OGH 7Ob232/09g

OGH7Ob232/09g30.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH & Co, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Mandl GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei R***** reg.Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, wegen 74.228,16 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. September 2009, GZ 2 R 177/09k-10, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 15. Mai 2009, GZ 59 Cg 16/09t-6, über Berufung der klagenden Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.063,88 EUR (darin enthalten 343,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hat am 12. Mai 2006 zugunsten der Klägerin eine Bankgarantie über den Höchstbetrag von 94.266 EUR ausgestellt, die die Leistung der Beklagten „ohne Prüfung des Rechtsgrundes und unter Verzicht auf alle Einwendungen innerhalb von 3 Tagen nach Erhalt Ihrer ersten diesbezüglichen schriftlichen Aufforderung, sowie der Original-Bankgarantie“ vorsah. Weiters heißt es in der Garantieerklärung unter anderem: „Bereits geleistete Teilzahlungen reduzieren den garantierten Höchstbetrag. ... Diese Garantie erlischt durch Rückstellung dieser Bankgarantie, unabhängig davon aber am 16. 11. 2008. Ihre schriftliche Zahlungsaufforderung, sowie die Original-Bankgarantie müssen innerhalb der Dauer dieser Haftung bei uns eingelangt sein.“ Zwischen den Streitteilen fanden keine Verhandlungen über den Inhalt der Bankgarantie statt.

Die Bankgarantie ging der Klägerin am 12. Mai 2006 zu. Sie wurde mit Schreiben vom 23. Oktober 2008, dem nur die Fotokopie der Bankgarantie beigeschlossen war, abgerufen. Das Schreiben enthielt die Meldung des Verlusts der Original-Bankgarantie. Die Beklagte hat das Original der Bankgarantie zu keinem Zeitpunkt von der Klägerin erhalten.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus der Nichtzahlung des abgeforderten Teilbetrags von 74.228,16 EUR in Anspruch. Dem Abrufungsschreiben vom 23. Oktober 2008 sei das Original der Bankgarantie nicht beigeschlossen gewesen, da es mit einem früheren Abrufungsschreiben vom 19. September 2008, das abgesendet worden sei, am Postweg in Verlust geraten sei; die Klägerin habe in letzterem Abrufungssschreiben den Verlust gemeldet und erklärt, auf ihre Rechte aus der Bankgarantie nicht zu verzichten.

Die Beklagte lehnt die Zahlung mit der Begründung ab, es sei ihr bis zum Erlöschen der Garantie das Original der Bankgarantie nicht vorgelegt worden.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging vom eingangs dargestellten Sachverhalt aus. Es konnte nicht feststellen, dass die Original-Bankgarantie samt einem Schreiben der Klägerin vor dem 23. Oktober 2008 am Postweg verloren gegangen ist. Zu seiner rechtlichen Beurteilung berief sich das Erstgericht auf die formelle Garantiestrenge. Der Zweck der vorgesehenen Vorlage der Originalurkunde liege in der eindeutigen Überprüfbarkeit der Garantiebedingungen und damit der Gewährleistung der Rechtssicherheit, weshalb auch eine Auslegung gemäß §§ 914 f ABGB für ein Festhalten an der formellen Garantiestrenge spreche. Da der Klägerin der Nachweis der Postaufgabe eines Abrufungsschreibens samt der Original-Bankgarantie nicht gelungen sei, habe sich die Klägerin den allfälligen Verlust des Originals zurechnen zu lassen. Es fehle daher an einem unbeeinflussbaren, von außen einwirkenden Ereignis, das einen schwerwiegenden Grund darstellen könnte, ein Abweichen vom Wortlaut zu rechtfertigen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Der von der Klägerin im Rahmen ihrer Argumentation angeführten Entscheidung 1 Ob 206/05h liege ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die Revision sei nicht zulässig, weil der umfangreichen Judikatur zur formellen Garantiestrenge entsprochen worden sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die deren Zulässigkeit mit fehlender Rechtsprechung zum Verlust der Originalgarantieurkunde und mit dem Abweichen von der höchstgerichtlichen Judikatur, dass ungeachtet der formellen Garantiestrenge eine Auslegung der Bankgarantie nach §§ 914 f ABGB geboten sei, begründet wurde. In der Ausführung der Revision macht die Klägerin geltend, dass der Nachweis, sie sei die Begünstigte, auch mit der Kopie der Bankgarantie erbracht worden sei. Es sei zwischen den Streitteilen nicht gewollt gewesen, dass der Anspruch der Klägerin aus der Garantie erlösche, wenn die Original-Bankgarantie verloren gehe. Sinn der Regelung über die Rückstellung des Originals sei, dass die Garantie nicht ein zweites Mal abgerufen werde; diese Gefahr sei jedoch hier nicht gegeben, weil ohnehin nahezu der gesamte Garantiebetrag abgerufen worden und auch durch die Kopie die ausschließliche Begünstigung der Klägerin nachgewiesen sei.

Die Beklagte machte von der ihr freigestellten Möglichkeit Gebrauch, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zu den Folgen des Verlusts der beim Abruf vorzulegenden Original-Bankgarantie fehlt; sie ist jedoch aus folgenden Gründen nicht berechtigt:

1.1. Die Vorinstanzen sind den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Inanspruchnahme einer Bankgarantie gefolgt. Danach muss der Garant zur Sicherung seiner Rückgriffsansprüche vom Begünstigten die strikte, „pedantisch genaue“ Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen verlangen („formelle Garantiestrenge“; RIS-Justiz RS0016983; RS0016999; RS0016946; vgl auch RS0017005). Entspricht ein bei der Inanspruchnahme der Garantie vorzulegendes Dokument nicht dem in der Garantieurkunde vorgeschriebenen Inhalt, dann liegt keine formgerechte Inanspruchnahme vor, und der Garant kann die im Garantievertrag verbriefte Leistung ablehnen (RIS-Justiz RS0017013 [T5] = 1 Ob 160/02i mwN = ÖBA 2003, 541). Auch die im Rahmen eines Garantievertrags abgegebenen Erklärungen des Garanten unterliegen allerdings den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB. Dabei ist auf die konkreten Umstände, insbesondere auf den Geschäftszweck und die Interessenlage der Beteiligten, Bedacht zu nehmen. Die formelle Garantiestrenge ist in diesem Zusammenhang „kein Selbstzweck“, sondern gilt nur soweit, als das dem Willen der Vertragsparteien entspricht (RIS-Justiz RS0033002; RS0017670).

1.2. Zur Interessenabwägung wurde in der Entscheidung 4 Ob 149/06z mwN (= ecolex 2007/141 S 342 [Fössl/Kurat] = SZ 2006/168) danach unterschieden, ob die Auszahlung der Garantie allein von einer Erklärung des Begünstigten oder von „externen“, oft mit dem Grundverhältnis verketteten Umständen abhängt, zum Beispiel wenn sich der Sachverhalt unvorhergesehen entwickelt hat oder wenn Urkunden vorzulegen waren, deren Inhalt der Begünstigte nicht beeinflussen konnte. In diesen Fällen könne tatsächlich das Interesse des Begünstigten am Abweichen vom Wortlaut schwerer wiegen als jenes der Garantin an einer „pedantischen Erfüllung“ der Garantiebedingungen; „Wortklauberei“ entspreche dann nicht der Absicht redlicher Parteien (§ 914 ABGB). Die Interessenlage sei aber deutlich anders, wenn die Auszahlung nur von einer Erklärung des Begünstigten abhänge. Denn in diesem Fall sei nicht ersichtlich, warum er ein (legitimes) Interesse daran haben solle, etwas anderes zu erklären als in der Bankgarantie vorgesehen. Umgekehrt bleibe für die Garantin die Gefahr bestehen, durch Akzeptieren eines Abweichens vom Wortlaut in einen Streit mit ihrem Auftraggeber zu geraten. Das spreche dafür, in solchen Fällen bei der vollen Garantiestrenge zu bleiben, weil es im Regelfall kaum „handfeste Gründe“ geben werde, vom Erfordernis der „pedantischen“ Einhaltung des Wortlauts abzugehen.

Hängt also die Auszahlung der Bankgarantie nur von einer Erklärung des Begünstigten ab, so gilt die formelle Garantiestrenge uneingeschränkt und der Begünstigte hat die Anspruchsvoraussetzungen pedantisch genau zu erfüllen (RIS-Justiz RS0121551).

1.3. Diese Überlegungen lassen sich dahin erweitern, dass die formelle Garantiestrenge nach entsprechender Interessenabwägung zugunsten des Begünstigten dann nicht uneingeschränkt gilt, wenn die exakte Erfüllung der Garantiebedingungen an Umständen scheitert, die vom Begünstigten weder beeinflusst wurden noch zu beeinflussen waren, wenn die Hindernisse also nicht seiner Sphäre zuzurechnen sind. Trifft letzteres hingegen zu, hat der Begünstigte die Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich pedantisch genau zu erfüllen.

2. Die in der Garantieerklärung verlangte Vorlage der Original-Bankgarantie stellt hier das einzige beim rechtzeitigen Abruf der Garantie von der Begünstigten zu erfüllende Erfordernis dar. Da unstrittig ist, dass das Original der Bankgarantie der Klägerin ursprünglich zugegangen war, bildet dessen Vorlage beim Abruf grundsätzlich keinen externen, für die Begünstigte unbeeinflussbaren Umstand. Der Nachweis, dass die Originalurkunde - wie von der Klägerin behauptet - am Postweg, also außerhalb ihrer Sphäre und ihres Einflussbereichs in Verlust geraten ist, gelang ihr angesichts der dazu getroffenen Negativfeststellung nicht. Für diesen für sie günstigen Umstand trifft aber die Klägerin die Beweislast (RIS-Justiz RS0037797; RS0106638; RS0109832), weshalb diese Unklarheit über den Grund des Verschwindens zu ihren Lasten geht und das Unterbleiben der Vorlage der Original-Bankgarantie der Sphäre der Klägerin zuzuordnen ist. Deshalb haben die Vorinstanzen zutreffend von ihr die pedantisch genaue Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, also die Vorlage des Originals der Bankgarantie verlangt.

3. Es ist beiden Vorinstanzen auch dahin beizupflichten, dass bei der vorliegenden Konstellation das Bestehen eines zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigenden schwerwiegenden („handfesten“ [4 Ob 149/06z mwN]) Grundes, der ein Abweichen vom Wortlaut der Garantie rechtfertigen könnte, zu verneinen ist.

Angesichts der ungeklärten, eine Sorglosigkeit der Klägerin nahelegenden Umstände des Verschwindens der Original-Bankgarantie ist ihr nämlich ein legitimes Interesse am Abgehen vom klaren und grundsätzlich leicht zu erfüllenden Wortlaut der Garantieerklärung abzusprechen. Keinesfalls überwiegt ihr (wirtschaftliches) Interesse daran das Gewicht des - von der Klägerin ohnehin anerkannten - Interesses der Beklagten an Rechtssicherheit nicht nur gegenüber dem Begünstigten, sondern auch gegenüber dem Garantieauftraggeber. Beim Ablauf der Zahlungsfrist von 3 Tagen nach dem Abruf der Bankgarantie mag zwar eine neuerliche Inanspruchnahme unter Vorlage des Originals wenig wahrscheinlich erschienen sein, dennoch konnte die Beklagte ein solches Szenario schon deshalb nicht gänzlich ausschließen, weil der Verbleib und die aufrechte Existenz der Original-Bankgarantie damals jedenfalls für sie unklar waren. Überdies würde die Bejahung der Zahlungspflicht der Beklagten auferlegen, das Abweichen vom unzweifelhaften Wortlaut ihrem Auftraggeber plausibel machen zu müssen, um eine (gerichtliche) Inanspruchnahme durch diesen zu vermeiden. Weil hier das Unterbleiben der Vorlage der Original-Bankgarantie ausschließlich der Sphäre der Klägerin zuzuordnen ist, wäre eine Belastung der beklagten Garantiegeberin mit diesen Risken und möglichen Schwierigkeiten unzumutbar und ist deshalb abzulehnen.

Da die Klägerin die Garantiebedingung der Vorlage der Original-Bankgarantie nicht erfüllte und damit keine formgerechte Inanspruchnahme vornahm, hat die Beklagte die im Garantievertrag verbriefte Leistung zu Recht und ohne dass ihr bloße „Wortklauberei“ vorgeworfen werden könnte, abgelehnt. Daher haben die Vorinstanzen die Klage zutreffend abgewiesen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die unterlegene Klägerin hat der Beklagten die richtig verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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