OGH 10ObS146/11k

OGH10ObS146/11k17.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Ganzert & Partner OG, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich- Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. August 2011, GZ 11 Rs 100/11x-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Mai 2011, GZ 9 Cgs 98/10t-9 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 25. 2. 1956 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt vom 1. 5. 1986 bis 24. 7. 2002 bei der S***** AG als Bürokraft mit dem Erstellen von Dienstplänen, Bearbeiten von Personaldaten und Anfertigen von Statistiken beschäftigt. Diese Tätigkeit entspricht der Stufe d des Vertragsbedienstetengesetzes (allgemeiner Bürodienst).

Aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustands sind dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mehr leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen, weniger im Gehen und Stehen, bei durchschnittlichem Zeitdruck zumutbar. Nach einer Stunde Arbeit im Sitzen sollte er die Möglichkeit haben, eine kurze Ausgleichsbewegung für zumindest 5 Minuten auszuführen, wobei auch das Herbeischaffen von Materialien für die sitzende Tätigkeit als ein solcher Ausgleich zu werten ist. Arbeiten im Gehen und Stehen sollten insgesamt 20 % eines normalen Arbeitstags nicht übersteigen. Nach einer Stunde Arbeiten im Gehen und Stehen sollte der Kläger für zumindest 30 Minuten im Sitzen weiterarbeiten, wobei er in dieser Körperhaltung auch weiterarbeiten kann.

Auszuschließen sind Arbeiten,

- die ein Bücken bis zum Boden erfordern,

- in konstant vorgebeugter Körperhaltung,

- Arbeiten im Knien und Hocken,

- auf Leitern und Gerüsten bzw in schwindelexponierten Lagen,

- Arbeiten, die mit häufigem Stiegensteigen verbunden sind,

- Überkopfarbeiten sowie Arbeiten, bei denen die Arme häufig über Schulterniveau zu halten sind,

- Arbeiten, bei denen der Kläger einen mechanischen Fußantrieb benützen muss,

- feinmotorische Tätigkeiten mit der rechten Hand,

- Arbeiten, die erhöhte Anforderungen an die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit stellen,

- Arbeiten mit hohem Regulationsaufwand,

- Arbeiten, bei denen eine vermehrte Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Entscheidungsfähigkeit erforderlich ist,

- Arbeiten mit Kundenkontakt,

- Arbeiten längere Zeit in Kälte, Nässe oder Zugluft oder die mit einer häufigen Durchnässung und Erkältung einhergehen.

Dem Kläger sind 30 Stunden Arbeitszeit bei einem Sechs-Stunden-Arbeitstag und einer fünftägigen Arbeitswoche zumutbar. Er kann öffentliche Verkehrsmittel benutzen und eine Wegstrecke von 500 m in 20 bis 25 Minuten zurücklegen. Ein Wohnungswechsel ist ihm nicht mehr zumutbar. Bei Einhaltung des Leistungskalküls ist mit Krankenständen im Ausmaß von fünf Wochen jährlich zu rechnen. Regelmäßige Kuraufenthalte sind nicht erforderlich.

Zwischen der Erlassung des Bescheids vom September 2009 und der gegenständlichen Klage hat sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich verschlechtert.

Er ist unter Berücksichtigung seines Leistungskalküls weiterhin in der Lage, einfache Bürotätigkeiten zB in der Verwaltung, in einer Ablage oder Evidenz, Registratur oder Statistik auszuüben. Diesbezüglich existiert ein ausreichend großer regionaler Arbeitsmarkt. Innerhalb einer Stunde Fahrzeit in eine Richtung kann der Kläger den oberösterreichischen Ballungsraum erreichen, in welchem 100 Arbeitsstellen, die nicht kalkülsüberschreitend sind, bestehen. Dies gilt auch im Hinblick auf die dem Kläger nur mehr mögliche verminderte Tages- und Wochenarbeitszeit. Es ist aber ausgeschlossen, dass der Kläger innerhalb eines Jahres einen Arbeitsplatz findet.

Außer Streit steht, dass der Kläger ein Jahr vor dem 1. 1. 2011 als arbeitslos iSd § 12 AlVG gemeldet war und mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat.

Mit Bescheid vom 12. 3. 2010 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 25. 2. 2010 auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung zurück, er habe vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der letzten Entscheidung vom 9. 9. 2009 neuerlich einen Antrag auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension eingebracht, ohne eine wesentliche Änderung in der Arbeitsfähigkeit glaubhaft zu bescheinigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich das auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension ab 1. 3. 2010 gerichtete Klagebegehren, das der Kläger in der Folge auf den Zeitraum ab 1. 1. 2011 einschränkte.

Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren ab 1. 1. 2011 dem Grund nach zu Recht bestehe und trug der beklagten Partei auf, dem Kläger eine monatliche vorläufige Leistung von 400 EUR zu erbringen. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, dass Berufsunfähigkeit iSd § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 3a ASVG vorliege, weil der Kläger nur mehr in der Lage sei, Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil iSd § 255 Abs 3b ASVG auszuüben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Gemäß § 273 Abs 2 ASVG iVm § 255 Abs 3b ASVG seien Arbeiten mit geringstem Anforderungsprofil leichte körperliche Arbeiten, die mit einem Heben von maximal 10 kg und/oder Tragen von maximal 5 kg verbunden sind, bei durchschnittlichem Zeitdruck, vorwiegend (also in mehr als zwei Drittel der Arbeitszeit) im Sitzen ausgeübt werden und - sofern sie nicht vorwiegend im Sitzen ausgeübt werden können - zumindest mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Die Häufigkeit der für den Kläger erforderlichen Haltungswechsel gehe sogar über die in § 255 Abs 3 lit b ASVG angeführte Frequenz noch hinaus. Bei den dem Kläger noch möglichen Verweisungstätigkeiten handle es sich durchwegs um Arbeiten, die dem Anforderungsprofil des § 255 Abs 3 lit b ASVG entsprächen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine Rechtsprechung zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung der Härtefallregelung nach den §§ 273 Abs 2 iVm 255 Abs 3a und 3b ASVG vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist schon deshalb zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts mit der ständigen Rechtsprechung nicht in Einklang steht, nach der die Verweisbarkeit nur dann zu prüfen ist, wenn feststeht, dass der Versicherte seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann (RIS-Justiz RS0110071 [T6]). Sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die beklagte Partei führt in ihrem Rechtsmittel aus, wenngleich die „Härtefallregelung“ auch nach den Gesetzesmaterialien nur für stark leistungseingeschränkte, ungelernte ArbeitnehmerInnen und für bestimmte selbstständige Erwerbstätige gelten solle, werde ihr Anwendungsbereich durch § 273 Abs 2 ASVG auch auf angestellte Versicherte ausgedehnt. Nach § 255 Abs 3a ASVG gelte eine versicherte Person aber nur dann als invalid, wenn sie neben der Erfüllung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen im Sinn der Abs 1 und 2 tätig war. Bei einer Bürokraft, deren Aufgabenbereich die Erstellung von Dienstplänen, die Bearbeitung von Personaldaten und die Anfertigung von Statistiken umfasse, könne - entsprechend den Gesetzesmaterialien - nicht von einem ungelernten Arbeitnehmer ausgegangen werden. Der Kläger falle deshalb nicht in den Anwendungsbereich der Härtefallregelung. Wollte man dennoch § 255 Abs 3a und 3b ASVG für anwendbar erachten, komme dem Haltungswechsel eine tragende Rolle zu. Es werde ausdrücklich bestritten, dass im vorliegenden Fall dessen Häufigkeit jenes Ausmaß erreicht, welches der Bestimmung des § 255 Abs 3b ASVG zu Grunde liege. Der Gesetzgeber habe den Haltungswechsel in einem größerem Ausmaß, als beim Kläger erforderlich, verstanden wissen wollen, nämlich im Sinne eines Aufstehens von 2 - 4 Mal pro Stunde.

Der erkennende Senat hat erwogen:

I. Zum Begriff der Berufsunfähigkeit:

I.1. Da der Kläger (unbestritten) zuletzt eine Angestelltentätigkeit iSd § 1 Abs 1 AngG ausgeübt hat, (Kanzleiarbeiten), ist der in § 273 Abs 1 ASVG definierte Begriff der Berufsunfähigkeit maßgeblich.

I.2. Zu dem durch den Antrag vom 25. 2. 2010 ausgelösten Stichtag (1. 3. 2010) stand § 273 Abs 1 ASVG idF des 2. SVÄG 2003 BGBl I 2003/145 in Kraft. Es galt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.

I.3. Ab 1. 1. 2011 trat eine Änderung der Rechtslage durch das Budgetbegleitgesetz 2011 BGBl I 2010/111 ein.

Nach § 273 Abs 1 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 gilt die versicherte Person als berufsunfähig, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ausgeübt wurde. § 273 Abs 2 idF des BudgetbegleitG 2011 ordnet an, dass § 255 Abs 3a und 3b sowie Abs 4 bis 7 „entsprechend“ gelten solle. Mit § 273 Abs 2 ASVG wurde somit die mit dem BudgetbegleitG 2011 BGBl I 2010/111 geschaffene sogenannte „Härtefallregelung“ (§ 255 Abs 3a und 3b ASVG) auch für Angestellte eingeführt.

I.4. Durch das am 27. 12. 2011 kundgemachte SRÄG 2011 BGBl I 2011/122 erfuhr § 273 Abs 2 ASVG (neuerlich) eine Änderung. Diese Bestimmung lautet nun dahin, dass die versicherte Person im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 auch dann als berufsunfähig gilt, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das eine körperlich und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Der zuvor in § 273 Abs 2 ASVG (idF des BudgetbegleitG 2011) enthaltene Regelungsinhalt findet sich seit dem SRÄG 2011 aber gleichlautend in § 273 Abs 3 ASVG. Dort wird nunmehr - gleichlautend wie zuvor in § 273 Abs 2 ASVG - angeordnet, dass § 255 Abs 3a und 3b ASVG (somit die sogenannte „Härtefallregelung“) sowie die Abs 4 bis 7 entsprechend gelten sollen.

Gemäß der Schlussbestimmung des § 663 Abs 1 Z 3 ASVG idF des SRÄG 2011 traten § 273 Abs 2 und 3 ASVG rückwirkend mit 1. 1. 2011 in Kraft.

II. Diese Änderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

II.1. Zum Begriff der Berufsunfähigkeit:

Seit dem Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2011 mit 1. 1. 2011 soll der Berufsschutz für Angestellte grundsätzlich nur mehr dann Platz greifen, wenn für eine bestimmte Zeit eine qualifizierte Berufstätigkeit ausgeübt wurde. Werden die Kriterien für den Berufsschutz nicht erfüllt, stellt § 273 Abs 2 ASVG (idF des SRÄG 2011) klar, dass diesfalls die Bestimmungen für Personen, die nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig waren, entsprechend zur Anwendung kommen. Berufsunfähigkeit liegt in diesen Fällen demnach nur dann vor, wenn der Gesundheitszustand der betroffenen Person so beeinträchtigt ist, dass sie keine Tätigkeit mehr ausüben kann, die am Arbeitsmarkt angeboten wird und ihr auch zumutbar ist („weites Verweisungsfeld“ - RV 1512 BlgNR 24. GP 11).

II.2. Eine weitere wesentliche Änderung besteht darin, dass die durch das BudgetbegleitG 2011 neu geschaffene und in § 255 Abs 3a und 3b ASVG verankerte sogenannte „Härtefallregelung“ auch für Angestellte entsprechend zur Anwendung gelangen soll.

II.2.1. Zu dieser Regelung ist auszuführen:

Nach § 255 Abs 3a ASVG gilt eine versicherte Person auch dann als invalid, wenn sie

1. das 50. Lebensjahr vollendet hat,

2. mindestens zwölf Monate unmittelbar vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) als arbeitslos iSd § 12 AlVG gemeldet war,

3. mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat und

4. nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von ihrem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

II.2.2. Unter den Tätigkeiten nach § 255 Abs 3a Z 4 ASVG sind nach der Legaldefinition des § 255 Abs 3b ASVG leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen, zu verstehen.

II.2.3. Die Bestimmung des § 255 Abs 3a iVm Abs 3b ASVG trat gemäß der Schlussbestimmung des § 658 Abs 1 ASVG mit 1. 1. 2011 in Kraft und wird mit Ablauf des 31. 12. 2015 wieder außer Kraft treten (§ 658 Abs 2 ASVG).

II.2.4. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205) soll mit dieser neuen Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte ArbeitnehmerInnen und für bestimmte selbstständig Erwerbstätige (nämlich Bäuerinnen und Bauern), die das 50. Lebensjahr erreicht bzw überschritten aber das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die die Voraussetzungen für den besonderen Berufsschutz etwa nach § 255 Abs 4 ASVG nicht erfüllen, ein spezieller Verweisungsschutz die derzeit judizierte weite Verweisung auf dem gesamten Arbeitsmarkt zu einer Verweisbarkeit in einem engen Segment einschränken und so diesen Menschen einen Zugang zu einer Invaliditäts- oder Erwerbsunfähigkeitspension bzw zu einer entsprechenden Rehabilitation öffnen. Ziel der vorgeschlagenen Regelung ist es also, jene Berufsverweisungen, die bisher zu Härtefällen geführt haben, zu vermeiden. Unter Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil sind leichte Tätigkeiten vorwiegend in sitzender Haltung und bei durchschnittlichem Zeitdruck zu verstehen, wobei ein Haltungswechsel möglich sein muss. Die neue Härtefallregelung wird in der Praxis für Bäuerinnen und Bauern sowie ungelernte ArbeiterInnen, die ein sehr stark medizinisch eingeschränktes Leistungskalkül haben (dh nur mehr leichte Tätigkeiten im Sitzen oder in einem nicht kontinuierlichen Arbeitsablauf ausüben können), relevant werden und soll auf eine sehr kleine Zahl von Härtefällen beschränkt bleiben.

II.2.5. Der Oberste Gerichtshof hat in den jüngst ergangenen Entscheidungen 10 ObS 105/11f, 10 ObS 113/11g, 10 ObS 119/11i, 10 ObS 147/11g und 10 ObS 167/11y zur Härtefallregelung des § 255 Abs 3a ASVG Stellung genommen, auf welche Ausführungen verwiesen werden kann.

II.2.6. Auf die Berufsgruppe der Angestellten nehmen die Gesetzesmaterialien nicht gesondert Bezug. Ivansits/Weissensteiner (Die Härtefallregelung - Zugangser-leichterungen in die Invaliditätspension für Versicherte ab 50, DRdA 2011, 175 ff [176]) führen aus, dass es in den politischen Verhandlungen zwar primär um unqualifizierte Arbeitnehmer und um Bauern gegangen sei, die Härtefallregelung jedoch alle versicherten Berufsgruppen erfasse. Für Arbeiter sei die Härtefallregelung in § 255 Abs 3a und 3b geregelt, für Angestellte ordne § 273 Abs 2 ASVG die analoge Anwendung dieser Bestimmung an, für GSVG-Versicherte sei die Härtefallregelung im § 133 Abs 2a und 2b GSVG und für BSVG-Versicherte im § 124 Abs 1a und 1b BSVG vorgesehen. Die genannten Autoren vertreten die Meinung, der Anwendungsbereich der Härtefallregelung für Angestellte und Versicherte nach dem GSVG sei sehr eng. Da es sich bei Angestellten um eine Berufsgruppenversicherung mit einem breiten Schutz vor Querverweisungen handle, werde bei der Anwendung der Härtefallregelung nach spezifischen Angestelltentätigkeiten gefragt werden müssen, die noch unter „Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil“ fallen. Für Angestellte werde die Härtefallregelung nur für Versicherte der untersten Verwendungsgruppe in Frage kommen.

III. Im vorliegenden Fall stellt sich aber die Frage der Verweisbarkeit des Klägers im derzeitigen Verfahrensstadium noch nicht:

III.1. Die Pensionsversicherung der Angestellten ist als Berufs-(gruppen-)versicherung konzipiert, deren Leistungen einsetzen, wenn ein Versicherter infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustands einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann (RIS-Justiz RS0084904). Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübt hat (RIS-Justiz RS0084954). Hat der Versicherte eine qualifizierte Berufstätigkeit ausgeübt, bestimmt dieser Beruf das Verweisungsfeld, also die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (vgl RIS-Justiz RS0084904).

III.2. Die Frage der Verweisung auf andere Tätigkeiten ist aber grundsätzlich dann nicht zu prüfen, wenn ein Versicherter die zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübte Angestelltentätigkeit weiterhin ausüben kann. Ist er dazu imstande, ohne dass damit eine ins Gewicht fallende Gefahr der Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands verbunden ist, ist er nicht berufsunfähig iSd § 273 ASVG. Erst wenn feststeht, dass der Versicherte die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit nicht mehr in der angeführten Weise ausüben kann, muss geprüft werden, ob für ihn eine andere Berufstätigkeit in Betracht kommt (10 ObS 22/99d; 10 ObS 158/98b, SSV-NF 12/72; 10 ObS 330/88, SSV-NF 3/22; RIS-Justiz RS0110071 [T6]).

An dieser Rechtslage hat sich auch durch die Schaffung der Härtefälleregelung durch das BudgetbegleitG 2011 auch für Angestellte (vgl § 273 Abs 2 ASVG idF BudgetbegleitG 2011) keine Änderung ergeben, weil durch diese Härtefallregelung nach den bereits zitierten Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205) die - erst subsidiär zu prüfende - Verweisbarkeit eingeschränkt werden sollte. Diese Erwägungen gelten jedenfalls für den Kläger, der unbestritten Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG idF BudgetbegleitG 2011 genießt. Ob diese Erwägungen auch für einen Versicherten gelten, der keinen Berufsschutz nach dieser Gesetzesstelle genießt und dessen Berufsunfähigkeit daher nach § 273 Abs 2 ASVG idF BGBl 2011/122 zu prüfen ist, muss hier nicht beurteilt werden.

III.3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich demnach:

Als erster Schritt wird im Sinne der obigen Ausführungen zu prüfen sein, ob der Kläger in der Lage ist, seiner zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübten Berufstätigkeit weiterhin nachzugehen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen war er zuletzt bei der S***** AG als Bürokraft mit der Erstellung von Dienstplänen, der Bearbeitung von Personaldaten und dem Anfertigen von Statistiken (entsprechend der Stufe d des Vertragsbedienstetengesetzes „allgemeiner Bürodienst“) beschäftigt und ist „weiterhin in der Lage, einfache Bürotätigkeiten zB in der Verwaltung, in einer Ablage oder Evidenz, Registratur und Statistik auszuüben“. Sollte diese Feststellung dahin zu verstehen sein, dass der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit ohne eine ins Gewicht fallende Gefahr der Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands weiterhin ausüben kann, würde sich die Frage der Verweisbarkeit erübrigen (RIS-Justiz RS0110071 [T6]).

Erst wenn feststehen sollte, dass der Kläger infolge seiner medizinischen Leistungseinschränkungen nicht mehr in der Lage ist, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit auszuführen, stellt sich die Frage der Verweisbarkeit. Infolge der vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (11. 5. 2011) eingetretenen Gesetzesänderung durch das BudgetbegleitG 2011 wird diese Frage nach der zum (neuen) Stichtag 1. 1. 2011 geltenden Rechtslage gemäß § 273 Abs 2 bzw Abs 3 (in der nunmehr geltenden Fassung des SRÄG 2011) iVm § 255 Abs 3a und 3b ASVG zu prüfen sein. Dies entspricht der Judikatur des erkennenden Senats, dass dann, wenn eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen während des Verfahrens eintritt, die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist. Es wird durch diese Änderungen, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung sind, ein neuer Stichtag ausgelöst; die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem Stichtag zu prüfen (RIS-Justiz RS0085994 [T1]; RIS-Justiz RS0106868).

Im fortzusetzenden Verfahren sind daher vorerst eindeutige Feststellungen dazu zu treffen, ob der Kläger trotz seiner medizinischen Einschränkungen seiner zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübten Tätigkeit weiterhin nachgehen kann.

Die Revision der beklagten Partei erweist sich somit im Sinne des Aufhebungsantrags als berechtigt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte