Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung
Bei der am 7. 12. 1950 geborenen Klägerin, die in den letzten Jahren vor dem Stichtag (1. 10. 2004) als Postzustellerin der Österreichischen Post AG angestellt und mit unqualifizierten Hilfstätigkeiten beschäftigt war, bestand für den Zeitraum ab Antragstellung (17. 9. 2004) bis Ende des Jahres 2005 aufgrund einer wesentlich ausgeprägten psychischen Symptomatik, die auch mit diversen körperlichen Symptomen verbunden war, eine „deutlich erhöhte Krankenstandsprognose" im Ausmaß von zumindest acht Wochen; dies mit hoher Wahrscheinlichkeit. Seit Jänner 2006 ist [nur noch] mit jährlichen leidensbedingten Krankenständen von vier Wochen regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Die Umstellbarkeit und das Erlernen neuer Fähigkeiten ist im Rahmen des (vom Erstgericht im Einzelnen festgestellten) Leistungskalküls möglich, wobei sich unter entsprechender antidepressiver Therapie sogar noch eine Besserung ergeben könnte.
Aus neuropsychiatrischer Sicht erfolgt derzeit keinerlei Behandlung der Klägerin. Es ist wahrscheinlich, dass es unter entsprechender antidepressiver medikamentöser Behandlung zu einer Besserung ihrer depressiven Verstimmung kommt, dadurch würde auch die psychophysische Belastbarkeit verbessert werden. Eine Besserung des Zustandsbilds ist nach ca sechs Monaten ab Therapiebeginn zu erwarten. Die Behandlung sollte durch einen Facharzt für Psychiatrie durchgeführt werden. Der Klägerin ist die Einnahme der Medikation zumutbar; sie weist hiefür die notwendige Diskretions- und Dispositionsfähigkeit auf. Bereits im Jahr 2002 gab es eine solche Behandlungsmöglichkeit, wobei auch damals ein Behandlungszeitraum von sechs Monaten ab Therapiebeginn anzusetzen war. Wenn der Klägerin jemand gesagt hätte, dass es Behandlungsmöglichkeiten bezüglich der Depression gibt, und wenn ihr jemand eine Behandlung hätte zukommen lassen, wäre die Krankenstandsprognose für das Jahr 2005 wahrscheinlich auf unter sieben Wochen zu reduzieren gewesen. Von selbst konnte dies die Klägerin allerdings nicht erkennen.
Das Erstgericht sprach aus, das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Berufsunfähigkeitspension zu gewähren, bestehe dem Grunde nach vom 1. 10. 2004 bis 31. 12. 2005 zu Recht (Punkt 1), trug der beklagten Partei für den gleichen Zeitraum eine vorläufige Leistung von monatlich 300 EUR auf (Punkt 3) und wies das über diesen Zeitraum hinausgehende Mehrbegehren ab (Punkt 2). Die Krankenstandsprognose sei für immerhin 15 Monate (also weder bloß einmalig für ein Jahr, noch aufgrund eines einmaligen Unfallereignisses oder einer einmalig erforderlichen Operation, sondern vielmehr) aufgrund einer gesundheitlichen Einschränkung in Form einer depressiven Erkrankung - somit leidensbedingt - über sieben Wochen gelegen. Aufgrund der zu erwartenden Krankenstände sei die Klägerin im angeführten Zeitraum vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen und invalide im Sinn des - hier anzuwendenden - § 255 Abs 3 ASVG gewesen. Daher lägen die Voraussetzungen für eine Befristung der Invaliditätspension gemäß § 256 Abs 1 ASVG vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge.
Der Anspruch auf Invaliditätspension setze unter anderem voraus, dass die Invalidität voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern werde (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG). Der Gesetzgeber bringe damit (auch) zum Ausdruck, dass Leistungen aus der Pensionsversicherung (nur) dann eingreifen sollen, wenn eine bestimmte Mindestdauer eines (allenfalls „einmaligen") Leidenszustands erreicht werde; unterhalb dieser Schwelle seien typischerweise Leistungen aus der Krankenversicherung zu erbringen.
Die Prüfung der Invalidität und damit auch die Krankenstandsprognose sei daher - entgegen dem Standpunkt der beklagten Partei - ausgehend vom Stichtag vorzunehmen. Da das Gesetz die Invalidität als Zustand definiere, der voraussichtlich sechs Monate andauern werde, und der Ausschluss vom Arbeitsmarkt ein bestimmtes Ausmaß von jährlich zu erwartenden Krankenständen voraussetze, sei auf diesen Prognosezeitraum abzustellen. Dem Umstand, dass sich der Zustand und damit die Krankenstandshäufigkeit ändern könnten, habe der Gesetzgeber in § 256 Abs 1 ASVG (§ 273 Abs 3 ASVG) mit der grundsätzlichen Pensionsbefristung Rechnung getragen.
Die geforderte zeitliche Mindestdauer der Invalidität sei daher (auch mit Rücksicht auf allenfalls mögliche und zumutbare Krankenbehandlungen) erreicht, wenn erst nach mindestens sechs Monaten ein für die Verweisung ausreichendes Leistungskalkül, im Zusammenhang mit leidensbedingt zu erwartenden Krankenständen, somit ein gebesserter Zustand erreicht werde. Er erlaube sodann die geänderte günstigere Prognose, dass mit solchen Krankenständen von sieben Wochen oder darüber ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu rechnen sein werde. Dies sei jedoch nach den Verhältnissen am Stichtag zu prognostizieren. Hier würden nicht etwa Krankenstände, die nach der Rechtsprechung bei der Prognose unberücksichtigt zu bleiben hätten, einbezogen; vielmehr werde die nach dem gegebenen Leidenszustand (der nach den Verhältnissen am Stichtag leidensbedingte „regelmäßig jährliche" Krankenstände zur Folge habe) aktuell anzustellende Prognose herangezogen.
Ab 1. 10. 2004 seien bei der Klägerin laufende leidensbedingte Krankenstände im Ausmaß von zumindest acht Wochen jährlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen. Deshalb sei sie (ex ante betrachtet) vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen gewesen. Eine Behandlungsbedürftigkeit habe sie selbst - wie ebenfalls feststehe - nicht einmal erkennen können, sodass sich auch die Problematik der Mitwirkungspflicht des Versicherten nicht stelle. Zutreffend habe das Erstgericht darauf Bezug genommen, dass die schlechtere Krankenstandsprognose durch die in diesem Zeitraum wesentlich ausgeprägtere psychische Symptomatik, somit leidensbedingt begründet gewesen sei und die ab Jänner 2006 günstigere Krankenstandsprognose auf die festgestellte Besserung des neuropsychiatrischen Gesundheitszustands zurückzuführen sei. Damit stehe fest, dass - gemessen an den Anforderungen der in Betracht kommenden Verweisungsberufe - jeder mögliche Arbeitgeber der Klägerin ab 1. 4. 2004 damit hätte rechnen müssen, dass im Jahreszeitraum (einer Beschäftigung) zusätzliche leidensbedingte Krankenstände von zumindest acht Wochen anfallen würden. Die Einbeziehung der ab Jänner 2006 gebesserten Prognose durch die beklagte Partei beruhe in Wahrheit auf einer unzulässigen ex-post-Betrachtung unter Verwertung der dafür ursächlichen späteren Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin in neuropsychiatrischer Hinsicht.
Die Revision sei zulässig, weil eine Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt (Berufsunfähigkeit aufgrund der Krankenstandsprognose für einen zeitlich begrenzten Zeitraum) nicht vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit einer vergleichbaren Fallgestaltung bereits befasst hat (10 ObS 24/09s).
Die beklagte Partei wendet sich gegen den Standpunkt der Vorinstanzen, schon bei Überschreitung der in § 254 Abs 1 Z 1 ASVG normierten Sechsmonatsfrist bestehe ein Anspruch auf Invaliditätspension, wenn Krankenstände im Ausmaß von sieben Wochen und mehr pro Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden. Die Revision macht - zusammengefasst - geltend, die Rechtsprechung „zu den Krankenständen" (in dem Sinn, dass ein Pensionsanspruch bei bestehender Arbeitsfähigkeit zustehe, wenn trotz zumutbarer Krankenbehandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit leidensbedingte Krankenstände von jährlich sieben Wochen und darüber einen Versicherten vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen) habe sich unabhängig von der zitierten Bestimmung entwickelt und sei gesondert zu betrachten. Ein anderer Rechtsstandpunkt hätte wohl zu einer Formulierung geführt, wonach ein Anspruch auf Pensionsleistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bereits dann vorliege, wenn „pro Halbjahr Krankenstände mit hoher Wahrscheinlichkeit im Ausmaß von dreieinhalb Wochen und mehr" vorlägen. Um dem für die Krankenstandsprognose erforderlichen Element der „Regelmäßigkeit" zu entsprechen, sei - wie sich etwa aus der Entscheidung zur anteiligen Zurechnung kurbedingter Krankenstände ergebe - eine längerfristige (mehrjährige) Betrachtungsweise erforderlich. Weder der in der zitierten Bestimmung genannte (sechs Monate), noch der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegende Zeitraum (1. 10. 2004 bis 31. 12. 2005) seien geeignet, die Kriterien einer erforderlichen „Langzeitbetrachtung" zu erfüllen. Auch im Arbeitsrecht werde judiziert, dass überhöhte Krankenstände, die in einem kürzeren Mindestzeitraum als drei Jahren vorliegen, ein abstrakt zu prüfendes Entgegenkommen des Arbeitgebers nicht erfordern und keine Kündigung rechtfertigen. Im vorliegenden Fall sei einerseits angesichts des kurzen Prognosezeitraums das Element der Regelmäßigkeit nicht erfüllt, andererseits werde - bei einer über einen größeren Zeitraum hinausgehenden „Längsschnittbetrachtung" - die Grenze der mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig eintretenden leidensbedingten Krankenstände von sieben Wochen und mehr nicht erreicht. Insgesamt liege daher noch kein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers bei fiktiver Annahme eines Arbeitsverhältnisses vor.
Dazu wurde erwogen:
Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte Krankenstände in einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind (10 ObS 184/92 = SSV-NF 6/82; RIS-Justiz RS0084855 [T7], RS0084898 [T12]). Es kann nämlich nicht damit gerechnet werden, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in einem solchen Ausmaß von den in Betracht kommenden Arbeitgebern akzeptiert werden; ein derart betroffener Versicherter würde in diesem Fall nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers auf Dauer beschäftigt werden (10 ObS 159/93 = SSV-NF 7/76).
Zeiten „einmaliger", wenn auch länger dauernder Krankenstände (zB Hüftoperation) sind im Regelfall nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen (10 ObS 126/05k = SSV-NF 20/7; zu allem jüngst: 10 ObS 24/09s). Für dieses Ergebnis spricht auch der - zweifellos auf einer anderen Ebene ansetzende - § 254 Abs 1 Z 1 ASVG, wonach der Anspruch auf Invaliditätspension voraussetzt, dass die Invalidität voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde. Der Gesetzgeber bringt damit (auch) zum Ausdruck, dass Leistungen aus der Pensionsversicherung nur dann eingreifen sollen, wenn eine bestimmte Mindestdauer eines (allenfalls „einmaligen") Leidenszustands erreicht wird; unterhalb dieser Schwelle sind typischerweise Leistungen aus der Krankenversicherung zu erbringen (10 ObS 126/05k = SSV-NF 20/7).
In welchem Umfang der Versicherte in der Vergangenheit (vor dem Stichtag) im Krankenstand war, ist höchstens als Beweiswürdigungsindiz für die Zukunft von Bedeutung; wesentlich ist ausschließlich die Prognose für die Zukunft, ausgehend von den Anforderungen in den Verweisungsberufen (10 Ob 152/93 = SSV-NF 7/75; 10 ObS 159/93 = SSV-NF 7/76; RIS-Justiz RS0084898 [T6]). Bei dieser ex ante-Prognose ist von der am Stichtag zu gewärtigenden Lage auszugehen, nicht von der zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (Neumayr, Wann steht ein Versicherter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung? ZAS 2003/34, 196 [200] mit Hinweis auf 10 ObS 159/93 = SSV-NF 7/76).
Ex ante betrachtet bestand bei der Klägerin im vorliegenden Fall ab der Antragstellung (Stichtag: 1. 10. 2004) mit hoher Wahrscheinlichkeit „eine deutlich erhöhte Krankenstandsprognose im Ausmaß von zumindest acht Wochen". Es ist also davon auszugehen, dass mit leidensbedingten jährlichen Krankenständen von mehr als sieben Wochen zu rechnen war. Allein auf dieser Grundlage ist das Bestehen von Invalidität (Berufsunfähigkeit) im Sinn der ständigen Rechtsprechung zu bejahen (so bereits: 10 ObS 24/09s). Dem haben auch die Vorinstanzen Rechnung getragen, wobei allerdings im Hinblick auf die spätere Besserung (seit 1. 1. 2006) die Invaliditätspension nur befristet für den Zeitraum vom 1. 10. 2004 bis 31. 12. 2005 zugesprochen wurde.
Ab Jänner 2006 trat eine Besserung ein, sodass mit jährlichen leidensbedingten Krankenständen von [nur noch] vier Wochen regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. Nach den ausdrücklichen Feststellungen wäre es [zwar auch] unter entsprechender antidepressiver medikamentöser Behandlung wahrscheinlich zu einer Besserung der depressiven Verstimmung der Klägerin gekommen, wobei diese Verbesserung ca sechs Monate nach Therapiebeginn zu erwarten gewesen wäre. Dazu steht aber auch fest, dass „die Krankenstandsprognose für das Jahr 2005" (nur) dann wahrscheinlich auf unter sieben Wochen zu reduzieren gewesen wäre, wenn der Klägerin jemand gesagt hätte, dass es Behandlungsmöglichkeiten bezüglich der Depression gibt und ihr jemand eine Behandlung hätte zukommen lassen; von selbst konnte die Klägerin dies nämlich nicht erkennen.
Damit wurde der von der beklagten Partei zu erbringende Nachweis, dass die Invalidität mittels zumutbarer Behandlung beseitigbar war, für den Zeitraum, für den ein Pensionszuspruch erfolgte, nicht erbracht, weshalb sich die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage gar nicht stellt (so bereits: 10 ObS 24/09s, wo die Revision ebenfalls zur Frage eines befristeten Pensionszuspruchs [dort: vom 1. 6. 2006 bis 31. 12. 2008] „aufgrund einer Krankenstandsprognose für einen zeitlich begrenzten Zeitraum" zugelassen worden war und die Tatsacheninstanzen dazu - ähnlich wie im vorliegenden Fall - Folgendes festgestellt hatten: Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit leidensbedingten jährlichen Krankenständen von mehr als sieben Wochen zu rechnen; der Zustand des [dortigen] Klägers sei behandel- und besserbar; insbesondere könne eine medikamentöse antidepressive Behandlung zu einer Verringerung der Krankenstandsprognose sowie zu einer höheren psychophysischen Belastbarkeit führen; eine derartige Behandlung sei dem [dortigen] Kläger zumutbar; er verfüge über die nötige Diskretions- und Dispositionsfähigkeit; eine allfällige Besserung sei in einem Zeitraum von etwa neun [hier: sechs] Monaten ab Behandlungsbeginn möglich).
Die Revision der beklagten Partei ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Die Revisionsbeantwortung stellt sich als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme dar, auch wenn die Klägerin darin im Hinblick auf die mittlerweile ergangene, aber damals noch nicht veröffentlichte Entscheidung 10 ObS 24/09s noch nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hinweisen konnte (10 ObS 150/06s).
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