OGH 8Ob3/84

OGH8Ob3/8420.6.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Armin S*****, vertreten durch Dr. Günther Romauch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 68.514 S sA und Feststellung (Streitwert 1.000 S) Revisionsinteresse 64.000 S infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Oktober 1983, GZ 16 R 188/83‑26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Wien vom 26. Juli 1983, GZ 30 Cg 110/82‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00003.840.0620.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.499,80 S (darin 600 S Barauslagen und 214,80 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger besuchte am 21. 7. 1981 als Schüler im Rahmen der vom Bundesministerium für Unterricht veranstalteten Aktion „Österreichs Jugend lernt die Bundeshauptstadt kennen“ die Schatzkammer der Wiener Hofburg und wurde durch einen umfallenden Heizkörper verletzt.

Mit der Behauptung, die Beklagte als Eigentümerin der Hofburg habe ihre Verpflichtung, für die ordnungsgemäße Befestigung des Heizkörpers zu sorgen, verletzt, begehrte der Kläger zuletzt den Ersatz eines Betrags von 68.514 S sA (Schmerzengeld und verschiedene Vermögensschäden) und erhob ein mit 1.000 S bewertetes Feststellungsbegehren.

Die Beklagte stellte des Leistungsbegehren– außer das Schmerzengeld – der Höhe nach außer Streit, beantragte jedoch im Übrigen die Abweisung der Klage, weil der Heizkörper ordnungsgemäß befestigt gewesen sei. Die Befestigung sei regelmäßig überprüft worden. Jedenfalls sei das Umstürzen des Heizkörpers nicht von ihr zu verantworten. Im Übrigen hafte sie gemäß den §§ 333 Abs 1 und 335 Abs 3 ASVG nur für Vorsatz. Dieser sei aber nicht einmal behauptet worden.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 63.514 S sA zu und gab dem Feststellungsbegehren statt; das Mehrbegehren von 5.000 S sA wurde abgewiesen.

Die gegen den Zuspruch von 62.000 S sA und das Feststellungserkenntnis gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden habe, 300.000 S nicht übersteige, und dass die Revision zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben,

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage strittig, ob der Beklagten der Haftungsausschluss nach den §§ 333 Abs 1, 335 Abs 3 ASVG zugutekommt oder nicht.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Im Zuge der Führung bzw Besichtigung betrat der Zeuge Helmut L***** als erster den kleinen Schauraum mit dem in der Mitte desselben in einer Glasvitrine ausgestellten Ornat des Goldenen Vlieses und stieg die Holzstiege vom Vorraum hinab. Ihm folgten einige Schüler und auch der Aufseher R*****, welcher nach dem Hinabsteigen der Stiegen links von L***** in der Nähe des gegenüber den Stiegen befindlichen nächsten Ausstellungsraum Aufstellung nahm. Helmut L***** selbst nahm gleich links neben der Treppe Aufstellung und forderte die Schüler auf, sich rund um die genannte Vitrine aufzustellen. Von der Spitze der Schülergruppe, zu welcher auch der Kläger gehörte, gingen einige an der Vitrine vorbei, nahmen in der aus Sicht des Zeugen L***** gesehen hinter der Vitrine liegende (bzw rechts von der Treppe gelegenen) Fensternische Aufstellung und lehnten sich an dem dort befindlichen Heizkörper an. Inzwischen kamen andere Schüler über die Treppe nach, wandten sich nach rechts und nahmen dann links oder rechts der Vitrine Aufstellung. Etwa 30 Sekunden nachdem der Führer L***** am Ende der Treppe Aufstellung genommen hatte und während er bereits Erklärungen für die bereits eingetretenen Schüler gab, kippte plötzlich der in der Fensternische montierte gußeiserne Radiator in Richtung der Vitrine. Der neben dem Kläger bzw ebenfalls vor dem Radiator stehende Schulkollege H***** konnte noch in Richtung der Vitrine nach vor springen, ebenso der Kläger. Der Kläger geriet jedoch nicht mehr aus der Gefahrenzone und kam mit dem linken Unterschenkel unterhalb des Radiators, in welcher Position konnte nicht mehr festgestellt werden, zu liegen. Der aus 23 Rippen bestehende und etwa 235 kg schwere und 68 cm hohe Radiator war auf zwei in der Wand montierten Konsolen aufgesetzt gewesen und von der Mauer weggekippt. Der umgekippte Radiator ist im Jahr 1965 außer Betrieb genommen worden und war nicht mehr an das untere Zuleitungs- bzw obere Ableitungsrohr der Heizanlage angeschlossen. Der Heizkörper bestand aus 23 3‑säuligen Rippen (Gliedern) und die Unterkante befand sich 23 cm über dem Parkettboden bzw die Heizkörperoberkante 91 cm über diesem. Die Heizkörperglieder sind genippelt und weisen eine Breite von 25 cm auf. Die genannten Heizkörperkonsolen wiesen je einen Auflagesattel auf, sodass ein Wegrutschen des Radiators von der Mauer unmöglich war. Der Radiator war im Unfallszeitpunkt mit geringer Neigung, etwa 1,5–2 cm aus vertikaler Richtung gesehen, an die Mauer angelehnt. Eine Befestigung des Radiators im oberen Bereich durch Laschen und Muttern an den Abstandshaltern, die sich etwa 5 cm unterhalb der Oberkante des Radiators befanden, war nicht mehr gegeben, da die Muttern und Laschen von unbekannter Seite zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt entfernt worden waren. Die Radiatoroberkante lag im Unfallszeitpunkt etwa 30 cm unterhalb des Fensterbretts und es war damals die Besichtigung der Vitrine auch von der rückwärtigen Seite, also vom Fenster bzw Radiator her, gestattet und eine Absperrung nicht vorhanden. Der Abstand zwischen Radiator und Vitrine betrug über 1,60 m. Im Unfallszeitpunkt ist der Radiator nicht senkrecht gestanden, da bei Senkrechtstellung der Radiator ohne Berührung nach vorne kippt. Zum Vorkippen des Radiators im Unfallszeitpunkt ist es offensichtlich dadurch gekommen, dass sich einer der Schüler am Radiator aufgestützt bzw angehalten hat und dadurch den Radiator in eine lotrechte bzw nahezu lotrechte Lage brachte, aus welcher er dann von der Mauer weg in Richtung Vitrine gekippt ist. Genaue Umstände hiezu konnten nicht erhoben werden, jedoch hat sich keiner der Schüler vor dem Unfall auf den Radiator gesetzt. Im Unfallszeitpunkt waren die begleitenden Lehrer mit einem Teil der Klasse in einem Nebenraum. Vor dem Unfall war keinem der Aufseher der Schatzkammer das Fehlen der Befestigungen an dem nicht in Betrieb stehenden Radiator aufgefallen. Ob die Befestigung des Radiators vom Bautrupp der Burghauptmannschaft im Zuge der routinemäßigen Kontrolle der Heizanlage der Schatzkammer im Oktober 1980 weisungsgemäß kontrolliert wurde, konnte nicht festgestellt werden. Unbestritten ist, dass die Hofburg im Eigentum des Bundes steht und die Schatzkammer zu den Sammlungen (Museen des Bundes) gehört.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, die Beklagte habe die sie treffende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der ihr gemäß § 1298 ABGB obliegende Beweis, alles unternommen zu haben, um dem Kläger die ungefährdete Benützung der Museumsräume zu verschaffen, sei ihr nicht gelungen. Gemäß § 1313a ABGB hafte die Beklagte für ihre Erfüllungsgehilfen. Die Haftungsbeschränkung nach den §§ 333 Abs 1 und 335 Abs 3 ASVG komme nicht zum Tragen, weil die Beklagte dem Kläger nicht als Schulerhalter, sondern als Eigentümer der Schauräume der Schatzkammer gegenüberstehe.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht billigte, ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts, dessen rechtliche Beurteilung.

In ihrer Revision führt die Beklagte aus, der Kläger sei im Unfallszeitpunkt gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG unfallversichert gewesen, der Unfall sei gemäß § 175 Abs 5 Z 1 ASVG gleich einem Arbeitsunfall zu behandeln. Gemäß § 335 Abs 3 ASVG stehe in diesem Bereich der „Träger der Einrichtung“, das sei gegenständlich der Bund, dem Dienstgeber iSd § 333 Abs 1 ASVG gleich. Das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG komme hier somit der Beklagten als „Träger der Einrichtung“ zu.

Hiezu ist Folgendes zu bemerken: Unbestritten ist, dass der Kläger gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG unfallversichert war und der Unfall gemäß § 175 Abs 5 Z 1 ASVG als Arbeitsunfall gilt. Gemäß § 333 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalls oder durch eine Berufskrankheit entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht hat. Nach § 335 Abs 3 ASVG steht ua bei den gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG in der Unfallversicherung Teilversicherten für die Anwendung der §§ 333 Abs 1 und 2 und 334 ASVG der Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt, dem Dienstgeber gleich.

Im vorliegenden Fall ist somit die Frage zu entscheiden, ob die Beklagte als Eigentümerin der Hofburg, in welcher die Schatzkammer, die zu den Museen des Bundes gehört, untergebracht ist, gegenüber dem Kläger als Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt (§ 335 Abs 3 ASVG), anzusehen ist. Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhob, sollte nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur 32. ASVG‑Nov (181 BlgNR 14. GP 54) durch die Neufassung des § 335 Abs 3 ASVG festgehalten werden, dass die Haftungsbeschränkung für das Verhältnis Schüler und Studierende zu den gesetzlichen Schulerhaltern, bzw bei den Universitäten, die Anstalten des Bundes sind, gegenüber dem Bund, entsprechend gilt. Die Beschränkung der Haftpflicht sollte auch im Verhältnis zwischen gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertretern des Unternehmers (Lehrer, Schulwarte) und dem Lernenden gelten. Mit dieser für das Verhältnis Lehrer – Schüler besonders wichtigen Haftungsbeschränkung sollte eine Haftungsregelung übernommen werden, die sich im Betrieb auch im Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer gut bewährt hat. Im Punkt 6 des Erlasses des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 12. 2. 1982, 23.273/1‑4/1982, wird in Übereinstimmung mit der Rechtslage bei Arbeitsunfällen im engeren Sinn davon ausgegangen, dass die Haftung von unmittelbaren und mittelbaren Vertragspartnern der Schulverwaltung und der bezughabenden Erfüllungsorgane durch § 333 ASVG nicht ausgeschlossen wird. Dies gilt insbesondere für den Schülertransport und Betriebe, die im Rahmen von Schulveranstaltungen aufgesucht werden (vgl MGA ASVG, § 335 Anm 3 S 1600/2, 42. ErgLfg). Die in den Erläuternden Bemerkungen zum Ausdruck gebrachte Absicht des Gesetzgebers steht, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, einer ausdehnenden Auslegung des Begriffs „Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt“ im § 335 Abs 3 ASVG auf Einrichtungen, die im Rahmen von Schulveranstaltungen aufgesucht werden, entgegen. Dass die Beklagte dem Kläger im vorliegenden Fall zufällig nicht nur als Schulerhalter, sondern auch als Eigentümer der Bundesmuseen, also einer Einrichtung, die im Rahmen einer Schulveranstaltung besucht wurde, gegenübersteht, vermag ihre Dienstgebergleichstellung iSd § 335 Abs 3 ASVG nicht herbeizuführen, da sich der Unfall nicht im Rahmen des der Beklagten als Schulerhalter obliegenden Aufgabenbereichs ereignete, sondern in jenem, der ihr als Eigentümerin der Bundesmuseen oblag. In der Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte daher das Dienstgeberhaftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG iVm § 335 Abs 3 ASVG nicht für sich in Anspruch nehmen könne, ist somit keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu erblicken. Aus der von der Revision zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2 Ob 209, 210/82 (SZ 56/34) kann insofern für den Standpunkt der Beklagten nichts gewonnen werden, weil dort nicht, wie im vorliegenden Fall, die Auslegung des Begriffs „Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgte“, iSd § 335 Abs 3 ASVG die entscheidende Rechtsfrage darstellte, sondern die Dienstgebereigenschaft der Republik Österreich iSd § 333 Abs 1 ASVG als Haftpflichtige für ein Schienenfahrzeug der ÖBB einerseits und als Trägerin der Wasserbauverwaltung des Bundes andererseits.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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