OGH 5Ob35/10y

OGH5Ob35/10y31.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der Grundbuchssache der Antragsteller 1. Josef K*****, 2. Johann K*****, 3. Franz K*****, 4. Susanne K*****, und 5. Sabine K*****, wegen Grundbuchseintragungen in EZ 93 und EZ 90064 je Grundbuch ***** sowie EZ 90024 Grundbuch *****, über den Revisionsrekurs der Antragsteller, sämtliche vertreten durch Dr. Klaus Dengg, Mag. Stefan Geisler, Mag. Markus Gredler, Rechtsanwälte in Zell am Ziller, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 13. November 2009, GZ 53 R 93/09d, womit über Rekurs des Amtes der Tiroler Landesregierung der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am Ziller vom 7. August 2001, TZ 1910/01, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts wird als nichtig aufgehoben.

Der Rekurs des Amtes der Tiroler Landesregierung gegen die Entscheidung des Erstgerichts wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 7. 8. 2001 (Datum des Einlangens des verfahrensgegenständlichen Grundbuchsgesuchs) war Eigentümerin der EZ 93 Grundbuch ***** die Agrargemeinschaft L***** (im Weiteren: Agrargemeinschaft), die entsprechend BLNR 1b ua aus folgenden Stammsitzliegenschaften zu folgenden Anteilen bestand: „I***** in EZ 90064 mit 16,5“ und „K***** in EZ 90024 GB ***** mit 32,50 und 15,25“. Ein Agrarverfahren nach dem Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 (TFLG LGBl 1996/74) war nicht angemerkt. Ob EZ 90064 Grundbuch ***** im Eigentum des Josef G***** war zu A2-LNR 9a die Mitgliedschaft an der Agrargemeinschaft in EZ 93 mit 16,50 Anteilsrechten ersichtlich gemacht. Zu A2-LNR 6a war in EZ 90024 Grundbuch ***** (Miteigentümer die fünf Antragsteller) die Mitgliedschaft an der Agrargemeinschaft in EZ 93 mit 32,50 und 15,25 Anteilsrechten ersichtlich gemacht.

Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 7. 8. 2001 entsprechend des am selben Tag eingelangten Antrags ua aufgrund des Kaufvertrags vom 3. 3. 2001:

a. in EZ 93 die Einverleibung der Übertragung der 16,50 Anteilsrechte, verbunden mit der Stammsitzliegenschaft EZ 90064, auf die neue Stammsitzliegenschaft EZ 90024,

b. in EZ 90064 die Löschung der Ersichtlichmachung der mit dieser Liegenschaft verbundenen Mitgliedschaftsrechte an der Agrargemeinschaft in EZ 93 mit 16,50 Anteilsrechten und

c. in EZ 90024 im A2-Blatt die Eintragung der Ersichtlichmachung der nunmehr mit dieser Liegenschaft verbundenen Mitgliedschaftsrechte an der Agrargemeinschaft in EZ 93 mit weiteren 16,50 Anteilsrechten, sodass die Mitgliedschaft nunmehr mit insgesamt 64,25 Anteilsrechten ersichtlich ist.

Dieser dem Verkäufer, den Antragstellern (als Käufer), deren Vertreter, der Agrargemeinschaft, einer ob EZ 90064 Wohnungs- und Reallastberechtigten, der Gemeinde ***** und dem Finanzamt spätestens am 30. 8. 2001 zugestellte Beschluss wurde dem Amt der Tiroler Landesregierung (als für Tirol gemäß Agrarbehördengesetz 1948 LGBl 1948/32 eingesetzte Agrarbehörde) nicht übermittelt. Ein Rechtsmittel wurde (damals) nicht erhoben. Eine Bewilligung der Absonderung der Anteilsrechte durch die Agrarbehörde nach § 38 Abs 3 TFLG 1996 lag nicht vor.

Mit Schreiben vom 11. 9. 2009 ersuchte die Agrarbehörde um Zustellung des Beschlusses des Erstgerichts vom 7. 8. 2001, weil ihr erst am 8. 9. 2009 die Verbücherung des Kaufvertrags vom 3. 3. 2001 zur Kenntnis gelangt sei. Die daraufhin vom Erstgericht verfügte Zustellung erfolgte am 17. 9. 2009.

Am 24. 9. 2009 langte der von der Agrarbehörde verfasste Rekurs beim Erstgericht ein. Ihr werde von der Rechtsprechung (vgl ua 5 Ob 82/01x) ein Rekursrecht zwecks Einhaltung bundes- oder landesgesetzlicher Bestimmungen zugestanden. Mangels nach § 38 TFLG erforderlicher agrarbehördlicher Genehmigung der Absonderung eines Anteilsrechts hätte das Grundbuchsgesuch abgewiesen werden müssen.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel im Sinn einer Antragsabweisung Folge. Es bejahte die Rechtsmittellegitimation der Agrarbehörde, weil der Rekurs auf die Einhaltung bundes- und landesgesetzlicher Flurverfassungsbestimmungen abziele. Es erachtete den Rekurs auch als rechtzeitig. Eine Löschungsklage wäre gegen die Antragsteller zu richten, da sie unmittelbar durch die Grundbuchseintragung Rechte erworben hätten. Daher kämen nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs die Verjährungsbestimmungen des ABGB und damit die 30-jährige Verjährungsfrist zur Anwendung, die eingehalten worden sei. Die fehlende Genehmigung der Agrarbehörde erfordere die Abänderung des angefochtenen Beschlusses in eine Antragsabweisung. Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Rekursgericht mit 20.000 EUR (gemeint offenbar: 30.000 EUR [vgl RIS-Justiz RS0125732]) übersteigend. Die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses begründete es mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs JBl 1950, 186, wonach für den Rekurs nur die dreijährige Frist des § 64 GBG offen stehe.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsteller mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Zurückweisung des Rekurses, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben, schließlich hilfsweise den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die zweite Instanz zurückzuverweisen. Die Antragsteller bestreiten sowohl die Rechtsmittellegitimation der Agrarbehörde als auch die Rechtzeitigkeit deren Rekurses. Eine Zustellungspflicht an die Agrarbehörden sei außerhalb von Zusammenlegungs- und Regulierungsverfahren gesetzlich nicht vorgesehen, weshalb die Parteistellung und Rechtsmittellegitimation der Agrarbehörde zu verneinen sei. Es sei davon auszugehen, dass Buchberechtigte der Liegenschaft der Antragsteller, die ihre Rechte nach dem Zuerwerb der Agrargemeinschaftsanteile erworben hätten, im Vertrauen auf den Umfang des Grundbuchstands zu schützen seien. Die Rekursentscheidung würde die Personen, die darauf vertraut hätten, unzulässig beeinträchtigen, weshalb die kurze dreijährige Verjährungsfrist des § 64 GBG heranzuziehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt, weil das Rekursgericht die Frage des Beginns der Rechtsmittelfrist für die Agrarbehörde in korrekturbedürftiger Weise fehlbeurteilte.

1. Im Revisionsrekursverfahren ist unstrittig, dass der Erwerb der 16,50 Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft mit Kaufvertrag vom 3. 3. 2001 durch die Antragsteller wegen der damit verbundenen Absonderung von der Stammsitzliegenschaft EZ 90064 gemäß § 17 Abs 2 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 BGBl 103 (FlVfGG) und § 38 Abs 3 TFLG 1996 der Bewilligung der Agrarbehörde bedurft hätte (vgl RIS-Justiz RS0009131; RS0114863; RS0038497), jedoch eine solche fehlt.

Aus der Genehmigungspflicht des § 17 Abs 2 FlVfGG allein ist aber eine Verpflichtung zur Zustellung des Grundbuchsbeschlusses an die Agrarbehörde nicht abzuleiten. Sie ist auch sonst nicht im Gesetz angeordnet.

§ 45 Abs 3 FlVfGG und § 82 Abs 3 TFLG 1996 verpflichten das Grundbuchsgericht zwar (nach dem Wortlaut unbedingt: „sind“), sämtliche Entscheidungen mit Ausnahme der Rangordnungsbeschlüsse auch der Agrarbehörde zuzustellen. Diese Bestimmungen finden sich aber unter der Überschrift „Entscheidung der Agrarbehörde über die Zulässigkeit der Eintragung“ und stehen daher offenkundig in Zusammenhang mit der (weiteren) Verpflichtung der Grundbuchsgerichte nach § 43 FlVfGG und § 79 TFLG 1996, nach Einlangen der Mitteilung über die Einleitung von Agrarverfahren bis zu deren Abschluss (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) alle während dieses Zeitraums einlangenden sowie die schon vorher eingelangten, aber noch nicht erledigten Grundbuchsgesuche mit einem Beschlussentwurf der Agrarbehörde zu übermitteln; diese hat nach § 45 Abs 1 und 2 FlVfGG und § 82 Abs 1 und 2 TFLG 1996 für das Grundbuchsgericht bindend zu entscheiden, ob sie den Beschlussentwurf mit dem laufenden Agrarverfahren für vereinbar hält oder nicht. Die im unmittelbaren Anschluss daran (in § 45 Abs 3 FlVfGG und § 82 Abs 3 TFLG 1996) normierte Verpflichtung zur Zustellung betrifft daher nur die nach der Befassung der Agrarbehörde ergangenen, in einem agrarischen Verfahren verfangene Liegenschaften betreffenden Beschlüsse. Damit wird keine generelle, von der Einleitung eines Agrarverfahrens unabhängige Verpflichtung normiert, die Agrarbehörde von allen agrargemeinschaftliche Liegenschaften (§ 38 Abs 2 TFLG) betreffenden Grundbuchsbeschlüssen zu verständigen.

2. Kann aber der Rekurswerber seine Rekurslegitimation - allenfalls - nur auf (früher § 9 AußStrG 1854, nunmehr) § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG 2005 stützen, dann läuft für ihn keine eigene Rechtsmittelfrist, sondern er kann ein Rechtsmittel nur innerhalb der den Parteien offenstehenden Frist einbringen (RIS-Justiz RS0060727; Kodek in Kodek, Grundbuchsrecht § 123 GBG Rz 16). Das wurde auch für die Finanzprokuratur judiziert, wenn sie gemäß § 1 Abs 3 ProkuraturG aF (nunmehr: § 3 Abs 6 ProkG 2008) zum Schutz öffentlicher Interessen einschreitet (RIS-Justiz RS0006990; SZ 34/12 mwN; aA SZ 21/50 und 133; Rechberger/Bittner, Grundbuchsrecht2 Rz 284). Nichts anderes kann für die Agrarbehörde gelten, wenn sie die Einhaltung bundes- und landesgesetzlicher Bestimmungen, also öffentliche Interessen sichern will.

3. Der gegenteiligen Ansicht von Rechberger/Bittner (Grundbuchsrecht2 Rz 284) ist nicht zu folgen. Es ist anerkannt, dass Entscheidungen im Grundbuchsverfahren in (formelle) Rechtskraft erwachsen, wenn sie nicht weiter angefochten werden können, sei es, dass die letzte Instanz entschieden hat, sei es, dass ein weiteres Rechtsmittel wegen Ablaufs der Rechtsmittelfrist oder aus anderen Gründen (Rechtsmittelverzicht oder Rechtsmittelzurücknahme) nicht mehr in Betracht kommt; entscheidend ist die Zustellung an alle nach dem Grundbuchsstand zur Zeit der erstinstanzlichen Entscheidung Berechtigten (Kodek in Kodek aaO § 95 GBG Rz 42 f mwN; Rechberger/Bittner aaORz 274 f; 5 Ob 43/01m = NZ 2002/35; vgl auch 5 Ob 256/04i = NZ 2005/AGS 626 [zust Hoyer]; RIS-Justiz RS0041483 [T3]; RS0041511; RS0006784). Ist aber das Erstgericht seiner Pflicht zur Zustellung seines Bewilligungsbeschlusses vollständig nachgekommen, trat dessen (formelle) Rechtskraft mit Ablauf der Rechtsmittelfrist bereits im Jahr 2001 ein. Die Berücksichtigung eines nach Eintritt der Rechtskraft erhobenen Rekurses würde eine Einschränkung der bereits eingetretenen Rechtskraft zu Lasten der Rechtssicherheit bedeuten, die sowohl dem GBG als auch dem AußStrG fremd ist (vgl zur Finanzprokuratur: SZ 30/73; SZ 34/121 und SZ 49/58 je mwN). Vielmehr nimmt auch die gesetzliche Regelung des § 46 Abs 2 AußStrG, wonach für nicht aktenkundige Parteien die Rekursfrist an die den aktenkundigen Parteien offen stehende Rekursfrist geknüpft ist, im Interesse der Rechtssicherheit Beschränkungen des Rechtsschutzes Dritter in Kauf (Kodek in Kodek aaO § 123 GBG Rz 17).

4. Der erst 2008 eingebrachte Rekurs der Agrarbehörde erweist sich daher als verspätet und kann im Grundbuchsverfahren generell nicht berücksichtigt werden (RIS-Justiz RS0124683). Die sachliche Erledigung eines verspäteten Rekurses begründet wegen Verstoßes gegen die Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses Nichtigkeit; dies muss zur Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung als nichtig sowie zur Zurückweisung des an die zweite Instanz gerichteten Rekurses führen (vgl § 71 Abs 4 iVm § 56 AußStrG; RIS Justiz RS0122081).

5. Die Antragsteller haben die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen (RIS-Justiz RS0035961 [T5 und T6]), weil der vorliegende Fall wegen seiner besonderen Ausgestaltung keinen Anlass bietet, von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abzugehen.

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