OGH 10ObS173/11f

OGH10ObS173/11f14.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. W***** O*****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. September 2011, GZ 11 Rs 111/11i-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Mai 2011, GZ 24 Cgs 201/10w-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 186,84 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens (darin enthalten 31,14 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10. 6. 1958 geborene Kläger war zuletzt von April 1982 bis Juni 2007 als Kundendiensttechniker bei H***** im Außendienst in ganz Österreich tätig. Er war in die Verwendungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte eingestuft. Zu seinen Hauptaufgaben zählte die Installation von Hardware und Betriebssoftware im Server- und Storage-Bereich. Er installierte Großrechner bei Unternehmen, hatte die Kunden einzuschulen und die Wartungen der Produkte durchzuführen. Er war für die Reparatur und Behebung von Störungen der Hardware, der Software und des Betriebssystems zuständig. Als Accounttechniker war er für die ihm zugeteilten Kunden verantwortlich. Für die schwere manuelle Arbeit wurden Helfer zum Einsatz gebracht. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen ist der Kläger nur noch in der Lage, leichte Arbeiten in vorwiegend sitzender Position zu verrichten. Zwischenzeitlich kann er auch übliche Wegstrecken in einem Bürogebäude (zB von einem Büro in ein anderes) zurücklegen. Zirka alle ein bis zwei Stunden muss der Kläger die Möglichkeit haben, die jeweilige Arbeitsposition zumindest kurzzeitig für einige Minuten zu wechseln, bevor er wieder in der Ausgangshaltung weiter arbeiten kann. Der Wechsel aus Tätigkeiten im Stehen oder im Gehen sollte in sitzender Position möglich sein. Der Kläger kann dauernd Lasten bis 1 kg heben und tragen. Wenn er eine Gehhilfe verwendet, ist er in der Lage, mit einer Hand Gewichte bis 5 kg zu tragen.

Ausgeschlossen sind

Arbeiten in längerer konstant vorgebeugter Körperhaltung (ab ca 30° bis 40°);

Arbeiten, die häufig oder über einen längeren Zeitraum mit beiden Armen über Schulterhöhe verrichtet werden müssen;

Arbeiten, welche abruptes Drücken, Stoßen oder Ziehen verlangen;

Arbeiten in schwindelexponierten Lagen, wie auf Leitern oder Gerüsten;

Arbeiten, verbunden mit übermäßiger Exposition gegenüber Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Zugluft, Rauch, Staub, Dämpfen und Chemikalien.

Die Gleichgewichts- und Koordinationsleistung der unteren Extremitäten ist erheblich eingeschränkt. Die Arbeiten können unter durchschnittlichem Zeitdruck bei normalem Arbeitstempo verrichtet werden. Akkordarbeit ist dem Kläger nicht zumutbar. Kognitive Einschränkungen sind nicht fassbar. Es bestehen auch keine Einschränkungen der sozialen und persönlichen Kompetenzen. Zusätzliche Arbeitspausen sind nicht erforderlich. Die Tages- oder Wochenarbeitszeit muss nicht eingeschränkt werden. Der Kläger ist in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen und eine Wegstrecke von 500 m innerhalb von 25 Minuten zurückzulegen. Regelmäßige, leidensbedingte Krankenstände sind bei Einhaltung des Leistungskalküls nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Eine Verbesserung des Leistungskalküls ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.

Auf Basis seines medizinischen und psychologischen Leistungskalküls kann der Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kundendiensttechniker nicht mehr verrichten; ebenso nicht eine andere Außendiensttätigkeit. Es sind ihm jedoch noch Tätigkeiten der Verwendungs-/Beschäftigungsgruppe III/3 im Innendienst zumutbar. Nach einigen Monaten innerbetrieblicher Einarbeitung könnte der Kläger noch die Tätigkeit eines Operators, eines Datenprüfers, eines Arbeitsvorbereiters oder eines Programmierers verrichten. Arbeitsplätze der genannten Art gibt es in nennenswerter Anzahl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Mit Bescheid vom 30. 6. 2010 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 28. 4. 2010 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht die auf Zuspruch der Berufsunfähigkeitspension ab 1. 5. 2010 gerichtete Klage. Er brachte vor, sämtliche Voraussetzungen des § 255 Abs 3a und 3b ASVG (der sogenannten Härtefallregelung) zu erfüllen.

Die beklagte Partei wendete unter anderem ein, dass die Voraussetzungen der Härtefallregelung nicht vorlägen, weil der Kläger nicht 12 Monate arbeitslos gemeldet gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich ging es davon aus, der Kläger sei nicht berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG, weil er - ausgehend von seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Angestellter in der Beschäftigungsgruppe 4 - noch Verweisungstätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 im Bereich der Datenverarbeitung verrichten könne. Die am 1. 1. 2011 in Kraft getretene, gemäß § 273 Abs 2 ASVG analog anzuwendende sogenannte Härtefallregelung des § 255 Abs 3a und 3b ASVG komme dem Kläger nicht zugute, weil diese nur für Versicherte der untersten Verwendungsgruppen in Frage komme.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels erster Instanz und führte unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien aus, dass durch die Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte ArbeitnehmerInnen und für bestimmte selbstständige Erwerbstätige ein spezieller Verweisungsschutz geschaffen werden sollte, der die weite Verweisung auf den gesamten Arbeitsmarkt zu einer Verweisbarkeit in einem engen Segment einschränken und so diesen Menschen einen Zugang zu einer Invaliditäts- oder Erwerbsunfähigkeitspension bzw zu einer entsprechenden Rehabilitation öffnen sollte. Es sollten Berufsverweisungen vermieden werden, die bisher zu Härtefällen geführt hätten. Gemäß § 273 Abs 2 ASVG gelte die Härtefallregelung für Angestellte entsprechend. Der Anwendungsbereich für Angestellte und Versicherte nach dem GSVG sei aber sehr eng. Für Angestellte komme die Härtefallregelung überhaupt nur für Versicherte der untersten Verwendungsgruppe in Frage. Nur auf diese Weise könne dem Gesetzeszweck Rechnung getragen werden, zur Vermeidung von Härtefällen für eine kleine Gruppe von Versicherten einen Zugang zu einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bzw zu einer entsprechenden Rehabilitation zu öffnen. Der Kläger, der eine qualifizierte Angestelltentätigkeit ausgeübt habe und noch Verweisungstätigkeiten der Verwendungs-/Beschäftigungsgruppe III/3 im Innendienst verrichten und somit seinen Berufsschutz wahren könne, sei nicht vom Personenkreis der Härtefallregelung erfasst. Ob die weiteren Voraussetzungen des § 255 Abs 3a Z 1 - 4 iVm 3b ASVG vorliegen, könne dahingestellt bleiben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage des Anwendungsbereichs des § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 3a und 3b ASVG noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht zusammengefasst geltend, § 273 Abs 2 ASVG besage nach seinem Wortlaut eindeutig, dass § 255 Abs 3a und 3b sowie Abs 4 bis 7 ASVG für Angestellte entsprechend gelte, ohne dass ein Ausschluss einzelner Gruppen von Angestellten normiert werde. Das Wort „entsprechend“ bedeute lediglich, dass die auf Arbeiter ausgelegte Härtefallregelung auf Angestellte „umgelegt“ werden soll. Hinweise dafür, dass die Härtefallregelung lediglich für die untersten Verwendungsgruppen gelten solle, ergäben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien.

Dazu ist auszuführen:

I.1. Da der Kläger (unbestritten) zuletzt eine Angestelltentätigkeit iSd § 1 Abs 1 AngG ausgeübt hat, ist der in § 273 Abs 1 ASVG definierte Begriff der Berufsunfähigkeit maßgeblich.

I.2. Zu dem durch den Antrag vom 28. 4. 2010 ausgelösten Stichtag stand § 273 Abs 1 ASVG idF des 2. SVÄG 2003 BGBl I 2003/145 in Kraft. Es galt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.

I.3. Ab 1. 1. 2011 trat eine Änderung der Rechtslage durch das BudgetbegleitG 2011 BGBl I 2010/111 ein.

Nach § 273 Abs 1 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 gilt die versicherte Person als berufsunfähig, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ausgeübt wurde. Als Erfordernis für den Erwerb des Berufsschutzes muss für Stichtage ab 1. 1. 2011 nunmehr die Ausübung von mindestens 7,5 Jahren eines erlernten (angelernten) Berufs innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag erfüllt sein. Zur Erhaltung des Berufsschutzes sollen nunmehr alle „geschützten“ ArbeiterInnentätigkeiten und alle Angestelltentätigkeiten zusammengerechnet werden, sodass beispielsweise mit 5 Jahren Tätigkeit als Schlosser und 3 Jahren Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann der Berufsschutz in jeder dieser Tätigkeiten erhalten bleibt, aber auch auf das Verweisungsfeld für beide Tätigkeiten verwiesen werden kann. Die allgemeinen Verweisungsmöglichkeiten bleiben davon unberührt, das heißt, dass bei Angestellten bei der Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten wie bisher von der zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Tätigkeit auszugehen ist (RV 981 BlgNR 24. GP 205).

§ 273 Abs 2 idF des BudgetbegleitG 2011 ordnet an, dass § 255 Abs 3a und 3b sowie Abs 4 bis 7 „entsprechend“ gelten solle. Mit § 273 Abs 2 ASVG wurde somit die mit dem BudgetbegleitG 2011 BGBl I 2010/111 geschaffene sogenannte Härtefallregelung (§ 255 Abs 3a und 3b ASVG) auch für Angestellte eingeführt.

I.4. Durch das am 27. 12. 2011 kundgemachte SRÄG 2011, BGBl I 2011/122 erfuhr § 273 Abs 2 ASVG (neuerlich) eine Änderung. Diese Bestimmung lautet nun dahin, dass die versicherte Person im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 auch dann als berufsunfähig gilt, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das eine körperlich und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Der zuvor in § 273 Abs 2 ASVG (idF des BudgetbegleitG 2011) enthaltene Regelungsinhalt findet sich seit dem SRÄG 2011 gleichlautend in § 273 Abs 3 ASVG.

Gemäß der Schlussbestimmung des § 663 Abs 1 Z 3 ASVG idF des SRÄG 2011 traten § 273 Abs 2 und 3 ASVG rückwirkend mit 1. 1. 2011 in Kraft.

II. Diese Änderungen lassen sich - soweit sie für den vorliegenden Fall von Interesse sind - wie folgt zusammenfassen:

II.1. Zum Begriff der Berufsunfähigkeit:

Nach den Gesetzesmaterialien (RV 1512 BlgNR 24. GP 11) soll mit der Neuregelung des § 273 Abs 2 ASVG im Hinblick darauf, dass der Berufsschutz im Rahmen des BudgetbegleitG 2011 neu geregelt wurde und für ArbeiterInnen und Angestellte grundsätzlich nur noch dann Platz greift, wenn für eine bestimmte Zeit eine qualifizierte Berufstätigkeit ausgeübt wurde, auch für Angestellte im Wege der Verweisung auf den Invaliditätsbegriff nach § 255 Abs 3 ASVG Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass die Kriterien für den Berufsschutz nicht erfüllt werden. Es wird somit klargestellt, dass diesfalls die Bestimmungen für Personen, die nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig waren, entsprechend zur Anwendung kommen; Berufsunfähigkeit liegt in diesen Fällen nur dann vor, wenn der Gesundheitszustand der betroffenen Person so beeinträchtigt ist, dass sie keine Tätigkeit mehr ausüben kann, die am Arbeitsmarkt angeboten wird und ihr auch zumutbar ist („weites Verweisungsfeld“).

II.2. Eine weitere Änderung besteht darin, dass die durch das BudgetbegleitG 2011 neu geschaffene und in § 255 Abs 3a und 3b ASVG verankerte sogenannte Härtefallregelung auch für Angestellte entsprechend zur Anwendung gelangen soll.

II.2.1. Nach § 255 Abs 3a ASVG gilt eine versicherte Person auch dann als invalid, wenn sie

1. das 50. Lebensjahr vollendet hat,

2. mindestens zwölf Monate unmittelbar vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) als arbeitslos iSd § 12 AlVG gemeldet war,

3. mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat und

4. nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von ihrem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

II.2.2. Unter den Tätigkeiten nach § 255 Abs 3a Z 4 ASVG sind nach der Legaldefinition des § 255 Abs 3b ASVG leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen, zu verstehen.

II.2.3. Die Bestimmung des § 255 Abs 3a iVm Abs 3b ASVG trat gemäß der Schlussbestimmung des § 658 Abs 1 ASVG mit 1. 1. 2011 in Kraft und wird mit Ablauf des 31. 12. 2015 wieder außer Kraft treten (§ 658 Abs 2 ASVG).

II.2.4. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205) soll mit dieser neuen Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte ArbeitnehmerInnen und für bestimmte selbstständig Erwerbstätige (nämlich Bäuerinnen und Bauern), die das 50. Lebensjahr erreicht bzw überschritten, aber das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die die Voraussetzungen für den besonderen Berufsschutz etwa nach § 255 Abs 4 ASVG nicht erfüllen, ein spezieller Verweisungsschutz die derzeit judizierte weite Verweisung auf dem gesamten Arbeitsmarkt zu einer Verweisbarkeit in einem engen Segment einschränken und so diesen Menschen einen Zugang zu einer Invaliditäts- oder Erwerbsunfähigkeitspension bzw zu einer entsprechenden Rehabilitation öffnen. Ziel der vorgeschlagenen Regelung ist es also, jene Berufsverweisungen, die bisher zu Härtefällen geführt haben, zu vermeiden. Unter Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil sind leichte (körperliche) Tätigkeiten vorwiegend in sitzender Haltung und bei durchschnittlichem Zeitdruck zu verstehen, wobei ein Haltungswechsel möglich sein muss. Die neue Härtefallregelung wird in der Praxis für Bäuerinnen und Bauern sowie ungelernte ArbeiterInnen, die ein sehr stark medizinisch eingeschränktes Leistungskalkül haben (dh nur mehr leichte Tätigkeiten im Sitzen oder in einem nicht kontinuierlichen Arbeitsablauf ausüben können), relevant werden und soll auf eine sehr kleine Zahl von Härtefällen beschränkt bleiben.

II.2.5. Der Oberste Gerichtshof hat in den jüngst ergangenen Entscheidungen 10 ObS 105/11f, 10 ObS 113/11g, 10 ObS 119/11i, 10 ObS 147/11g und 10 ObS 167/11y zur Härtefallregelung des § 255 Abs 3a ASVG Stellung genommen, auf welche Ausführungen verwiesen werden kann. Hervorzuheben ist, dass die Definition in § 255 Abs 3b ASVG („Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“) nicht das medizinische Restleistungskalkül von Versicherten beschreibt, sondern jene Tätigkeiten unter allen in Betracht kommenden Tätigkeiten, die das leichteste Anforderungsprofil erfüllen. Um den Anpruchsvoraussetzungen der Härtefallregelung zu genügen, darf der Pensionswerber nur mehr in der Lage sein, die in § 255 Abs 3b ASVG umschriebenen Tätigkeiten - und keine anderen - auszuüben (10 ObS 113/11g).

II.2.6. Auf die Berufsgruppe der Angestellten nehmen die Gesetzesmaterialien nicht gesondert Bezug. Ivansits/Weissensteiner (Die Härtefallregelung - Zugangserleichterungen in die Invaliditätspension für Versicherte ab 50, DRdA 2011, 175 ff [176]) führen aus, dass es in den politischen Verhandlungen zwar primär um unqualifizierte Arbeitnehmer und um Bauern gegangen sei, die Härtefallregelung jedoch alle versicherten Berufsgruppen erfasse. Für Arbeiter sei die Härtefallregelung in § 255 Abs 3a und 3b geregelt, für Angestellte ordne § 273 Abs 2 ASVG die analoge Anwendung dieser Bestimmung an, für GSVG-Versicherte sei die Härtefallregelung im § 133 Abs 2a und 2b GSVG und für BSVG-Versicherte im § 124 Abs 1a und 1b BSVG vorgesehen. Die genannten Autoren vertreten die Meinung, der Anwendungsbereich der Härtefallregelung für Angestellte und Versicherte nach dem GSVG sei sehr eng. Da es sich bei Angestellten um eine Berufsgruppenversicherung mit einem breiten Schutz vor Querverweisungen handle, werde bei der Anwendung der Härtefallregelung nach spezifischen Angestelltentätigkeiten gefragt werden müssen, die noch unter „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ fallen. Für Angestellte werde die Härtefallregelung nur für Versicherte der untersten Verwendungsgruppen in Frage kommen.

Resch, Sozialrecht5, 119 meint, dass es zwar eine dem § 255 Abs 3a und 3b ASVG entsprechende Bestimmung für Angestellte gebe (§ 273 Abs 2 ASVG), diese Bestimmung aber bedingt durch den ohnedies bestehenden Berufsschutz vermutlich ohne praktische Bedeutung bleiben werde.

III. Für den vorliegenden Fall ergibt sich:

III.1. Die Frage, ob der Kläger als berufsunfähig anzusehen ist, ist an Hand der Rechtslage zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag 1. 5. 2010 zu beurteilen, somit nach § 273 Abs 1 ASVG idF des 2. SVÄG BGBl I 2003/145 (§ 223 Abs 2 ASVG; RIS-Justiz RS0115809 [T1]).

III.2. Infolge der vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Mai 2011 eingetretenen Gesetzesänderung durch das BudgetbegleitG 2011 ist aber für den Zeitraum ab 1. 1. 2011 die Frage der Verweisbarkeit auch nach der zum (neuen) Stichtag 1. 1. 2011 geltenden Rechtslage gemäß § 273 Abs 2 bzw Abs 3 ASVG (in der nunmehr geltenden Fassung des SRÄG 2011) iVm § 255 Abs 3a und 3b ASVG zu prüfen. Dies entspricht der Judikatur des erkennenden Senats, dass dann, wenn eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen während des Verfahrens eintritt, die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist. Es wird durch diese Änderung, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung ist, ein neuer Stichtag ausgelöst; die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem Stichtag zu prüfen (10 ObS 328/00h; RIS-Justiz RS0106868).

Zu III.1. Dass der Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension für den Zeitraum vom Stichtag 1. 5. 2010 bis 31. 12. 2010 nicht besteht, entspricht der ständigen Judikatur (RIS-Justiz RS0084956).

Zu III.2. Wenngleich der Kläger aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls seine der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten entsprechende, zuletzt ausgeübte Außendiensttätigkeit nicht mehr verrichten kann, kann er auf Beschäftigungen der Beschäftigungsgruppe III/3 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten im Innendienst (Operator, Datenprüfer, Arbeitsvorbereiter oder Programmierer) verwiesen werden, die von Angestellten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt werden (vgl RIS-Justiz RS0084890 [T10]). Dieses Ergebnis zieht der Kläger in seiner Revision nicht in Zweifel.

Der erkennende Senat hat in der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 146/11k vom 17. 1. 2012 bei einem mit einfachen Bürotätigkeiten beschäftigt gewesenen Kläger darauf hingewiesen, dass vor einer Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 273 Abs 2 und 3 (in der nunmehr geltenden Fassung des SRÄG 2011) iVm § 255 Abs 3a und 3b ASVG zu prüfen ist, ob der Versicherte in der Lage ist, seiner zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübten Berufstätigkeit weiterhin nachzugehen.

Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch vorrangig die Frage, ob eine Anwendung der Härtefallregelung auf den Kläger, der zuletzt über einen Zeitraum von 25 Jahren eine qualifizierte Angestelltentätigkeit der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten ausgeübt hat, überhaupt in Betracht kommt.

Nach den bereits zitierten Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205 f) soll durch die Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte ArbeiterInnen und für bestimmte selbstständig Erwerbstätige (nämlich Bäuerinnen und Bauern) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein spezieller Verweisungsschutz die derzeit judizierte weite Verweisung auf den gesamten Arbeitsmarkt zu einer Verweisbarkeit in einem engen Segment einschränken und so diesen Menschen einen Zugang zu einer Invaliditäts- oder Erwerbsunfähigkeitspension öffnen. Ziel der vorgeschlagenen Regelung ist es also, jene Berufsverweisungen, die bisher zu Härtefällen geführt haben, zu vermeiden. Die neue Härtefallregelung wird in der Praxis für Bäuerinnen und Bauern sowie ungelernte ArbeiterInnen, die ein sehr stark eingeschränktes Leistungskalkühl haben, relevant werden und soll auf eine sehr kleine Zahl von Härtefällen beschränkt bleiben (RV 981 BlgNR 24. GP 205 f). Die Härtefallregelung sieht somit vor, dass auch Versicherte, die noch in der Lage sind, am allgemeinen Arbeitsmarkt Verweisungstätigkeiten, von diesen jedoch nur mehr die besonders leichten (Tätigkeiten mit dem „geringsten Anforderungsprofil“) zu verrichten, künftig als invalid (erwerbsunfähig) gelten. Diese Tätigkeiten und die sich daraus ergebende faktische Unvermittelbarkeit konstituieren somit den Härtefall, der Zugangserleichterungen in die Invaliditätspension (Erwerbsunfähigkeitspension) sachlich rechtfertigt (vgl Ivansits/Weissensteiner, Die Härtefallregelung - Zugangserleichterungen in die Invaliditätspension für Versicherte ab 50, DRdA 2011, 175 ff [176]).

Bei der Härtefallregelung im ASVG handelt es sich somit nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers um einen speziellen Verweisungsschutz für ungelernte ArbeitnehmerInnen. Dies zeigt sich auch darin, dass die Härtefallregelung des § 255 Abs 3a ASVG unter anderem nur dann zur Anwendung kommt, wenn die versicherte Person nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG tätig war und daher keinen Berufsschutz genießt. Bei Vorliegen eines Berufsschutzes iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG entspricht nämlich das Verweisungsfeld im Wesentlichen dem ausgeübten (erlernten oder angelernten) Beruf und es kommt daher eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ohnedies nicht in Betracht. Nichts anderes kann aber für Angestellte gelten, die für eine bestimmte Zeit eine qualifizierte Berufstätigkeit ausgeübt haben und daher Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG genießen. Bei Angestellten ist zwar nach ständiger Rechtsprechung eine Verweisung auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet sind (im konkreten Fall die Verweisung des Klägers auf eine Tätgkeit der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte), zulässig, eine Verweisung auf ungelernte Arbeitertätigkeiten - damit auch auf Tätigkeiten mit „geringstem Anforderungsprofil“ - ist jedoch unzulässig, weil der Versicherte nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden darf, durch deren Ausübung der Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG verloren gehen würde (Sonntag in Sonntag, ASVG² § 273 Rz 14 und 18 mwN). Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Härtefallregelung des § 273 Abs 3 iVm § 255 Abs 3a und 3b ASVG auf Versicherte, denen - wie dem Kläger - Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG zukommt, nicht anzuwenden ist. Die Härtefallregelung findet im Bereich der Angestellten vielmehr nur auf Versicherte Anwendung, die keinen Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG genießen und deren Berufsunfähigkeit daher nach § 273 Abs 2 ASVG idF BGBl I 2011/122 zu beurteilen ist. Der Kläger ist daher auch nach der seit 1. 1. 2011 geltenden Rechtslage nicht berufsunfähig iSd § 273 ASVG, weshalb seiner Revision ein Erfolg versagt bleiben musste.

Zur Kostenentscheidung:

Unterliegt der Versicherte zur Gänze, hat er sowohl dem Grund als auch der Höhe nach einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit, wenn sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten den Kostenersatz nahe legen. Das Kriterium der rechtlichen Schwierigkeiten ist erfüllt, weil die Entscheidung von einer Lösung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt. Zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen verweist der Kläger auf den Inhalt des Pensionsakts. Daraus ergibt sich, dass er bis 19. 7. 2009 Krankengeld in Höhe von zuletzt 89,60 EUR täglich und vom 6. 1. 2010 bis 29. 1. 2010 Arbeitslosengeld in nicht feststellbarer Höhe bezogen hat. In der mündlichen Streitverhandlung vom 3. 5. 2011 brachte er unwidersprochen vor, dass er seit Februar 2010 keinen Anspruch „auf Bezug“ mehr habe. Damit sind berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse dargelegt, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen können. Dem Kläger waren die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (RIS-Justiz RS0085871).

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