OGH 2Ob40/93

OGH2Ob40/9318.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Bernd N*****, vertreten durch den Vater Günther N*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr.Otmar Pfeifer und Dr.Günther Keckeis, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei mj. Dominik Z*****, vertreten durch den Vater Fridolin Z*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr.Gerhard Fulterer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen S 54.015 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23.März 1993, GZ 1 b R 43/93-14, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 30.Dezember 1992, GZ 4 C 647/92x-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.348,80 (darin enthalten S 724,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5.3.1991 ereignete sich auf dem Schulplatz der Volksschule in L***** ein Unfall, bei dem der am 23.5.1984 geborene Kläger verletzt und der am 7.5.1984 geborene Beklagte als Lenker eines Fahrrades beteiligt waren.

Der Kläger begehrte Zahlung eines Betrages von S 54.015 sA mit der Begründung, der Beklagte sei mit einem funktionsuntüchtigen Fahrrad und überhöhter Geschwindigkeit gegen den stehenden Kläger gefahren. Bei dem Schulplatz handle es sich um eine öffentliche Verkehrsfläche.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Kläger habe plötzlich und unvermittelt seine Fahrlinie gekreuzt.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Das Erstgericht ging von nachstehendem wesentlichen Sachverhalt aus:

Nach der Volksschule hielten sich noch einige Kinder auf dem Schulhof der Volksschule L***** auf und spielten. Bei dem Schulhof handelt es sich um eine nichtöffentliche Verkehrsfläche. Der Beklagte fragte Elisabeth N*****, die auf dem Schulhof aufkehrte, ob er das ihrem Sohn gehörende Fahrrad benützen dürfe, was diese bejahte. Kurze Zeit danach kam es zum Unfall, dessen Hergang und Verlauf nicht festgestellt werden konnte. Die Kinder waren nämlich mit Fangenspielen beschäftigt und liefen umher. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Kläger überraschend in die Fahrlinie des Beklagten rannte oder ob der Beklagte in den stehenden Kläger hineinfuhr. Festgestellt wurde aber, daß der Beklagte sonst "ruhig fuhr" und nicht "herumräuberte", wie es sonst bei Kindern seines Alters der Fall sein könnte. Die Vorderbremse des Fahrrades war funktionsuntüchtig. Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob der Beklagte über diesen Umstand aufgeklärt wurde. Das Erstgericht hielt noch fest, daß für den Beklagten eine Haftpflichtversicherung, die diesen Unfall deckte, besteht.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß der Kläger dem Beklagten kein Verschulden nachweisen konnte. Das Fahren mit dem Fahrrad auf dem Schulhof stelle keine besondere Gefahrenquelle dar. Es sei nicht bewiesen, daß die funktionsuntüchtiger Vorderradbremse für den Unfall kausal gewesen sei.

Das Berufungsgericht verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz. Zur Frage, ob es sich bei dem Schulhof um eine öffentliche Verkehrsfläche im Sinn des § 1 StVO handle, fehlten zwar entsprechende Beweisergebnisse, doch komme diesem Umstand keine Bedeutung zu, weil sich die Schutzvorschrift des § 65 StVO an die aufsichtspflichtigen Personen und nicht an die unter 12 Jahre alten Lenker von Fahrrädern richte. Der zum Unfallszeitpunkt etwa 7-jährige Beklagte hätte auch gar nicht erkennen können, daß er auf dem Schulhof, selbst wenn es eine öffentliche Verkehrsfläche gewesen wäre, nicht fahren dürfe, zumal ihm das Benützen des Fahrrades auf dem Schulhof erlaubt worden sei. Einem Kind im Alter von sieben Jahren könne nicht die Beurteilung zugemutet werden, ob ein Schulplatz eine öffentliche Verkehrsfläche sei oder nicht. Daß der Beklagte ein Fahrrad mit einer funktionsuntüchtigen Vorderradbremse benützt habe, schade nicht, weil die Kausalität, für die der Kläger beweispflichtig gewesen wäre, nicht feststellbar gewesen sei. Der Schadenersatzanspruch nach § 1310 ABGB habe gegenüber einem allfälligen Ersatzanspruch nach § 1309 ABGB nur subsidiären Charakter. Der Geschädigte könne daher den unmündigen Schädiger nur dann unmittelbar in Anspruch nehmen, wenn der Ersatz nicht von einer - nachlässigen und zahlungsfähigen - Aufsichtsperson im Sinn des § 1309 ABGB zu erlangen sei. Ob dies der Fall sei, sei eine Vorfrage, die von Amts wegen mit den Parteien zu erörtern sei. Eine derartige Erörterung sei zwar nicht erfolgt, doch habe dafür kein Anlaß bestanden, weil für eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht im Sinn des § 1309 ABGB jegliche Anhaltspunkte fehlten. Ein Vorbringen über die allfällige Haftung der Elisabeth N*****, die dem Beklagten erlaubt habe, mit dem Fahrrad auf dem Schulhof zu fahren, sei nicht erstattet worden. Eine Haftung nach § 1310 letzter Fall ABGB komme nicht in betracht, weil der beweispflichtige Kläger nicht bewiesen habe, daß der Beklagte, wenn er deliktsfähig wäre, für den Schaden einzustehen habe.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil dann, wenn sich der Unfall auf einer öffentlichen Verkehrsfläche ereignet habe, der Beklagte gegen eine Schutzvorschrift im Sinn des § 1311 ABGB verstoßen hätte. In diesem Fall hätte der Beklagte den Entlastungsbeweis, nämlich daß der Unfall auch ohne Verletzung der Schutzvorschrift entstanden wäre und daß ihn kein Verschulden treffe, zu erbringen gehabt. Ob der Entlastungsbeweis dafür genüge, daß der Beklagte nicht wissen konnte, daß er gegen die Schutzvorschrift des § 65 StVO verstoßen habe, sei eine erhebliche Rechtsfrage.

Der Kläger bekämpft diese Entscheidung mit Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, sie im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision als verspätet zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist rechtzeitig, aber nicht berechtigt.

Die an das Landesgericht Feldkirch adressierte Revision wurde am letzten Tag der Rechtsmittelfrist, dem 2.6.1993, in der gemäß § 37 Abs 2 Geo eingerichteten gemeinsamen Einlaufstelle des Landes- und Bezirksgerichtes Feldkirch überreicht und langte am 3.6.1993 in der zuständigen Abteilung des Bezirksgerichtes Feldkirch ein. Grundsätzlich wahrt ein an ein falsches Gericht adressiertes Schreiben die Frist nur dann, wenn es noch innerhalb der offenen, durch § 89 GeoG nicht berührten Frist beim zuständigen einlangt (SZ 60/192 mwN). Im übrigen ist das Einlangen bei der Einlaufstelle maßgebend. Für den Fall, daß für das Gericht, an das unrichtigerweise adressiert wurde, und für das funktionell zuständige Erstgericht eine gemeinsame Einlaufstelle besteht, genügt es aber, daß das Rechtsmittel zeitgerecht an dieser gemeinsamen Einlaufstelle einlangte, gleichgültig, ob in der Anschrift ein an sich unzuständiges Gericht benannt wurde (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1782; RZ 1991/31 mwN).

Die Revision ist allerdings nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst darauf verwiesen, daß der Schadenersatzanspruch nach § 1310 ABGB nur subsidiären Charakter gegenüber einem Anspruch nach §§ 1308, 1309 ABGB hat (Reischauer in Rummel2 Rz 2 zu § 1310; VR 1989/170). Wegen dieser Subsidiarität der Haftung oblag es daher dem Geschädigten zunächst zu beweisen, daß er die Schädigung nicht veranlaßt hat und weiters, daß er vom Aufsichtspflichtigen des Schädigers keinen Ersatz erhalten kann (Reischauer in Rummel aaO Rz 11; ZVR 1984/323). Ein derartiges Vorbringen wurde aber im Verfahren erster Instanz überhaupt nicht erstattet. Einer amtswegigen Erörterung dieser Frage bedurfte es nicht, weil keinerlei Anzeichen für die Verletzung einer Aufsichtspflicht vorliegen.

Im übrigen trifft die vom Berufungsgericht in der Zulässigkeitsbegründung ausgesprochene Rechtsansicht, wonach der Beklagte den Entlastungsbeweis zu erbringen habe, daß der Unfall auch ohne Verletzung der Schutzvorschrift des § 65 StVO entstanden sei, nicht zu.

Richtig ist, daß die Normen der StVO grundsätzlich Schutzvorschriften im Sinn des § 1311 ABGB sind (Koziol, Haftpflichtrecht II2, 106; ZVR 1976/292). Das gesetzliche Gebot des § 65 Abs 1 StVO richtet sich, insbesondere soweit ihm Schutzzweckcharakter zukommt, grundsätzlich an die Eltern bzw die Erziehungsberechtigten, deren Sache es ist, den ihrer Aufsicht und Erziehung anvertrauten Kindern das Lenken eines Fahrrades zu ermöglichen oder zu verbieten (Dittrich-Stolzlechner, Österreichisches Straßenverkehrsrecht Anm 10 zu § 65 StVO; ZVR 1972/189, ZVR 1989/153). Daraus folgt für das Kind vor allem, daß eine Mithaftung für Unfallsfolgen allein aufgrund der Tatsache, daß es das für das Lenken erforderliche Alter noch nicht hatte, nicht abgeleitet werden kann. Maßgeblich ist allein, ob einem Kind aufgrund des beim Lenken des Fahrrades an den Tag gelegten Verhaltens ein Mitverschulden angelastet werden kann. Richtet sich daher das Gebot an die Eltern bzw Erziehungsberechtigten, dann wäre es ihnen und nicht dem Kind oblegen, mangelndes Verschulden an der Übertretung der Schutznorm nachzuweisen. Es ist daher nicht von Bedeutung, ob der zum Unfallszeitpunkt noch nicht sieben Jahre alte Beklagte erkennen konnte, daß er sich auf einer öffentlichen Verkehrsfläche befand oder nicht, weil ihm die Benützung des Fahrrades durch eine erwachsene Person gestattet wurde.

Da überhaupt keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verschuldens des Beklagten an dem Vorfall gegeben sind, scheidet auch eine Billigkeitsentscheidung im Sinn des § 1310 dritter Fall ABGB aus, weil eine Haftung des Unmündigen nach dieser Bestimmung nur zum Tragen kommt, wenn dieser auch als voll Deliktsfähiger für den Schaden einzustehen hätte (vgl ZVR 1985/127).

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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