OGH 2Ob89/11v

OGH2Ob89/11v16.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Eva F*****, vertreten durch Dr. Josef Deimböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) W***** Versicherung AG, *****, und 2.) Franz N*****, beide vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wegen 33.603,83 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. März 2011, GZ 11 R 205/10p-173, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Juli 2010, GZ 23 Cg 40/07g-168, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 3. 2. 2001 ereignete sich gegen 20:10 Uhr in P***** ein Verkehrsunfall. Die Klägerin wurde als Fußgängerin von dem vom Zweitbeklagten gelenkten und bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW niedergestoßen. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war die Straßenbeleuchtung eingeschaltet, es herrschte Schneefall und die Fahrbahn war schneebedeckt. Im Unfallsbereich gab es keinen Gehsteig und keine Straßenbegrenzungspflöcke, der Ausleuchtungsgrad der Unfallsstelle konnte nicht festgestellt werden. Der Zweitbeklagte fuhr mit rund 30 km/h hinter einem weiteren Fahrzeug. Aus seiner Sicht ging die Klägerin am rechten Fahrbahnrand. Sie war mit hellblauen Jeans, schwarzblauer Jacke, weißen Handschuhen und dunkelblauen Schnürschuhen bekleidet. Aufgrund des Schneefalls senkte sie den Kopf, blickte aber auch nach vorne. Der vor dem Zweitbeklagten fahrende Fahrzeuglenker nahm die Klägerin wahr, lenkte aus und fuhr an der Klägerin vorbei. Der Zweitbeklagte nahm die Klägerin zu spät wahr und konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, sodass es zu einer Streifkollision zwischen der rechten vorderen Ecke des Fahrzeugs und dem rechten Bein der Klägerin kam, obwohl diese noch eine Ausweichbewegung machte.

Durch den Kontakt wurde die Klägerin umgeworfen und ungefähr einen halben Meter vom Fahrbahnrand entfernt in eine Wiese geschleudert. Die Fahrlinie des Zweitbeklagten in Annäherung an die Unfallsstelle, insbesondere seine Entfernung zum rechten Fahrbahnrand konnte ebenso wenig festgestellt werden, wie die Gehlinie der Klägerin und deren Seitenabstand zum Fahrbahnrand oder Bankett sowie, ob sie auf dem Bankett oder der Fahrbahn ging.

Die Klägerin begehrt Schmerzengeld, Pflegegeld und Kosten einer Haushaltshilfe, Krankenbehandlungskosten, Fahrtspesen, Medikamentenkosten sowie Verdienstentgang und erhebt ein Feststellungsbegehren betreffend künftige Folgen des Unfalls, der erstbeklagten Partei gegenüber eingeschränkt mit der Haftpflichtversicherungssumme. Der Zweitbeklagte sei infolge eines Aufmerksamkeitsfehlers bzw aufgrund des Verstoßes gegen das Fahren auf Sicht ihrer nicht rechtzeitig ansichtig geworden, sodass es zum Kontakt gekommen sei.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren unter Einräumung eines Mitverschuldens von einem Drittel und stellten die Versicherereigenschaft der Erstbeklagten und die Lenkereigenschaft des Zweitbeklagten außer Streit. Die Klägerin sei dunkel gekleidet gewesen und einen Meter innerhalb der Fahrbahn gegangen. Der Zweitbeklagte sei mit einer dem Wetter angepassten Geschwindigkeit gefahren. Das vor ihm fahrende Fahrzeug habe ihm die Sicht auf die Klägerin verdeckt, ein rechtzeitiges Ausweichen sei daher unmöglich gewesen, weshalb das überwiegende Verschulden die Klägerin treffe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es sei keinem der Streitteile gelungen ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten des anderen nachzuweisen. Auch der Entlastungsbeweis nach dem EKHG sei nicht gelungen, weshalb im Verhältnis zwischen PKW und Fußgängerin ausgehend von der Betriebsgefahr des PKW die Haftung der beklagten Parteien auszusprechen sei. Der Zweitbeklagte sei auch Halter des Fahrzeugs gewesen. Da Spät- und Dauerfolgen nicht auszuschließen seien, sei auch das Feststellungsbegehren berechtigt.

Der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht dahingehend Folge, dass es das Klagebegehren gegenüber dem Zweitbeklagten zur Gänze abwies, die Haftung der erstbeklagten Partei auf die Haftungshöchstbeträge des EKHG beschränkte und sie schuldig erkannte 25.174,94 EUR samt Zinsen zu bezahlen. In Bezug auf den Zweitbeklagten habe die Klägerin nur dessen Verschulden behauptet. Die Feststellungen des Erstgerichts über seine Haltereigenschaft seien daher als überschießend nicht zu berücksichtigen. Da ein verschuldensbegründendes Verhalten des Zweitbeklagten nicht habe festgestellt werden können, sei die Klage ihm gegenüber abzuweisen. Den Zuspruch des Verdienstentgangs für den Zeitraum 1. 4. 2006 bis 30. 11. 2007 im Umfang von 8.428,89 EUR gegenüber der Erstbeklagten behob das Berufungsgericht und verwies die Rechtssache insofern an das Erstgericht zurück, ohne den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen.

Im Übrigen sprach das Berufungsgericht aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, die ordentliche Revision aber nicht zulässig sei, weil eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu entscheiden gewesen sei.

Gegen die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber dem Zweitbeklagten und die Einschränkung der Haftung im Feststellungsbegehren auf die Haftungshöchstbeträge des EKHG wendet sich die außerordentliche Revision der Klägerin. (Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgericht wird inhaltlich nicht bekämpft.) Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, weil das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichts über die Haltereigenschaft des Zweitbeklagten mangels entsprechenden Vorbringens der Klägerin in erster Instanz „ausgeschalten“ habe, obwohl sich dies aus dem Beweisverfahren, insbesondere dem verlesenen Strafakt, durchaus ergebe, und das Klagebegehren in der Folge gegenüber dem Zweitbeklagten abgewiesen habe, obgleich die Beklagtenseite ein Mitverschulden von einem Drittel zugestanden habe. Im Übergehen dieses Tatsachengeständnises der beklagten Parteien, die einen Sachverhalt eingeräumt hätten, der ein Verschulden von einem Drittel nach sich ziehe, liege eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Ein Fehlverhalten der Klägerin habe das Verfahren nicht ergeben, dagegen hätten die Beklagten ein Mitverschulden zugestanden, sodass dem Klagebegehren auch gegen den Zweitbeklagten stattzugeben gewesen wäre. Die zum Unfallsablauf getroffenen Negativfeststellungen des Erstgerichts wichen keineswegs vom Tatsachengeständnis der beklagten Parteien ab, geschweige denn stünden sie diesem entgegen.

Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Klägerin im vorliegenden Fall lediglich eine Behauptung zur Versicherer- bzw Lenkereigenschaft der Beklagten aufgestellt hat, was die Beklagten auch außer Streit gestellt haben. Dagegen wurde zur Haltereigenschaft des Zweitbeklagten keinerlei Vorbringen erstattet, sodass von einem - prinzipiell möglichen (RIS-Justiz RS0040013) - Zugeständnis der Haltereigenschaft nicht ausgegangen werden kann.

2. Es entspricht allerdings der ständigen Rechtsprechung, dass die Gefährdungshaftung nach dem EKHG im Verhältnis zur bürgerlich-rechtlichen Verschuldenshaftung ein Minus ist; eine auf behauptetes Verschulden gestützte Klage schließt daher die Haftung aus Gefährdung mit ein (2 Ob 80/10v; 2 Ob 210/09k mwN; RIS-Justiz RS0038123). Auch wenn sich der Kläger in seinem Prozessvorbringen ausdrücklich nur auf ein Verschulden seines Unfallgegners stützt, ist bei Ausfall der Verschuldenshaftung daher die amtswegige Prüfung vorzunehmen, ob das Klagebegehren aus dem Rechtsgrund der Gefährdungshaftung nach dem EKHG berechtigt ist (2 Ob 80/10v; RIS-Justiz RS0029227; RS0038102). Dieser Grundsatz gilt auch für das Rechtsmittelverfahren; es obliegt daher auch dem Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung zu überprüfen (2 Ob 80/10v mwN).

Reichen die Klageangaben nicht für eine schlüssige Begründung der Halterhaftung aus, ist im Rahmen dieser Prüfung auch der anwaltlich vertretene Kläger vom Gericht zur Vervollständigung seiner ungenügenden Tatsachenbehauptungen anzuleiten (1 Ob 49/95). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - im Beweisverfahren deutliche Hinweise auf die Haltereigenschaft ergeben. Der gegen den Zweitbeklagten geltend gemachte Anspruch kann daher nicht schon deshalb abgewiesen werden, weil das von der Klägerin behauptete Verschulden des Zweitbeklagten nicht festgestellt werden konnte. Die Klägerin wird daher im fortgesetzten Verfahren zu einer schlüssigen Darstellung der Halterhaftung des Zweitbeklagten aufzufordern und werden gegebenenfalls für eine rechtliche Beurteilung ausreichende Feststellungen zu treffen sein.

3. Zum Zugeständnis des Mitverschuldens im Ausmaß von einem Drittel durch die beklagten Parteien:

3.1. Ein Geständnis iSd § 266 ZPO liegt vor, wenn der Erklärung einwandfrei zu entnehmen ist, dass bestimmte Tatsachenbehauptungen des Gegners als richtig zugegeben werden (RIS-Justiz RS0040114). Zugestandene Tatsachen sind dem Urteil ungeprüft zugrundezulegen. Gegenteilige Feststellungen verstoßen gegen das Gesetz, was mit Berufung geltend gemacht werden kann (RIS-Justiz RS0040112; RS0040115). Das gerichtliche Geständnis bindet das Gericht an die zugestandenen Tatsachen und schafft bezüglich dieser Tatsachen ein Beweisthemenverbot. Schließlich kann ein Geständnis ausdrücklich oder schlüssig in erster Instanz bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung widerrufen werden (RIS-Justiz RS0039949).

3.2. Wird durch die Erklärung des Beklagten kein dieser Erklärung zugrundeliegender Tatsachenkomplex zugestanden, sondern bloß ein rechtliches Element, auf dem der Klagsanspruch beruht, für zutreffend erkannt, liegt darin weder ein Anerkenntnis noch kann die Erklärung den Richter in seiner Rechtsanwendung binden (RIS-Justiz RS0039938).

3.3. Ein Geständnis kann dennoch auch im Bezug auf Rechte oder Rechtsverhältnisse abgelegt werden, soferne der Gestehende versteht, welche Tatsachen die Rechte oder Rechtsverhältnisse beinhalten. Im Geständnis eines Rechts oder Rechtsverhältnisses kann daher nach der Judikatur des Geständnisses eines Komplexes von Tatsachen liegen, die dem zugestandenen Recht oder Rechtsverhältnis zugrundeliegen (RIS-Justiz RS0039945). Soweit zB der Anteil des Verschuldens des Erstbeklagten mit 60 % außer Streit gestellt wurde, beinhaltet dies ein beiderseitiges Tatsachengeständnis (RIS-Justiz RS0027581).

3.4. Liegt kein ausdrückliches Geständnis vor, gehören die diesbezüglichen Feststellungen dem Gebiet der Beweiswürdigung an. Die Frage, ob ein Tatsachengeständnis abgegeben wurde, kann in diesem Fall nicht vor dem Obersten Gerichtshof gebracht werden. Ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 266 ZPO kann im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden, weil die Aufnahme von Beweisen über von einer Partei zugestandenen Tatsachen keinen Mangel iSd § 503 Z 2 ZPO begründet (RIS-Justiz RS0040119). Auch der Widerruf ist vom Gericht nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen und ist insoweit von der Überprüfung im Revisionsverfahren ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0040021).

3.5. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren in diesem Sinne mit den Parteien zu erörtern haben, ob hier mit der (wohl auf der Annahme eines Verschuldens der Klägerin, das sich aber nicht ergeben hat, beruhenden) Einräumung eines Mitverschuldens durch die Beklagten ein Tatsachengeständnis abgegeben wurde bzw ob ein solches aufrecht erhalten wird.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

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