OGH 1Ob90/08d

OGH1Ob90/08d21.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marco K*****, vertreten durch Dr. Siegfried Dillersberger, Dr. Helmut Atzl und Mag. Christian Dillersberger, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 8.878,28 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. Februar 2008, GZ 2 R 251/07i-19, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 7. September 2007, GZ 5 Cg 62/07h-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 742,27 EUR (darin enthalten 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat am 27. 6. 2000 als Schüler der ersten Klasse einer Hauptschule im Rahmen einer Schulveranstaltung auf einem Minigolfplatz eine Verletzung dadurch erlitten, dass ein Mitschüler mit seinem Minigolfschläger zu einem Abschlag ausgeholt und dabei den Schläger so weit über die linke Schulter geschwungen hat, dass er den Kläger unterhalb des linken Auges traf.

Eine aufgrund dieses Vorfalls gegen die Eigentümerin und Betreiberin der Minigolfanlage erhobene Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Bereits während dieses Verfahrens forderte der Kläger die Beklagte als für das Verhalten der beaufsichtigenden Lehrpersonen im Rahmen der Schulveranstaltung haftende Rechtsträgerin zur Anerkennung seines Ersatzanspruchs auf.

Nach ablehnendem Schreiben der Finanzprokuratur erhob der Kläger eine Klage gegen den unmittelbaren minderjährigen Schädiger, gestützt auf § 1310 ABGB. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass ein Verschulden einer Aufsichtsperson im Sinne des § 1309 ABGB, für das der Bund nach den Bestimmungen des AHG einzustehen habe, angenommen werden könne, sodass die subsidiäre Haftung des Minderjährigen ausscheide. Einer dagegen auch aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers gab das zuständige Berufungsgericht nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Nunmehr erhebt der Kläger aufgrund dieser Entscheidungen Amtshaftungsansprüche mit dem Vorbringen, die Gerichte hätten in ihren abweislichen Entscheidungen die Bestimmung des § 335 Abs 3 ASVG übersehen, wonach dem Schulerhalter das „Dienstgeberprivileg" zugute komme und eine Haftung des Rechtsträgers für Personenschäden nur bei vorsätzlicher Herbeiführung der Schädigung eintrete. Ein solches vorsätzliches Verhalten der aufsichtspflichtigen Lehrer sei im Anlassverfahren nicht releviert worden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Vorfrage, ob nach § 1309 ABGB von den aufsichtspflichtigen Lehrern bzw deren Rechtsträger Ersatz verlangt werden könne, verneint werden müssen. Da eine Amtshaftungsklage aus dem Grund der Aufsichtspflichtverletzung keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wäre der auf § 1310 ABGB gestützten Klage im Vorprozess richtigerweise Folge zu geben gewesen. Der Kläger begehrte daher den Zuspruch in Höhe der gegen den Minderjährigen erhobenen Forderung an Schmerzengeld, der Aufwendungen für die Klinikbesuche seiner Eltern, daraus resultierende kapitalisierte Zinsen sowie der Kosten der beiden Vorverfahren, insgesamt sohin 25.793,52 EUR.

Die Beklagte wandte ein, die Entscheidungen der Gerichte im Vorverfahren seien richtig, zumindest aber rechtlich vertretbar. Darüber hinaus wäre der Kläger dort mit seinem Begehren auch deshalb nicht durchgedrungen, weil die Vorgangsweise des minderjährigen Schädigers wegen dessen Alters keine Fahrlässigkeit im Sinne eines haftungsbegründenden Verschuldens darstelle. Der Kläger seinerseits habe einen zu geringen Abstand zu seinem Mitschüler eingehalten und die Verletzung selbst zu verantworten. Auch bei Einräumung eines geringen Mitverschuldens des Schädigers sei ein Zuspruch aus Gründen der Billigkeit gemäß § 1310 ABGB abzulehnen. Die ursprüngliche Ablehnung der Haftung durch die Finanzprokuratur sei ausdrücklich auch auf die Bestimmungen des ASVG gestützt worden; dies hätte im Anlassverfahren vorgebracht werden müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 8.878,28 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Die Gerichte des Anlassfalls hätten im Zusammenhang mit der Prüfung des dortigen Klagebegehrens nach den Bestimmungen der §§ 1309, 1310 ABGB das Haftungsprivileg der Republik Österreich als Schulerhalter nach § 335 Abs 3 ASVG übersehen. Danach sei der Ersatz des Schadens aus Körperverletzung wie bei einem Arbeitsunfall gemäß § 333 ASVG nur bei vorsätzlicher Verursachung vorgesehen. Aus den Feststellungen im Anlassverfahren ergebe sich aber kein vorsätzliches Verhalten der aufsichtspflichtigen Lehrpersonen. Zwar habe der Kläger im Anlassverfahren nicht vorgebracht, dass er aufgrund des Haftungsprivilegs von der Republik Österreich keinen Ersatz verlangen könne, die Bestimmung sei aber nicht so „exotisch", dass sie nicht dennoch hätte berücksichtigt werden müssen. Die Abweisung des Klagebegehrens ohne Berücksichtigung der Bestimmungen des ASVG sei rechtlich nicht vertretbar gewesen. Da der minderjährige Schädiger über eine Haftpflichtversicherung verfügt habe, wäre eine Haftung aufgrund des dritten Falls des § 1310 ABGB anzunehmen gewesen. Das den Unfall verursachende Ausholen mit dem Schläger nach Bespielen einer Minigolfbahn stelle auch keine dem Minigolfsport immanente Gefahr dar. Es wäre daher im Anlassverfahren der Zuspruch von Schmerzengeld sowie der Fahrtkosten der Eltern berechtigt gewesen. Hinzu kämen die dem dortigen Verfahrensgegner zugesprochenen Prozesskosten und die Prozesskosten des Klägers in diesem Verfahren, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien. Dagegen seien die Kosten des Vorverfahrens gegen die Minigolfplatzbetreiberin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen. Überdies seien diese von der Rechtsschutzversicherung des Klägers getragen worden, was im Gegensatz dazu für die Prozesskosten des Anlassverfahrens nicht festgestellt werden könne.

Der gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung erhobenen Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht keine Folge. Die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG sei nicht von Amts wegen wahrzunehmen; die Frage, ob der Geschädigte nach § 1309 ABGB Ersatz erlangen könne, sei aber „eine Vorfrage für die Entscheidung aufgrund des § 1310 ABGB", die das Gericht von Amts wegen zu erörtern habe. Dabei sei die Unmöglichkeit, Schadenersatz nach § 1309 ABGB zu erhalten, vom Kläger zu beweisen. Bei einer Klage gegen die Republik Österreich wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht habe der Kläger die Einwendung des „Dienstgeberprivilegs" zu gewärtigen gehabt. Seine Klage wäre daher erfolglos gewesen. Zu einer von vornherein erfolglosen Klagsführung sei der Kläger aber nicht verpflichtet. Die Abweisung des Begehrens gegen den minderjährigen Schädiger und die Bestätigung dieses Urteils durch das Berufungsgericht beruhten auf einer unvertretbaren Rechtsauffassung. Was den Zuspruch der Prozesskosten betreffe, habe das Erstgericht nicht feststellen können, ob diese von der Rechtsschutzversicherung getragen worden seien. Die diesbezügliche Rechtsrüge gehe daher nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Beweisergebnisse in Richtung der von der Beklagten gewünschten Ersatzfeststellung, wonach der Kläger selbst keine Prozesskosten bezahlt habe, lägen nicht vor, ebensowenig der in diesem Zusammenhang gerügte Mangel des Verfahrens erster Instanz.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Auf die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG ist nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0085007; 2 Ob 387/97v; 2 Ob 353/97v). Das bedeutet aber lediglich, dass vom Gericht die tatsächlichen Voraussetzungen des Haftungsausschlusses nicht von Amts wegen zu erforschen sind (2 Ob 387/97v mwN). So wie der Einwand des Mitverschuldens muss auch dieser Einwand nicht ausdrücklich erhoben werden, sondern es genügt, wenn sich dem Vorbringen eine entsprechende Behauptung entnehmen lässt (2 Ob 181/98a = SZ 71/120 mwN).

Wie bereits zu 8 Ob 3/84 (= SZ 57/115) ausgesprochen, sollte durch die neue Fassung des § 335 Abs 3 ASVG klargestellt werden, dass die Haftungsbeschränkung für das Verhältnis von Schülern und Studierenden zu den gesetzlichen Schulerhaltern entsprechend § 333 Abs 1 ASVG gilt. Die Beschränkung der Haftpflicht soll auch im Verhältnis zwischen gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertretern des Unternehmers (Lehrer, Schulwart) und dem Lernenden gelten (RIS-Justiz RS0085409). Sie kommt stets dann zum Tragen, wenn eine mit den Aufgaben des gesetzlichen Schulerhalters betraute Person für die Folgen eines Unfalls haften soll, für den - weil sich der Geschädigte im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule befand - Versicherungsschutz nach § 175 Abs 4 ASVG besteht (RIS-Justiz RS0050027, insb 2 Ob 75/06b).

Durch das im Anlassfall erstattete Vorbringen über den Eintritt der Verletzung des Klägers im Rahmen einer Schulveranstaltung unter Aufsicht zweier Lehrer hat der Kläger - wenn auch mit Blick auf andere gesetzliche Bestimmungen - sämtliche Tatsachenvoraussetzungen für die Anwendung des § 335 Abs 3 ASVG vorgebracht, sieht doch diese Bestimmung lediglich vor, dass bei den in einem Ausbildungsverhältnis stehenden Pflichtversicherten für die Anwendung der §§ 333 f ASVG der Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt, dem Dienstgeber gleichgestellt ist. Ist der Bund aber, wie hier unstrittig, Träger der Ausbildung, steht er - soweit es um die Anwendung der §§ 333 f ASVG geht - dem Dienstgeber gleich und kommen ihm daher die entsprechenden Haftungsprivilegien bei Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs aus dem Verhalten eines Lehrers zugute (RIS-Justiz RS0050027).

Wenn auch im Anlassverfahren nicht ausdrücklich auf das Haftungsprivileg des § 335 Abs 3 ASVG Bezug genommen wurde, waren doch alle Sachverhaltselemente zur Anwendung dieser Bestimmung Gegenstand des Vorbringens und daher von den Gerichten im Anlassverfahren bei Prüfung der Vorfrage, ob der geschädigte Kläger Ersatz nach § 1309 ABGB erlangen könne, zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0027573). Zwar hat bei einem Anspruch nach § 1310 ABGB der Kläger die Unmöglichkeit, Schadenersatz nach § 1309 ABGB zu erhalten, zu behaupten und zu beweisen (2 Ob 40/93 mwN), es genügt aber auch hier, wenn er einen Lebenssachverhalt vorbringt, aus dem eine Haftung von Aufsichtspersonen schon aus rechtlichen Gründen nicht abgeleitet werden kann. Dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren im Anlassverfahren. Der Kläger hat in seiner dortigen Berufung auf das Haftungsprivileg nach § 335 Abs 3 ASVG nicht hingewiesen. Er hat aber eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge erhoben, sodass die Rechtslage allseitig zu überprüfen war (E. Kodek in Rechberger ZPO3 § 471 ZPO Rz 9 mwN). Da § 335 Abs 3 ASVG im Anlassverfahren weder von den Parteien noch vom Erstgericht erörtert wurde, kann in dessen Nichterwähnung in der Berufung auch kein Fallenlassen eines selbstständigen Streitpunkts (Rechtsgrunds), der grundsätzlich auch innerhalb eines bestimmten zentralen Prozessthemas bestehen kann (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 503 ZPO Rz 56 mwN), gesehen werden.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 2 und 3 ZPO liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Stichworte