OGH 6Ob246/74

OGH6Ob246/7412.12.1974

SZ 47/147

Normen

ABGB §1325
ABGB §1325

 

Spruch:

Das Abschneiden der Haare gegen den Willen des Betroffenen ist eine Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB, welche einen Anspruch auf Schmerzengeld für seelische Schmerzen begrunden kann

OGH 12. Dezember 1974, 6 Ob 246/74 (LG Innsbruck 2 R 393/74, BG Innsbruck 15 C 3319/73)

Text

Die Klägerin begehrte vom Beklagten ein Schmerzengeld im Betrag von 12.000 S für erlittene seelische Schmerzen. Der Beklagte habe ihr im Juni 1973 aus Anlaß der Anfertigung eines sogenannten Rundschnittes ihr hüftlanges Haar gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen unsachgemäß um mehr als die Hälfte, nämlich um mindestens 35 cm, gekürzt. Durch den Verlust ihres langen Haares sei die Klägerin in ihrer äußeren Erscheinung schwer beeinträchtigt, was sie besonders hart treffe, weil sie nebenberuflich als Schönheitsberaterin tätig sei. Es werde 7 bis 8 Jahre dauern, bis sie diese besondere und nicht alltägliche Haarpracht wieder erlangt haben werde.

Der Beklagte wendete ein, er habe der Klägerin die Haare genau nach ihren Anweisungen geschnitten. Sie habe auch anstandslos gezahlt und erst am nächsten oder übernächsten Tag erklärt, die Haare seien zu kurz geschnitten Selbst wenn es richtig sein sollte, daß der Beklagte der Klägerin von ihren Haaren 35 cm abgeschnitten hätte, so würden diese bei normalem Haarwuchs innerhalb von längstens 1 1/2 Jahren nachwachsen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, da nach den getroffenen Feststellungen der Haarschnitt vom Beklagten nach dem Auftrag und den Wünschen der Klägerin ausgeführt worden sei und lediglich ein Fehler bestanden habe (Eckenbildung am Übergang zum Hinterkopf), welcher in der Folge ausgeglichen werden konnte. Es liege daher keine Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB vor. Selbst wenn der Beklagte aber gegen den Wunsch der Klägerin zu viele Haare abgeschnitten hätte, könne kein Schmerzengeld verlangt werden, da in einem solchen Fall nur eine mangelhafte Ausführung der dem Beklagten aufgetragenen Leistung vorliegen würde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge, sprach ihr ein Schmerzengeld von 8000 S samt Nebengebühren zu und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 4000 S ab. Es führte das Beweisverfahren neu durch und traf folgende Feststellungen:

Die Klägerin ließ sich seit vielen Jahren das Kopfhaar wachsen; es wurden lediglich von Zeit zu Zeit die Spitzen gekürzt. Schließlich reichte das Kopfhaar bis zur Hüfte, wobei das Haar des Hinterkopfes gleich lang war wie das Haar zu beiden Seiten des Kopfes. Die Klägerin war auf ihr Haar wegen seiner Länge und seiner Dichte sehr stolz. Sie pflegte das Haar dementsprechend und war in ihrem Bekanntenkreis wegen der Haarpracht berühmt. Auch ihr geschiedener Gatte, mit dem sie weiterhin die Lebensgemeinschaft aufrecht erhielt, legte großen Wert darauf, daß das Haar nicht geschnitten wird. Die Klägerin war als Schönheitsberaterin der Firma C tätig und hatte dabei die Aufgabe, Kosmetika vorzuführen, Frauen im Zusammenhang mit der Schönheitspflege zu beraten und bei dieser Gelegenheit auch Verkaufsaufträge anzunehmen. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit war es für sie von Vorteil, wenn sie über ein gepflegtes, auffallend schönes, volles und langes Haar verfügte, weil das bei den Kundinnen einen überzeugenden Eindruck für ihr Verständnis in Angelegenheiten der Schönheitspflege hinterließ. So kam es, daß das Haar der Klägerin für ihr Persönlichkeitsbild charakteristisch wurde. Sie äußerte nie, daß sie sich das Haar schneiden lassen wolle.

Im Juni 1973 sah die Klägerin im Schaufenster des Friseurgeschäftes des Beklagten eine lange Rundhaarperücke, deren Schnitt ihr gefiel. Sie zeigte diese ihrem geschiedenen Ehegatten, der zustimmte, daß das Haar der Klägerin nach dem Schnitt der Perücke hergerichtet werde, sofern von der Länge des Haares hinten nichts oder nichts wesentliches entfernt würde; lediglich das Haar beiderseits des Gesichtes wäre nach dem Muster der Perücke unter allen Umständen zu kürzen gewesen, was auch die Klägerin erkannte. In diesem Sinne sprach die Klägerin beim Beklagten vor und fragte ihn, ob er ihr das Haar nach dem Muster der Perücke schneiden könne, was dieser bejahte. Am darauffolgenden Tag fand sich die Klägerin zur Herstellung der Frisur beim Beklagten ein. Sie verlangte wiederum einen Haarschnitt gemäß der Perücke, verlangte aber gleichzeitig, daß das Haar seine Länge behalten müsse. Der Beklagte zeigte der Klägerin an Hand der Perücke die künftige Länge des Haares im Bereich der Schultern und deutete dabei an, wie das Haar an der Seite zu schneiden sein werde. Er markierte dabei auch den weiteren Verlauf des Schnittes gegen den Rücken zu, ohne daß aber die Klägerin dies genauer verfolgen konnte, da sie die Rückenpartien nicht sehen konnte. Mit dem Schnitt des Haares an den Seiten war die Klägerin einverstanden, ebenso, daß der Ansatz des Schnittes etwa auf Schulterhöhe zu liegen komme. Der Beklagte klärte die Klägerin aber nicht darüber auf, daß er auch das rückwärtige Haar erheblich kürzen, also abschneiden werde. Die Klägerin ihrerseits gab mit keinem Wort ihr Einverständnis hiezu; ihre ursprüngliche Bedingung, daß die Haare nicht geschnitten werden dürfen, blieb hinsichtlich des hinteren Haares vollinhaltlich aufrecht. Der Beklagte, der die Klägerin als heikle Kundin erkannt hatte, ließ sie darüber im unklaren, daß er auch die rückwärtigen Haarpartien kürzen werde. Er sagte ihr nicht, daß er das Haar abschneiden müsse, um den von ihr gewünschten Rundschnitt überhaupt herstellen zu können; er erklärte ihr auch nicht, daß er die Ausführung des Haarschnittes nach den Wünschen der Klägerin deshalb ablehnen müsse, weil die Erfüllung der von ihr gestellten Bedingung bezüglich der Länge des Haares nicht möglich wäre. Tatsächlich schnitt der Beklagte hierauf das Haar auch am Rücken um zirka 30 cm ab. Die Kürzung ging so vor sich, daß der Beklagte mit der flachen Hand die betreffende Haarpartie gegen den Rücken der Klägerin drückte und mit der Schere unterhalb der angelegten Hand das Haar abschnitt, was zirka eine halbe Stunde in Anspruch nahm. Hiebei konnte die Klägerin zwar nicht sehen, in welcher Höhe das Haar abgeschnitten wurde, wohl aber konnte sie spüren, wo die Hand des Friseurs am Rücken angelegt war und wo sich der Druck der Schere befand, woraus sie die Höhe des Schnittes entnehmen konnte. Sie achtete aber entweder nicht darauf, oder sie hielt die Arbeit des Beklagten nicht für bedenklich; jedenfalls erfolgte ihrerseits kein Widerspruch gegen das Abschneiden des über den Rücken fallenden Haares. Nach Beendigung der Arbeit bemerkte die Klägerin, daß der Beklagte ihr doch das Haar hinten abgeschnitten hatte, und machte den Beklagten darauf aufmerksam, der sie aber mit dem Hinweis zu beschwichtigen suchte, daß sie ja den Schnitt nach der Perücke haben wollte. Die Klägerin, die damals kurz vor ihrer Entbindung stand, wollte sich auf keinen Streit mit dem Beklagten einlassen und bezahlte den verlangten Preis. Am nächsten Tag begab sie sich in Begleitung von Renate H wieder zum Beklagten und reklamierte dort, wobei sie Schadenersatz forderte. Der Beklagte lehnte jede persönliche Schadenersatzleistung ab und verwies die Klägerin an seine Versicherung, der er aber in seiner Schadensmeldung nur berichtete, daß es eine Streitfrage sei ob ihn ein Verschulden treffe. Die Arbeit des Beklagten war auch insofern mangelhaft, als an den Seitenhaaren Ecken bestanden, die bei fachgerechter Ausführung nicht hätten vorhanden sein dürfen. Außerdem war das Haar hinten nicht rund geschnitten, wie es einem Rundschnitt entsprochen hätte, sondern oval. Diese Fehler wurden vom Friseurmeister Roland N insofern beseitigt, als dieser die beiden Ecken am Übergang der Seitenpartien vom Oberkopf zum Hinterkopf von einer seiner Angestellten ausrichten ließ. Nach dem Haarschnitt war die Klägerin über ihr nunmehriges Aussehen und insbesondere wegen des abgeschnittenen Haares entsetzt und völlig außer Fassung. Noch Monate hindurch war sie wegen des Verlustes der langen Haare tief unglücklich. Sie konnte sich lange Zeit hindurch nicht in die neue Situation hineinfinden, da sie wußte, daß das Haar nur allmählich nachwächst und es Jahre dauern werde, bis es die ursprüngliche Länge erreicht.

Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt dahin, daß das Abschneiden der Haare gegen den Willen der Klägerin eine Körperverletzung gemäß § 1325 ABGB bilde. Der Beklagte sei gemäß §§ 1167, 932 Abs. 1, letzter Satz, und 1295 ABGB schadenersatzpflichtig. Auch seelische Schmerzen könnten einen Schmerzengeldanspruch begrunden. Das begehrte Schmerzengeld sei der Höhe nach angemessen, doch treffe die Klägerin ein Mitverschulden im Verhältnis 1: 2, da sie während der Dauer der Arbeit hätte bemerken müssen, daß der Beklagte nicht in der Gegend der Hüfte, sondern im obersten Teil des Rückens arbeitete.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte hat der Klägerin gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen zirka 30 cm ihres Haupthaares abgeschnitten. Es handelt sich daher nicht, wie die Revision meint, um eine bloße Frage des persönlichen Geschmacks bei der Gestaltung einer neuen Frisur, und es liegt auch nicht nur eine mangelhafte Ausführung des bestellten Werkes vor, sondern der Beklagte hat der Klägerin einen über eine bloß mangelhafte Ausführung des Werkes weit hinausgehenden Nachteil schuldhaft zugefügt. Schon aus diesem Grund kann die Klägerin über die bloße Gewährleistung hinaus Schadenersatz geltend machen.

Gemäß § 1325 ABGB hat nun derjenige, der einen anderen an seinem Körper verletzt, u. a. dem Beschädigten auf dessen Verlangen ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld zu bezahlen. Das Abschneiden der Haare gegen den Willen des Betreffenden ist eine Körperverletzung im Sinne dieser Bestimmung (Wolff in Klang[2] VI, 129; Ehrenzweig[2], § 392 II, 627; Jarosch - Müller - Piegler, Das Schmerzengeld[3], 101), denn unter einer Verletzung im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede Störung der körperlichen Unversehrtheit zu verstehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Verletzung schmerzhaft ist. Die gegenteilige Ansicht der Entscheidung GlUNF 3965 (Abschneiden des Schnurrbartes) kann nicht geteilt werden.

Nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung (Ehrenzweig, § 392

II Z.3.630; Jarosch - Müller - Piegler, 105; Wolff, 135; ZVR 1958/42; SZ 26/67, SZ 23/311 u. a.) gebührt Schmerzengeld auch für seelische Schmerzen, sofern sie nur die Folge einer Körperverletzung sind. Der Klägerin steht daher grundsätzlich ein Anspruch auf Schmerzengeld zu.

Was die Höhe des Schmerzengeldes anlangt, so muß berücksichtigt werden, daß die Klägerin ein hüftlanges Haupthaar hatte, von dem der Beklagte zirka 30 cm widerrechtlich abgeschnitten hat. Dieses lange Haar war nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes für das Persönlichkeitsbild der Klägerin charakteristisch, und es war für sie als Schönheitsberaterin einer Kosmetikfirma vorteilhaft, so langes, gepflegtes Haar zu besitzen. Geht man davon aus und berücksichtigt man ferner, daß auch der geschiedene Gatte und nunmehrige Lebensgefährte der Klägerin besonderen Wert auf ihr langes Haar legte, die Klägerin tief unglücklich über den Verlust ihrer Haare war und es lange Zeit dauert, bis diese wieder nachgewachsen sein werden, so erscheint der verlangte Schmerzengeldbetrag von 12.000 S angemessen.

Was aber ein allfälliges Mitverschulden der Klägerin anlangt, so wurde dieses, von der Klägerin unbekämpft, ohnehin mit einem Drittel angenommen. Ein höherer Mitverschuldensanteil ist keineswegs gerechtfertigt, da das Verschulden des Beklagten, der gegen den ausdrücklichen Auftrag der Klägerin gehandelt hat, gegenüber der Unaufmerksamkeit der Klägerin weit überwiegt.

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