OGH 7Ob32/09w

OGH7Ob32/09w29.4.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Dejan Z*****, und 2.) Deva Z*****, beide vertreten durch Mag. Thomas di Vora, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Dr. Miran Z*****, vertreten durch Dr. Robert Mogy, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2008, GZ 1 R 270/08p-29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 9. Juni 2008, GZ 14 C 455/06w-25, infolge Berufung der Kläger bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der 57-jährige Beklagte, ein emeritierter Rechtsanwalt, ist der Vater der Kläger. Seine Ehe mit deren Mutter wurde 2005 geschieden. Die Mutter des Beklagten und Großmutter der Kläger war Alleineigentümerin der Liegenschaft in K***** mit dem Haus *****, in dem sich drei Wohnungen befinden. Die große Wohnung im Erdgeschoß war die Ehewohnung des Beklagten, in der er mit seiner Familie wohnte. Das Elternschlafzimmer befand sich jedoch vor dem Zerwürfnis der Ehegatten in der großen Wohnung im Obergeschoß. Darin wohnte bis 1990 die Schwester des Beklagten. Die kleine Wohnung im Obergeschoß wurde seit jeher von der Mutter des Beklagten - zunächst mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann - bewohnt.

Mit Übergabsvertrag vom 13. 12. 2000 übergab (schenkte) die Mutter des Beklagten ihren Enkeln, den Klägern, die Liegenschaft mit dem Haus je zur Hälfte. Bei diesem Rechtsgeschäft wurden die beiden Kläger vom Beklagten vertreten. Die Übergeberin behielt sich für sich und ihren Ehemann das Fruchtgenussrecht an der kleinen Wohnung im Obergeschoß vor. Der Übergabsvertrag räumte auch dem Beklagten ein Fruchtgenussrecht an dieser Wohnung ein. Da diesbezüglich aber die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung nicht zu erreichen war, wurde in einem Annex zum Übergabsvertrag vom 29. 12. 2000 der Entfall dieses Fruchtgenussrechts vereinbart. Die Wohnung im Erdgeschoß wird im Übergabsvertrag, der am 15. 3. 2001 pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurde, nicht erwähnt.

Anfang des Jahres 2002 zog der Beklagte aus dem gemeinsamen Schlafzimmer im Obergeschoß aus und bezog wieder das ehemalige Schlafzimmer in der Ehewohnung im Parterre. Ende des Jahres 2003 zogen die beiden Kläger mit ihrer Mutter in die große Wohnung des Obergeschoßes, während der Beklagte in der Ehewohnung verblieb. Seit Beendigung des Scheidungsverfahrens im Sommer 2005 ist zwischen dem Beklagten und der Mutter der Kläger ein Aufteilungsverfahren anhängig, das auch die Ehewohnung im Erdgeschoß zum Gegenstand hat. Derzeit bewohnen die Mutter des Beklagten die kleine Wohnung des Obergeschoßes und der Beklagte die Wohnung im Parterre, während die Kläger, wenn sie nicht als Studenten am Studienort leben, mit ihrer Mutter in der großen Wohnung im Obergeschoß wohnen. Seit der Ehescheidung findet zwischen den Streitteilen praktisch keine Kommunikation mehr statt.

Mit der am 9. 7. 2006 erhobenen Klage begehren die beiden Kläger vom Beklagten die Räumung der Wohnung im Erdgeschoß. Der Beklagte bewohne die Parterrewohnung titellos, verhalte sich unleidlich und mache von der Wohnung einen nachteiligen Gebrauch.

Der Beklagte wendete ein, seine Mutter habe ihm an der Parterrewohnung eine lebenslange unentgeltliche Leihe eingeräumt. Die Kläger hätten die Verhältnisse gekannt und die Liegenschaft daher nicht lastenfrei erworben.

Das Erstgericht wies die Räumungsklage ab. Den Beklagten komme an der Wohnung im Erdgeschoß zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses nach § 97 ABGB ein Wohnrecht zu. Die betreffende Wohnung unterliege dem anhängigen Aufteilungsverfahren, sodass der Benützungsanspruch des Beklagten fortbestehe. Ein unleidliches Verhalten oder ein erheblich nachteiliger Gebrauch der Wohnung durch den Beklagten sei nicht festgestellt.

Das von den Klägern angerufene Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Entgegen der Ansicht der Kläger könne von einer bloßen Bittleihe des Beklagten an der ehemaligen Ehewohnung im Parterre keine Rede sein. Die Benützung der Parterrewohnung sei im Übergabsvertrag ungeregelt geblieben. Dass die Benützung dieser Wohnung von den Klägern jederzeit frei widerrufen werden könnte, sei nirgends festgehalten. Die von den Klägern vertretene Auffassung liefe darauf hinaus, dass sie das von ihnen behauptete Prekarium zu Gunsten ihrer Eltern spätestens ab dem Erreichen ihrer Volljährigkeit jederzeit frei widerrufen hätten können und die Eltern die Ehewohnung hätten räumen müssen. Eine derartige Parteienabsicht könne redlichen Vertragsparteien des Übergabsvertrags angesichts der festgestellten Familiensituation schon objektiv und ohne nähere diesbezügliche Beweisaufnahme nicht unterstellt werden, einer Verbreiterung der Sachgrundlage bedürfe es daher nicht. Mit Recht sei also das Erstgericht von einem Benützungsrecht der ehemaligen Ehegatten an der Parterrewohnung ausgegangen, das dem Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG unterliege und dessen rechtliche Qualifikation vorläufig dahingestellt bleiben könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es die Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf den konkreten Einzelfall angewendet habe und von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen sei.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger, die Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machen und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Räumungsbegehren Folge gegeben werde.

Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision entweder als unzulässig zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag der Revisionswerber enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die von den Revisionswerbern erhobene Behauptung einer Aktenwidrigkeit verkennt allerdings das Wesen dieses Rechtsmittelgrundes. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und der darauf beruhenden wesentlichen Tatsachenfeststellung im Urteil vor, die nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist, wobei dieser Widerspruch einerseits wesentlich, andererseits unmittelbar aus den Akten ersichtlich und behebbar sein muss. In der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlussfolgerungen kann eine Aktenwidrigkeit nicht gelegen sein (RIS-Justiz RS0043421). Auch rechtliche Folgerungen des Berufungsgerichts können eine Aktenwidrigkeit nicht verwirklichen (7 Ob 196/07k uva). Eine Aktenwidrigkeit wird von den Revisionswerbern daher nicht aufgezeigt (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Hingegen kommt der Rechtsrüge der Revisionswerber im Wesentlichen Berechtigung zu:

Auch unter Familienangehörigen kann durch Vertrag ein Wohnungsgebrauchsrecht begründet werden. Dazu ist Einigung über den Vertragsinhalt und Erklärung des Abschlusswillens erforderlich (SZ 50/141; MietSlg 40.032). Unter Familienangehörigen wird zwar nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt, wie dies im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist (RIS-Justiz RS0020488). Entscheidend dafür, ob eine vertragliche Rechtsgrundlage für die Wohnungsbenützung oder ein familienrechtliches Wohnungsverhältnis vorliegt, bleiben aber immer die gewechselten Erklärungen oder die aus dem gesetzten Verhalten objektiv zu erschließende beiderseitige Rechtsgeschäftsabsicht (3 Ob 71/01i). Bei der Abgrenzung zwischen einem widerruflichen, unter Familienangehörigen entstandenen Wohnverhältnis gegenüber einem auf vertraglicher Grundlage beruhenden Benützungsrecht ist es Sache des Benützers, das Vorliegen eines Rechtstitels zu beweisen (RIS-Justiz RS0020500).

Dieser Beweis kann aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht als vom Beklagten bereits erbracht angesehen werden. So lässt etwa der Umstand, dass Ende 2000 dem Beklagten - neben seinen Eltern - ein zu verbücherndes Fruchtgenussrecht an der kleinen Wohnung im Obergeschoß, nicht aber an der Wohnung im Erdgeschoß eingeräumt werden sollte, eine vertragliche Einigung dahin, dass dem Beklagten der Fruchtgenuss (ein auf vertraglicher Basis beruhendes Benützungsrecht) auch an dieser Wohnung zustehen solle, keineswegs selbstverständlich erscheinen. Der Ansicht des Berufungsgerichts, das Vorliegen eines vertraglichen Wohnungsgebrauchsrechts und nicht bloß einer Bittleihe verstehe sich angesichts der festgestellten Familiensituation von selbst, kann daher nicht beigetreten werden. Um verlässlich beurteilen zu können, ob der Beklagte über ein - von den Klägern nicht jederzeit widerrufbares - vertragliches Wohnungsgebrauchsrecht verfügt oder die ehemalige Ehewohnung lediglich prekaristisch bewohnt, sind nach entsprechender Verfahrensergänzung zu treffende Feststellungen dahin erforderlich, ob zwischen der Großmutter der Kläger als Liegenschaftseigentümerin und dem Beklagten eine von diesem (der die Einräumung einer „lebenslangen, unentgeltlichen [Wohnungs-]Leihe" behauptet und dafür Beweise angeboten hat) geltend gemachte, auch die Kläger bindende Vereinbarung tatsächlich geschlossen wurde.

Ein Anspruch des Beklagten nach § 97 ABGB setzte eine Verfügungsberechtigung seiner geschiedenen Ehefrau an der Wohnung voraus. Besteht doch der Anspruch des bedürftigen Ehegatten auf die Ehewohnung nach dieser Gesetzesstelle grundsätzlich nur gegenüber dem Ehepartner und hat keine Drittwirkung (Stabentheiner in Rummel3 § 97 ABGB Rz 5 mwN). Unter der Voraussetzung der Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten kann der geschiedene Ehepartner dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren das im Aufteilungsanspruch fortlebende Benützungsrecht an der Ehewohnung wirksam einwenden, solange über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist (RIS-Justiz RS0009537). Ein Ehegatte, der sein Recht zur Benützung einer Wohnung von einem dem anderen Ehegatten - wenn auch nur prekaristisch - eingeräumten Benützungsrecht ableiten kann, kann nicht ohne Widerruf des dem anderen Ehegatten eingeräumten Prekariums vom Wohnungsgeber auf Räumung belangt werden (RIS-Justiz RS0047391 [T1]). Kann der Beklagte demnach nicht die vertragliche Vereinbarung eines Wohnungsgebrauchsrechts für sich selbst unter Beweis stellen, könnte er seinen Anspruch auf die Parterrewohnung nur dann auf § 97 ABGB stützen, wenn seiner geschiedenen Ehefrau und Mutter der Kläger diesbezüglich eine Verfügungsberechtigung zukäme. Dies ist aber, worauf die Revisionswerber zutreffend hinweisen, aus dem vom Erstgericht bisher festgestellten Sachverhalt nicht - auch nicht in Form einer Bittleihe - ableitbar.

Die Rechtssache ist daher an das Erstgericht zurückzuverweisen, das nach Vornahme einer Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn neuerlich zu entscheiden haben wird.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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