts liegt kein gesetzmäßiger und damit tauglicher Erlagsgrund vor.

8.) Der Vollständigkeit halber ist auch noch auf folgenden, sich aus der Aktenlage ergebenden Umstand hinzuweisen:

Dass nach den vorstehenden Ausführungen das Begehren auf Hinterlegung als unberechtigt anzusehen ist, bedeutet nicht, dass die Erlegerin der Anordnung der Sicherstellung der Staatsanwaltschaft Wien vom 25. 10. 2011, 601 St 1/114 (ON 15), nicht folgen könnte oder dürfte. Eine Herausgabe wird ihr mit der antragsabweisenden Entscheidung gerade nicht aufgetragen (dies bleibt weiterhin Gegenstand des Klageverfahrens zu 14 C 288/11x des BG HS Wien). Es wird nur ihr Begehren, die Aktien in gerichtliche Verwahrung nach § 1425 ABGB zu nehmen, abgewiesen.

Der Vorwurf fehlenden rechtlichen Interesses ginge ebenso zu Lasten der Antragstellerin, weil sie aufgrund der Sicherstellungsanordnung ohnedies an keinen der Erlagsgegner herausgeben darf und insofern keine rechtlich unsichere Lage besteht.

Weil aber das Erlagsverfahren nach § 1425 ABGB eine völlig andere Zielsetzung als die Anordnung der Sicherstellung im Strafverfahren verfolgt, ist keiner der Parteien ein rechtliches Interesse an der Antragsverfolgung bzw Abweisung abzusprechen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG (4 Ob 264/05k; Obermaier Kostenhandbuch2 Rz 788).

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