OGH 2Ob68/09b

OGH2Ob68/09b29.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Horst D*****, vertreten durch Dr. Richard Weber Rechtsanwalt GmbH in Zeltweg, gegen die beklagte Partei Christiane S*****, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt Gesellschaft m.b.H. in Leoben, wegen Löschung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 28. November 2008, GZ 1 R 364/08h-40, womit das Urteil des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 25. August 2008, GZ 2 C 2113/04x-32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger räumte mit Dienstbarkeitsvertrag vom 17. 10. 1989 seiner damaligen Ehefrau sowie der Beklagten, seiner Tochter, auf einer in seinem Eigentum stehenden Liegenschaft ein Wohnrecht ein. Weiters wurde ein Veräußerungs- und Belastungsverbot zugunsten der beiden im Grundbuch eingetragen.

Mit der nunmehrigen Klage begehrt er die Löschung dieser Rechte gegenüber der Beklagten mit der Begründung, es habe sich dabei um Scheingeschäfte gehandelt, um die Liegenschaft im Familienbesitz zu halten und vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen. Er bewertete sein Begehren mit 2.000 EUR.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen eines Scheingeschäfts. Sie habe als gesetzliche Erbin ein legitimes Interesse an der Erhaltung des Familienbesitzes.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es von der Rechtsmittelbeschränkung des § 501 ZPO ausgehend die Tatsachenrüge nicht behandelte und keine mündliche Berufungsverhandlung anberaumte. Nach dem festgestellten Sachverhalt sei von einem Scheingeschäft auszugehen und der Berufung der Erfolg zu versagen. Eine offenkundige krasse Unterbewertung liege nicht vor. Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige daher weder 2.000 EUR noch 4.000 EUR; die Revision sei jedenfalls unzulässig.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Beklagten wies das Erstgericht als unzulässig zurück.

Einem dagegen erhobenen Rekurs der Beklagten gab das Rekursgericht Folge, hob die Zurückweisung ersatzlos auf und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 20.000 EUR übersteige. Der rechtsmittelwerbenden Beklagten sei zuzugestehen, dass die Bewertung eines Wohnrechts nicht nach § 58 JN, sondern nach der Lebensdauer des Berechtigten, die nach versicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln sei, zu erfolgen habe. In Anbetracht der amtsbekannten Lebenserwartung von Frauen von derzeit rund 82,87 Jahren und des Alters der Beklagten, von dem ausgehend nach versicherungsrechtlichen Grundsätzen noch eine konkrete Lebenserwartung von rund 37 Jahren anzusetzen sei, sei das Klagebegehren offenkundig unterbewertet. Es sei daher dem Erstgericht aufzutragen, die Revision an den Obersten Gerichtshof vorzulegen (1 Ob 63/08h).

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Das Berufungsgericht hat den Wert des Entscheidungsgegenstands grundsätzlich frei, auch abweichend vom Kläger, selbständig zu bestimmen (1 Ob 580/91 = RIS-Justiz RS0042410 [T19]). Dieser Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 ZPO ist grundsätzlich unanfechtbar und bindend (RIS-Justiz RS0042410; RS0042515). Dies gilt nur dann nicht, wenn für ihn die prozessualen Voraussetzungen fehlen oder die §§ 54 bis 60 JN nicht sinngemäß angewendet wurden (RIS-Justiz RS0042410 [T5]; RS0042251) oder wenn eine offensichtlich unrichtige Bewertung vorliegt (RIS-Justiz RS0118748; 3 Ob 53/00s = RIS-Justiz RS0042410 [T23]).

Das Gericht hat eine von ihm erkannte, offenbare Unterbewertung durch den Kläger auch ohne Parteienantrag von Amts wegen ohne Rücksicht darauf richtigzustellen, ob dies der klagenden oder der beklagten Partei zum Nachteil gereicht (RIS-Justiz RS0041580).

Bei der Bewertung ist § 60 Abs 2 JN dann anzuwenden, wenn das Streitinteresse ausschließlich vom Wert der Liegenschaft bestimmt wird (RIS-Justiz RS0053191). Dies ist zum Beispiel bei einem auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Schenkungs- oder Übergabsvertrag gerichteten Klagebegehren der Fall (8 Ob 262/99h), nicht dagegen beim Streit um die grundbücherliche Löschung oder Aufrechterhaltung eines Wegerechts (5 Ob 107/92; 6 Ob 63/05s), bei nachbarschaftsrechtlichen Ansprüchen (7 Ob 19/08g) oder jenem auf Einräumung eines Notwegs (3 Ob 278/06p).

Eine Bewertung nach § 58 Abs 1 JN wiederum findet nur statt, wenn es sich um Streitigkeiten über das Recht zum Bezug der dort genannten Leistungen oder Nutzungen handelt (RIS-Justiz RS0111964). Als wiederkehrende Leistungen werden solche verstanden, die nicht fortlaufend, sondern in zeitlichen Abständen erbracht oder gezogen werden. Wohnungs-, Dienstbarkeits- und Fruchtgenussrechte fallen nicht darunter (Gitschthaler in Fasching/Konecny² I § 58 JN Rz 1 f).

Die Bewertung eines lebenslänglichem Wohnrechts erfolgt dagegen, wie das Rechtsmittelgericht als Rekursgericht ohnehin bereits erkannt hat, nach der durchschnittlichen Lebenserwartung des Berechtigten (RIS-Justiz RS0112312; ebenso zum Fruchtgenuss RIS-Justiz RS0011827; Gitschthaler aaO Rz 2). Angesichts des Alters der Beklagten (Jahrgang 1964) und der sich darauf aufbauend aus der vom Rekursgericht beigeschafften Statistik für Frauen ergebenden durchschnittlichen weiteren Lebenserwartung von jedenfalls weit über dreißig Jahren, ist im konkreten Fall von einer offenbaren Unterbewertung und einem berufungsgerichtlichen Entscheidungsgegenstand von über 20.000 EUR auszugehen. Im Hinblick auf das Datum der berufungsgerichtlichen Entscheidung ist § 502 ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl I 52/2009, noch nicht anzuwenden (Art 16 Abs 4 der Übergangsbestimmungen).

Damit waren aber die Voraussetzungen für die beschränkte Berufung des § 501 ZPO nicht gegeben und hat es das Berufungsgericht in der unrichtigen Annahme des Vorliegens dieser Voraussetzung unterlassen, die beantragte Berufungsverhandlung anzuberaumen sowie die Tatsachenrüge zu behandeln. Darin liegt eine wahrzunehmende erhebliche Verletzung der Rechtsvorschriften des Verfahrensrechts, deren Wahrung der Rechtssicherheit dient (RIS-Justiz RS0041365), wobei dieser Mangel auch abstrakt geeignet ist, eine unrichtige Entscheidung der zweiten Instanz herbeizuführen (RIS-Justiz RS0043027 [T3]; RS0043371; 5 Ob 25/88; 6 Ob 19/03t).

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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