OGH 7Ob7/10w

OGH7Ob7/10w17.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei H***** F*****, vertreten durch Dr. Michael Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte und widerklagende Partei P***** F*****, vertreten durch Dr. Christian Kurz und Mag. Johannes Götsch, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der Klägerin und Widerbeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2009, GZ 4 R 347/09x-76, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 3. Juni 2009, GZ 4 C 67/08f-70, in seinem Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das (hinsichtlich des Auflösungsausspruchs in Rechtskraft erwachsene) Urteil des Erstgerichts hinsichtlich des Verschuldensausspruchs und der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Beklagte und Widerkläger ist zum Ersatz der Hälfte der Pauschalgebühr dritter Instanz, von deren Entrichtung die Verfahrenshilfe genießende Klägerin und Widerbeklagte vorläufig befreit ist, verpflichtet.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden Klägerin) begehrte die Scheidung der am 28. 5. 1977 geschlossenen Ehe der Parteien, der zwei bereits erwachsene Kinder entstammen, aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten und Widerklägers (im Folgenden Beklagter). Dieser habe längere Zeit hindurch mit B***** S***** ein ehewidriges Verhältnis unterhalten und sei am 5. 8. 2005 aus der Ehewohnung ausgezogen. Weiters habe der Beklagte seit geraumer Zeit seine eheliche Beistandspflicht massiv verletzt. Er habe ihr bei Operationen und Krankenhausaufenthalten in den Jahren 2001, 2004 und 2005 nicht beigestanden und habe sie jeweils weder ins Krankenhaus gebracht noch sie dort besucht. Die ganze Ehe lang sei sie vom Beklagten getreten, geohrfeigt und erniedrigt worden. Am Muttertag des Jahres 2004 habe er ihr mitgeteilt, dass er schwul sei. Im November 2006 habe sie erfahren, dass der Beklagte mit anderen Männern Zungenküsse ausgetauscht und diese Männer auch unsittlich berührt habe. Schließlich habe der Beklagte während aufrechter Ehe Vermögen verschleudert, indem er seine Geschäftsanteile an einer gut florierenden Firma um 1 EUR verkauft habe.

Der Beklagte bestritt dieses Vorbringen. Mit Widerklage begehrte er seinerseits die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Klägerin. Diese sei auf alle Personen, mit denen er sich beruflich und in seiner Freizeit abgegeben habe, eifersüchtig gewesen. Diese Eifersüchteleien hätten die Ehe dermaßen belastet, dass sie in Verbindung mit Wutanfällen und Gewaltausbrüchen der Klägerin zur völligen Zerrüttung geführt hätten. Im Dezember 2005 habe die Klägerin versucht, den Inhalt eines Wertpapierdepots, das Vermögenswerte aus einer ihm zugefallenen Erbschaft enthalten habe, ohne sein Wissen und seine Zustimmung zu entnehmen. Ab etwa September 2005 habe ihn die Klägerin immer wieder aus der Wohnung ausgesperrt; er habe deshalb zahlreiche Male bei Freunden oder seiner Mutter nächtigen müssen. Ab Mai 2005 habe sich die Klägerin geweigert, ihm Essen zuzubereiten, wenn er zu Mittag nach Hause gekommen sei. Sie sei auch oftmals erst nach 20:00 Uhr abends nach Hause gekommen, ohne ihm mitzuteilen, wo sie sich aufgehalten habe. Aus der ehelichen Wohnung sei er erst im Oktober 2005 ausgezogen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus gleichteiligem Verschulden der Streitteile. Es ging von folgenden Feststellungen aus:

Bereits im Jahr 1981 brachte der Beklagte eine Ehescheidungsklage ein, die er jedoch wieder zurückzog. Die Ehegatten versöhnten sich. Schon damals kam es zu Tätlichkeiten zwischen den Streitteilen, die zu einer Verletzung der Klägerin führten. Diese zeigte sich im Lauf der Ehe extrem eifersüchtig, was sich mit den Jahren steigerte und darin äußerte, dass sie dem Beklagten immer wieder Verhältnisse zu anderen Frauen vorwarf. Sie beschimpfte ihn dabei übel mit den Wörtern „Arschloch“, „blöde Sau“ udgl. Sie ging auch randalierend auf den Beklagten los, was zu einem Gerangel zwischen den Streitteilen führte. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte körperliche Angriffe setzte; es handelte sich vielmehr um gegenseitige körperliche Attacken. Die Klägerin konnte überhaupt nicht damit leben, dass der Beklagte eine normale Beziehung zu seinen Eltern pflegte, diese besuchte und Kontakt zu ihnen hatte. Die Klägerin beschimpfte ihre Schwiegereltern als „Großtuer“, warf ihnen vor, „die Kinder zu kaufen“ und betitelte den Beklagten als „Muttersöhnchen“ und seinen Vater als „Knastbruder“. Sie zeigte auch ihr Missfallen dem Beklagten gegenüber, als dieser im Sommer 2005 seinen Vater wie üblich einmal in der Woche besuchen wollte und warf ihm vor, dass er lieber zum Vater gehe, als mit ihr Sex zu haben. Sie beschimpfte den Beklagten auch, als er anlässlich einer beruflichen Fahrt nach Bozen seine Eltern mitnahm. Darüber hinaus verdrehte sie Aussagen der Schwiegermutter in die Richtung, dass der Beklagte ein Verhältnis mit der eigenen Mutter hätte. Bei den Vorwürfen steigerte die Klägerin auch ihren Tonfall und die Art der Beschimpfungen und ließ immer wieder auch Gewaltausbrüche folgen.

Ab Mai 2005 begann die Klägerin mittags nicht mehr für den Beklagten zu kochen, ging abends aus und kam spät heim. Im Juni 2005 warf die Klägerin anlässlich einer Auseinandersetzung dem Beklagten einen vollen Ramabecher an den Bauch, den dieser wieder zurückwarf. Im Juli 2005 kam es wieder zu Auseinandersetzungen, da die Klägerin Kreislaufprobleme hatte und ihr der Beklagte über ihren Wunsch zwar den Enkel eine gewisse Zeit abnahm, dann aber seinen Vater im Pflegeheim besuchen wollte, was der Klägerin nicht recht war. Im Sommer 2005 forderte die Klägerin den Beklagten, der am Balkon stand, schreiend auf, er solle hinunterspringen, dann bekäme sie wenigstens die Lebensversicherung.

Ab Juli 2005 wurde von den Streitteilen endgültig kein Eheleben mehr geführt. Es gab auch keine geschlechtliche Beziehung mehr. Der Beklagte kam zunehmend später und öfter auch gar nicht nach Hause. Dies teilweise auch deshalb, weil die Klägerin die Schlüssel im Schloss schräg stecken ließ, sodass der Beklagte nicht mehr in die Wohnung kommen konnte. Insgesamt wurde er zirka 15 Mal in dieser Form ausgesperrt; manchmal gelang es ihm nach längeren Versuchen, doch in die Wohnung hineinzukommen.

Ab Oktober 2005 erklärte der Beklagte der Klägerin, dass sie für ihn keine Wäsche mehr zu waschen brauche. Er betrat die Wohnung nur mehr manchmal untertags, um Wäsche zu waschen, aufzuhängen und mitzunehmen. Im August war der Beklagte an einem Tag oder eine Nacht lang nicht zu Hause, im September vier Nächte und im Oktober fünf Nächte; im November war er den ganzen Monat nicht mehr zu Hause. Er erklärte der Klägerin nicht, ob er nunmehr ausgezogen sei; untertags betrat er die Wohnung auch immer wieder. Er nächtigte ab Oktober abwechselnd bei seiner Mutter und auch bei seinem Bekannten W***** M*****, der mit seiner Schwester B***** S*****, nunmehr verehelichte M*****, in Wohngemeinschaft lebte. Der Beklagte lernte die Genannte im Herbst 2005 kennen, da er Gast in dem Lokal war, in dem sie als Kellnerin arbeitete. Die Klägerin, die dem Beklagten ab Dezember 2005 nachstellte, entdeckte ihn am 22. 1. 2006 in einem Lokal. Er saß neben B***** S*****, die den Arm um ihn gelegt hatte. Als die beiden gemeinsam nach Hause gingen, folgte ihnen die Klägerin bis ins Stiegenhaus nach. Sie schlug dem Beklagten einen Fotoapparat an den Kopf, schlug wie wild auf ihn und B***** S***** ein, sodass die beiden abwechselnd zu Boden gingen. Die Klägerin schrie dabei selbst um Hilfe, obwohl der Beklagte keine Tätlichkeiten beging. Die Klägerin machte bei diesem Vorfall Fotos, die sie am Anschlagbrett des ehelichen Wohnhauses aufhängte. Darunter schrieb sie „Wohnt jetzt nicht mehr hier“. Am 20. 1. 2006 brachte die Klägerin ein Zusatzschloss an der Türe der ehelichen Wohnung an und übergab dem Beklagten dazu keinen Schlüssel.

Aufgrund eines Vorfalls am 16. 1. 2006 wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck gegen den Beklagten eine Wegweisung ausgesprochen. Diese Maßnahme wurde über Widerspruch des Beklagten wieder aufgehoben. Dazu wurden in diesem Verfahren folgende Feststellungen getroffen: „Zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner kam es in den letzten Jahren wiederholt zu körperlichen Angriffen, wobei nicht als bescheinigt angesehen werden kann, dass jeweils der Antragsgegner die Angriffe gesetzt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei diesen körperlichen Angriffen jeweils um gegenseitige körperliche Attacken handelte. Am 16. 1. 2006 kam der Antragsgegner wiederum in die eheliche Wohnung und packte Gegenstände in seine Sporttasche. Nachdem er auf Ersuchen der Antragstellerin ihr nicht mitteilte, was er eingepackt hatte, wollte diese Nachschau halten. Der Antragsgegner wollte jedoch seine Tasche an sich nehmen und mit dieser gehen; die Antragstellerin ließ die Tasche aber nicht los, sodass es im Zusammenhang mit der Sporttasche zu einem Gerangel zwischen den Beteiligten kam. Im Zuge dieses Gerangels stieß die Antragstellerin gegen den Türstock und wurden ihr die Finger verbogen. Nachdem der Antragsgegner die Sporttasche wieder in seiner Gewalt hatte, verließ er die Wohnung. Die Antragstellerin erstattete keine Anzeige bei der Polizei.“

Am 4. 1. 2006 hatte die Klägerin versucht, ein Wertpapierdepot, das Beträge aus einer Erbschaft der Tante des Beklagten enthielt, aufzulösen oder Beträge abzuheben. Sie war als Depotinhaberin geführt. Intern hatten die Streitteile vereinbart, dass die Klägerin für den Fall, dass dem Beklagten etwas zustoßen sollte, darauf zugreifen können sollte. Die Klägerin stimmte der Auflösung ihrer Verfügungsberechtigung nicht zu, sodass dem Beklagten ein erheblicher Schaden entstand. Noch bis Jänner 2006 hatte die Klägerin Zugriff zum gemeinsamen Konto, auf dem auch die Lohneinkünfte des Beklagten eingingen. Von diesem Konto wurden automatisch die Fixkosten, Betriebskosten und Wohnungskosten abgebucht. Die Klägerin besaß eine Bankomatkarte, mit der sie Behebungen durchführte und die Versorgung der Familie allein noch von Oktober bis Jänner 2006 bewerkstelligte.

Die Klägerin ist seit Frühjahr 2006 mit G***** U***** befreundet und begann auch, mit dessen Mithilfe dem Beklagten nachzustellen. Dabei versuchte U***** den Beklagten zu provozieren, was ihm jedoch nicht gelang. Ende 2006/Anfang 2007 küsste der Beklagte in Lokalen andere Frauen. Seine „derzeitige“ Freundin lernte er im Oktober 2007 kennen. Als „Antwort“ auf das Nachstellen durch die Klägerin tauschte der Beklagte im November 2006 in einer Bar mit einem Freund Küsse aus und umarmte ihn, um sich einen Spaß daraus zu machen, weil sich die Klägerin ebenfalls im Lokal befand.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beklagte in den Jahren 2002, 2003 und 2004 die Klägerin bei Krankenhausaufenthalten und Operationen im Stich gelassen hätte. Ebenfalls nicht festgestellt werden konnte, dass der Beklagte die Klägerin in den Jahren 2003 und 2004 in der Öffentlichkeit heruntergemacht, ihr „Fotzen“ und Schläge angedroht und am Muttertag 2004 mitgeteilt hätte, dass er schwul sei. Der Beklagte zeigte sich auch selbst immer wieder eifersüchtig bei gemeinsam besuchten Tanzveranstaltungen oder wenn sich die Klägerin in seinen Augen mit Freunden und Bekannten „zu gut“ unterhielt. Er zog die Klägerin dann zu sich her und sagte „Du brauchst mit niemandem zu tanzen“. Er brachte die Klägerin durch sein Verhalten öfters in peinliche Situationen. Jedenfalls vor dem 23. 11. 2006, ein genaueres Datum ist nicht feststellbar, veräußerte der Beklagte seinen Geschäftsanteil an einem Unternehmen an seinen Mitgesellschafter um den Preis von 1 EUR, was jedenfalls nicht dem Mindestwert des Geschäftsanteils entsprach und damit eine Verschleuderung von Vermögen darstellte.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesen Sachverhaltsfeststellungen, dass die Ehe der Streitteile aus deren gleichteiligem Verschulden unheilbar zerrüttet sei. Die tiefgreifende Zerrüttung der Ehe im Sinn des § 49 EheG sei objektiv gesehen Ende 2005/Anfang 2006 eingetreten. Der Klägerin sei als Fehlverhalten ihre Eifersucht, verbunden mit Beschimpfungen und der Neigung zu Gewaltausbrüchen sowie das teilweise Aussperren des Beklagten, vorzuwerfen. Diesem sei wiederum als Verschulden anzulasten, dass er Bereitschaft gezeigt habe, an Gewalttätigkeiten teilzunehmen und nicht nach Hause gekommen sei, ohne dezidiert seinen Auszug aus der ehelichen Wohnung bekanntzugeben. Zudem sei sein Verhältnis zu B***** S*****, auch wenn kein Ehebruch nachgewiesen habe werden können, eindeutig als ehewidrig zu beurteilen. Das jeweilige Verschulden sei gleich gewichtig. Es sei auch noch das Verhalten nach Einbringung der Ehescheidungsklage zu berücksichtigen, wobei sich auch dieses die Waage halte. Beide Streitteile seien neue Beziehungen eingegangen, die Klägerin habe versucht, an das Geld des Beklagten heranzukommen, dieser habe sie mit seinem Verhalten provoziert.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte den Verschuldensausspruch dahin ab, dass die Klägerin das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Das Berufungsgericht erachtete die Feststellungs- und Beweisrügen beider Parteien als nicht berechtigt. Es beurteilte den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses der Streitteile objektiv gesehen mit Juli 2005, spätestens jedoch Ende Oktober 2005 eingetreten sei. Die Zerrüttung sei ausschließlich auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen gewesen. Diese habe sich im Laufe der Ehe extrem eifersüchtig gezeigt, habe dem Beklagten immer wieder Verhältnisse zu anderen Frauen vorgeworfen, ihn beschimpft und ihn auch körperlich attackiert. Auch wenn sich der Beklagte gegen derartige Attacken ebenfalls zur Wehr gesetzt habe, seien diese doch stets von der Klägerin ausgegangen. Diese habe überhaupt nicht damit leben können, dass der Beklagte eine von Art und Ausmaß her normale Beziehung zu seinen Eltern gepflegt habe. Demgegenüber habe der Beklagte bis zum Sommer 2005 keine Gründe gesetzt, die zur Zerrüttung der Ehe zusätzlich beigetragen hätten. Er habe sich zwar ebenso wie die Klägerin immer wieder eifersüchtig bei gemeinsamen Tanzveranstaltungen gezeigt. Dies trete aber gegenüber den seitens der Klägerin dokumentierten Eheverfehlungen vollkommen in den Hintergrund. Auch dass der Beklagte seine Anwesenheit in der ehelichen Wohnung ab August 2005 reduziert habe, könne ihm nicht als Verschulden zugerechnet werden, da er von der Klägerin öfters ausgesperrt worden sei. Zum Zeitpunkt der Verschleuderung von Vermögen durch den Beklagten sei die Ehe bereits vollkommen zerrüttet gewesen. Dafür, dass der Beklagte mit B***** S***** eine außereheliche, sexuelle Beziehung gepflegt habe und es zum Austausch von Küssen und Zärtlichkeiten zwischen ihm und dieser gekommen sei, fehlten konkrete, objektivierbare Beweisergebnisse. Nach der eingetretenen Zerrüttung der Ehe habe lediglich noch der Versuch der Klägerin, vereinbarungswidrig das Wertpapierdepot aufzulösen, in die bereits zerrüttete Ehe eingegriffen, sodass sich die Zerrüttung weiter vertieft habe. Alle weiteren nach der Zerrüttung stattgefundenen Eheverfehlungen der Streitteile hätten keine zusätzliche, auf das Verschulden an der Ehescheidung Einfluss nehmende Kluft zwischen den Eheleuten mehr schaffen können. Insoweit hätten diese Umstände außer Betracht zu bleiben; auch wiege sich das jeweilige Verhalten der Streitteile nach Einbringung der Ehescheidungsklage am 9. 2. 2006 gegenseitig auf.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Entscheidung im Wesentlichen von nicht revisiblen Tatfragen abhängig sei und sich das Berufungsgericht in Bezug auf die Verschuldensfrage an oberstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren habe können.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil als nichtig oder mangelhaft aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungs- oder das Erstgericht zurückzuverweisen. In eventu möge der Verschuldensausspruch dahin abgeändert werden, dass die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten, hilfsweise aus dem gleichteiligen Verschulden beider Parteien, erfolge.

Der Beklage beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das außerordentliche Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin als unzulässig zurück- oder als unbegründet abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, da dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist, zulässig und im Sinn einer Wiederherstellung des Verschuldensausspruchs des Erstgerichts auch berechtigt.

Keine Berechtigung kommt allerdings dem von der Revisionswerberin erhobenen Einwand der Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zu. Diese Revisionsgründe sieht die Klägerin dadurch verwirklicht, dass das Berufungsgericht ohne eigene Beweisaufnahme von der erstgerichtlichen Feststellung betreffend den Zerrüttungszeitpunkt abgewichen sei und anders als das Erstgericht angenommen habe, dass der Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt keine Gründe gesetzt habe, die zur Zerrüttung der Ehe zusätzlich beigetragen hätten. Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe dadurch den Unmittelbarkeitsgrundsatz und das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt, verkennt, dass die Frage, ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, auch nach objektiven Maßstäben zu beurteilen ist. Insofern betrifft die Frage der unheilbaren Zerrüttung der Ehe keine tatsächliche Feststellung, sondern gehört in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0043423). Ebenso ist die Frage, ob und inwieweit das Verhalten eines der Ehepartner zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hat, auch rechtlicher Natur. Demnach liegen die behaupteten Verfahrensverstöße nicht vor. Vielmehr ist zu untersuchen, ob dem Berufungsgericht insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen ist, der zu einer unrichtigen Beurteilung der Frage des Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe der Streitteile geführt hat. Dies ist aus folgenden Gründen zu bejahen:

Zwar steht fest, dass ab Juli 2005 von den Streitteilen endgültig kein Eheleben mehr geführt wurde und es insbesondere auch keine geschlechtliche Beziehung mehr gab. Gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Zerrüttung der Ehe sei objektiv gesehen mit Juli 2005, spätestens jedoch Ende Oktober 2005 eingetreten, bestehen daher keine Bedenken. Eheverfehlungen, die nach der Zerrüttung der Ehe gesetzt werden, haben bei der Verschuldensabwägung kein entscheidendes Gewicht, es sei denn, dass der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung diese Eheverfehlung noch als zerrüttend empfinden durfte oder eine Vertiefung der Zerrüttung durch die Verfehlung nicht ausgeschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0057338; RS0056921; RS0056939). Eine unheilbare Ehezerrüttung im Sinn des § 49 EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS-Justitz RS0056832; RS0043423). Die Frage, wann die unheilbare Zerrüttung der Ehe eintrat, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (3 Ob 146/03x). Im vorliegenden Fall hat auch das Berufungsgericht nicht angenommen, dass die Ehe bereits im Oktober 2005 tatsächlich unheilbar zerrüttet gewesen sei; es ist nämlich davon ausgegangen, dass die Zerrüttung auch noch durch den am 4. 1. 2006 unternommenen Versuch der Klägerin, das Wertpapierdepot vereinbarungswidrig aufzulösen, noch weiter vertieft wurde. Damit stimmt das Berufungsgericht aber im Ergebnis ohnehin mit der Rechtsansicht des Erstgerichts überein, das den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe erst Anfang 2006 angenommen hat.

Berechtigt ist auch die Kritik der Revisionswerberin an der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, zur Zerrüttung der Ehe habe ausschließlich sie und nicht auch der Beklagte beigetragen. Nach den vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht gebilligten Sachverhaltsfeststellungen war der Beklagte stets an „gegenseitigen körperlichen Attacken“ beteiligt. Die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang getroffene negative Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass (nur) er körperliche Angriffe setzte, lässt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts offen, wer - die Klägerin oder auch der Beklagte - jeweils mit körperlichen Attacken begann, mögen auch Eifersuchtsvorwürfe der Klägerin jeweils der Auslöser der zunächst verbalen Auseinandersetzungen gewesen sein. Auch im Verfahren zur Wegweisung des Beklagten vor dem Bezirksgericht Innsbruck wurde als bescheinigt angenommen, dass es sich bei den betreffenden körperlichen Angriffen jeweils um gegenseitige körperliche Attacken handelte und die Klägerin im Zuge eines solchen Gerangels zwischen den Streitteilen verletzt wurde. Weiters steht fest, dass der Beklagte ab Mai 2005 zunehmend später und öfters auch gar nicht mehr nach Hause kam. Dass er in der Folge von der Klägerin auch „teilweise“ ausgesperrt wurde, ändert nichts daran, dass demnach auch der Beklagte ein lieb- und interesseloses Verhalten dem Ehepartner gegenüber an den Tag legte, das geeignet war, zur Zerrüttung der Ehe, die - wie ausgeführt - erst Anfang 2006 eine unheilbare wurde, beizutragen. Insbesondere ist auch die Ansicht des Erstgerichts, das Verhältnis des Beklagten zu B***** S***** sei, auch wenn kein Ehebruch nachgewiesen habe werden können, eindeutig als ehewidrig zu beurteilen und habe zu einer Vertiefung der Zerrüttung geführt und deren Endgültigkeit herbeigeführt, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zu teilen. Anders ist das detailliert festgestellte Verhalten der Klägerin nach Entdeckung der Beziehung des Beklagten zu B***** S***** beim Vorfall im Stiegenhaus nicht zu erklären. Für die Frage eines Beitrags des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe nicht außer Acht gelassen werden kann schließlich auch der Umstand, dass (auch) der Beklagte auf die Klägerin offenbar grundlos eifersüchtig war und sie daher bei Tanzveranstaltungen in peinliche Situationen brachte. Ob dieses Verhalten des Beklagten oder die sich mit den Jahren steigernde Eifersucht der Klägerin als Beginn der Zerstörung der Ehe der Streitteile anzusehen ist, steht nicht fest. Damit kann aber der Klägerin nicht angelastet werden, mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen zu haben. Keinesfalls können die erwähnten, dem Beklagten vorzuwerfenden, ehezerstörerischen Handlungen als bloße Reaktionen auf das Fehlverhalten der Klägerin angesehen werden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts trifft demnach auch den Beklagten ein Verschulden an der Ehezerrüttung.

Stellt man den der Klägerin vom Berufungsgericht zu Recht als Eheverfehlungen zur Last gelegten schuldhaften Handlungen das Gesamtverhalten des Beklagten gegenüber, so ist dessen Beitrag an der Ehezerrüttung wohl etwas weniger Gewicht beizumessen. Dies rechtfertigt allerdings noch nicht einen Ausspruch, dass das Verschulden der Klägerin überwiege. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein solcher Ausspruch nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt, weil das überwiegende Verschulden grundsätzlich dem Alleinverschulden gleichsteht (vgl RIS-Justiz RS0057858; RS0057057 und RS0057821). Besteht kein Unterschied des beiderseitigen Verschuldens in einem solchen Ausmaß, so kann nur ein gleichteiliges Verschulden ausgesprochen werden (2 Ob 168/98i mwN uva). Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Nimmt man, ohne subtile Erwägungen anzustellen (RIS-Justiz RS0057858 [T12] und RS0057821 [T4]) eine Abwägung des Verschuldens der Streitteile nach den von Rechtsprechung und Lehre als maßgebend erachteten Kriterien (Verwerflichkeit und Gewicht der Eheverfehlungen sowie das Ausmaß ihrer Ursächlichkeit für das Scheitern der Ehe - vgl Stabentheiner in Rummel 3, § 60 EheG Rz 3 mwN) vor, so kann nicht gesagt werden, dass das Verschulden des Beklagten im Vergleich zu jenem der Klägerin „fast völlig in den Hintergrund treten“ würde.

Es ist daher der Revision im Sinn des hilfsweise gestellten Abänderungsantrags Folge zu geben und die erstinstanzliche Entscheidung hinsichtlich des Ausspruchs, dass den Streitteilen ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe zu gleichen Teilen anzulasten ist - und daher auch hinsichtlich des (an sich nicht bekämpften) Kostenausspruchs - wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, in dem nur mehr die Verschuldensfrage strittig war, beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Ausgehend vom endgültigen Prozessergebnis waren beide Berufungen erfolglos, weshalb den Streitteilen jeweils der Ersatz der (gleich hohen) Kosten ihrer Berufungsbeantwortungen gebührt, sodass sich hinsichtlich des Verfahrens zweiter Instanz kein Kostenersatzanspruch einer der Streitparteien ergibt. Im Revisionsverfahren ist die Klägerin mit ihrem Primärantrag, das alleinige Verschulden des Beklagten auszusprechen, erfolglos geblieben und hat lediglich mit ihrem Eventualantrag (Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens der Streitteile) obsiegt. Ausgehend daher von einem gleichteiligen Erfolg beider Parteien im Verfahren dritter Instanz sind auch die Kosten des Revisionsverfahrens gegeneinander aufzuheben. Der Ausspruch über die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz der Hälfte der Pauschalgebühr dritter Instanz (§ 43 Abs 1 Satz 3 ZPO) gründet sich auf § 70 Satz 2 ZPO.

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