OGH 7Ob212/08i

OGH7Ob212/08i5.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Martin K*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Dr. Susanne K*****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Räumung, aus Anlass der „Zulassungsvorstellung und Revision" der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 31. März 2008, GZ 7 R 227/07y‑53, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0070OB00212.08I.1105.000

 

Spruch:

Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, die angefochtene Entscheidung durch einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO zu ergänzen.

Begründung

Der Kläger begehrt die Räumung der Wohnung im ersten Stock seines Hauses durch die Beklagte mit der Begründung, sie habe „keinen Titel, der sie zur fortgesetzten Benützung dieser Räumlichkeiten" berechtige.

Die Beklagte wendet unter anderem ein, sie und ihr Ehegatte würden über ein Benützungsrecht verfügen, das sie aus der 1995 getroffenen Benützungsvereinbarung, weiters aus dem zwischen der Beklagten und ihrer Mutter abgeschlossenen Kaufvertrag vom 31. 8. 2004 und aus dem zwischen dem Kläger und seiner Mutter vereinbarten Schenkungsvertrag vom 23. 2. 2005 ableitet.

Das (frühere) Bestehen eines Schuldverhältnisses nach § 49 Abs 2 Z 5 JN war kein Thema des wechselseitigen Vorbringens in erster Instanz.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Da die Beklagte ein Wohnrecht nicht nachweisen habe können, benütze sie die Wohnung im ersten Stock des Hauses titellos.

In ihrer Berufung bekämpfte die Beklagte die oben unter Anführungszeichen zitierte Feststellung und argumentierte in ihrer Rechtsrüge (erstmals) damit: Die Weiterbenutzung der Wohnung durch die Beklagte nach Verkauf an die Mutter bedeute (mangels Feststellung, dies sei in Ausübung der Eigentumsrechte der Mutter erfolgt) ein - zumindest stillschweigendes - Tolerieren, das heißt Anerkennen des Wohnrechts der Beklagten durch den Kläger.

Das Berufungsgericht erachtete die Beweisrüge als unberechtigt und bestätigte die Rechtsansicht des Erstrichters. Ein Bewertungsausspruch findet sich im Berufungsurteil nicht, die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen erhebt die Beklagte „Zulassungsvorstellung" an das Berufungsgericht, verbunden mit einer „Revision" an den Obersten Gerichtshof. Die Vorinstanzen hätten die Frage unerörtert gelassen, ob allenfalls in Ansehung der Benutzung der Wohnung (gemeint: nach dem Kauf durch die Mutter) ein Mietverhältnis oder ein sonstiges Benutzungsrecht der Klägerin (gemeint: Beklagten) ableitbar sei, welches durch die Schenkung an den Kläger unberührt geblieben sei. Die in erster Instanz behauptete Geschäftsunfähigkeit der Mutter bei Abschluss des Schenkungsvertrags, die das Erstgericht verneinte, ist kein Thema beider Rechtsmittelverfahren.

Das Erstgericht legte den Akt dem Berufungsgericht vor, das ihn mit dem (nur in Begründung enthaltenen) Auftrag zurückstellte, das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof direkt als außerordentliche Revision vorzulegen; die Rechtssache falle unter § 502 Abs 2 ZPO, weshalb das Berufungsurteil bei Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision immer mit außerordentlicher Revision bekämpft werden könne.

1. Nach § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gilt diese Gesetzesstelle unter anderem nicht „für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird ". § 49 Abs 2 Z 5 JN erfasst „alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen über die im § 560 ZPO bezeichneten Sachen und mit ihnen in Bestand genommene bewegliche Sache sowie aus genossenschaftlichen Nutzungsverträgen (§ 1 Abs 1 MRG) und aus dem im § 1103 ABGB bezeichneten Vertrag über solche Sachen einschließlich der Streitigkeiten über die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung solcher Verträge, die Nachwirkungen hieraus und wegen Zurückhaltung der vom Mieter oder Pächter eingebrachten oder der sonstigen dem Verpächter zur Sicherstellung des Pachtzinses haftenden Fahrnisse, schließlich Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen (§ 27 MRG)."

Erfasst werden somit nach dem klaren Wortlaut nur Streitigkeiten aus Bestandverträgen, genossenschaftlichen Nutzungsverträgen und Teilpachtverträgen (7 Ob 152/99z). Nach herrschender Auffassung darf die (Zuständigkeits‑)Bestimmung des § 49 Abs 2 Z 5 JN - und damit gleichermaßen die darauf ausdrücklich Bezug nehmende Ausnahme vom Revisionsausschluss nach § 502 Abs 5 ZPO - nicht ausdehnend ausgelegt werden (7 Ob 152/99z; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 192).Sie ist daher nur auf reine Bestand‑, Nutzungs- oder Teilpachtverträge, nicht aber auf gemischte oder mietähnliche Verhältnisse anzuwenden (Mayr in Rechberger³ § 49 JN Rz 11 mwN); so auch nicht auf ein Benützungsverhältnis aus einer persönlichen Dienstbarkeit des Wohnungsrechts (7 Ob 152/99z) oder eine jederzeit widerrufliche Benützungsvereinbarung (RIS‑Justiz RS0042931 [T2]). Räumungsklagen sind daher nur dann als Bestandstreitigkeiten im Sinn des § 49 Abs 2 Z 5 JN anzusehen, wenn sie aus der Beendigung eines Bestand‑, Nutzungs- oder Teilpachtverhältnisses resultieren (5 Ob 232/05m), nicht hingegen, wenn sie sich auf die Benützung ohne Rechtsgrund beziehen (RIS‑Justiz RS0046865).

Für die Frage, ob der in § 502 Abs 5 Z 2 ZPO angeführte Ausnahmefall einer streitwertunabhängigen Revisionszulässigkeit vorliegt, ist grundsätzlich von den Behauptungen des Klägers auszugehen (RIS‑Justiz RS0043003; RS0046236; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 191).

2. Der vorliegende Rechtsstreit dient nicht der Durchsetzung eines Räumungsbegehrens unter Berufung auf die Beendigung eines (in diesem Sinne auch gar nicht festgestellten) Schuldverhältnisses nach § 49 Abs 2 Z 5 JN, sondern vielmehr der Beendigung einer behaupteten rechtsgrundlosen Benützung des ersten Stocks des Objekts des Klägers. Es geht hier auch nicht um den Sonderfall eines Begehrens, bei dem der Räumungsanspruch wegen titelloser Benützung schon nach dem Klagevorbringen auf die Rechtsunwirksamkeit von Bestandverträgen über die vom Räumungsbegehren erfassten Objekte gestützt wurde (siehe dazu 1 Ob 242/98i; RIS‑Justiz RS0043261 [T8]). Daher steht hier keine nach § 502 Abs 5 ZPO privilegierte (Bestand‑)Streitigkeit zur Entscheidung an.

3. Somit wäre aber das Räumungsbegehren gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vom Berufungsgericht zu bewerten gewesen, was von ihm nachzuholen sein wird (RIS‑Justiz RS0041371; RS0042489; RS0042437).

Der Umstand, dass das Berufungsgericht das ihm bereits vorliegende Rechtsmittel gegen sein Urteil an das Erstgericht mit dem beschlussmäßigen Auftrag zurückstellte, das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof direkt als außerordentliche Revision vorzulegen, steht dem nicht entgegen. Es besteht nämlich für den Obersten Gerichtshof keine Bindung, wenn das Berufungsgericht durch die gesetzwidrige Verweigerung eines Bewertungsausspruchs in die zwingende Regelung der Revisionszulässigkeit eingreift. Insoweit ist dem Berufungsgericht jegliche Einflußnahme auf die Anfechtbarkeit seiner Entscheidung funktionell versagt, sodass ihm die Nachholung eines zunächst abgelehnten, für die Prüfung der Revisionszulässigkeit jedoch unumgänglichen Bewertungsausspruchs aufgetragen werden kann (5 Ob 1110/92 = RIS‑Justiz RS0042310).

Erst nach einer solchen Bewertung wird sich beurteilen lassen, ob die Zulassungsbeschwerde samt Revision der Beklagten als außerordentliche Revision gegen das in zweiter Instanz bestätigte erstgerichtliche Räumungsurteil in die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs fällt.

4. Nach allen bisherigen Erwägungen ist dem Berufungsgericht die Nachholung des unterbliebenen Bewertungsausspruchs aufzutragen. Je nach dessen Ergebnis ist, falls etwa der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR nicht übersteigen sollte, allenfalls auch eine Berichtigung des Ausspruchs über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision erforderlich (vgl 1 Ob 115/01w).

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