OGH 2Ob106/53

OGH2Ob106/5311.3.1953

SZ 26/67

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1325
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §843 IV.
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §13
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1325
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §843 IV.
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §13

 

Spruch:

Der Anspruch des Verletzten auf die Geldrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Dritter dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat oder daß der Geschädigte auf Grund freiwilliger Zuwendungen eines Angehörigen Leistungen erhält, die er selbst zu erbringen hätte.

Entscheidung vom 11. März 1953, 2 Ob 106/53.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Beklagte verursachte durch unachtsames Fahren mit einem von ihm gelenkten Personenkraftwagen am 24. Dezember 1949 einen Unfall, bei dem die in diesem Kraftwagen mitfahrende Klägerin schwer verletzt wurde. Sie begehrt von ihm die Bezahlung eines Schmerzengeldes von 16.000 S und einer monatlichen Rente von 400 S ab 1. Oktober 1950. Sie sei bis zum Unfall im Modesalon ihrer Mutter tätig gewesen, könne aber diese Tätigkeit nach dem Unfall nicht mehr in vollem Umfange ausüben. Ihre Mutter habe daher zwei neue Arbeitskräfte einstellen müssen.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Bezahlung eines Schmerzengeldes von 10.000 S und zur Bezahlung einer monatlichen Rente von 350 S ab 1. Oktober 1950. Die Klägerin habe für ihre Tätigkeit im Geschäft ihrer Mutter eine Naturalentlohnung im Werte von 1000 S monatlich erhalten. Diese Entlohnung erhalte sie von ihrer Mutter auch nach dem Unfalle im gleichen Umfange wie bisher, wenn auch ihre Erwerbsfähigkeit um 35% vermindert sei. Der Beklagte könne sich aber das, was die Klägerin auf Grund einer freiwilligen Zuwendung ihrer Mutter erhält, nicht anrechnen.

Das Berufungsgericht sprach der Klägerin einen Schadenersatzbetrag von 16.000 S zu und bestätigte im übrigen das erstgerichtliche Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin hat in der Klage eine Rente aus dem Gründe der Minderung der Erwerbsfähigkeit begehrt. Diese Minderung der Erwerbsfähigkeit war auch die Grundlage, auf der ihr die Untergerichte eine monatliche Rente zugesprochen haben. Da sie ihre Erwerbsminderung in der Klage mit 35 bis 40% angegeben und eine Rente von monatlich 400 S begehrt hat, ist sie davon ausgegangen, daß sie einen Betrag von über 1000 S vor dem Unfall erwerben konnte.

Die Frage, ob der gemindert Erwerbsfähige auch dann einen Verdienstentgang beanspruchen kann, wenn er trotz der Minderung bei einem Angehörigen den vollen Lohn bezieht, wird in der Rechtslehre nicht einheitlich beantwortet (vgl. Wolff in Klangs Kommentar. 2. Aufl., zu § 1325, S. 133).

Der Oberste Gerichtshof hat jedoch in wiederholten Entscheidungen ausgesprochen, daß bei dauernder Verminderung der Erwerbsfähigkeit dem Geschädigten ein Ersatz auch dann gebührt, wenn er trotz des Unfalles mit geminderten Bezügen in seiner Stellung bleibt (SZ. IX/85, SZ. XIX/78, 3 Ob 749/51, JBl. 1953, S. 49). Nach § 13 Abs. 4 KFG. wird der Anspruch auf die Geldrente nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Dritter dem Verletzten den Unterhalt zu gewähren hat. Diese Bestimmung steht in Einklang mit § 843 IV des BGB. und stellt einen allgemeinen, den ganzen Inhalt der Schadenersatzpflicht wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit umfassenden Grundsatz auf (Müller, Straßenverkehrsrecht, S. 296). Die Geltung dieses, den natürlichen Rechtsgrundsätzen entsprechenden Satzes ist auch für den österreichischen Rechtsbereich anzuerkennen. In diesem Zusammenhange kann auch auf das französische Rechtssprichwort verwiesen werden: On ne se libere que de ses deniers, non des deniers d'autrui ... (Seiner Verbindlichkeit entledigt man sich nur mit eigenem Geld, nicht mit dem Geld anderer ...). Der Ersatzpflichtige kann sich gegenüber dem Geschädigten nicht auf die Unterhaltspflicht eines anderen berufen. Solange die Klägerin den Anspruch auf Leistung einer Rente durchsetzen kann, sind die Voraussetzungen für die Unterhaltspflicht ihrer Mutter nicht gegeben. Der Beklagte kann auch nicht einwenden, daß die Geschädigte auf Grund freiwilliger Zuwendungen eines Angehörigen Leistungen erhält, die er selbst zu erbringen hätte. Da die Klägerin auf diese freiwilligen Zuwendungen keinen Anspruch hat, kann sie mit ihnen nicht rechnen. Diese Leistungen haben nicht den Zweck, die Verbindlichkeit des Beklagten zu erfüllen und können jederzeit eingestellt werden. Würde man der Klägerin im vorliegenden Falle den Rentenanspruch aberkennen, so wäre sie, um ihrer Ersatzansprüche nicht verlustig zu gehen, zu unnötigen Umwegen genötigt, etwa, daß sie diese Ansprüche ihrer Mutter abträte u. dgl.

Das der Klägerin zugesprochene Schmerzengeld erscheint dem Obersten Gerichtshof angemessen. Die Untergerichte haben festgestellt, daß die Klägerin durch den Unfall einen Schädelgrundbruch und eine Gehirnerschütterung erlitt und an einem Auge erblindete. Sie hatte durch drei bis vier Wochen schwere Schmerzen und während eines weiteren Zeitraumes von zwei bis drei Monaten mäßige Schmerzen und leichtere Schmerzen noch durch sechs Wochen. Der Oberste Gerichtshof hält in ständiger Rechtsprechung daran fest, daß dem Beschädigten auch ein Schmerzengeld für die seelischen Leiden gebührt, die ihm aus seiner Verwandlung zum Krüppel entstehen (vgl. die bei Kapfer zu § 1325 ABGB. unter Nr. 9 angeführten Entscheidungen, ferner 1 Ob 194/50, 2 Ob 532/50, 3 Ob 749/51 u. a. m.). Daß der Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge eine schwere seelische Beeinträchtigung mit sich bringt, bedarf keiner weiteren Erörterung.

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