OGH 9Ob78/99g

OGH9Ob78/99g3.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas S*****, Student, *****, vertreten durch Dr. Georg Schwarzmayr-Lindinger, Rechtsanwalt in Altheim, wider die beklagte Partei Rudolf W*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Karl Wagner, Rechtsanwalt in Schärding, wegen S 173.000,-- sA und Feststellung (Streitwert S 50.000,--; Revisionsinteresse insgesamt S 221.000,--), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 2. Februar 1999, GZ 4 R 12/99h-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 15. Oktober 1998, GZ 2 Cg 241/97i-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 60.000,-- samt 4 % Zinsen seit 17. 9. 1994 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei für alle Folgen der zum Nachteil der klagenden Partei getätigten Unzuchtshandlungen, die sich bei der klagenden Partei in Hinkunft einstellen, haftet.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 113.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 133.000,-- vom 31. 5. 1993 bis 16. 9. 1994, aus S 73.000,-- vom 17. 9. 1994 bis 9. 11. 1997 und aus S 113.000,-- seit 10. 11. 1997 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 53.156,19 (darin S 37.332,41 Barauslagen und S 2.637,29 USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit S 13.085,50 (darin S 7.738,-- Barauslagen und S 891,25 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.522,70 (darin S 9.672,50 Barauslagen und S 641,70 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 5. 4. 1995 wurde der Beklagte unter anderem wegen des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach den §§ 209, 15 StGB verurteilt, weil er in Ried im Innkreis und in Neuhofen in der Zeit von 1989 bis 1990 in wiederholten Angriffen mit seinem Stiefsohn, dem am 14. 11. 1974 geborenen Kläger, gleichgeschlechtliche Unzucht dadurch getrieben hat, daß er ihn am Geschlechtsteil betastete, wobei die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind. Weiters wurde der Beklagte wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach den §§ 212 Abs 1, 15 StGB verurteilt, weil er im Jahr 1990 den Kläger, der seiner Erziehung und Aufsicht unterstand, zur Unzucht mißbraucht hat, wobei die Tat teilweise beim Versuch geblieben ist.

Der Kläger begehrt nach mehrfacher Einschränkung und Ausdehnung des Klagebegehrens Zahlung von S 173.000,-- sA und die Feststellung, daß der Beklagte für alle sich in Hinkunft beim Kläger einstellenden Folgen der zum Nachteil des Klägers getätigten Unzuchtshandlungen hafte. Der Klagebetrag gliedere sich in S 130.000,-- Schmerzengeld, S 3.000,-- Therapiekosten und "Spesenersatz" und S 40.000,-- Verunstaltungsentschädigung. Der Kläger habe während der Unzuchtshandlungen, aber auch in den Jahren danach, psychische Qualen erlitten, wofür ihm ein Schmerzengeld gebühre. Er habe durch mehrere Wochen eine Therapie besuchen müssen, wofür die begehrten Therapiekosten aufgelaufen seien. Durch die Unzuchtshandlungen sei es beim Kläger zu Hemmungen und negativen Gefühlen im Sexualbereich gekommen, die den Aufbau einer Beziehung zu Frauen erschweren und die Heiratsaussichten des Klägers vermindern. Hiefür gebühre eine Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB. Die Ansprüche seien seit dem 31. 5. 1993 fällig. Das Feststellungsinteresse gründe sich darauf, daß Spätfolgen der Unzuchtshandlungen nicht auszuschließen seien.

Der Beklagte bestritt, beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, daß aus den Straftaten keine wie immer geartete psychische Beeinträchtigung des Klägers resultiere. Es sei auch keine Verunstaltung und Verminderung der Heiratsaussichten des Klägers eingetreten. Der Beginn des Zinsenlaufes per 31. 5. 1993 werde infolge Verjährung der Zinsen nach drei Jahren bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf zuzüglich zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch folgende wesentliche Feststellungen:

Der Beklagte wohnte ab 1989 bei der Mutter des Klägers, Margarete W*****, die er im Jahr 1993 ehelichte in R*****. Mit ihnen wohnte der am 14. 11. 1974 geborene Kläger und sein jüngerer, am 6. 7. 1977 geborene Bruder Klaus S*****, die beide der ersten Ehe der Margarete W***** entstammten. Bereits im Jahr 1989 kam es wiederholt vor, daß sich der Beklagte in der Nacht in das Zimmer seiner Stiefsöhne begab, und (neben Unzuchtshandlungen zum Nachteil des Klaus S*****) den Geschlechtsteil des Klägers betastete, um sich geschlechtlich zu erregen. Dem Kläger gelang es öfters, den Beklagten abzuwehren.

Im Jahr 1990 zog Margarete W***** mit ihren beiden Söhnen in das Haus des Beklagten nach N*****. Ab diesem Zeitpunkt stellte der Beklagte eine Art Ersatzvater für seine beiden Stiefsöhne dar, die seiner Erziehung und Aufsicht unterstanden. Der Beklagte setzte die Unzuchtshandlungen an seinen Stiefsöhnen auch in seinem Haus fort. So betastete er den Kläger auch im Jahr 1990 wiederholt am Geschlechtsteil, dem es jedoch auch hier öfters gelang, den Beklagten abzuwehren.

Der Kläger hat die sexuellen Mißhandlungen (zunächst) nicht als sexuelle Abartigkeiten seines Stiefvaters aufgefaßt bzw ihnen (zunächst) überhaupt keine sexuelle Bedeutung beigemessen. Die Mißhandlungen stellten für den Kläger (zunächst) kein Problem dar, da er sie keiner sexuellen Abweichung zuordnete, obgleich er damals schon über eine derartige sexuelle Abweichung Bescheid wußte. Die Mißhandlungen verursachten daher beim Kläger keine wesentliche direkte psychische Traumatisierung.

Im Jahr 1994 wurde die Ehe des Beklagten mit der Mutter des Klägers geschieden.

Seit ca drei bis vier Jahren besteht beim Kläger eine depressive Reaktion sowie eine psychosexuelle Entwicklungsstörung. Es handelt sich dabei um einen Zustand von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung. Ursächlich ist hier vor allem die vom Kläger als belastend erlebte Lebensgeschichte, insbesondere ab dem Zeitpunkt der Trennung der (leiblichen) Eltern. Diese erlebte der Kläger als "Verlust des Vaters". Der reaktive Verstimmungszustand wird auch durch das subjektive Gefühl der sozialen Isoliertheit während des Wohnens beim Beklagten wesentlich mitbestimmt. Der Kläger erlebte diese Zeit im Haus des Beklagten als "Exil" ohne wesentliche soziale Kontakte, vielmehr geprägt durch Verbote (des Beklagten). Der beim Kläger gegebene Verstimmungszustand ist Ausdruck der Reaktion auf die äußeren Lebensbedingungen und wurde durch die behördlichen Ermittlungen im Hinblick auf die sexuellen Übergriffe des Beklagten aktualisiert, verstärkt und in zeitlicher Hinsicht verlängert.

Der Kläger hat die sexuellen Mißhandlungen des Beklagten (zunächst) als "Blödsinn" abgetan bzw verdrängt. Ein bewußt erlebter Leidenszustand trat offensichtlich dadurch nicht ein und zeigt sich auch in der Lebensgeschichte kein "Knick" in der Lebenslinie. Wenn auch die sexuellen Belästigungen durch den Beklagten keine direkte Verletzung im seelischen Bereich verursachten, muß aber beim Kläger aus neuropsychiatischer Sicht von einem indirekten Leidenszustand von Krankheitswert gesprochen werden. Durch die behördliche Verfolgung des Beklagten wegen der sexuellen Übergriffe erlebte der Kläger seine Lebensgeschichte als äußerst belastend, sie wurde ihm erst richtig bewußt. Psychodynamisch gesehen führten die Ermittlungen dazu, daß sich der Kläger mit der Person des Beklagten in Zusammenschau mit seiner eigenen lebensgeschichtlichen Entwicklung auseinandersetzen mußte. Dabei kam er zu dem Ergebnis, daß er durch die Verbote des Beklagten in seiner lebensgeschichtlichen Entwicklung, insbesondere im sozialen Kontaktverhalten, deutlich beeinträchtigt wurde. Indirekt macht sich der Kläger in Bezug auf die gesamte Entwicklung, sowohl was seinen jüngeren Bruder, als auch die gesamte Familie betrifft, Vorwürfe, daß er wiederum nach seinem subjektiven Erleben durch rechtzeitiges "Aufdecken" des Verhaltens des Beklagten vieles hätte verhindern können.

Die vom Kläger (zunächst) unbewußt erlebten sexuellen Übergriffe des Beklagten sind mit maximal 20 bis 30 % für den reaktiven Verstimmungszustand des Klägers verantwortlich zu machen. Das derzeit bestehende Desinteresse des Klägers an Beziehungen in allgemeiner aber auch in sexueller Hinsicht führt zu keinem subjektiven Leidenszustand, muß jedoch aus neuropsychiatrischer Sicht als psychosexuelle Entwicklungsstörung interpretiert werden. Der Kläger hat sich bisher keiner Therapie unterzogen, es sind daher bisher noch keine Therapiekosten aufgelaufen.

Das Erstgericht vertrat ausgehend vom festgestellten Sachverhalt die Rechtsauffassung, daß die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Schmerzengeldes nicht vorliegen, weil es durch die sexuellen Mißhandlungen des Beklagten zunächst zu keiner direkten psychischen Traumatisierung des Klägers gekommen sei und die in der Folge aufgrund der behördlichen Verfolgungsmaßnahmen aufgetretene längere depressive Reaktion des Klägers nur zu maximal 20 bis 30 % auf die gegenständlichen Tathandlungen zurückzuführen sei. Eine Verunstaltungsentschädigung gebühre mangels einer Änderung in der äußeren körperlichen Erscheinung des Klägers nicht. Therapiekosten seien ihm nicht erwachsen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Da die dem Beklagten zur Last liegenden Tathandlungen aus der Zeit vor dem 1. 1. 1997 stammen, sei § 1328 ABGB noch nicht in der durch das BGBl 1996/759 geänderten Fassung anzuwenden. Im allgemeinen sei zwar davon auszugehen, daß ein Jugendlicher durch den sexuellen Mißbrauch über einen längeren Zeitraum ein schwerwiegendes seelisches Trauma erleide, welches einschließlich der damit verbundenen psychischen Beeinträchtigung als Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB zu beurteilen sei. Ausgehend von den bindenden Feststellungen des Erstgerichtes seien jedoch beim Kläger für den depressiven Zustand vor allem Ursachen verantwortlich, die mit dem sexuellen Mißbrauch nichts zu tun haben. Die sexuellen Übergriffe seien zu maximal 20 bis 30 % mitverantwortlich, wobei jedoch kein Mindestmaß der Verantwortlichkeit feststehe. Eine Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB könne daher beim Kläger nicht angenommen werden. Mangels Haftung des Beklagten für eine Körperverletzung gebühre auch keine Verunstaltungsentschädigung und es sei auch das Feststellungsbegehren unbegründet. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfragen zu lösen gewesen seien.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht oder das Berufungsgericht zurückzuverweisen; hilfsweise wird Abänderung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens begehrt.

Der Beklagte erstattete trotz Freistellung keine Revisionsbeantwortung (§ 508a Abs 2 ZPO).

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht teilweise von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gemäß § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Die Rechtsrüge ist hingegen im Ergebnis berechtigt.

Es ist davon auszugehen, daß die durch Art I Z 2 des BGBl 1996/759 (BG zum Schutz vor Gewalt in der Familie) geänderte Fassung des § 1328 ABGB nach den Übergangs- und Schlußbestimmungen (Art IV § 2) mit 1. 1. 1997 in Kraft und auf Tathandlungen anzuwenden ist, die nach dem 31. 12. 1996 gesetzt worden sind. Die dem Beklagten zur Last gelegten Tathandlungen lagen vor diesem Zeitpunkt. § 1328 ABGB in seiner alten Fassung war seinem klaren Wortlaut nach jedoch eine Schutznorm zugunsten von Frauen und ließ nach der Rechtsprechung (SZ 58/80; SZ 65/132; EFSlg 78.562; ZVR 1997/125; ecolex 1999/50; Schwimann/Harrer, ABGB2 VII Rz 12 zu § 1328; Karner in JBl 1997, 685 [686, 688]) die Abgeltung immaterieller Schäden nur in den Ausnahmefällen der Notzucht und des gewaltsamen Mißbrauchs zu. Ein derartiger Ausnahmetatbestand liegt jedoch hier nicht vor. Der Kläger kann daher - wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte - seinen Anspruch nicht auf § 1328 ABGB stützen.

Die Rechtsprechung bejahte aber auch schon für die Zeit vor der Novellierung des § 1328 ABGB im Falle eines sexuellen Mißbrauches, der physische oder schwere psychische Schäden verursachte, das Vorliegen einer Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB und damit auch das Bestehen eines Schmerzengeldanspruches (ZVR 1997/125; Schwimann/Harrer aaO). Dieser Ansicht entsprechen auch die - im besonderen auf den Mißbrauch von Kindern bezogenen - Erwägungen des Ausschußberichtes zum BG zum Schutz vor Gewalt in der Familie (407 BlgNR 20. GP, 2).

§ 1325 ABGB sieht bei Verletzungen am Körper die Zahlung von Schmerzengeld vor; dieses ist der Ersatz des ideellen Schadens, der in Zusammenhang mit körperlichen Verletzungen entsteht (Koziol, Haftpflichtrecht II2 138), ist also nur zu gewähren, wenn solche Verletzungen verursacht wurden. Unter einer Körperverletzung ist jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit zu verstehen (SZ 47/147; Koziol aaO 115; Schwimann/Harrer aaO Rz 2 zu § 1325). Keine Voraussetzung ist, daß äußerlich sichtbare Verletzungen herbeigeführt wurden; auch innere Verletzungen oder Nervenschäden fallen unter den Begriff der Körperverletzung (SZ 20/186; Koziol aaO 115); ebenso massive Einwirkungen in die psychische Sphäre (zB Herbeiführen eines Schocks; RZ 1979/24; EvBl 1983/82). Eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen besteht, reicht hingegen für sich nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden; derartige Folgen erfüllen nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 1325 ABGB (vgl RZ 1979/24; JBl 1989, 41; Schwimann/Harrer aaO Rz 64 zu § 1325). Bei der beim Kläger festgestellten längeren depressiven Reaktion und psychosexuellen Entwicklungsstörung handelt es sich laut erstgerichtlicher Feststellung um einen Leidenszustand von Krankheitswert. Ähnlich dem Schock (RZ 1979/24) ist daher bereits von einer massiven Einwirkung in die psychische Sphäre des Verletzten zu sprechen, die über bloßes Unbehagen und Unlustgefühle hinausgeht. Sie zählt daher unter den Begriff der Körperverletzung. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß die seelische Komponente beim sexuellen Mißbrauch gegenüber allfälligen körperlichen Schäden im engeren Sinn häufig noch viel weitreichender und lebensprägender ist (Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7 231).

Die festgestellte psychische Beeinträchtigung des Klägers ist auf die Tathandlungen des Beklagten zurückzuführen. Diese sind laut Erstgericht "mit maximal 20 bis 30 % verantwortlich" zu machen. Das Erstgericht folgte mit dieser Feststellung den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen im Rahmen der Erörterung des schriftlichen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung (ON 15, AS 67, 69 bis 71). Danach bleibt aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes, das diese Ausführungen offenbar mißversteht, keineswegs das Mindestmaß der Verantwortlichkeit des Beklagten offen; dieses liegt nach diesen Ausführungen jedenfalls bei 20 %, das Höchstmaß bei (maximal) 30 %.

Wenn zwei Umstände nur zusammen, beispielsweise eine unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzung zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Verletzten, die Schwere des Verletzungserfolges bedingen, bleibt doch der Schädiger für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich. Anders läge die Sache nur im Fall der sogenannten überholenden Kausalität, wenn nämlich der Erfolg auch ohne die Verletzung wegen der besonderen Veranlagung des Geschädigten ungefähr zur gleichen Zeit in gleicher Weise und im gleichen Umfang eingetreten wäre (ZVR 1979/99; RIS-Justiz RS0022684). Daß Auslöser der psychischen Beeinträchtigung des Klägers zunächst nicht das unmittelbare Geschehen des sexuellen Mißbrauches selbst war, sondern daß erst die spätere behördliche Verfolgung des Beklagten dem Kläger alles bewußt machte, steht der Bejahung der adäquaten Ursächlichkeit der Tathandlungen des Beklagten für die längere depressive Reaktion und psychosexuelle Entwicklungsstörung des Klägers nicht entgegen. Es besteht aus seiner Bearbeitungs- und Verarbeitungsmöglichkeit ein medizinisch-kausaler Zusammenhang zwischen dem Geschehen und der nachfolgend notwendigen Aufdeckung. Der vorliegende Fall ist insoweit jenem zu 3 Ob 523/88 beurteilten Sachverhalt vergleichbar, in dem 50 cm über den Bett eines schlafenden Kindes eine Revolverkugel einschlug, die nicht sogleich, sondern erst durch die folgenden Spurensicherungen, Einvernahmen und Befragungen durch Journalisten zu einer seelischen Irritation des betroffenen Kindes führten (Schwimann/Harrer aaO Rz 2 zu § 1325; Danzl in ZVR 1990, 1 [2 f]). Die durch den sexuellen Mißbrauch verursachten ideellen Schäden können entweder unmittelbar auf der Schädigungshandlung beruhen, wie etwa Angst oder Demütigung während des geschlechtlichen Mißbrauches, oder wie im vorliegenden Fall auf der geistigen Verarbeitung der Verletzungssituation. Seelische Beeinträchtigungen können also auch erst durch das Bekanntwerden der Tat oder im Zuge ihrer polizeilichen, straf- oder zivilrechtlichen Ahndung entstehen. Auch sie sind eine Folge der Verletzung (Karner aaO 697). Die psychische Beeinträchtigung des Klägers kann daher auch im vorliegenden Fall nicht als atypische Folge des Verhaltens des Beklagten angesehen werden; sie ist damit auch kein atypischer Erfolg.

Beim Kläger liegt daher eine Verletzung des Körpers vor, die einen Anspruch auf Schmerzengeld gibt, das neben der körperlichen auch die seelischen Schmerzen ausgleichen soll (Karner aaO 699). Für dessen Bemessung ist unter Bedachtnahme auf die durch den Eingriff in die körperliche und geistige Unversehrtheit des Klägers entstandene Persönlichkeitsminderung (Karner aaO 699) vor allem das Maß der psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Klägers maßgebend. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des hier zu entscheidenden Falles, insbesondere der Länge des Zeitraumes des sexuellen Mißbrauches einerseits und des Vorliegens einer "bloß" indirekten psychischen beeinträchtigung andererseits, erscheint bei der nach § 1325 ABGB vorzunehmenden globalen Bemessung zwar nicht das vom Kläger begehrte, wohl aber ein Schmerzengeld von S 60.000,-- als angemessen.

Der Beklagte bestritt zwar nicht die Fälligkeit des klägerischen Leistungsbegehrens, wohl aber den Beginn des Zinsenlaufes per 31. 5. 1993 mit dem Einwand der Verjährung der Zinsen. Dieser Hinweis ist gemäß § 1480 ABGB berechtigt; gesetzliche Zinsen unterliegen der dreijährigen Verjährung (SZ 60/213). 4 % Zinsen aus dem zuerkannten Schmerzengeld gebühren dem Kläger daher erst ab 17. 9. 1994; das Mehrbegehren von mehr als drei Jahren rückständigen Zinsen war zufolge Verjährung abzuweisen.

Da die psychische Beeinträchtigung des Klägers bis heute nicht abgeklungen und daher derzeit noch nicht absehbare Spätfolgen auch nicht auszuschließen sind, kann dem Geschädigten auch ein Feststellungsinteresse nicht abgesprochen werden (RIS-Justiz RS0039018); das Feststellungsbegehren ist daher ebenfalls berechtigt.

Nach § 1326 ABGB steht - neben dem Schmerzengeld (Schwimann/Harrer aaO Rz 29 zu § 1326 mwN) - eine Verunstaltungsentschädigung zu, wenn die verletzte Person verunstaltet worden ist und ihr besseres Fortkommen dadurch behindert werden kann. Ob eine Verunstaltung vorliegt, ist - das Gesetz beschreibt den Begriff nicht näher - nach der allgemeinen Lebensanschauung zu beurteilen (Schwimann/Harrer aaO Rz 2 zu § 1326 mwN). In erster Linie kommt zwar das äußere Erscheinungbild des Menschen in Betracht; darauf allein abzustellen, wäre jedoch zu eng (Schwimann/Harrer aaO Rz 4 f zu § 1326, Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 4 zu § 1326 mwN; ZVR 1997/82; 4 Ob 2107/96y), sodaß beispielsweise auch bei einem gänzlichen oder teilweisen Verlust der Sehfähigkeit eine Verunstaltung vorliegen kann, die das bessere Fortkommen behindert (EFSlg 33.780, 51.510). Im vorliegenden Fall ist weder das äußere Erscheinungsbild des Klägers noch eine sonstige Fähigkeit derart beeinträchtigt, daß auch bei weiter Auslegung des Begriffes bereits von einer "Verunstaltung" gesprochen werden könnte, die das bessere Fortkommen hindert. Die vom Kläger begehrte Verunstaltungsentschädigung wurde daher von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen.

Therapiekosten gebühren den Kläger nicht, da bisher keine aufgelaufen sind. Sonstige, über vorprozessuale Kosten hinausgehende "Spesen" sind nicht hervorgekommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 43 Abs 1 und 2 ZPO. Eine sonst die Kostenfolgen des § 43 Abs 1 ZPO auslösende "Überklagung" des Schmerzengeldbetrages liegt nicht vor, wenn die Ermittlung des angemessenen Schmerzengeldes wie im vorliegenden Fall besonders schwierig ist (RIS-Justiz RS0035903). Die Kosten der Privatbeteiligung im vorangegangenen Strafverfahren sind gleich wie die Prozeßkosten zu ersetzen und gebühren bei teilweisem Obsiegen im gleichen Verhältnis wie die Prozeßkosten selbst (Fucik in Rechberger, ZPO Rz 5 vor § 40).

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