OGH 8Ob21/11p

OGH8Ob21/11p28.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in Rechtssache der klagenden Partei 1. H***** K*****, 2. S***** G*****, 3. S*****, 4. P*****, alle vertreten durch Dr. Stefan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Piaty Müller-Mezin Schoeller, Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 331.613,15 EUR sA und Feststellung (15.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Dezember 2010, GZ 4 R 121/10m‑103, womit das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Mai 2010, GZ 22 Cg 145/07h‑98, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0080OB00021.11P.0228.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Herstellerin eines Traktors der Marke „M*****“, der am 14. April 2000 in Verkehr gebracht und am 5. Mai 2000 vom Ehemann der Erstklägerin in Österreich erworben wurde.

Dieser Traktor ist mit einer „Power‑Control‑Einheit“ ausgestattet, die im Führerhaus links neben der Lenksäule angebracht ist und ein ruckfreies Fahren mit weichen Anlaufphasen sowie ein Vorwärts- und Rückwärtsfahren ohne Kuppeln ermöglicht. Der Power‑Control‑Hebel muss beim Schalten leicht angehoben werden, um dann in einer der drei vorgesehenen Positionen (Vorwärtsfahrt, neutrale Mittelstellung, Rückwärtsfahrt) einzurasten. Da er nur einen geringfügigen Anpressdruck an die Schaltkulisse aufweist, benötigt das Anheben bloß geringen Kraftaufwand.

Der Schalthebel kann auf diese Weise aber auch in einer Stellung zwischen den vorgesehenen Einrastpositionen hängenbleiben, die funktionell noch der Neutralstellung entspricht, aus welcher er aber bei einer Erschütterung der Lenksäule in eine der Einrastpositionen (vorwärts, neutral, rückwärts) springt. Ist der Schalthebel dabei knapp vor der Kulisse für die Vorwärtsfahrt positioniert, springt er bei einer geringen Erschütterung in die Vorwärtsfahrt. Ist gleichzeitig ein Gang eingelegt und die Feststellbremse zu schwach angezogen, kann sich der Traktor selbstständig in Bewegung setzen. Die Möglichkeit, dass der Schalthebel in instabiler Zwischenposition stehenbleibt, wäre technisch durch einen stärkeren Anpressdruck (dies allerdings zu Lasten des Bedienungskomforts) oder durch eine andere Form der Schaltkulisse verhinderbar.

Am 12. August 2004 stand der genannte Traktor in der ebenen Garage des landwirtschaftlichen Anwesens des Ehegatten der Erstklägerin, mit der Front in Richtung des geöffneten Ausfahrtstores, am Heck war eine Holzspaltmaschine befestigt. Die Räder waren nach links eingeschlagen und die Handbremse war angezogen. Der Ehemann der Erstklägerin wollte den Traktor von der Holzspaltmaschine trennen und startete den Motor, um die Hydraulik zu aktivieren. Er ließ den Motor des Traktors laufen, legte den ersten Gang ein, zog die Handbremse an, stellte den Power-Control-Hebel auf „neutral“ und stieg vom Traktor ab. Da der Schnellverschluss des Unterlenkers der Holzspaltmaschine klemmte, musste er sich dann nochmals in die Fahrerkabine begeben, um die Anlage hydraulisch zu heben. Danach verließ er wiederum die Fahrerkabine und ließ deren linke Türe offen stehen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit kam es im Zuge dieses Vorgangs zu einer unbeabsichtigten Berührung des Power-Control-Hebels, der dadurch in die beschriebene instabile Zwischenposition gelangte. Aufgrund einer nachfolgenden Erschütterung, die durch das Hantieren an der Hydraulik ausgelöst wurde, sprang der Power-Control-Hebel in den Kulissenspalt für die Vorwärtsfahrt. Da die Handbremse nicht voll angezogen und der erste Gang eingelegt war, setzte sich der Traktor in Richtung des Garagentors in Bewegung. Die Erstklägerin wurde von der offenen linken Türe der Fahrerkabine erfasst, gegen die Torsäule der Garage gedrückt und lebensgefährlich verletzt.

Der Umstand, dass sich der Power-Control-Hebel des Traktors konstruktionsbedingt in eine ungewollte Zwischenstellung bringen lässt, war zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens für die Beklagte erkennbar. Es war ebenfalls erkennbar, dass der Power-Control-Hebel aus dieser ungewollten Zwischenstellung durch eine Erschütterung in die technisch vorgesehene Position „vorwärts“ oder „rückwärts“ springen kann und der Traktor, wenn ein Gang eingelegt ist und die Handbremse nicht oder zu schwach angezogen ist, selbständig losfährt. Der Power-Control-Hebel ist nur unterhalb der Schaltkulisse mit einem Schutzbügel gegen ein ungewolltes Vorwärts- oder Rückwärtsschalten während der Fahrt sowie ein ungewolltes Streifen oder Anstoßen beim Verlassen des Traktors gesichert.

Die Handbremse des Traktors dient in erster Linie dazu, ein ungewolltes Losrollen zu verhindern. Es gibt insgesamt elf Rasterstellungen, wobei die zehnte und elfte Stufe nur mit hohem Krafteinsatz angezogen werden können. Ein Wegfahren des Traktors ist dann nicht möglich. Bei der neunten Stufe kann der Traktor bereits eine kurze Distanz bewältigen, bis der Motor „abstirbt“, darunter ist ein Wegfahren mit Motorkraft trotz angezogener Bremse möglich. Ab welcher Stufe die Handbremse voll angezogen ist, geht weder aus der Bedienungsanleitung des Traktors, noch aus den Hinweisen in der Fahrerkabine hervor. Üblicherweise wird die Feststellbremse von einem Fahrzeuglenker abhängig vom Gelände nur so weit angezogen, dass eine ausreichende Bremswirkung aufgebaut wird, um das ungewollte Losrollen ohne eingelegten Gang zu verhindern. Ist ein Gang eingelegt und die Handbremse angezogen, ertönt ein Summton. Die Position des Power-Control-Hebels in einer Zwischenstellung hat keinen Einfluss auf das Ertönen dieses Warnsignals. In der Bedienungsanleitung wird auf die Bedeutung dieses akustischen Warnsignals nicht hingewiesen.

Neuere Traktoren der Beklagten weisen eine elektronische Wegfahrsperre auf, sodass sie bei angezogener Handbremse, gleichgültig in welcher Position, nicht in Bewegung gesetzt werden können, auch wenn ein Gang eingelegt ist und der Wendeschalter in Vorwärts- oder Rückwärtsfahrt gesetzt ist. Zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens wies der gegenständliche Traktor einen dem Stand der Technik entsprechenden Zustand auf und erfüllte alle Vorgaben der Maschinensicherheitsverordnung, soweit diese auf landwirtschaftliche Zugmaschinen anwendbar sind.

In der Bedienungsanleitung des Traktors findet sich an verschiedenen Stellen der Hinweis, dass vor dem Verlassen des Fahrersitzes der Gangschalthebel unbedingt in den Leerlauf und die Umschaltsteuerung auf neutrale Position gestellt werden müssen. In der Fahrerkabine ist ein Aufkleber mit dem Hinweis: „Vor dem Absteigen vom Traktor Handbremse anziehen, Vorrichtung herunterlassen, Motor abstellen und Schlüssel abziehen“ angebracht.

Die Erstklägerin war im Unfallszeitpunkt unselbständig beschäftigt und im Landwirtschaftsbetrieb ihres Ehemanns mitversichert. Die Zweitklägerin hatte als Krankenversicherungsträgerin aufgrund des Unfalls der Erstklägerin Heilbehandlungsleistungen zu erbringen. Die Drittklägerin finanzierte unfallbedingte Rehabilitationsmaßnahmen, Heilmittel und Heilbehelfe und gewährt der Erstklägerin eine Versehrten- bzw Betriebsrente. Von der Viertklägerin bezieht die Erstklägerin wegen der Unfallfolgen seit 1. Juli 2005 Pflegegeld und Berufsunfähigkeitspension.

Gestützt auf die Haftung der Beklagten nach § 1 Abs 1 Z 1 PHG begehrt die Erstklägerin Schmerzengeld, die Zweit- bis Viertklägerinnen machen unter Berufung auf § 332 ASVG und § 178 BSVG den Ersatz ihrer unfallbedingten gesetzlichen Aufwendungen geltend.

Das Erstgericht sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, dass die Leistungsbegehren der vier Klägerinnen dem Grunde nach zu Recht bestünden und traf die Feststellung, dass die Beklagte für sämtliche künftigen Schäden der Erstklägerin bzw für sämtliche zukünftigen Aufwendungen der Drittklägerin und der Viertklägerin aus dem Unfall vom 12. August 2004 hafte.

Der von der Beklagten erzeugte und in Verkehr gebrachte Traktor sei insofern ein fehlerhaftes Produkt im Sinn des § 5 Abs 1 Z 2 PHG, als seine Power‑Control‑Schaltung ein unbeabsichtigtes Losrollen ermöglicht habe. Zwar habe es dazu eines zusätzlichen Bedienungsfehlers bedurft, der aber seiner Art nach vorhersehbar gewesen sei und nicht als völlig zweckentfremdete oder missbräuchliche Handlung beurteilt werden könne.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge, änderte die Entscheidung des Erstgerichts im zur Gänze klagsabweisenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision mangels einer über den Einzelfall hinaus bedeutenden Rechtsfrage für nicht zulässig.

Entgegen der Begründung des Erstgerichts könne die Funktionsweise des Power-Control-Hebels nicht als Produktfehler angesehen werden. Der Hebel könne immer nur durch aktives Anheben in die instabile Zwischenstellung gebracht werden. Bei richtiger Bedienung sei der Traktor durch eine Dreier-Kette von Maßnahmen gegen unbeabsichtigtes Losfahren abgesichert, nämlich Herausnehmen des Ganges, Anziehen der Handbremse und Neutralstellung der Power-Control-Einheit. Jeder einzelne dieser Bedienungsschritte könne ‑ richtige Durchführung vorausgesetzt ‑ schon für sich allein das Losfahren verhindern. Mit der Möglichkeit, dass ein Lenker gleich alle drei vorgesehenen Bedienungsschritte nicht einhält, habe die Beklagte als Produzentin nicht rechnen müssen.

Auch ein Instruktionsfehler sei zu verneinen; für den richtigen Gebrauch des Produkts durch einen ausgebildeten Lenker landwirtschaftlicher Zugmaschinen seien die Bedienungsanleitung und die Warnhinweise in der Fahrerkabine ausreichend gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerinnen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, die Beklagte hat eine gemäß § 508a Abs 2 ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerinnen ist zulässig und berechtigt, weil die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts auf Grundlage des Sachverhalts im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit einer Korrektur bedarf.

1. Ein Produkt ist nach § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, insbesondere (Z 2) angesichts des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden muss. Das Vorliegen eines Fehlers ist am Kriterium der Sicherheitserwartung durchschnittlicher Verbraucher dieses Produkts zu messen (7 Ob 49/01h, ecolex 2001/238, 671 [ Ch. Rabl ]; Posch in Schwimann ³ VII, Einl PHG Rz 23).

Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist (RIS-Justiz RS0107606). Entspricht zwar das technische Konzept, aber nicht das einzelne Stück den Erwartungen, weil der Produktionsprozess mangelhaft war, liegt ein Produktionsfehler vor. Ein Produktfehler kann aber auch in einer unzureichenden Darbietung des Produkts, etwa dem Fehlen wichtiger Gebrauchshinweise, begründet sein (RIS-Justiz RS0107606).

Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit wird dem Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts die Verpflichtung auferlegt, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert die Fehlerfreiheit des Produkts (RIS‑Justiz RS0110464), der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers (RIS-Justiz RS0071536). Erforderlich sind daher die Sicherheitsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind und als geeignet und genügend erscheinen, um Schäden zu verhindern.

Der maßgebende Stand der Wissenschaft und Technik darf aber nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden, denn die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen können durchaus hinter der technischen Entwicklung und damit hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben.

2. Nach diesen Grundsätzen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Konstruktion eines Schalthebels eines Traktors fehlerhaft ist, wenn dieser unbeabsichtigt in einer Position zwischen Leerlauf und Bewegung hängenbleiben kann. Es ist dafür entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht relevant, dass der Fehlstellung des Schalthebels ein leichtes Anheben vorangehen muss, wenn ein solches Anheben nur geringen Kraftaufwand benötigt und daher durch unbeabsichtigte Berührung (zB Hängenbleiben mit einem Kleidungsstück beim Aussteigen) oder auch durch einen Flüchtigkeitsfehler beim Schalten (nicht ganz bis zum Einrasten) bewirkt werden kann. Der in der Möglichkeit einer instabilen Hebelposition liegende Konstruktionsfehler wird auch nicht durch das Vorhandensein eines Schutzbügels unter der Schaltkulisse behoben, weil damit nur ein unbeabsichtigtes Bewegen des Schalthebels von unten, also insbesondere mit den Knien bzw Beinen des Lenkers, verhindert werden kann.

Wäre eine Zwischenposition des Schalthebels nicht konstruktionsbedingt möglich gewesen, hätte ein unabsichtliches Anheben, zB durch Hängenbleiben, den gegenständlichen Unfall nicht herbeiführen können. In diesem Fall wäre der Hebel ‑ bei ansonsten gleichem Geschehensablauf ‑ sofort in die Vorwärtsposition gerutscht, so dass der Ehemann der Erstklägerin unverzüglich reagieren und das Fahrzeug anhalten hätte können.

3. Das Berufungsgericht hat die Haftung der Beklagten mit dem zentralen Argument verneint, dass der Traktor sich ohne grobe Bedienungsfehler des Ehegatten der Erstklägerin trotz des Schaltungsproblems nicht in Bewegung setzen hätte können.

Auch diese Ausführungen können aber nicht überzeugen, zumal sie verkennen, dass der Lenker des Traktors im Anlassfall zwei der drei Elemente der angenommenen „Dreier-Kette“ eingehalten hatte. Er hatte sowohl die Handbremse angezogen, als auch die Power‑Control-Schaltung auf Neutralposition gestellt, sodass er mit einem Losfahren des Traktors trotz des eingelegten Gangs keineswegs rechnen musste. Der Umstand, dass die Power‑Control-Schaltung nicht in Neutralstellung verblieben ist, war gerade Folge des Produktfehlers und ebensowenig dem Bediener zurechenbar wie fehlende Instruktionen über die zur Sicherung gegen unbeabsichtigtes Wegrollen mit Motorkraft notwendige äußerste Einrastposition der Handbremse.

Der Ehegatte der Erstklägerin hat allerdings gegen die ihm zugänglichen Bedienungsanweisungen für den Traktor verstoßen, weil er den Führerstand bei eingelegtem Gang und laufendem Motor verlassen hat. Ohne diese Unvorsichtigkeit wäre der konkrete Unfallsablauf trotz des beschriebenen Fehlers der Power-Control-Schaltung nicht möglich gewesen.

Für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts ist aber nicht strikt auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auf alle Gebrauchsmöglichkeiten abzustellen, die bei objektiver Betrachtung aus der Perspektive des Herstellers als denkmöglich in Betracht zu ziehen sind, was selbst außergewöhnliche Nutzungen, die als noch sozialüblicher Abusus anzusehen sind, einschließt. Nur für objektiv unvorhersehbare oder geradezu absurde Nutzungen hat der Hersteller nicht einzustehen (RIS-Justiz RS0107610; Posch aaO § 5 PHG Rz 16 f). Die Möglichkeit, dass bei der Bedienung einer Maschine oder eines Fahrzeugs einer von mehreren Bedienungsschritten, die alle dem gleichen Zweck dienen und jeweils für sich alleine wirksam sind, bewusst missachtet wird, insbesondere wenn damit die Erleichterung eines Arbeitsvorgangs verbunden ist, liegt keineswegs so weit außerhalb der Lebenserfahrung, dass der Produzent damit nicht rechnen müsste.

Wenn es konstruktionsbedingt möglich ist, den Traktor kurzfristig mit eingelegtem Gang und laufendem Motor nur durch Neutralstellen der Power-Control-Einheit abzustellen, dann musste die Beklagte auch damit rechnen, dass manche Lenker diese technische Möglichkeit trotz aller Warnhinweise aus Bequemlichkeit ausnützen, insbesondere bei Arbeitsvorgängen wie dem vorliegenden, die ein mehrmaliges Auf- und Absteigen erfordern, und dass sie sich dabei auf die Sicherheit der Power-Control-Einheit verlassen. Es handelt sich dabei um einen vorhersehbaren Fehlgebrauch, der die Annahme eines Produktfehlers nicht ausschließt, sondern im Verhältnis zu einem geschädigten Dritten lediglich zur Solidarhaftung führt.

4. Dem Einwand der Beklagten, die Erstklägerin habe das Verhalten ihres Ehegatten im Sinn des § 11 PHG zu vertreten und müsse sich dessen Verschulden anrechnen lassen, kann nicht gefolgt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in jüngerer Zeit bereits wiederholt mit der Gehilfenhaftung auf Seiten eines schuldlos Geschädigten in (analoger) Anwendung des § 1304 ABGB befasst und sich jenen Lehrmeinungen angeschlossen, die für eine „Gleichbehandlung“ von Schädiger- und Geschädigtenseite eintreten (vgl Kletečka, Mitverschulden durch Gehilfenverhalten [1991]; F. Bydlinski,Zur Haftung der Dienstleistungsberufe in Österreich und nach dem EG‑Richtlinienvorschlag, JBl 1992, 347 ff; ders,Gehilfenmitverschulden beim Arbeitgeber und betriebliche Hierarchie, FS Tomandl [1998] 45 ff; Grassl-Palten, Gehilfenmitverschulden, Fremdsicherung und anderes, JBl 1992, 501 ff; Harrer in Schwimann, ABGB³ § 1304 Rz 30). Notwendige Folge der gebotenen Gleichbehandlung von Schädiger- und Geschädigtenseite ist, dass in beiden Fällen zwischen Schädigung im Schuldverhältnis und Schädigung außerhalb eines solchen zu unterscheiden ist. Im erstgenannten Fall besteht für beide Seiten eine Sonderbeziehung, die eine auf Erfüllung und Sorgfalt ausgerichtete Vertrauenslage des Kontaktpartners begründet und besonders schutzwürdig ist, weshalb dem Geschädigten das Verhalten seiner Gehilfen in der Regel analog § 1313a ABGB zuzurechnen sein wird.

Außerhalb eines Schuldverhältnisses muss sich der künftig Geschädigte das Verschulden einer Hilfsperson nur dann analog § 1315 ABGB wie eigenes anrechnen lassen, wenn die Hilfsperson habituell untüchtig ist oder der Geschädigte deren Gefährlichkeit kennt, sowie bei Auswahl- oder Überwachungsverschulden. Selbst wenn der Schuldtragende als „Bewahrungsgehilfe“ anzusehen wäre, dem der Geschädigte seine verletzten Güter anvertraut hatte, ist ihm sein Verschulden jedenfalls dann nicht wie eigenes anzurechnen, wenn die Voraussetzungen des § 1315 ABGB nicht vorliegen (4 Ob 204/08s mit eingehender Begründung; siehe insb auch 6 Ob 182/09x [Verletzung durch Fehler eines vom Vater des Geschädigten gekauften Produkts]).

Soweit sich die Beklagte auf eine Erstreckung von Schutzwirkungen des Vertrags zwischen Produzent und Händler auf den Endabnehmer und die in seinem Betrieb mitarbeitenden Personen bezieht, verkennt sie die Rechtslage. Solche Schutzwirkungen können zu ihrer eigenen Haftung ex contractu gegenüber dem in den Schutzbereich einbezogenen Dritten führen, aber nicht umgekehrt vertragliche Schutzpflichten des Dritten gegenüber der Beklagten begründen.

Unstrittig bestand im vorliegenden Fall keine Vertragsbeziehung zwischen der Erstklägerin und der Beklagten. Die Erstklägerin müsste sich das Verschulden ihres Ehegatten daher grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB anrechnen lassen; ihm müsste habituelle Untüchtigkeit im Umgang mit Traktoren vorzuwerfen sein, oder die Erstklägerin müsste bewusst eine gefährliche Person ausgewählt haben (vgl 6 Ob 182/09x). Beides ist weder aus dem Vorbringen, noch aus den Feststellungen abzuleiten.

Eine Erörterung der vorgelagerten Frage, womit eine Gehilfeneigenschaft des Ehemanns im Verhältnis zur Erstklägerin überhaupt zu begründen wäre, kann mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben. Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt jedenfalls die Tatsache, dass die Erstklägerin der Unfallversicherung bei der Drittklägerin unterlag, keineswegs ihre Stellung als landwirtschaftliche (Mit-)Betriebsführerin voraus. Nach § 3 Abs 1 Z 2 BSVG sind Ehegatten, eingetragene Partner, Kinder, Enkel und andere Verwandte des Betriebsführers bereits aufgrund bloß tatsächlicher Tätigkeit im landwirtschaftlichen Betrieb in der Unfallversicherung pflichtversichert.

5. Einen Haftungsausschluss nach § 8 PHG haben die Vorinstanzen angesichts der Feststellung, dass der unfallkausale Fehler der Power-Control-Einheit der Beklagten bereits beim Inverkehrbringen des Traktors erkennbar war, zutreffend verneint.

Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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