OGH 9ObA99/11s

OGH9ObA99/11s29.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Wolfgang Birbamer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. H* L*, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Entlassungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2011, GZ 8 Ra 172/10p‑35, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:E98326

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Ob der Kläger zur Anfechtung der Entlassung nach § 106 ArbVG legitimiert ist, hängt davon ab, ob er leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG war oder nicht. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sind als leitende Angestellte Personen anzusehen, denen maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebs zusteht. Als leitender Angestellter im Sinne dieser Gesetzesstelle ist daher vor allem ein Arbeitnehmer anzusehen, der durch seine Position an der Seite des Arbeitgebers und durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten kann (RIS‑Justiz RS0051002). Bei den Arbeitgeberfunktionen, die die Unterstellung unter den Begriff des leitenden Angestellten rechtfertigen können, steht der Einfluss auf die Eingehung und Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Vordergrund (RIS‑Justiz RS0053034, zuletzt 9 ObA 88/10x). Maßgeblich ist aber auch die Ingerenz in Gehaltsfragen, bei Vorrückungen, bei der Urlaubseinteilung, bei der Anordnung von Überstunden, bei der Ausübung des Direktionsrechts und bei der Aufrechterhaltung der Disziplin im Betrieb. Völlige Weisungsfreiheit ist hingegen nicht erforderlich und kann mit Rücksicht auf die aus der Sicht des Arbeitsvertragsrechts gegebene Arbeitnehmereigenschaft auch des leitenden Angestellten nicht verlangt werden (RIS‑Justiz RS0050979, RS0051284 ua). Ob die vorhandenen Kriterien ausreichen, um von einem leitenden Angestellten iSd ArbVG sprechen zu können, hängt letztlich immer von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher - sofern keine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt - keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (9 ObA 99/03d).

2. Eine solche zeigt der Kläger in seiner Revision nicht auf: Die Revision weicht vielmehr von den Feststellungen ab, wenn sie einerseits ausführt, dass die Personalentscheidungen stets auf Ebene des handelsrechtlichen Geschäftsführers oder des Konzerns getroffen worden seien und der Kläger diesbezüglich nur Vorschläge habe erstatten können, und wenn sie andererseits behauptet, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt auf betriebstechnischem, kaufmännischem oder administrativem Gebiet eigenverantwortlich Verfügungen treffen habe können. Der Kläger war gewerberechtlicher Geschäftsführer der Beklagten und - gemeinsam mit einem weiteren Prokuristen - kollektiv vertretungsbefugter Prokurist. Er übte die Funktion eines „Financial Directors“ für Österreich und die Schweiz aus, ihm unterlag das gesamte externe und interne Rechnungswesen der Beklagten. Entscheidungen über die Begründung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen von Mitarbeitern seines Fachbereichs traf der Kläger sehr wohl eigenständig. Dazu war formal nur die Unterschrift des zweiten Prokuristen erforderlich; nach den Feststellungen war der handelsrechtliche Geschäftsführer nicht eingebunden. Auch über das von ihm geleitete Finanzwesen hinaus entschied der Kläger für den gesamten Personalbereich der Beklagten in Österreich, ob das Budget für die Aufnahme eines weiteren Mitarbeiters ausreichend war. Der Kläger war derart sogar in der Lage, die Aufnahme eines vom handelsrechtlichen Geschäftsführer der Beklagten präsentierten Sales Operation Managers zu verhindern. Sein Mitwirkungsrecht in Personalfragen war daher keinesfalls nur auf ein die eigene Abteilung betreffendes Vorschlagsrecht eingeschränkt, weshalb aus den in der Revision zitierten Entscheidungen (9 ObA 109/98i, 9 ObA 73/00a ua) für den Kläger nichts zu gewinnen ist. Dass die Entscheidungen des Klägers von maßgebendem Einfluss auf die Führung des Betriebs der Beklagten waren, ergibt sich auch daraus, dass er das Personalkostenbudget für ganz Österreich vorgab. Sein maßgeblicher Einfluss in Gehaltsfragen drückte sich etwa darin aus, dass er sämtliche außerkollektivvertragliche Gehaltsvorrückungen genehmigen musste. Auch nach den weiteren im Einzelfall festgestellten Umständen stellt die Bejahung der Eigenschaft des Klägers als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG durch die Vorinstanzen keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, weshalb die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.

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