OGH 4Ob2252/96x

OGH4Ob2252/96x15.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek und Dr. Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Klaus Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei H*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Prof.Dr.Alfred Haslinger und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und angemessenes Entgelt (Streitwert im Provisorialverfahren S 1,000.000,--), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Klägerin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 23. Juli 1996, GZ 2 R 117/96f-8, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Steyr vom 2. April 1996, GZ 3 Cg 46/96g-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

2. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 177 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art 7 Abs 1 der Ersten Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG, ABl. EG Nr. L 40/1 vom 11.2.1989 - MarkenRL) dahin auszulegen, daß die Marke ihrem Inhaber das Recht gewährt, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke in einem Staat, der nicht Vertragsstaat ist, in den Verkehr gebracht worden sind?

Kann der Markeninhaber allein aufgrund von Art 7 Abs 1 der MarkenRL begehren, daß der Dritte die Benutzung der Marke für Waren unterläßt, die unter dieser Marke in einem Staat, der nicht Vertragsstaat ist, in den Verkehr gebracht worden sind?

Text

Begründung

I. Sachverhalt

Die Klägerin erzeugt Modebrillen der oberen Preisklassen. Sie vertreibt die Brillen weltweit unter der in Österreich und in den meisten Staaten der Erde sowie auch international registrierten Wortbild-Marke "S*****". Die Klägerin liefert die Brillen in Österreich Fachoptikern; in anderen Staaten hat sie entweder Tochtergesellschaften oder Vertriebspartner.

Die Beklagte vertreibt in zahlreichen Filialen in Österreich (ua) Brillen und wirbt (vor allem) mit ihren niedrigen Preisen. Sie wird von der Klägerin nicht beliefert, weil die Klägerin den Vertrieb durch die Beklagte als dem von ihr aufgebauten Image besonderer Qualität und Aktualität abträglich erachtet.

Im Oktober 1995 verkaufte die Klägerin ausgelaufene Modelle, und zwar 21.000 Brillenfassungen, der Firma U***** um US$ 261.450,--. Der Kauf wurde vom Verkaufsrepräsentanten der Klägerin für den Mittleren Osten vermittelt. Die Klägerin trug ihm auf, den Kunden anzuweisen, die Brillenfassungen nur in Bulgarien oder in den Staaten der früheren Sowjetunion zu verkaufen und nicht in andere Länder zu exportieren. Der Verkaufsrepräsentant teilte der Klägerin mit, den Kunden angewiesen zu haben, daß die Fassungen entweder in Bulgarien zu verbleiben hätten oder nur in die Länder der ehemaligen Sowjetunion exportiert werden dürften. Ob dies tatsächlich geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden.

Im November 1995 lieferte die Klägerin die Fassungen der Firma U***** in Sofia. In der Folge erwarb die Beklagte die Ware - von wem, konnte nicht festgestellt werden - und bot sie ab Dezember 1995 in Österreich an. In einer Pressekampagne wies die Beklagte darauf hin, daß es ihr gelungen sei, trotz Nichtbelieferung durch die Klägerin 21.000 S*****-Fassungen zu erwerben, indem sie diese im Ausland gekauft habe.

II. Anträge der Parteien

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten zu verbieten, in Österreich Brillen oder Brillenfassungen unter dem Markenzeichen "S*****" bzw. Brillen oder Brillenfassungen, die mit der Bezeichnung "S*****" versehen sind, anzubieten, dafür zu werben oder sie zu vertreiben, soweit solche Brillen oder Brillenfassungen nicht von der Klägerin selbst oder durch Dritte mit deren Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in den Verkehr gebracht worden sind.

Dem bulgarischen Abnehmer sei ausdrücklich die Auflage erteilt worden, die Brillenfassungen ausschließlich in Bulgarien oder in Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu vertreiben. Der Käufer habe die Auflage akzeptiert. Durch den Vertrieb der Fassungen in Österreich verletze die Beklagte insbesondere die Markenrechte der Klägerin. Der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung gelte nicht mehr; nach Art 7 MarkenRL würden die Markenrechte nur im EWR erschöpft. Die Klägerin stütze ihren Anspruch auf § 10a MSchG, aber auch auf §§ 1, 9 UWG und § 43 ABGB.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen.

Die Klägerin habe die Brillenfassungen nicht unter der Auflage verkauft, daß jeder Reimport ausgeschlossen sei. § 43 ABGB sei nicht anwendbar. Das Markenschutzgesetz räume keinen Unterlassungsanspruch ein. Das Verhalten der Beklagten sei angesichts der unklaren Rechtslage nicht sittenwidrig.

Rechtliche Beurteilung

III. Österreichische Rechtslage

Art 7 der MarkenRL wurde in Österreich durch die Markenschutzgesetz-Novelle 1992 BGBl 1992/773 nahezu wortgleich (die Richtlinie enthielt die Worte "in der Gemeinschaft"; diese wurden durch ABl Nr. L 1 vom 3.1.1994 S. 483 geändert in "in einem Vertragsstaat"; § 10a Abs 1 MSchG verwendet statt dessen die Worte "im EWR") umgesetzt; § 10a MSchG entspricht somit inhaltlich Art 7 der MarkenRL. Gemäß § 10a Abs 1 MSchG gewährt die Marke ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihrem Inhaber oder mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden sind. Das österreichische Markenrecht kennt keinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch; Unterlassung eines Markeneingriffes kann nur nach § 9 UWG verlangt werden.

Nach § 9 Abs 1 UWG kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer im geschäftlichen Verkehr einen Namen, eine Firma oder die besondere Bezeichnung eines Unternehmens oder eines Druckwerkes, für das § 80 UrhG nicht gilt, in einer Weise benützt, die geeignet ist, Verwechslungen mit dem Namen, der Firma oder der besonderen Bezeichnung hervorzurufen, deren sich ein anderer befugterweise bedient. Der besonderen Bezeichnung stehen (ua) registrierte Marken gleich (§ 9 Abs 3 UWG).

Nach § 1 UWG kann (ua) auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen. Sittenwidrig iS des § 1 UWG kann auch ein Gesetzesverstoß sein. Der Gesetzesverstoß muß subjektiv vorwerfbar und geeignet sein, dem gesetzwidrig Handelnden einen Vorsprung vor den gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen (stRsp ua ÖBl 1994, 17 = ecolex 1993, 758 - Contact; zuletzt etwa ÖBl 1996, 237 - Anstaltsapotheke II, je mwN).

§ 43 ABGB - von der Klägerin ebenfalls als Anspruchsgrundlage genannt - räumt einen Unterlassungsanspruch ein, wenn jemandem das Recht zur Führung seines Namens bestritten oder er durch unbefugten Gebrauch seines Namens (Decknamens) beeinträchtigt wird.

Ob aus § 10a Abs 1 MSchG folgt, daß der Markeninhaber einen Unterlassungsanspruch besitzt, wenn die Waren außerhalb des EWR von ihm oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht worden sind, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach den Gesetzesmaterialien (669 BlgNR 18. GP 5) beläßt die normative Regelung "die Lösung der Frage nach der Geltung des Prinzips der internationalen (globalen) Erschöpfung einer Regelung durch die Rechtspraxis".

Auch vor dem Inkrafttreten des § 10a Abs 1 MSchG war in der österreichischen Lehre und Rechtsprechung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung anerkannt, daß das Ausschließungsrecht des Markeninhabers gewissen Schranken unterliegt. Mit der Entscheidung SZ 43/219 = JBl 1971, 476 = EvBl 1971/110 = ÖBl 1971, 21 - Agfa hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung des Markenrechts gilt: Die inländische, mit dem Vertrieb betraute Tochtergesellschaft eines ausländischen Unternehmens könne auch unter Berufung auf ein eigenes österreichisches Markenrecht nicht verhindern, daß Originalware der Muttergesellschaft, die von dieser im Ausland unter einer gleichlautenden Marke in Verkehr gesetzt und dann von einem Dritten nach Österreich eingeführt wurde ("Parallelimport"), im Inland ohne ihre Zustimmung unter der Konzernmarke vertrieben wird. Die Herkunfts- und Vertrauensfunktion der Marke würden nicht dadurch beeinträchtigt, daß rechtmäßig gekennzeichnete und in Verkehr gebrachte Ware weitervertrieben werde. Dazu komme, daß die Unterlassungsklage nach österreichischem Recht nicht auf das Markenschutzgesetz, sondern nur auf § 9 UWG gegründet werden könne. Dieser Tatbestand setze eine Verwechslungsgefahr der Marken und damit der mit den Marken bezeichneten Waren voraus.

In der Folge entschied der Oberste Gerichtshof, daß auch inländische

Alleinvertriebsberechtigte mit von ausländischen Erzeugern

abgeleiteten, wenngleich eigenen Markenrechten Parallelimporte nicht

unter Berufung auf ihr Markenrecht verhindern können (SZ 47/15 =

GesRZ 1974, 132 = ÖBl 1974, 84 - Lanvin; ÖBl 1984, 24 = GRURInt 1984,

369 - Bichlhof). Nach der Entscheidung ecolex 1992, 101 = ÖBl 1991,

257 = MR 1992, 38 = WBl 1992, 100 = GRURInt 1992, 467 - Spinnrad liegt eine markenrechtliche Einheit trotz Fehlens einer Konzernverflechtung vor, wenn ein inländisches und ein ausländisches Unternehmen gemeinsam eine Ware produzieren, die dann unter einer gemeinsamen Marke in verschiedenen Ländern vertrieben wird; der österreichische Markeninhaber könne nicht verhindern, daß ein Dritter die Ware vom ausländischen "Produktionspartner" und Markeninhaber kaufe und parallel importiere.

Nach der Lehre ist das Kennzeichenrecht erschöpft, sobald der mit dem Kennzeichen versehene Gegenstand mit Zustimmung des Kennzeicheninhabers in den geschäftlichen Verkehr gelangt ist. Daher kann der Vertrieb von Markenware, die im Ausland mit Zustimmung des dortigen Markeninhabers in Verkehr gesetzt worden ist und irgendwie (etwa durch Parallelimporte) nach Österreich gekommen ist, von dem demselben Konzern angehörigen Inhaber der gleichen österreichischen Marke in der Regel nicht als Kennzeichenverletzung verfolgt werden (Schönherr, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Allg Teil 12; Kucsko, Österreichisches und europäisches Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht4, 70). Koppensteiner (Markenrechtsentwicklung und Parallelimport, ÖBl 1994, 195) und Pöchhacker (Die Bedeutung der Ersten Markenrichtlinie für das österreichische Markenrecht, in Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 2, 1 [178ff]), treten dafür ein, auch nach Inkrafttreten des § 10a Abs 1 MSchG am Grundsatz der weltweiten Erschöpfung festzuhalten. Hingegen ist Schanda (Parallelimport und Herkunftsfunktion der Marke, ÖBl 1996, 167 [173ff]) der Auffassung, daß (nur) Parallelimporte innerhalb der Gemeinschaft zulässig seien; Parallelimporte aus Drittstaaten könne der Markeninhaber unter Berufung auf das Markenrecht abwehren.

IV. Vorlagefragen

Nach Art 7 Abs 1 MarkenRL gewährt die Marke ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in einem Vertragsstaat in den Verkehr gebracht worden sind. Ob aus dieser Bestimmung folgt, daß der Markeninhaber die Benutzung der Marke verbieten kann, wenn die Markenware in einem Drittstaat in den Verkehr gebracht worden ist, und ob das Prinzip der weltweiten Erschöpfung damit nicht mit der MarkenRL vereinbar ist, ist bestritten (s Albert/Heath, Anm zu BGH GRUR 1996, 271 - Gefärbte Jeans mwN; s auch Klaka, Erschöpfung und Verwirkung im Licht des Markenrechtsreformgesetzes, GRUR 1994, 321; Lehmann/Schönfeld, Die neue europäische und deutsche Marke: Positive Handlungsrechte im Dienste der Informationsökonomie, GRUR 1994, 481 [484]; Pickrahn, Die Bekämpfung von Parallelimporten nach dem neuen Markengesetz, GRUR 1996, 383; Pöchhacker aaO 178ff mwN).

Zur Begründung der Auffassung, daß Art 7 Abs 1 MarkenRL die Erschöpfung abschließend regle (Erschöpfung nur innerhalb der Europäischen Gemeinschaft) und nicht bloß einen Mindeststandard festsetze (Erschöpfung jedenfalls innerhalb der Europäischen Gemeinschaft), wird (auch) auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmung verwiesen.

Nach Art 5 Abs 1 des Richtlinienentwurfes von 1979 gewährte die Marke dem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, sie für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht worden sind. Die damit ausgesprochene Anerkennung der weltweiten Erschöpfung wurde auf Verlangen von Mitgliedstaaten und von Vertretern der Industrie fallengelassen (Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, GRURInt 1989, 603 [614f]). Der geänderte Richtlinienentwurf vom 17.12.1985 enthielt bereits die später in Kraft getretene Fassung.

Die Vertreter der Auffassung, daß sich der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung nicht mit der MarkenRL vereinbaren lasse, verweisen auf die Äußerung des Kommissionsmitgliedes Narjes:

"Die Kommission kann sich den Argumenten nicht verschließen, die gegen die Verankerung des Grundsatzes der 'internationalen Erschöpfung' im Richtlinien- und Verordnungsvorschlag vorgetragen wurden...

Nach eingehender Prüfung sind wir zu dem Ergebnis gelangt, daß die möglichen negativen handelspolitischen Auswirkungen dieses Grundsatzes den Ausschlag geben sollten. Diese Auswirkungen müssen darin gesehen werden, daß der Kommissionsvorschlag die Unternehmen in der Gemeinschaft benachteiligt gegenüber den Unternehmen in Drittstaaten, welche die internationale Erschöpfung nicht kennen. Die Gemeinschaft würde somit einseitige Vorleistungen im Verhältnis zu diesen Drittstaaten erbringen...

Ich bin allerdings der Auffassung, daß die Gemeinschaft im Sinne einer Förderung des internationalen Handels befugt sein muß, zu gegebener Zeit mit wichtigen Handelspartnern zwei- oder mehrseitige Verträge abzuschließen, in denen der Grundsatz der internationalen Erschöpfung von den Vertragsparteien eingeführt wird." (zit nach Klaka aaO GRUR 1994, 325).

Vor allem auch aufgrund dieser Äußerung wird aus der Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 1 MarkenRL abgeleitet, daß sich der europäische Gesetzgeber bewußt gegen eine internationale Erschöpfung ausgesprochen habe (Klaka aaO GRUR 1994, 325). In diesem Sinn hat die Kommission die Ansicht vertreten, daß die Beibehaltung einer weltweiten Erschöpfung nicht mit der MarkenRL vereinbar sei (Gemeinsame Antwort von Herrn Vanni d'Archirafi vom 26. April 1994 auf die schriftlichen Anfragen E-3482/93, E-3483/93 und E-3484/93, ABl Nr. L 340 vom 29.12.1994, 37 = GRURInt 1995, 205).

Im Schrifttum wird diese Auffassung (ua) damit begründet, daß Art 7 als Ausnahmebestimmung zu Art 5 MarkenRL eng auszulegen sei (Kunz-Hallstein, Europäisierung und Modernisierung des deutschen Warenzeichenrechts, Fragen einer Anpassung des deutschen Markenrechts an die EG Markenrichtlinie, GRURInt 1990, 747 [758]). Die weltweite Erschöpfung werde aus der Herkunftsfunktion abgeleitet; die Herkunftsfunktion finde in der MarkenRL keine klare Deckung mehr (Kunz-Hallstein, Perspektiven der Angleichung des nationalen Markenrechts in der EWG, GRURInt 1992, 81 [90]; s auch Klaka aaO GRUR 1994, 326; Harte-Bavendamm/Scheller, Die Auswirkungen der Markenrechtsrichtlinie auf die Lehre von der internationalen Erschöpfung, WRP 1994, 571 [576]). Es wird auch darauf verwiesen, daß die MarkenRL den Schutz der Marken vereinheitlichen wolle (9. Erwägungsgrund zur RL; Sack, Die Erschöpfung von Markenrechten nach Europäischem Recht, RIW 1994, 897 [899]) und daß bei einer an Art 30 EGV orientierten Interpretation die weltweite Erschöpfung aufgegeben werden müsse (Tilmann, Das neue Markenrecht und die Herkunftsfunktion, ZHR 158 [1994] 371 [387]). Das unionsweite Verständnis des Erschöpfungsgrundsatzes verbessere die Rechtsstellung des Zeicheninhabers, da er sich so gegen die Einfuhr von Kopien (?) seiner Markenprodukte aus Drittländern effektiver zu behaupten vermöge (Meyer, Das deutsche und französische Markenrecht nach der Umsetzung der Ersten Markenrichtlinie (RL 89/104/EWG) , GRURInt 1996, 592 [596]).

Die Vertreter der Auffassung, daß Art 7 Abs 1 MarkenRL die Frage der weltweiten Erschöpfung offenlasse, verweisen auf Art 9 Abs 2 der Richtlinie 92/100/EWG , wonach sich das Urheberrecht nur mit dem Erstverkauf des Gegenstandes in der Gemeinschaft erschöpft. Hier habe der europäische Gesetzgeber tatsächlich eine abschließende Regelung treffen wollen (Albert/Heath aaO GRUR 1996, 277). Ein weiteres Argument ist die fehlende Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft, in die Beziehungen der Vertragsstaaten zu Drittstaaten einzugreifen. Art 100a EG-Vertrag verleihe der Europäischen Gemeinschaft (nur) die Kompetenz, die wettbewerbsrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten anzugleichen, um den europäischen Binnenmarkt zu verwirklichen (Koppensteiner aaO ÖBl 1994, 202, unter Hinweis auf Ebenroth, Gewerblicher Rechtsschutz und europäische Warenverkehrsfreiheit; Schriftenreihe "Recht der internationalen Wirtschaft", 29; Albert/Heath aaO GRUR 1996, 277). Es wird weiters darauf verwiesen, daß der EuGH in seinem Gutachten über die Zuständigkeit zum Abschluß des GATS und des TRIPS ausgeführt habe, den Mitgliedstaaten stehe es frei, den Erschöpfungsgrundsatz in bezug auf eingeführte Ware auszuschließen, die aus einem Drittland stammt. Auch nach Ansicht des EuGH sei die weltweite Erschöpfung demnach weiterhin zulässig (Pöchhacker aaO 188 mwN).

Während Dänemark die MarkenRL in gleicher Weise umgesetzt hat wie Österreich (Pöchhacker aaO 189 mwN FN 719), hat der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie, jedenfalls nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum MarkenG (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 14.1.1994, zit nach Klaka aaO GRUR 1994, 324), iS der bloß europaweiten Erschöpfung des Markenrechts verstanden. Dem folgt die Rechtsprechung; in der E BGH GRUR 1996, 271 - Gefärbte Jeans wurde ausgesprochen, daß seit dem Inkrafttreten des Markengesetzes der Grundsatz der internationalen Erschöpfung des Zeichenrechts nicht mehr anwendbar sei. Der Import von Markenware aus Drittländern sei rechtswidrig und könne vom Markeninhaber untersagt werden. Der Unterlassungsanspruch wurde auf § 14 Abs 2 Nr. 1 dMarkenG gestützt. Diese Bestimmung untersagt es Dritten, ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie Schutz genießt. Wer gegen dieses Verbot verstößt, kann vom Markeninhaber auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (§ 14 Abs 5 dMarkenG; s Pickrahn aaO GRUR 1996, 384).

Frankreich hat Art 7 MarkenRL fast wortgetreu in Art L. 713-4 CPI übernommen. Der Zeicheninhaber verliert demnach seinen Schutz, wenn die markierte Ware durch ihn selbst oder mit seiner Zustimmung auf den Markt gebracht worden ist. Die französische Praxis und Lehre konzentrieren sich dabei auf Vorgänge innerhalb der EU, so daß auch hier "trotz handelspolitischer Bedenken nur ein unionsweites, kein universales Verständnis des Erschöpfungsgrundsatzes vorherrscht" (Meyer aaO GRURInt 1996, 609 mwN; s auch Klaka aaO GRUR 1994, 325).

Italien hat die MarkenRL 1992 in nationales Recht umgesetzt; Spanien hat seit 12.5.1989 ein neues Markengesetz, das nur eine nationale Erschöpfung vorsieht (Klaka aaO GRUR 1994, 325 mwN). Die Benelux-Staaten, die skandinavischen Länder, Großbritannien und Irland kennen hingegen, wie die bisherige österreichische Rechtsprechung, den weltweiten Erschöpfungsgrundsatz (Klaka aaO GRUR 1994, 326 mwN).

V. Verfahrensrechtliches

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (zB EuGH EuZW 1993, 554 - Nissan; Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht**2, 179) haben sich die nationalen Gerichte bei der Auslegung einer nationalen Vorschrift, die der Umsetzung einer Richtlinie (Art 189 Abs 3 EGV) dient, soweit wie möglich an Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren und Rechtsbegriffe, die in der Richtlinie und im innerstaatlichen Recht übereinstimmen, entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen auszulegen.

§ 10a MSchG stimmt mit Art 7 Abs 1 MarkenRL praktisch überein; der Wortlaut des Art 7 Abs 1 MarkenRL deckt beide oben erwähnten Auffassungen (Erschöpfung nur innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder Erschöpfung jedenfalls innerhalb der Europäischen Gemeinschaft). Die Auffassungen zur Auslegung des Art 7 Abs 1 MarkenRL sind - wie oben dargelegt wurde - in den einzelnen Mitgliedstaaten uneinheitlich. Damit ist aber die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall eines Reimportes von Originalware des Markeninhabers, die vom Markeninhaber in einem Drittstaat in den Verkehr gebracht worden ist, nicht derart offenkundig, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bliebe. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen dürfen nämlich die Gerichte insbesondere dann nicht ausgehen, wenn ihnen bekannt ist, daß die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Vorschrift unterschiedlich auslegen (ähnlich EuGH 6.10.1982 - CILFIT Slg 1982, 3430 RdNr. 16).

Daß sich die Rechtssache noch im Stadium des Provisorialverfahrens befindet, steht der Vorlageberechtigung nicht entgegen (Borchardt in Lenz, Komm z EGV, Rz 18 zu Art 177 EGV mwN). Nach Ansicht des vorlegenden Senates ist die Vorlage schon in diesem Verfahrensstadium zweckmäßig, weil der Sachverhalt, soweit er nicht unstrittig ist, im wesentlichen geklärt erscheint und mit einer relevanten Änderung des im Hauptverfahren festzustellenden Sachverhaltes nicht zu rechnen ist (Gamerith, Das Vorabentscheidungsverfahren in Wettbewerbssachen, ÖBl 1995, 51 [58]). Infolge der verfügten Aussetzung des Verfahrens wird die begehrte Vorabentscheidung schon in die Provisorialentscheidung einzubeziehen sein (Borchardt aaO Rz 18). Die für die Entscheidung erheblichen Fragen der Auslegung des Art 7 Abs 1 MarkenRL waren daher gemäß Art 177 EGV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.

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