OGH 4Ob211/08w

OGH4Ob211/08w24.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****verband *****, vertreten durch Dr. Marcella Prunbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 54.000 EUR), im Verfahren über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss der Oberlandesgerichts Linz vom 18. September 2008, GZ 2 R 142/08b-8, mit welchem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 22. Juli 2008, GZ 2 Cg 102/08m-3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Das Verfahren über den Revisionsrekurs wird bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das vom Obersten Gerichtshof zu 4 Ob 154/08p (Rs C-540/08 ) gestellte Vorabentscheidungsersuchen unterbrochen.

Eine Fortsetzung erfolgt nur auf Antrag einer Partei.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt Einkaufszentren. Im Rahmen einer „Treuepunkteaktion" bot sie ihren Kunden Küchengeräte zu Preisen an, die bis zu 87 % unter dem jeweiligen Marktpreis lagen. Der Kläger beanstandet dies als eine durch einen Scheinpreis verschleierte Zugabe, als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und als unzulässiges Vorspannangebot.

Die Vorinstanzen wiesen den mit der Klage verbundenen Sicherungsantrag ab. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass noch keine Rechtsprechung zur Beurteilung von Vorspannangeboten nach neuem Recht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Das Verfahren über den Revisionsrekurs des Klägers ist zu unterbrechen.

1. Die Entscheidung im vorliegenden Verfahren hängt davon ab, ob das Zugabenverbot des § 9a UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) vereinbar ist. Trifft das zu, so wäre eine Umgehung des Zugabenverbots durch einen bloßen Scheinpreis anzunehmen. Denn bei einem der Geräte lag wegen des Unterschreitens des Marktpreises um 87 % ein krasses Missverhältnis zwischen dem Wert der Ware und dem Abgabepreis vor, was die Vermutung eines Scheinpreises begründete (RIS-Justiz RS0084658), und die Selbstkosten der Klägerin waren bei diesem Gerät wegen des Unterschreitens des Einstandspreises um knapp 50 % auch objektiv nicht annähernd gedeckt (4 Ob 334/97i = ÖBl 1999, 29 - Jahresabonnement-Kombiangebot). Eine „ordnungsgemäße Kalkulation" (RIS-Justiz RS0084631), mit der die Beklagte die Vermutung eines Scheinpreises hätte widerlegen können, war daher zumindest bei diesem Gerät nicht bescheinigt.

2. Der Senat hat die Frage, ob das Zugabenverbot mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren 4 Ob 154/08p (= MR 2008, 315 - Fußballer des Jahres II; EuGH Rs C-540/08 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die dort geäußerten Zweifel gelten auch hier: Ist die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken dahin auszulegen, dass sie das Verbot bestimmter Geschäftspraktiken auch dann erfasst, wenn dieses Verbot (auch) mit Erwägungen des Mitbewerberschutzes begründet ist, so verstieße § 9a UWG gegen den taxativen Charakter der Liste jedenfalls unzulässiger Geschäftspraktiken im Anhang der Richtlinie.

Da die zu erwartende Vorabentscheidung über den Anlassfall hinaus zu beachten sein wird (Kohlegger in Fasching/Konecny2 II/2, Anh zu § 190 Rz 351 mwN), wäre ein späteres Verfahren in der Hauptsache nach ständiger Rechtsprechung aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (10 ObS 188/98i; RIS-Justiz RS0110583; zuletzt etwa 2 Ob 130/03m und 8 Ob 64/04a; Kohlegger in Fasching/Konecny2 II/2, Anh zu § 190 Rz 262 mwN).

3. In Sicherungsverfahren hat der erkennende Senat eine solche Unterbrechung allerdings in zwei älteren Entscheidungen als unzulässig angesehen (4 Ob 2386/96b = EvBl 1997/152; 4 Ob 2391/96p = SZ 70/1). Zur Begründung führte er aus, dass eine solche Unterbrechung mit dem Zweck des Sicherungsverfahrens generell unvereinbar sei. Weiters sei nur durch ein im jeweiligen Verfahren gestelltes Vorabentscheidungsersuchen gewährleistet, dass die Vorlagefrage tatsächlich auch für dieses Verfahren bindend entschieden werde; die Unterbrechung sei daher auch nicht zweckmäßig iSv § 190 ZPO.

4. An dieser Auffassung ist jedoch nicht festzuhalten.

4.1. Das Argument der fehlenden Zweckmäßigkeit ist durch die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach Revisionsverfahren wegen Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens unterbrochen werden können (RIS-Justiz RS0110583), überholt; auch der erkennende Senat hat bereits mehrfach in diesem Sinn entschieden (4 Ob 258/00w, 4 Ob 70/02a). Dieses Argument kann daher auch nicht mehr für die Unzulässigkeit der Unterbrechung eines Sicherungsverfahrens herangezogen werden.

4.2. Zu prüfen bleibt daher die Frage, ob das Wesen des Sicherungsverfahrens einer Unterbrechung entgegensteht. Dafür spricht zwar der Zweck dieses Verfahrens, rasch einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Daher wird es im Allgemeinen unzulässig sein, ein Sicherungsverfahren zu unterbrechen, bis eine dort auftretende Vorfrage in einem anderen Verfahren - dort als Hauptfrage - beantwortet ist; vielmehr wird das Gericht die Vorfrage im Sicherungsverfahren selbst beurteilen müssen.

Die Rechtslage ist jedoch anders, wenn Zweifel bestehen, ob die Rechtsgrundlage des zu sichernden Anspruchs mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Hier droht eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht, wenn eine einstweilige Verfügung ungeachtet insofern bestehender Auslegungszweifel erlassen wird. Wiegen diese Zweifel so schwer, dass sie ungeachtet der in Sicherungsverfahren auch für Höchstgerichte nicht bestehenden Vorlagepflicht (Kohlegger in Fasching/Konecny2 II/2, Anh zu § 190 Rz 221 mwN) ein Vorabentscheidungsersuchen rechtfertigen (4 Ob 2252/96x = ÖBl 1996, 302 - Silhouette; RIS-Justiz RS0107063), so muss es auch zulässig sein, dieses Verfahren bis zur Erledigung eines in einem anderen Verfahren gestellten Vorabentscheidungsersuchens zu unterbrechen. Denn in beiden Fallgestaltungen wird im Sicherungsverfahren abgewartet, bis die präjudizielle Rechtsfrage zur Auslegung höherrangigen Rechts in einem anderen Verfahren entschieden ist und es kann daher in gleicher Weise dazu kommen, dass der einstweilige Rechtsschutz zunächst versagt wird, obwohl sich die Auslegungszweifel letztlich als unberechtigt erweisen. Ein sachlicher Grund für eine Differenzierung zwischen einem (zulässigen) Vorabentscheidungsersuchen und einer (angeblich unzulässigen) Unterbrechung ist daher nicht zu erkennen.

4.3. Aufgrund dieser Erwägungen hält der Senat seine in den Entscheidungen 4 Ob 2386/96b und 4 Ob 2391/96p vertretene Auffassung, Sicherungsverfahren könnten nicht bis zur Erledigung eines in einem anderen Verfahren gestellten Vorabentscheidungsersuchens unterbrochen werden, nicht aufrecht. Vielmehr ist auch hier im Einzelfall zu prüfen, ob eine solche Unterbrechung zweckmäßig ist. Das wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts so schwerwiegend sind, dass - läge noch kein Vorabentscheidungsersuchen vor - ein solches Ersuchen auch in einem Sicherungsverfahren angezeigt wäre.

5. Im vorliegenden Fall ist das den Anlass der Unterbrechung bildende Vorabentscheidungsersuchen 4 Ob 154/08p ebenfalls in einem Sicherungsverfahren ergangen. Aus den dort zitierten Schlussanträgen der Generalanwältin in den Verfahren C-261/07 und C-299/07 folgt, dass beträchtliche Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität des Zugabenverbots bestehen. Das spricht für die Unterbrechung.

Eine solche Unterbrechung wäre zwar - mangels Präjudizialität der Vorlagefrage - unzulässig, wenn die einstweilige Verfügung auch aus anderen Gründen erlassen werden könnte. Das trifft hier aber nicht zu. Soweit sich der Kläger auf einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung beruft, was in die lauterkeitsrechtliche Fallgruppe Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch (RIS-Justiz RS0123239) fiele, hat er nicht bescheinigt, dass die vor allem im Lebensmittelbereich tätige Beklagte (bzw allenfalls ihre Unternehmensgruppe) auf dem Markt für Küchengeräte eine marktbeherrschende Stellung einnimmt oder dass die beiden Märkte zumindest im kartellrechtlichen Sinn miteinander verbunden sind (4 Ob 23/08y = ÖBl 2008, 339 - Tageszeitung Ö; RIS-Justiz RS0119533). Nur unter dieser Voraussetzung könnte eine unvertretbare Rechtsansicht der Beklagten vorliegen.

Ein unzulässiges Vorspannangebot wäre nach der Rechtsprechung zu § 1 UWG idF vor der UWG-Novelle 2007 nicht anzunehmen, da das Angebot der Beklagten keineswegs einen derart übersteigerten Kaufanreiz ausübt, dass sachliche Erwägungen ausgeschalten würden (4 Ob 227/98f = ÖBl 1999, 95 - PKW-Jahres-Vignette). Ob nach neuem Recht Unlauterkeit allein deswegen vorliegen könnte, weil die günstige Vorspannware (ebenso wie eine Zugabe) möglicherweise die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern der Hauptware beeinflusst, ist ohnehin Gegenstand des zu 4 Ob 154/08p gestellten Vorabentscheidungsersuchens.

6. Aufgrund dieser Erwägungen ist das Verfahren über den Revisionsrekurs des Klägers bis zum Einlangen der Vorabentscheidung im Verfahren 4 Ob 154/08p (Rs C-540/08 ) zu unterbrechen.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, da (auch) Sicherungsverfahren der Disposition der Parteien unterliegen. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung zum Zugabenverbot ziehen.

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