OGH 15Os109/11k

OGH15Os109/11k25.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Arpad C***** wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. April 2011, GZ 4 Hv 144/10a-36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Arpad C***** des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 (verfehlt: Abs 2 und) Abs 3 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz und anderen Orten mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten nachgenannter Getäuschter unrechtmäßig zu bereichern, diese unter Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der t*****GmbH zu Lieferungen von Waren verleitet, wodurch diese in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt wurden, und zwar:

1./ mehrmals im Jahr 2008 Verfügungsberechtigte der P***** GmbH zur Lieferung von Waren im Wert von 57.112,32 Euro;

2./ im Jahr 2008 Claudia L***** zur Lieferung von Waren im Wert von 3.811,08 Euro.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 11 zweiter Fall StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Die Mängelrüge (Z 5 vierter und fünfter Fall) behauptet eine offenbar unzureichende und aktenwidrige Begründung der Feststellungen über die Kenntnis des Angeklagten von der Zahlungsunfähigkeit der t*****GmbH und vermisst „klare Feststellungen zwecks Abgrenzung eines Bereicherungs- und Schädigungsvorsatzes von einer bewussten Fahrlässigkeit“ dahingehend, dass diese Gesellschaft (nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit) bis Ende Februar 2010 weiterhin Waren bezogen und veräußert habe.

Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe (Scheingründe) angegeben sind, aus denen sich nach den Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegenden empirischen Erfahrungen ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS-Justiz RS0108609 und RS0118317).

Das Schöffengericht hat die Kenntnis des Angeklagten von der Zahlungsunfähigkeit der t*****GmbH einerseits aus den „lebensnahen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen“ (US 5), andererseits aus der „seit 2007 anhaltenden Liquiditätslücke“ (US 6) geschlossen und die entgegenstehende Verantwortung des Beschwerdeführers als „Schutzbehauptung“ gewertet (US 5 und 6), somit logisch und empirisch einwandfrei begründet. Ob die Gesellschaft nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bis Februar 2010 weiter aktiv war, ist hingegen weder für die Schuld- und Subsumtionsfrage entscheidungswesentlich, noch kommt diesem Umstand für die Frage des auf den Tatzeitpunkt abstellenden Bereicherungs- und Schädigungsvorsatzes (US 4) Bedeutung zu, sodass sich das Beschwerdevorbringen als bloße in dieser Form unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter erweist.

Aktenwidrigkeit nach Z 5 fünfter Fall liegt vor, wenn der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinem wesentlichen Teil in den Entscheidungsgründen unrichtig wiedergegeben wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 397 und Rz 467; vgl auch RIS-Justiz RS0099431). Der Beschwerde zuwider wird durch die Urteilsformulierung, der Sachverständige habe zur Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit der t*****GmbH für den Angeklagten (vgl ON 19 TZ 75) ua ausgeführt, dass diese „auch vom Angeklagten erkannt worden sein muss“ (US 5), hinreichend deutlich die Darlegung (bloßer) Erkennbarkeit zum Ausdruck gebracht, ohne dass daraus eine unrichtige oder sinnentstellte Wiedergabe im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 fünfter Fall abgeleitet werden kann.

Aktenwidrigkeit liegt auch dann nicht vor, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - mit einer Divergenz zwischen den Tatsachenfeststellungen und dem diesen zu Grunde gelegten Beweismaterial begründet wird (vgl RIS-Justiz RS0099524 [T1] und [T3], RS0099431 [T3]). Das erkennende Gericht war vielmehr berechtigt, in freier Beweiswürdigung und als Ergebnis des Prozesses der Würdigung sämtlicher Verfahrensergebnisse von der (im Gutachten festgehaltenen) Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit auf deren Kenntnis durch den Angeklagten zu schließen.

Mit der weiteren aus Z 5 vierter Fall vorgebrachten Kritik, das Erstgericht hätte aufgrund der ziffernmäßigen Korrektur der im Sachverständigengutachten ausgewiesenen Liquiditätslücke die „aus dem Gutachten abgeleitete Vorsatzthese nachvollziehbar zu begründen“ gehabt, weil „die Erkennbarkeit einer anhaltenden Liquiditätslücke direkt von deren Höhe abhängt“, wird neuerlich kein Begründungsmangel dargetan. Im Übrigen entbehrt die Behauptung des Beschwerdeführers, die Korrektur des Gutachtens sei aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens erfolgt, inhaltlich jeder Grundlage. Der im schriftlichen Gutachten als negatives „Working Capital“ zum Zeitpunkt 31. Dezember 2007 ausgewiesene Betrag (vgl ON 19, TZ 74) wurde im Rahmen der in der Hauptverhandlung erfolgten Erstattung des Gutachtens - losgelöst von den Ergebnissen des Beweisverfahrens - lediglich auf den bereits im schriftlichen Gutachten zu ON 19, TZ 71 angeführten Betrag berichtigt (vgl ON 31, S 16).

Keinen Begründungsmangel zeigt auch die aus Z 5 zweiter Fall geltend gemachte Kritik am Fehlen einer Erörterung der Aussage des Zeugen Dr. Stefan Lu***** auf. Unvollständig im Sinn der Z 5 ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421; Fabrizy, StPO10 § 281 Rz 43). Ob die Begründung von Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO unvollständig ist, bestimmt sich unter dem Gesichtspunkt einer für den Prozessstandpunkt des Beschwerdeführers günstigeren Tatsachenfeststellung. Bliebe ein in abstracto erhebliches Beweismittel, das jedoch nicht in Richtung - für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidend - günstigerer als der festgestellten Tatsachen weist, unerörtert, fehlt dem Nichtigkeitswerber die erforderliche Beschwer, weil sich die Unvollständigkeit nicht zu seinem Nachteil auf die getroffenen Feststellungen ausgewirkt hat. Anders als jene des § 281 Abs 3 StPO gehört diese Art von Beschwer zu den nach § 285a Z 2 StPO deutlich und bestimmt zu bezeichnenden Tatumständen, weil sich das Erfordernis aus dem Schutzzweck des Nichtigkeitsgrundes und nicht aus §§ 282, 281 Abs 3 StPO ergibt (RIS-Justiz RS0117593, RS0099578; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 424 und Rz 78).

Die Beschwerde releviert die Übergehung der Aussage des Zeugen Lu***** lediglich unter dem Aspekt, dass dieser - als Steuerberater der t***** - seinen Angaben zufolge „nach Ende 2008 noch keine Insolvenzgefahr“ gesehen habe (ON 35, S 4), woraus - aus Beschwerdesicht - für den Angeklagten günstigere Rückschlüsse „zur subjektiven Tatseite“ zu ziehen gewesen wären.

Dabei vernachlässigt der Nichtigkeitswerber, dass Zeugen nur über Tatsachenwahrnehmungen auszusagen haben, während subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein können (RIS-Justiz RS0097540), sodass eine Erörterung der Aussage im reklamierten Umfang nicht geboten war.

Gegenstand der Tatsachenrüge (Z 5a) sind Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, angesichts derer gemessen an allgemeinen Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt, wogegen unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle die Beweiswürdigung allein den Tatrichtern vorbehalten bleibt (RIS-Justiz RS0118780 [T6]). Einem Schuldspruch zu Grunde liegende Urteilskonstatierungen sind nur insoweit aus Z 5a anfechtbar, als sie die Frage nach der rechtlichen Kategorie der dem Beschwerdeführer angelasteten strafbaren Handlung beantworten und solcherart - aus Sicht des Obersten Gerichtshofs - entscheidend sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 474). Voraussetzung für eine erfolgreiche Geltendmachung ist überdies eine Bezugnahme der Beschwerde auf konkrete Beweismittel, aus denen erhebliche Bedenken abgeleitet werden sollen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487).

Soweit die Beschwerde die Feststellungen zum vom Angeklagten angekündigten Verkauf seiner Wohnung zwecks Schuldenregulierung kritisiert, legt sie mit der bloßen Behauptung „intersubjektiver Mängel“ solche Verfahrensergebnisse nicht dar.

Indem sie darauf verweist, dass der Sachverständige keine „kridaträchtigen Handlungen oder Unterlassungen feststellen“ habe können, spricht sie keinen für die Frage des objektiven Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder eines betrügerischen Handelns danach entscheidenden Umstand an. Auch die Beschwerdeargumente, dem Angeklagten seien überaus lange Zahlungsziele eingeräumt worden, mangels kridaträchtiger Handlungen sei das „Ausweichen auf ein Vorsatzdelikt augenscheinlich“ und „im Bereich des § 159 Abs 2 StGB“ sei es „bei Zahlungsschwierigkeiten Alltag, zuerst die andringenden Gläubiger zu befriedigen“, sprechen keine für die rechtliche Entscheidung über die Schuld und Subsumtion relevanten Umstände an.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, die Fortführung des Betriebs fast vierzehn Monate nach Erkennen der Zahlungsunfähigkeit hätte genauere Feststellungen zum Täuschungs- und Schädigungsvorsatz erforderlich gemacht, wobei sie jedoch nicht darlegt, welche über die vorliegenden hinaus gehenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite für eine aus Sicht des Beschwerdeführers richtige rechtliche Beurteilung zu treffen gewesen wären. Sie ist daher mangels Substantiierung im Sinn der §§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO einer inhaltlichen Antwort nicht zugänglich (vgl RIS-Justiz RS0099938).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Angemerkt wird, dass die erfolgte „Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB“ unter gleichzeitiger Zitierung der Abs 2 und 3 des § 147 StGB (US 2) unrichtig ist und § 29 StGB widerspricht. Bei wert- oder schadensqualifizierten Delikten meint der Begriff der „strafbaren Handlung“ in § 260 Abs 1 Z 2 StPO anders als dort, wo der Strafrahmen (nur) nach § 28 StGB zu bilden ist, zufolge der speziellen Bestimmung des § 29 StGB eine nach Maßgabe des Zusammenrechnungsgrundsatzes entstandene Subsumtionseinheit sui generis, die aus der höchsten Wert- oder Schadensqualifikation und weiteren, in echter Konkurrenz dazu stehenden Begehungsformen und unselbständigen Abwandlungen des Grunddelikts besteht (RIS-Justiz RS0112520; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 28; Ratz in WK2 § 29 Rz 5). Bei der Qualifikation nach dem höchsten Wert auch jene nach dem geringeren zu zitieren, war daher verfehlt. Mangels eines über die verfehlte Subsumtion hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten bestand jedoch kein Anlass zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO (vgl RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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