Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 978,84 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 163,14 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Der wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen vorbestrafte Beklagte lud die damals 7½ Jahre alte Klägerin in seine Wohnung ein. Zuerst half er ihr bei den Hausaufgaben und spielte mit ihr Karten, dann überredete er sie zu einem „Doktorspiel“: Er zog ihr das Leibchen nach oben und die Hose nach unten, tastete ihren Bauch ab und legte sein Ohr darauf; dann hob er den Bund der Unterhose hoch und betrachtete kurz ihren Scheidenbereich. Anschließend kleidete er sie wieder an. Sie blieb noch einige Zeit in der Wohnung, dann schickte er sie wieder nach Hause.
Inzwischen hatten die Mutter und andere Leute nach dem Mädchen gesucht. Nachdem es wieder aufgetaucht war, befragten es mehrere Personen aus dem persönlichen Nahebereich nach dem Vorgefallenen. Die Familie erstattete Anzeige bei der Polizei. Dies führte zu einer Befragung durch Polizeibeamte und zu einer gynäkologischen Untersuchung. Später kam es zu einer weiteren polizeilichen Befragung und einer kontradiktorischen Einvernahme nach § 162a Abs 2 StPO. Im Strafverfahren wurde ein kinderpsychologisches Gutachten eingeholt, wobei der Sachverständige mit dem Mädchen zwei Explorationsgespräche führte und eine psychologische Testung vornahm. Beim ersten Explorationsgespräch reagierte das Mädchen psychosomatisch und musste erbrechen.
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 207 StGB). Dass Strafgericht nahm lediglich den eingangs dargestellten Sachverhalt als erwiesen an und sprach den Beklagten auf dieser Grundlage mangels Vorliegens einer „geschlechtlichen Handlung“ frei. Der 14. Senat des Obersten Gerichtshofs teilte diese Rechtsansicht und wies die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zurück.
Das Verhalten des Beklagten und die nachträgliche Aufarbeitung des Geschehens haben das Kind psychisch belastet. Es litt über zwei Jahre an Ängstlichkeit im Zusammenhang mit Träumen, Störungen des Affekts, Rückzug, Vermeidungsverhalten und Schlafproblemen. Die Symptome hatten Krankheitswert. Die Reaktionen der Umwelt haben das Kind mehr verunsichert als der Vorfall selbst.
Die Störung ist zeitlich begrenzt. Spätfolgen sind unter besonderen Umständen vorstellbar, etwa wenn die Klägerin in der Zukunft eine gravierende Erfahrung im geschlechtlichen Bereich erlebte und im Zusammenhang damit auch der Vorfall aufgearbeitet werden müsste.
Die Klägerin begehrt Schmerzengeld von 6.800 EUR und die Feststellung, dass der Beklagte für alle künftigen Schäden aufgrund des Vorfalles hafte. Der Beklagte habe sie über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus sexuell missbraucht, ihr Anspruch beruhe auf den §§ 1325, 1328 und 1328a ABGB.
Der Beklagte wendet ein, dass er das Mädchen nicht sexuell missbraucht habe. Dem Doktorspiel habe es zugestimmt. Daher sei er mangels rechtswidrigen Verhaltens nicht zum Schadenersatz verpflichtet. Die Probleme des Kindes seien zudem nicht durch den Vorfall, sondern erst durch die Reaktionen der Umwelt entstanden. Ein Feststellungsinteresse bestehe nicht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte keine (weitergehenden) sexuellen Handlungen fest und verneinte auf dieser Grundlage die Anwendbarkeit von § 1328 ABGB. Jedoch hätten die psychischen Beeinträchtigungen Krankheitswert. Das dafür ursächliche Verhalten des Beklagten sei daher eine rechtswidrige Körperverletzung. Die Belastungen durch die behördlichen Erhebungen stünden im adäquaten Zusammenhang mit diesem Verhalten. Verschulden liege wegen Vorhersehbarkeit der Folgen vor. Das begehrte Schmerzengeld stehe der Klägerin aufgrund näher festgestellter Schmerzperioden zu. Da Spätfolgen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könnten, sei auch das Feststellungsbegehren berechtigt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.
Die minderjährige Klägerin habe einem Eingriff des Beklagten in ihre Privat- oder Intimsphäre nicht wirksam zustimmen können. Schon das eigenmächtige Einladen in die Wohnung - zu welchem Zweck auch immer - sei rechtswidrig gewesen, umso mehr der Eingriff in die Intimsphäre durch das Entkleiden, Betrachten und Berühren. Der Beklagte habe dadurch (auch) gegen § 1328a ABGB verstoßen. Die Erheblichkeitsschwelle im Sinn dieser Bestimmung sei jedenfalls überschritten. Dafür spreche die Wertung des § 12 Abs 11 GlBG: Werde Erwachsenen bereits für verhältnismäßig geringfügige Eingriffe in deren geschlechtliche Sphäre immaterieller Schadenersatz gewährt, wäre es ein unerträglicher Wertungswiderspruch, würde man einem unmündigen Kind, das - wie hier - von einer erwachsenen Person in seiner Intimsphäre verletzt worden sei und dadurch seelische Schmerzen erlitten habe, einen solchen Schadenersatz verweigern. Zudem liege wegen der psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert ohnehin eine Körperverletzung iSv § 1325 ABGB vor. Die Befragungen und Untersuchungen des Kindes stünden im adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Verhalten des Beklagten. Dabei handle es sich um geradezu typische Folgen, mit denen der Beklagte rechnen musste. Führe die Beeinträchtigung der Privatsphäre zu psychischen Schäden mit Krankheitswert, so gebühre sowohl nach § 1328a ABGB als auch nach § 1325 ABGB Ersatz. Ein- und derselbe Schaden dürfe dabei nicht zweimal abgegolten werden. Der zugesprochene Betrag sei im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs in die Privatsphäre der Klägerin und die dadurch verursachten Beeinträchtigungen körperlicher und insbesondere psychischer Natur angemessen. Auch das Feststellungsbegehren sei berechtigt, da Spätfolgen nicht ausgeschlossen seien. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Subsumtion eines vergleichbaren Sachverhalts unter § 1328a ABGB fehle.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässig.
1. Der Beklagte macht geltend, § 1328a ABGB sei eng auszulegen, die Bestimmung erfasse nur die „informelle“ (informationsbezogene?) Privatsphäre wie das Lesen fremder Post oder eine rechtswidrige Telefonüberwachung. Jedenfalls habe sein Verhalten die Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten. Da er das Kind auch nicht sexuell missbraucht habe (§ 1328 ABGB), habe er nicht rechtswidrig gehandelt. Sein Verhalten habe den Schaden nicht adäquat verursacht, weil die psychische Beeinträchtigung des Kindes erst durch die überzogene Reaktion des Umfelds eingetreten sei. Die „Bezugspersonen“ des Kindes hätten es verabsäumt, eine therapeutische Begleitung zu veranlassen.
2. Mit diesen Ausführungen zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
2.1. Der Beklagte hat ohne rechtfertigenden Grund in das durch § 16 ABGB und Art 8 EMRK begründete Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen.
(a) § 16 ABGB ist nicht bloß Programmsatz, sondern Zentralnorm der österreichischen Rechtsordnung mit einem normativen, subjektive Rechte gewährenden Inhalt (10 ObS 40/90 = SZ 63/32; RIS-Justiz RS0008993; zuletzt etwa 4 Ob186/09w = JBl 2010, 292). Insbesondere ist dadurch die Privatsphäre einer Person gegen Eingriffe durch Dritte geschützt (RIS-Justiz RS0009003; 8 Ob 108/05y = SZ 2005/185). Kern der Privatsphäre ist der höchstpersönliche Lebensbereich, insbesondere das Sexualleben (RIS-Justiz RS0122148). § 1328a ABGB knüpft an einem rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht an und enthält dafür eine Rechtsfolgenanordnung; Grundlage des Rechtswidrigkeitsurteils ist aber auch in seinem Anwendungsbereich § 16 ABGB.
(b) Es mag zwar zutreffen, dass ein vergleichbarer Fall („Doktorspiele“ eines erwachsenen, offenkundig pädophil veranlagten Mannes mit einem 7½jährigen Mädchen) bisher noch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 16 ABGB zu beurteilen war. Das kann die Zulässigkeit der Revision aber nicht begründen, weil an der Rechtslage aufgrund des Gesetzeswortlauts und der bisherigen Rechtsprechung kein Zweifel besteht (RIS-Justiz RS0042656; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 70 mwN). Wer einen Menschen ohne dessen Zustimmung entkleidet, am Bauch berührt und im Geschlechtsbereich betrachtet, greift schwerwiegend in dessen Intimsphäre ein, und zwar auch dann, wenn er damit - was dem Senat höchst zweifelhaft erscheint, hier aber nicht endgültig geklärt werden muss - die Schwelle zur „geschlechtlichen Handlung“ iSv § 1328 ABGB noch nicht überschritten haben sollte. Dass die 7½jährige Klägerin dem Verhalten des Beklagten nicht wirksam zustimmen konnte, hat schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Andere Rechtfertigungsgründe - etwa die Notwendigkeit einer ärztlichen Untersuchung - sind nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Der Beklagte hat daher rechtswidrig gehandelt. Gründe, warum ihm das nicht als Verschulden zugerechnet werden könnte, zeigt er nicht auf.
2.2. Zwar hat auch die Aufarbeitung des Geschehens - nach den Feststellungen sogar überwiegend - zur psychischen Beeinträchtigung des Kindes beigetragen. Diese Aufarbeitung hätte es aber ohne das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Beklagten nicht gegeben. An der Kausalität dieses Verhaltens besteht daher kein Zweifel. Die Adäquanz fehlte nur dann, wenn das strittige Verhalten für den Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig gewesen wäre und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen dazu geführt hatte (RIS-Justiz RS0098939). Das Hinzutreten weiterer Ursachen, insbesondere das ebenfalls ursächliche Verhalten von Dritten, schadet nur dann, wenn damit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht gerechnet werden musste (RIS-Justiz RS0022918, RS0022590). Davon kann hier keine Rede sein, war doch die Reaktion der Umwelt eine geradezu typische Folge des vom Beklagten gesetzten Verhaltens. Der Oberste Gerichtshof hat bereits entschieden, dass nach einem sexuellen Missbrauch der Kausal- und Adäquanzzusammenhang auch dann zu bejahen ist, wenn die psychische Beeinträchtigung des Opfers nur zu einem geringen Teil auf die eigentliche Tat und zum überwiegenden Teil auf die nachfolgenden Aufklärungsmaßnahmen zurückzuführen ist (9 Ob 78/99g = SZ 72/165). Es besteht kein Anlass, den hier vorliegenden Fall einer (zumindest) massiven Verletzung der Intimsphäre anders zu beurteilen.
2.3. Die psychische Beeinträchtigung des Kindes hat nach den Feststellungen Krankheitswert und geht damit über bloße Unlustgefühle hinaus. Damit ist der Schmerzengeldanspruch schon nach § 1325 ABGB begründet (9 Ob 78/99g [sexueller Missbrauch]; RIS-Justiz RS0030778 [insb T2, T4, T16], RS0030792, RS0030786). Die Höhe des Schmerzengeldes hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0108277 [T2], RS0042887, RS0031075) und ist im konkreten Fall nach den Feststellungen zu Dauer und Gewicht der Beeinträchtigung nicht zu beanstanden. Damit kommt es auf die Anwendbarkeit von § 1328a ABGB (oder § 1328 ABGB) nicht an, sodass sich die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage nicht stellt. Ein Mitverschulden des gesetzlichen Vertreters (Unterlassen einer therapeutischen Betreuung) könnte selbst dann, wenn es gegenüber der schwerwiegenden Verfehlung des Beklagten überhaupt ins Gewicht fiele, den Schadenersatzanspruch des Kindes nicht mindern (RIS-Justiz RS0026844).
3. Aus diesen Gründen ist die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Da die Klägerin in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat, ist der Beklagte zum Ersatz von deren Kosten verpflichtet.
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