OGH 6Ob216/11z

OGH6Ob216/11z13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** Verlag GmbH, *****, vertreten durch Stenitzer & Stenitzer Rechtsanwälte OG in Leibnitz, gegen die beklagte Partei Mag. I*****, vertreten durch Mörth Ecker Filzmaier Rechtsanwaltspartnerschaft in Graz, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs (Gesamtstreitwert 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. Juli 2011, GZ 5 R 82/11k-22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Vorweg ist festzuhalten, dass die außerordentliche Revision rechtzeitig ist. Zwar wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, die Präposition „zwischen“ in § 222 Abs 1 ZPO sei dahin zu verstehen, dass der Anfangs- und Endtermin, also der 15. Juli und der 17. August, jeweils nicht mitgezählt werden (Hinger, ÖJZ 2011, 427), sodass bei Zustellung eines Urteils in diesem Zeitraum der 13. September 2011 den letzten Tag der 4-wöchigen Frist darstellt.

Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Verwendung des Worts „zwischen“ schließt ein Verständnis dahin, dass von dieser Formulierung auch der Anfangs- und Endtermin umfasst ist, keineswegs aus (vgl Kolmasch, Zak 2011, 230).

2.1. Ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0113943) sowie ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RIS-Justiz RS0107768), stellt jeweils eine Frage des Einzelfalls dar. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass Art 10 Abs 2 EMRK wenig Raum für Einschränkungen gegenüber politischen Reden oder Debatten über Fragen von öffentlichem Interesse zulässt (6 Ob 114/11z; vgl auch RIS-Justiz RS0075552, RS0054830, RS0102052). Demnach sind die Grenzen der zulässigen Kritik an Politikern erheblich weiter gezogen als bei Privatpersonen. Dieser Grundsatz gilt auch für Privatpersonen und private Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne betreten (RIS-Justiz RS0115541).

2.2. In der Entscheidung 6 Ob 114/11z wandte der erkennende Senat diese Grundsätze auch auf Publikationen zum Thema Islam an. Durch eine Buchveröffentlichung und zahlreiche Vorträge zum Thema Islam sei der Kläger zweifellos als „public figure“ zu qualifizieren. Der maßgerechte Durchschnittsleser fasse die abgedruckten Leserbriefe zwangsläufig in dem Sinne auf, dass es sich dabei um eine bloß rein subjektive Meinung im Rahmen der heftig geführten öffentlichen Debatte über das Verhältnis von Islam und Demokratie handle. Dabei stehe nicht die wissenschaftliche Expertise des Autors im Vordergrund; vielmehr gehe es um einen - wenn auch von allen Seiten teilweise überaus heftig geführten - Meinungsstreit im Zuge eines öffentlichen Diskurses.

2.3. Im vorliegenden Fall hat die klagende Partei das Buch von Rudolf Czernin „Das Ende der Tabus“ verlegt, in welchem der Autor ua die Existenz der Gaskammer in Mauthausen und überhaupt die Existenz eines nationalsozialistischen Plans zur physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung anzweifelt. Von der klagenden Partei wurde das Buch ua mit folgender Textpassage beworben: „In vielen Bereichen der Zeitgeschichtsschreibung herrschen auch heute noch Tabus … aber der Fortschritt der Forschung lässt sich weder durch Gesetz noch durch Zensur langfristig aufhalten.“

2.4. Wenn bei dieser Sachlage die Vorinstanzen die inkriminierte Äußerung der beklagten Partei, wer dieses Buch als Fortschritt feiere, bekenne sich zur Geschichtslüge als Programm, als nicht das Maß der in einer öffentlich geführten Debatte zulässigen Kritik übersteigend angesehen und einen Wertungsexzess verneint haben, so ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Aus dem geschilderten Kontext der Äußerung ergibt sich zweifelsfrei, dass es sich dabei nur um eine intensive Kritik an dem betreffenden Buch handelt, dass damit aber nicht unterstellt wurde, das Verlagsprogramm der klagenden Partei sei insgesamt auf eine vorsätzliche Verzerrung historischer Gegebenheit ausgerichtet. In Anbetracht des Umstands, dass auch die Klägerin selbst einräumt, dass es sich beim Verfasser dieses Buchs nur um einen Hobbyhistoriker handle, dem überdies Fehler unterlaufen seien, kann auch vom Fehlen eines ausreichenden Tatsachensubstrats (vgl RIS-Justiz RS00322201 [T11, T18]) keine Rede sein.

Stichworte