Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden
der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts St. Pölten verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz Z***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens der Nötigung von Mitgliedern eines verfassungsmäßigen Vertretungskörpers, einer Regierung, des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs oder des Obersten Gerichtshofs oder des Präsidenten des Rechnungshofs oder des Leiters eines Landesrechnungshofs nach §§ 15, 251 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er „am 9. Dezember 2010 in T***** versucht, ein Mitglied der Bundesregierung, nämlich die Bundesministerin für Inneres, durch gefährliche Drohung mit dem Tod, indem er in einer E-Mail an das Bundesministerium für Inneres (infomaster@bmi.gv.at ) ankündigte: ,jetzt nehme ich das gesetz in die eigene hand den was bei gericht aufliegt zählt plötzlich alles nicht mehr. Wenn der innen minister nicht sofort einschreitet und sagt das es genug ist, dann hat der staat österreich 2 kinder zu versorgen. Ich gehe die nächsten 30 jahre ins gefängnis, eine axt ist bereits geschliffen. Sie haben 1 woche zeit dann erschlage ich die ex frau. Und das ist kein spass.' zur Ausübung ihrer Befugnisse dahingehend, dass er von der Verpflichtung zur Zahlung von Unterhaltsleistungen enthoben werde, zu nötigen.“
Der dagegen aus den Gründen der Z 5 und 12 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Nominell im Rahmen der Verfahrensrüge (Z 5; inhaltlich Z 6; vgl RIS-Justiz
RS0101012) moniert der Beschwerdeführer zunächst die Abweisung seines Antrags auf Aufnahme des gesamten Inhalts der dem Schuldspruch zugrunde liegenden E-Mail in die Hauptfrage, lässt aber offen, inwieweit die vermisste Textpassage, die eine Schilderung der Ungerechtigkeiten enthält, die dem Angeklagten aus seiner Sicht in Zivilverfahren im Zusammenhang mit seiner Scheidung widerfuhren, und mit den ‑ in der Beschwerde hervorgehobenen ‑ Worten endet, „das österreichische Gesetz ist scheisse. Jeder kann zu jeder Zeit etwas umdrehen“, für die Individualisierung der vorgeworfenen Tat oder für deren Konkretisierung, also für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage, von Bedeutung sein soll (vgl RIS-Justiz RS0119082, RS0100686). Indem sie sich spekulativ mit einer potentiellen Verneinung einer anders formulierten Hauptfrage auseinandersetzt, begibt sie sich auf das Gebiet einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
Mit der unsubstantiierten Forderung nach Stellung einer Eventualfrage in Richtung des Vergehens der Beleidigung nach „§ 115 StGB“
, lässt die (neuerlich verfehlt auf Z 5 gestützte) Fragenrüge (Z 6) einen Bezug zu in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen vermissen, die eine derartige Fragestellung indizieren würden (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).
Im Übrigen kann ein Tatsachenvorbringen, das ‑ als erwiesen angenommen ‑ zum Freispruch (hier: mangels Anklage eines dazu berechtigten Privatanklägers oder einer Ermächtigung nach § 117 Abs 2 StGB) führen würde, nicht zum Anlass für eine Eventualfrage genommen werden (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 44).
Indem die Beschwerde (Z 12) die Ernstlichkeit der Drohung bestreitet und darauf aufbauend einen Freispruch „mangels berechtigter Anklage in Richtung § 115 StGB“ anstrebt, kritisiert sie der Sache nach die Beurteilung des Bedeutungsinhalts der verfahrensgegenständlichen Äußerung durch die Geschworenen, die aber als
Tatfrage (Jerabek in WK² § 74 Rz 34) nicht Gegenstand der Rechts- und
Subsumtionsrüge, sondern der ‑ hier nicht erhobenen ‑ Tatsachenrüge (Z 10a) ist (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 31, 64) und verfehlt damit den in den festgestellten Tatsachen des gesamten
Wahrspruchs der Geschworenen gelegenen
Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0101476).
Rechtsirrige Beurteilung der Äußerung als gefährliche Drohung zufolge Fehlens eines Verhältnisses zwischen der Genötigten (der Bundesministerin für Inneres) und derjenigen, gegen die sich das angedrohte Übel richtete (der geschiedenen Ehefrau des Angeklagten), welches „nach den Umständen ein entsprechendes Verhalten … erwarten“ ließ, wird ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz bloß behauptet (vgl aber § 74 Abs 1 Z 5 vorletzter Fall StGB; RIS-Justiz RS0106586, RS0092432; Jerabek in WK² § 74 Rz 27).
Deutlich und bestimmt genug (§§ 285a Z 2, 344 StPO) macht der Nichtigkeitswerber (nominell Z 12, der Sache nach Z 11 lit a; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616) jedoch zutreffend geltend, dass die im Wahrspruch festgestellten Tatsachen keine tatsächliche Grundlage für die Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage enthalten, zur Ausübung welcher Befugnisse die Bundesministerin für Inneres genötigt werden sollte, um das konstatierte Nötigungsziel (die Befreiung des Angeklagten von der Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen) zu erreichen.
Dazu kommt,
dass eine Drohung zwar ‑ soweit hier wesentlich ‑ auch schriftlich und mittelbar durch einen
Dritten geäußert werden kann, was aber den Willen des Täters voraussetzt, dass sie dem Adressaten zur Kenntnis gelangt und diese Kenntnisnahme nach Lage des Falls naheliegend oder zumindest nicht ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0092551; vgl zuletzt 15 Os 4/00 [15 Os 6/00] mwN). Darüber sagen die Konstatierungen im Wahrspruch ‑ insoweit von der Beschwerde nicht angesprochen - ebenso nichts aus, obwohl das Schreiben nach den weiteren Annahmen der Tatrichter nicht direkt an die Bundesministerin für Inneres, sondern an die E-Mail-Adresse der Abteilung I/5 des Bundesministeriums für Inneres, Kompetenzcenter Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerservice (infomaster@bmi.gv.at ) übermittelt wurde.
Demzufolge waren der Wahrspruch und das darauf beruhende Urteil schon bei
nichtöffentlicher Beratung sofort
aufzuheben (§§ 344 zweiter Satz, 285e StPO).
§ 251 StGB stellt ‑ soweit hier wesentlich ‑ die durch Gewalt oder gefährliche Drohung bewirkte Nötigung eines Mitglieds einer Regierung, seine Befugnisse überhaupt oder in einem bestimmten Sinn auszuüben, unter Strafe. Befugnis ist ein rechtliches Dürfen, mithin eine Erlaubnis zur Vornahme bestimmter Handlungen. Für den Umfang der „Befugnis“ einer von § 251 StGB geschützten Person kommt es ‑ nicht anders als im Tatbestand des § 302 Abs 1 StGB ‑ auf den abstrakten Aufgabenbereich an (vgl RIS-Justiz RS0096112; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 302 Rz 14, 15; Eder-Rieder, SbgK § 251 Rz 7). Befugnisse in diesem Sinn sind alle dem Genötigten in seiner Funktion zustehenden rechtlichen und faktischen Amtshandlungen (Bachner-Foregger in WK² § 249 Rz 5). Eine gar nicht zukommende Befugnis kann auch nicht in einem bestimmten Sinn ausgeübt werden (vgl Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 302 Rz 14).
Nach den den Wirkungsbereich der Bundesministerien regelnden Bestimmungen (§§ 2 f Bundesministeriengesetz 1986 idF BGBl I 2009/3 samt Anlage zu § 2 F) steht der Bundesministerin für Inneres eine nach dem Inhalt des Wahrspruchs vom Beschwerdeführer intendierte Verfügung nicht zu. Damit sind die für einen Schuldspruch wegen § 251 StGB erforderlichen Feststellungen in einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 288 Rz 24), weil die Vollendung der Tat mangels entsprechender Befugnis der Genötigten bei generalisierender Betrachtung, also losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls, denkunmöglich, sohin unter keinen Umständen erwartet werden kann, und demzufolge auch ein allfälliger Tatversuch straflos wäre (§ 15 Abs 3 StGB; vgl Fabrizy, StGB10 § 15 Rz 22).
Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache kann dennoch nicht erfolgen:
Während nämlich eine Subsumtion unter §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB ‑ bei gleich bleibendem Nötigungsziel ‑ aus den oben genannten Gründen nicht in Frage kommt (vgl zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt [der Nötigung von ‑ für eine solche Verfügung nicht zuständigen ‑ Botschaftsangehörigen zur Enthaftung einer festgenommenen Person]: 14 Os 31/03), fehlt es für eine ‑ rechtlich in Betracht kommende ‑ Beurteilung des Täterverhaltens als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB neben den oben angesprochenen (zur hier geforderten Absicht vgl RIS-Justiz RS0093138) auch an den hiefür erforderlichen Feststellungen zur Absicht des Täters, die Bedrohte in Furcht und Unruhe vor einem Anschlag auf das Leben seiner unter ihrem Schutz stehenden geschiedenen Ehefrau zu versetzen.
Die Sache war daher zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung ‑ weil die strafbare Handlung nach dem Vorgesagten bei richtiger Anwendung des Gesetzes nicht (mehr) vor das Geschworenengericht gehört ‑ an den Einzelrichter des Landesgerichts St. Pölten zu verweisen (§ 351 StPO; RIS‑Justiz RS0100271).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.
Ein Eingehen auf die Beschwerde gegen den Beschluss auf Abweisung des Antrags auf Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls und Übermittlung des „stenografischen Protokolls“ sowie eines „elektronischen Datenträgers“ erübrigt sich zufolge der Aufhebung des Urteils (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0126057, RS0120683 ).
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