OGH 16Ok7/11

OGH16Ok7/1120.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Irmgard Griss als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerinnen 1. s***** GmbH, *****; 2. St***** GmbH, *****; 3. A***** GmbH, *****; 4. Au***** GesmbH, *****; 5. P***** GesmbH, *****; 6. P***** GesmbH & Co KG, *****; 7. A***** Gesellschaft mbH, *****; 8. T***** GesmbH, *****; 9. W***** GmbH, *****; Erst- und Sechst- bis Achtantragsgegnerin vertreten durch Dr. Franz Hufnagl, Rechtsanwalt in Gmunden; Zweitantragsgegnerin vertreten durch Dr. Andreas König und andere Rechtsanwälte in Innsbruck; Dritt- und Neuntantragsgegnerin vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, über die Rekurse der Antragsgegnerinnen gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 10. Mai 2011, GZ 27 Kt 14-21/11-8 bis 13 und 18, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Rekurse der Siebent- und der Achtantragsgegnerin werden zurückgewiesen.

Den übrigen Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Am 6. 5. 2011 stellte die Bundeswettbewerbsbehörde vier Anträge auf Hausdurchsuchungen. Per 31. 3. 1995 sei das eingetragene Polystyrolkartell der österreichischen Dämmstofferzeuger widerrufen worden. Aufgrund der Aussage eines ehemaligen Vertriebs-Bereichsleiters eines der beteiligten Unternehmen sei davon auszugehen, dass das Kartell trotz formaler Löschung im Wesentlichen unverändert weiter bestanden habe und Absprachen zu Preisen, Quoten und Ausgleichsleistungen getroffen worden seien. Wettbewerbsdruck aus dem Ausland sei durch die Androhung wirtschaftlicher Repressionsmaßnahmen verhindert worden. Der Zeuge sei im Zeitraum 1. 10. 1992 bis 31. 3. 2011 bei einem der Unternehmen beschäftigt gewesen und habe auch an einer Kartellsitzung teilgenommen; die letzte Sitzung solle 2010 stattgefunden haben. Er hätte die gewünschte Preisbindung gegenüber Baumärkten durchsetzen sollen. Ziel wäre die Anhebung der Endkundenpreise und damit die Erhöhung der Gewinnmarge für die Produzenten gewesen. Die drei größten der beteiligten Unternehmen hätten zusammen einen Marktanteil von über 90 %; das Kartell sei bundesweit tätig gewesen. Es sei somit von einem Verstoß gegen § 1 Abs 2 Z 1 KartG auszugehen.

Die Hausdurchsuchungen seien notwendig, um weitere Beweismittel sicherstellen zu können; sie sollten ehestmöglich durchgeführt werden. Eine Prüfung der sehr konkreten Vorwürfe sei nur durch diese Maßnahme möglich.

Als Beweismittel wurden die Kartellvereinbarungen aus dem Jahr 1989, Firmenbuchauszüge sowie das Protokoll über die Einvernahme des Zeugen vorgelegt.

Das Erstgericht erließ am 10. 5. 2011 eine Reihe - inhaltlich im Wesentlichen gleichlautender - Hausdurchsuchungsbefehle, und zwar betreffend die s***** GmbH, die St***** Gesellschaft mbH, die A***** GmbH, die Au***** Gesellschaft mbH, die P***** Gesellschaft mbH, die P***** Gesellschaft mbH & Co KG, die A***** Gesellschaft mbH und die T***** Gesellschaft mbH.

Aufgrund einer Anfrage vom 20. 7. 2011 teilte die Bundeswettbewerbsbehörde mit, dass die Hausdurchsuchungen für die erste Augustwoche geplant seien; das Erstgericht nahm dies mit Aktenvermerk zur Kenntnis. Am 2. 8. 2011 erließ das Erstgericht einen weiteren Hausdurchsuchungsbefehl gegen die W***** GmbH.

In den Hausdurchsuchungsbefehlen ordnete das Erstgericht jeweils „wegen des Verdachts verbotener wettbewerbswidriger Vereinbarung und/oder abgestimmter Verhaltensweisen zwischen Erzeugern von Dämmstoffen (§ 1 Abs 1 KartG, Art 101 AEUV) gemäß § 12 Abs 1 WettbG eine Hausdurchsuchung in den Geschäftsräumlichkeiten und Fahrzeugen“ der jeweiligen Antragsgegner an „zum Zweck der Auffindung, Durchsicht und Prüfung, Anfertigung von Abschriften/Auszügen und erforderlichenfalls Beschlagnahme von Unterlagen und Datenträgern über Preis- und Quotenabsprachen (Vereinbarungen über Verkaufspreise und die Zuordnung von Verkaufsquoten)“. Es beauftragte die Bundeswettbewerbsbehörde mit der Durchführung und der Zustellung; eine Frist setzte es nicht.

Zur Begründung führte das Erstgericht jeweils aus, dass sich aus dem bescheinigten Sachverhalt ein begründeter Verdacht ergebe, der weitere Ermittlungen zur Erlangung von Informationen aus den geschäftlichen Unterlagen rechtfertige. Eine Erhärtung des Tatverdachts durch anderweitige Beweisaufnahmen sei nicht zu erwarten. Diesfalls bestehe auch die Gefahr der Unterdrückung von Beweismitteln.

Mit Beschluss vom 18. 8. 2011 widerrief das Erstgericht den Hausdurchsuchungsbefehl betreffend die Siebentantragsgegnerin und die Achtantragsgegnerin. Die Siebentantragsgegnerin habe einer freiwilligen Nachschau gemäß § 11a WettbG zugestimmt; bei der Achtantragsgegnerin sei keine Hausdurchsuchung erfolgt, weil das wesentliche Datenmaterial bei anderen Antragsgegnern gesichert hätte werden können. Dieser Beschluss wurde der Bundeswettbewerbsbehörde am 19. 8. 2011 und dem Bundeskartellanwalt am 27. 9. 2011 zugestellt.

Die Hausdurchsuchungsbefehle betreffend die Viert- und Fünftantragsgegnerin wurden nicht bekämpft.

Hingegen bekämpfen die Erst-, Zweit-, Dritt-, Sechst-, Siebent-, Acht- und Neuntantragsgegnerin in ihren Rekursen jeweils die Hausdurchsuchungsbefehle.

Die Zweitantragsgegnerin macht Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Aus dem Beschluss gehe nicht hervor, von welchen Tatsachen das Gericht aufgrund welcher Beweise ausgehe. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens bestehe in dieser unzureichenden Begründung sowie darin, dass der Beschluss ausschließlich auf der Zeugenaussage beruhen dürfte und das Erstgericht daher seine Untersuchungspflicht verletzt habe. Zudem fehle es an einer Frist iSd § 105 Abs 1 StPO. Die Durchführung der Hausdurchsuchung erst ca drei Monate nach der Bewilligung sei rechtswidrig. Zudem sei die Hausdurchsuchung nicht zulässig, wenn gelindere Maßnahmen zur Verfügung stünden. Sie dürfe erst bei einem begründeten Verdacht hinsichtlich bereits bestimmter Gegenstände und nicht bloß zur Gewinnung von Verdachtsgründen angeordnet werden. Zudem seien bei der Hausdurchsuchung auch nicht vom Beschluss erfasste Unterlagen kopiert worden.

Die Erst-, Sechst-, Siebent- und Achtantragsgegnerin bekämpfen den Hausdurchsuchungsbeschluss aus den Gründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Beweiswürdigung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Weil sich der Zentralserver am Sitz der Sechstantragsgegnerin befinde, seien sämtliche der Unternehmensgruppe zugehörigen Einheiten beschwert. Die Erstantragsgegnerin sei erst seit 2006 in Österreich durch Übernahme der Sechst-, Siebent- und Achtantragsgegnerin tätig. Die Gruppe habe einen Marktanteil von unter 20 % und hätte nie an irgendwelchen Absprachen teilgenommen. Die Vorwürfe bezögen sich auf das bis 1995 genehmigte Kartell.

Bei der Hausdurchsuchung selbst seien entgegen § 121 StPO sämtliche Persönlichkeitsrechte missachtet worden. Eine Beschlagnahme von Unterlagen sei vom Gesetz nicht gedeckt.

Die Nachschau bei der Siebentantragsgegnerin sei faktisch eine Hausdurchsuchung und nicht freiwillig gewesen, weil die Beamten erklärt hätten, dass sie die Nachschau nicht verhindern könne. Ein Hinweis auf § 12 Abs 5 WettbG sei nicht erfolgt. Zudem sei Einsicht in die zentrale Buchhaltung genommen worden, was nicht vom Hausdurchsuchungsbefehl gedeckt gewesen sei. Im Übrigen enthält dieser Rekurs ähnliche Argumente wie das Rechtsmittel der Zweitantragsgegnerin.

Die Dritt- und Neuntantragsgegnerin fechten den Hausdurchsuchungsbefehl wegen Unbestimmtheit, wesentlicher Verfahrensmängel und unrichtiger rechtlicher Beurteilung an. Es habe kein begründeter Anfangsverdacht bestanden. Zudem sei der Hausdurchsuchungsbefehl nicht befristet. Das Gesetz kenne kein Beschlagnahmerecht.

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragt, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Der Bundeskartellanwalt erklärte, keine Rechtsmittel bzw Rechtsmittelbeantwortungen einzubringen.

Weil die Rechtsmittel über weite Strecken ähnliche Argumente vorbringen, ist es zweckmäßig, sie gemeinsam zu behandeln.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Der Rekurs der Siebent- und der Achtantragsgegnerin ist unzulässig.

1.2. Auch in Außerstreitverfahren ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ein Eingriff in die geschützte Rechtssphäre (RIS-Justiz RS0006497; vgl auch RS0006641). Die Beschwer muss bei Einlangen des Rechtsmittels und auch noch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung bestehen (RIS-Justiz RS0006497 [T36], vgl auch Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 303 mwN).

1.3. Der Widerruf des Hausdurchsuchungsbefehls ist gegenüber den Amtsparteien unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. Damit ist aber der Vollzug des Hausdurchsuchungsbefehls in Zukunft ausgeschlossen. Im Hinblick darauf kommt der Überprüfung des Hausdurchsuchungsbefehls gegen die Siebent- und Achtantragsgegnerin keine Bedeutung mehr zu. Die Lösung bloß theoretischer Fragen ist nicht Aufgabe des Rechtsmittelverfahrens (RIS-Justiz RS0002495; 6 Ob 192/09t). Die Rekurse waren daher zurückzuweisen.

1.4. Im Übrigen dürfte hinsichtlich der Achtantragsgegnerin gar keine Nachschau, also weder eine solche nach § 11a WettbG noch eine nach § 12 WettbG, stattgefunden haben. Die Achtantragsgegnerin bringt auch nicht vor, inwiefern sie durch den angefochtenen Beschluss in ihrer Rechtssphäre verletzt sei. Dass im Rahmen von Hausdurchsuchungen bei anderen Unternehmen auch Unterlagen sichergestellt wurden, die die Achtantragsgegnerin betreffen, ist nicht unzulässig (16 Ok 5/11), dient die Hausdurchsuchung bei einem Unternehmen doch allgemein zur Erlangung einschlägiger Beweismittel und nicht nur solcher gegen das jeweilige Unternehmen.

1.5. Hingegen ist - entgegen der Rechtsansicht der Bundeswettbewerbsbehörde - die Erstantragsgegnerin nach wie vor beschwert, weil der Hausdurchsuchungsbefehl ihr gegenüber nach wie vor aufrecht ist.

2.1. Die Siebentantragsgegnerin hat einer freiwilligen Nachschau zugestimmt. Besondere Belehrungspflichten für die Bundeswettbewerbsbehörde bestehen nach den §§ 11a, 12 WettbG nicht. Inwiefern die Bundeswettbewerbsbehörde von der Vorgangsweise nach § 11a WettbG abgewichen wäre, sodass ihr Vorgehen als Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG zu qualifizieren gewesen wäre, ist dem Rekurs der Siebentantragsgegnerin nicht zu entnehmen. Soweit sich diese auf Umstände während der Durchführung der Nachschau beruft, sind diese Ausführungen nicht geeignet, dass Fehlen einer Zustimmung iSd § 11a WettbG darzutun. Die Motive für eine derartige Zustimmung haben außer Betracht zu bleiben.

2.2. Gestattet der Betroffene die Maßnahme freiwillig, so liegt kein Eingriff vor. Diesfalls gelten die Einschränkungen des Kartellgesetzes nicht (vgl zur StPO VfSlg 5.704; VfSlg 3.214; Tipold/Zerbes, WK-StPO § 117 Rz 8 mwN). In der Literatur wird betont, dass eine vorsichtige Beurteilung des Vorliegens der Freiwilligkeit geboten ist. Selten werde Freiwilligkeit zu bejahen sein, wenn Sicherheitsbeamte vor der Tür stehen und mit einer Durchsuchungsanordnung „drohen, wenn sie nicht gleich eingelassen werden“ (Tipold/Zerbes in WK-StPO § 117 Rz 8). Dies war hier nicht der Fall. Vielmehr hat die Siebentantragsgegnerin nach der vollen Beweis bildenden Niederschrift vom 3. und 4. 8. 2011 ausdrücklich einer freiwilligen Nachschau zugestimmt.

2.3. Durch die an die Stelle der Hausdurchsuchung tretende freiwillige Nachschau nach § 11a WettbG wurde der Hausdurchsuchungsbefehl konsumiert. Eine weitere Nachschau gegen den Willen der Siebentantragsgegnerin könnte nicht mehr auf den seinerzeitigen Hausdurchsuchungsbefehl gestützt werden. Insoweit fehlt es daher an einem schutzwürdigen Interesse an der Überprüfung des seinerzeitigen Hausdurchsuchungsbefehls.

3. Im Übrigen sind die Rekurse zulässig; sie sind aber nicht berechtigt:

4. Vorweg ist festzuhalten, dass Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ausschließlich die angefochtenen Hausdurchsuchungsbefehle sind. Die konkrete Durchführung der Hausdurchsuchung kann im Rechtsmittel gegen den Hausdurchsuchungsbefehl nicht überprüft werden, weil im Rahmen eines Rekurses gegen die Bewilligung einer Hausdurchsuchung nur das Vorliegen der Voraussetzungen zum Bewilligungszeitpunkt zu prüfen ist (16 Ok 5/11).

5.1. Aus den angefochtenen Hausdurchsuchungsbefehlen ergibt sich klar und überprüfbar, aufgrund welcher Beweismittel und aus welchen Gründen das Erstgericht seine Entscheidung fällte, insbesondere auch, aufgrund welcher Umstände das Erstgericht einen entsprechenden Verdacht bejahte.

5.2. Nichtigkeit läge - wie die Zweitantragsgegnerin selbst einräumt - nur bei völligem Fehlen einer Begründung vor (RIS-Justiz RS0007484, RS0042133). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

6.1. Nach § 12 Abs 1 WettbG hat das Kartellgericht, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen eines begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen die §§ 1, 5 oder 17 KartG 2005 oder Art 81 oder 82 EG (nunmehr Art 101 und 102 AEUV) eine Hausdurchsuchung anzuordnen. Diese Hausdurchsuchung ist nach § 12 Abs 3 WettbG vom Senatsvorsitzenden im Verfahren außer Streitsachen mit Beschluss anzuordnen.

6.2. Die Bestimmung des § 12 WettbG ist weitgehend dem Europäischen Recht, insbesondere Art 20 der Verordnung Nr 1/2003 über die Nachprüfungsrechte der Europäischen Kommission, nachgebildet. Danach muss die konkrete Nachprüfungshandlung zur Erfüllung der durch die Verordnung 1/2003 übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen (vgl Burrichter in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 2 Verordnung 1/2003, Art 20 Rz 8 sowie Art 18 Rz 10).

7.1. Begründet ist ein Verdacht, wie der erkennende Senat bereits in 16 Ok 2/10 ausgesprochen hat, dann, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen die in § 12 Abs 1 WettbG genannten Wettbewerbsbestimmungen vorliegt. Ein „dringender Tatverdacht“ ist weder nach dem Kartellgesetz noch nach der StPO Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung (vgl Tipold/Zerbes in WK StPO - altes Vorverfahren § 139 Rz 30 ff). Im Strafverfahren wurde selbst eine anonyme Anzeige als ausreichend erachtet (14 Os 46/09k).

7.2. Nach Aussage des Zeugen Ing. R*****, der in führender Vertriebsposition bei der Zweitantragsgegnerin tätig war, gab es Vereinbarungen über die Preise und die Quoten der einzelnen Unternehmen sowie allfällige Ausgleichszahlungen. Die kartellrechtliche Bedenklichkeit dieser Vereinbarungen war den Beteiligten bekannt. Außerdem berichtete dieser Zeuge von Bestrebungen der Produzenten, Preisbindungen auf dem Markt durchzusetzen. Aufgabe des Zeugen war es, die gewünschte Preisbindung in seinem Bereich, also gegenüber Baumärkten, durchzusetzen. Ziel des Kartells war es, die Endkundenpreise anzuheben, um höhere Gewinne für die Produzenten zu gewährleisten.

7.3. Hausdurchsuchungen können sich nicht nur gegen die eines kartellrechtlichen Verstoßes verdächtigen Unternehmen, sondern auch gegen Dritte richten, bei denen geschäftliche Unterlagen iSd § 12 WettbG aufgefunden werden könnten (Burrichter in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 2, Verordnung 1/2003 , Vorbem zu Art 17 - 22 Rz 13; Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 542).

7.4. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Hausdurchsuchung auch nach Informationsquellen gesucht werden darf, die noch nicht bekannt sind (16 Ok 2/10; Miersch in Thalheimer/Federsen/Miersch, EU-Kartellverfahrensordnung Art 20 Rz 48).

8.1. Die Erforderlichkeit ist anhand des verfolgten und dem Adressaten bekannt gegebenen Zwecks zu beurteilen. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss (16 Ok 7/06 mwN).

8.2. Innerhalb der der Bundeswettbewerbsbehörde zustehenden Ermittlungsbefugnisse trifft das Wettbewerbsgesetz keine hierarchische Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind zwei voneinander unabhängige Verfahren (16 Ok 5/11 mwN).

8.3. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden. Es ist deshalb an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen. Im Einzelfall kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Wahlfreiheit ergeben (Burrichter in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 2, Verordnung 1/2003 Art 20 Rz 9). Zweckmäßig ist eine Nachprüfung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht.

8.4. Wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass ein Kartell trotz ausdrücklichen Verbots fortgesetzt wird, ist regelmäßig die Besorgnis berechtigt, die Unternehmen versuchten Beweismittel zu unterdrücken, sollten sie von den Erhebungen Kenntnis erlangen. Aus diesem Grund kann in derartigen Fällen in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung einer Hausdurchsuchung unverhältnismäßig ist.

9.1. § 12 Abs 3 WettbG enthält kein Gebot einer Befristung des Hausdurchsuchungsbefehls. § 12 Abs 4 WettbG verweist auf §§ 142, 145 Abs 1 StPO aF. Während § 105 StPO in der geltenden Fassung vorsieht, dass das Gericht bei der Bewilligung von Zwangsmitteln eine Frist zu setzen hat, nach deren Ablauf die Bewilligung außer Kraft tritt, kannte § 140 StPO aF dieses Erfordernis nicht (Tipold/Zerbes, WK-StPO altes Vorverfahren § 140 Rz 8 ff). Der Zweck der Befristung einer gerichtlichen Bewilligung liegt in der Verpflichtung zur periodischen Prüfung, ob die Voraussetzungen ihrer Erteilung noch unverändert vorliegen (113 BlgNR 24. GP 44).

9.2. Zweck einer Fristsetzung ist es danach, die Durchsetzung von Zwangsmitteln zu verhindern, wenn in der Zwischenzeit deren Voraussetzungen weggefallen sind. Dass dies hier der Fall gewesen wäre und der Vollzug des Hausdurchsuchungsbefehls deshalb rechtswidrig gewesen wäre, bringen die Rekurswerberinnen gar nicht vor. Die Rekursausführungen wenden sich vielmehr ausschließlich gegen den ursprünglichen Verdacht.

9.3. Zwischen der Erlassung der Hausdurchsuchungsbefehle und deren tatsächlichem Vollzug lag ein Zeitraum von zwei Monaten und drei Wochen. Dabei ist allerdings einerseits zu berücksichtigen, dass dieser Zeitraum in die allgemeine Urlaubszeit fiel. Auch ist zu berücksichtigen, dass die gleichzeitige Hausdurchsuchung an bis zu acht Standorten naturgemäß einer gewissen Vorbereitungszeit und Abstimmung mit der Wirtschaftspolizei, den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt bedurfte.

9.4. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die Gründe für die Verzögerung dem Kartellgericht bereits Mitte Juli 2011 mitgeteilt und die Hausdurchsuchung für Anfang August 2011 angekündigt. Dem Kartellgericht wurde damit eine ausreichende Prüfung ermöglicht, ob die Hausdurchsuchung nach wie vor erforderlich ist. Eine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Antragsgegnerinnen war damit nicht verbunden.

10.1. Der Siebent- und der Neuntantragsgegnerin ist zuzugeben, dass die Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG - im Gegensatz zur Hausdurchsuchung im Strafverfahren (Tipold/Zerbes, WK-StPO § 119 Rz 4) - nicht auch die Beschlagnahme umfasst (Müller in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 12 WettbG Rz 40; Barfuß/Müller, Gemeinschaftsrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen bei der Durchführung von Nachprüfungen nach Gemeinschaftsrecht bzw von Hausdurchsuchungen nach nationalem Recht, in Fuchs/Mickel/Schätz/Udolf-Strobl, Querschnitte - Wirtschaftspolitische Gedankensplitter. Ausgewählte Aspekte zur EU-Präsidentschaft Österreichs 2006, 157 [200]; aA Solé, Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 550). Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollen keine Beschlagnahmen stattfinden, sondern Kopien bzw Ausdrucke der relevanten Unterlagen angefertigt werden, um den Eingriff in die Sphäre der Unternehmen möglichst gering zu halten (1005 BlgNR 21. GP 24).

10.2. Die Rekursausführungen zur „Beschlagnahme“ wenden sich konkret jedoch nur gegen das Kopieren von Datenträgern. Insoweit liegt jedoch entgegen den Rekursausführungen gerade keine Beschlagnahme (vgl zum Begriff § 143 StPO aF, §§ 109, 115 StPO nF) vor, weil die Daten nur kopiert wurden. Mit dem Kopieren der Datenträger hielt die Bundeswettbewerbsbehörde jene Vorgangsweise ein, die nunmehr in § 111 Abs 2 StPO ausdrücklich angeordnet ist. Danach hat jedermann, wenn auf Datenträgern gespeicherte Informationen sichergestellt werden sollen, Zugang zu diesen Informationen zu gewähren und auf Verlangen einen elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat auszufolgen oder herstellen zu lassen. Überdies hat er die Herstellung einer Sicherungskopie der auf den Datenträgern gespeicherten Informationen zu dulden.

10.3. Wurden aber in Wahrheit gar keine Datenträger oder sonstigen Unterlagen im Rechtssinne „beschlagnahmt“, so kommt es auf die Zulässigkeit der diesbezüglichen Ermächtigung im Hausdurchsuchungsbefehl gar nicht an. Insoweit fehlt den Rekurswerberinnen für eine Überprüfung der Ermächtigung zur Beschlagnahme im Hausdurchsuchungsbefehl das Rechtsschutzinteresse, kommt doch ein neuerlicher Vollzug der Hausdurchsuchungsbefehle und damit die Gefahr einer Beschlagnahme nicht in Betracht. Soweit der Hausdurchsuchungsbefehl hingegen die Ermächtigung zum Kopieren von Daten umfasste, war dies aus den dargelegten Gründen zulässig.

11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 KartG, wonach die unterliegende Partei die Kosten nur in bestimmten Verfahrensarten und darüber hinaus nur bei Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu ersetzen hat. Verfahren zur Bewilligung von Hausdurchsuchungen sind in § 41 KartG nicht genannt; die Rekurswerberinnen haben auch weder obsiegt noch kann der Bundeswettbewerbsbehörde Mutwilligkeit vorgeworfen werden. Das Kostenersatzbegehren der Rekurswerberinnen ist daher jedenfalls unbegründet.

12. Damit erweisen sich die angefochtenen Beschlüsse als frei von Rechtsirrtum, sodass den unbegründeten Rekursen der Erst-, Zweit-, Dritt-, Sechst- und Neuntantragsgegnerin ein Erfolg zu versagen war.

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