Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Die am 11. 3. 1951 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 4. 2008) hat sie überwiegend (von 6. 5. 1996 bis 30. 4. 2007) „in der Linie" (am Fließband) jeweils zu 50 % als Kleberin (beim Ultraschallschweißen bzw mit Klebepistole) und als Verpackerin im Schichtbetrieb (mit Nachtschichten) gearbeitet. Beide Teiltätigkeiten waren Kerntätigkeiten. Eine Akkordentlohnung wurde erst im Jahr 2007 eingeführt.
Nach dem verbliebenen Leistungskalkül ist sie weiterhin in der Lage, als Verpackerin zu arbeiten und Klebearbeiten zu verrichten, dies aber jeweils nur noch in Tagarbeit, weil ihr ein Schichtbetrieb (insbesondere mit Nachtschichten) nicht mehr zugemutet werden kann. In Österreich gibt es mehr als 100 kalkülsentsprechende Arbeitsplätze in verschiedensten Bereichen, in denen Schichtarbeiten jeweils nicht vorkommen.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 7. 2007 gerichtete Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. § 255 Abs 4 ASVG stelle nicht auf die konkret an einem bestimmten Arbeitsplatz ausgeübte (Teil-)Tätigkeit ab sondern auf die „abstrakte Tätigkeit" mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt. Zwischen akkordentlohnten und nicht akkordentlohnten Arbeitnehmern, die an sich dieselbe Tätigkeit ausüben, dürfe nicht differenziert werden. Die Verweisung sei auch deshalb zumutbar, weil das Fabriksmilieu und im Wesentlichen das Umfeld gleich bleibe.
Die Rechtsfrage, ob es für die Verweisung im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG zulässig ist, die für die Berufsausübung wesentliche Akkordarbeit sozusagen „wegzulassen" und auf dasselbe Berufsbild ohne Akkord zu verweisen, hat der Senat bereits im Beschluss 10 ObS 58/07p (Zurückweisung einer außerordentlichen Revision mangels erheblicher Rechtsfrage) wie folgt beantwortet:
„Damit lässt die Klägerin außer Betracht, dass § 255 Abs 4 ASVG nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz abstellt, sondern auf die 'Tätigkeit' mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt. In diesem Sinn wird kein Arbeitsplatzschutz, sondern ein Tätigkeitsschutz oder ein dem inhaltlich entsprechender 'besonderer Berufsschutz' gewährt (10 ObS
56/03p = SZ 2003/53 = SSV-NF 17/56; RIS-Justiz RS0087658; 10 ObS
52/05b = RdW 2005, 713 = RIS-Justiz RS0087659 [T7]). Die von der Klägerin ausgeübte 'eine' Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG war die einer Verpackerin und Kontrollorin, ohne dass innerhalb dieser Tätigkeit weiter nach der Form der Entgeltbemessung differenziert werden dürfte. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass die konkrete Ausgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes der Klägerin (insbesondere hinsichtlich der Entgeltbemessung) nicht von ihrem Tätigkeitsschutz als Verpackerin und Kontrollorin erfasst ist, hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung".
Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten; ist doch auch hier unbestritten, dass die Klägerin (abgesehen von „allfälligen" Akkordbedingungen, sowie Nacht- und Schichtarbeit) die bisherige (Kern-)Tätigkeit als Verpackerin im Fabriksmilieu weiterhin verrichten kann (wenn auch ohne die erschwerenden Bedingungen einer Nacht-, Schicht- und [allfälligen] Akkordarbeit).
Zu Unrecht beruft sich die Zulassungsbeschwerde aber auch darauf, es fehle Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der „gravierenden Lohneinbuße" im Zusammenhang mit der Verweisung nach § 255 Abs 4 ASVG. Auch diese Rechtsfrage hat der Oberste Gerichtshof nämlich bereits mehrfach beantwortet und eine dazu erhobene außerordentliche Revision daher mit folgender Begründung zurückgewiesen (10 ObS 102/08k):
„Bei der Beurteilung, ob 'eine' Tätigkeit gemäß § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG vorliegt, spielen die Entgeltbedingungen keine Rolle (vgl 10 ObS 134/04k = ARD 5578/11/2005); entscheidend ist die 'Tätigkeit' mit dem auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RIS-Justiz RS0087658 [T2]). Der Oberste Gerichtshof hat aber eingeräumt, dass eine gravierende Lohneinbuße ein Kriterium für die Unzumutbarkeit einer Verweisung nach § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG darstellen kann (10 ObS 90/06t = SSV-NF 20/40; 10 ObS 105/06y = SSV-NF 20/51), wobei auch die Prüfung der Zumutbarkeit einer solchen Lohneinbuße grundsätzlich abstrakt zu erfolgen hat. Es ist daher nicht vom individuellen früheren Verdienst des Versicherten bei seinem konkreten Dienstgeber, sondern vom Durchschnittsverdienst gleichartig Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt auszugehen (RIS-Justiz RS0100022 [T20]).
Allerdings ist unbestritten, dass der Kläger - einmal abgesehen von den Akkordbedingungen - die bisherige Tätigkeit weiterhin ausüben könnte. Die gebotene abstrakte (und auf den Durchschnittsverdienst abgestellte) Beurteilung führt aber nun dazu, dass nicht zwischen akkordentlohnten und nicht akkordentlohnten Arbeitnehmern, die an sich dieselbe Tätigkeit ausüben, differenziert werden darf."
Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin nicht einmal akkordentlohnt; es liegt daher lediglich die Änderung vor, das im Rahmen des Schichtbetriebs nur noch Tagarbeit verrichtet werden kann. In diesem Sinn hält sich die Entscheidung des Berufungsgerichts innerhalb des Rahmens der höchstgerichtlichen Judikatur. Mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 255 Abs 4 ASVG ist die außerordentliche Revision des Klägers gemäß § 508a Abs 2 ZPO zurückzuweisen, weil im Fall der Klägerin feststeht, dass sie - abgesehen von der Nacht-, Schicht- und (allfälligen) Akkordarbeit - die bisherige Tätigkeit weiter ausüben kann.
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