OGH 2Ob38/08i

OGH2Ob38/08i29.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sieglinde W*****, vertreten durch NM Norbert Moser Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Bundesimmobiliengesellschaft mbH, Feldkirchner Straße 4, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Herwig Aichholzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Helmut Holzer und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen 9.570 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. Dezember 2007, GZ 2 R 167/07g-44, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. August 2007, GZ 29 Cg 141/06p-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich der rechtskräftigen Abweisung des Zinsenmehrbegehrens lauten:

„Das Klagebegehren,

1) die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 9.570 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. 12. 2005 zu bezahlen,

2) es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für 50 % der zukünftigen Schäden aus dem Unfall vom 21. 12. 2005 im Hofgebäude der Bundespolizeidirektion Klagenfurt, St. Ruprechterstraße 3, 9020 Klagenfurt, haftet,

wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, je binnen 14 Tagen der beklagten Partei die mit 5.895,52 EUR (darin enthalten 755,40 EUR USt und 1.363,10 EUR Barauslagen) sowie der Nebenintervenientin die mit 3.441,96 EUR (darin enthalten 417,99 EUR USt und 934 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.935,08 EUR (darin enthalten 127,88 EUR USt und 1.168 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die seit 20 Jahren als Reinigungskraft bei der Bundespolizeidirektion Klagenfurt (Rechtsträger Bund) beschäftigte Klägerin erlitt am 21. 12. 2005 im nicht öffentlich zugänglichen Innenhof des Gebäudes der Bundespolizeidirektion Klagenfurt im Zuge ihrer dienstlichen Tätigkeit einen Arbeitsunfall. Sie rutschte auf einer vereisten Fläche, die sich aufgrund einer undichten Dachrinne gebildet hatte, aus. Die Liegenschaft, auf der sich der Unfall ereignete, steht im Eigentum der Beklagten. Die Bundespolizeidirektion (der Bund) ist Mieterin des Gebäudes.

Bis zum Jahr 2005 war die Schneeräumung durch die Bundespolizeidirektion Klagenfurt durchgeführt worden. Dann wurden diese Pflichten an die Beklagte übertragen, welche die Nebenintervenientin beauftragte, vom 25. 11. 2005 bis einschließlich 31. 3. 2006 die Winterbetreuung im Hofgebäude durchzuführen. Ausgeschlossen war die Haftung der Nebenintervenientin unter anderem für Schäden, die aufgrund von defekten Dachrinnen entstehen.

Die Klägerin begehrt 9.570 EUR sA Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der Beklagten für 50 % der künftigen Schäden. Sie stützt sich auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Eigentümerin, die nur die Verpflichtung zur Schneeräumung an die Nebenintervenientin übertragen habe.

Die Beklagte sowie die Nebenintervenientin beriefen sich ua auf das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG, dessen Anwendung auf die Beklagte das entscheidende Thema im Revisionsverfahren ist.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - mit Ausnahme der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - statt und bejahte in der rechtlichen Beurteilung die Verletzung vertraglicher Schutzpflichten aus dem zwischen der Beklagten und dem Dienstgeber der Klägerin bestehenden Mietvertrag zugunsten der Klägerin, die als Dienstnehmerin der Mieterin zu dem durch den Vertrag geschützten Personenkreis gehöre.

Das von der Beklagten und der Nebenintervenientin angerufene Berufungsgericht teilte diese Auffassung und verneinte das Haftungsprivileg des § 333 ASVG im Verhältnis zur Beklagten, die als Vermieterin des Dienstgebers diesem oder seinen gesetzlichen und bevollmächtigten Vertretern und Aufsehern im Betrieb nicht gleichgestellt sei.

Die Beklagte beantragt in ihrer außerordentlichen Revision die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen; in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen zu Unrecht das Haftungsprivileg (§ 333 ASVG) nicht auf die Beklagte angewendet haben.

Unzweifelhaft ist, dass die Klägerin a) in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Rechtsträger Bund steht, das dem ASVG unterliegt, und b) einen Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG erlitten hat.

Nach § 333 Abs 1 ASVG haftet der Dienstgeber dem Dienstnehmer bei Schäden aus einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit nur im Fall des Vorsatzes. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst dieser Haftungsausschluss alle Schäden, die durch eine Körperverletzung entstanden sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, in welcher Form sie sich auswirken und wodurch sie ausgeglichen und behoben werden. Wird also durch einen Arbeitsunfall ein Körperschaden verursacht, so sind sämtliche daraus resultierende Schadenersatzansprüche - einschließlich des Schmerzengelds - gegen den Dienstgeber ausgeschlossen (2 Ob 340/99k = ZVR 2002/8; RIS-Justiz RS0031306; für den Dienstgeber Bund: RS0050188; Neumayr in Schwimann ABGB3 VII § 333 ASVG Rz 14), und zwar unabhängig vom zivilrechtlichen Haftungsgrund (RIS-Justiz RS0028584; Neumayr aaO Rz 6).

Im konkreten Fall ist die Beklagte zwar nicht mit dem Rechtsträger Bund als Dienstgeber der Klägerin ident; dies führt aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Klägerin nicht zum Ausschluss des Dienstgeberhaftungsprivilegs:

Wurden die der Beklagten ins Eigentum oder zur Nutzung übertragenen bundeseigenen Liegenschaften für Zwecke des Bundes genutzt (hier Polizeigebäude), entstanden zwischen der Beklagten und dem Bund als Träger von Privatrechten kraft Gesetzes nach § 5 Abs 1 BIG-G 1992 Mietverhältnisse (2 Ob 75/06b = EvBl 2007/36). Mit 1. 1. 2001 wurde das BIG-G durch das am 30. 12. 2000 in Kraft getretene Bundesimmobiliengesetz, BGBl I 141/2000, ersetzt (§ 46 Abs 1 BundesimmobilienG). § 38 BundesimmobilienG nimmt eine haftungsrechtliche Gleichstellung von Bund und Beklagter für deliktische Ansprüche Dritter vor, indem er die solidarische Haftung des Bundes und der Beklagten für den Fall festsetzt, dass der vor dem Eigentumserwerb der Beklagten eingetretene Schaden erst nach diesem Zeitpunkt geltend gemacht wird (2 Ob 75/06b = RIS-Justiz RS0121426). Ab dem Erwerb der Eigentumsrechte gemäß § 13 haftet die Beklagte für haftungsbegründende Ereignisse, insbesondere für Schadensfälle gemäß §§ 1319 und 1319a ABGB, ausschließlich (§ 38 Satz 3 BundesimmobilienG).

In der bereits zitierten Entscheidung 2 Ob 75/06b bejahte der Oberste Gerichtshof das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 1 iVm § 335 Abs 3 ASVG zugunsten der (auch dort) Beklagten, die bereits als zunächst Fruchtgenussberechtigte (§ 3 Abs 1 BIG-G 1992) zur Instandhaltung des Schulgebäudes, in dem sich eine Schülerin verletzt hatte, verpflichtet gewesen sei (§ 513 ABGB), und zwar anstatt des Bundes und gesetzlichen Schulerhalters. Die Beschränkung der Haftpflicht gelte nach herrschender Auffassung auch im Verhältnis des Geschädigten zu gesetzlichen und bevollmächtigten Vertretern des „Unternehmers" bzw Aufsehern im Betrieb, wie Lehrer, Schulwarte etc (SZ 57/115; vgl die weiteren Beispiele bei Neumayr in Schwimann, ABGB³ VII § 335 ASVG Rz 4 mwN). Die Haftungsbeschränkung komme demnach stets zum Tragen, wenn eine mit den Aufgaben des gesetzlichen Schulerhalters betraute Person für die Folgen eines Unfalls haften solle, für den - weil sich der Geschädigte im organisatorischen Verantwortungsbereich befunden habe - Versicherungsschutz nach § 175 Abs 4 ASVG bestehe. Verwiesen wurde weiters auf die nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Schülern, die eine der Beklagten übertragene Schule besuchen (nur jene hätten Anspruch auf Schmerzengeld) im Vergleich zu anderen sowie auf die haftungsrechtliche Gleichstellung von Bund und Beklagter in § 38 Satz 1 BundesimmobilienG.

Die vom Obersten Gerichtshof dargelegten Kriterien gelten entgegen der von der Klägerin in der Revisionsbeantwortung vertretenen Meinung auch im vorliegenden Fall:

Rechtspolitischer Hintergrund der in § 333 Abs 4 ASVG angeordneten Ausweitung des Haftungsprivilegs auf den gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter des Unternehmers und den Aufseher im Betrieb ist, dass diese Personen gleich dem Dienstgeber unternehmerische Funktionen ausüben und ihre Einbeziehung als Mitversicherte im Interesse des Dienstgebers liegt, der die Unfallversicherung finanziert (vgl Neumayr aaO Rz 62). Das Ziel des Bundesimmobiliengesetzes sieht dessen § 1 Abs 1 im Wesentlichen darin, in konsequenter Fortsetzung des mit dem BIG-G begonnenen Wegs das Immobilienvermögen und den Immobilienbedarf des Bundes nach wirtschaftlichen und marktorientierten Grundsätzen neu zu organisieren. Die wirtschaftliche Nutzung, Verwaltung und Verwertung bundeseigener Liegenschaften sollte optimiert, die Bau- und Liegenschaftsverwaltung des Bundes den gewandelten Rahmenbedingungen angepasst werden (2 Ob 75/06b mit Hinweis auf AB 347 BlgNR 21. GP 5).

Zwischen der Beklagten und dem Bund wurde ex lege ein Mietvertrag begründet, der die Beklagte im Verhältnis zum Mieter zur ordnungsgemäßen Erhaltung des Objekts (§ 1096 ABGB, vgl § 3 MRG) verpflichtet. Die Beklagte ersetzt den Bund als bisherigen Eigentümer; nur der ex lege begründete Mietvertrag macht erst die von den Vorinstanzen angenommene Konstruktion eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter denkmöglich. Insofern ist der Fall völlig anders gelagert als bei einem rechtsgeschäftlichen Abschluss eines Mietvertrags zwischen einem Dienstgeber und einem Dritten. Die Beklagte wird seit dem Rechtsübergang bei der Nutzung und Verwaltung der früheren bundeseigenen Liegenschaft anstatt des Bundes als Unternehmer tätig. Sie hat jene Pflichten zur Instandhaltung des Polizeigebäudes, die zuvor den Bund und Dienstgeber der Klägerin getroffen haben, übernommen. Ihre unternehmerische Funktion und die Übernahme der Instandhaltungspflicht rechtfertigen nach Auffassung des erkennenden Senats die Anwendung des Haftungsprivilegs.

Dabei spielt auch die Gefahr einer Ungleichbehandlung eine Rolle; nur Dienstnehmer des Bundes, die in einem der Beklagten übertragenen Gebäude ihren Arbeitsplatz haben und als Folge mangelhafter Instandhaltung verletzt werden, hätten Anspruch auf Schmerzengeld. Diese Ungleichbehandlung wäre sachlich nicht zu rechtfertigen (2 Ob 75/06b mwN).

Der Haftungsbeschränkung zugunsten der Beklagten steht auch nicht der Eintritt des Schadens nach Übertragung der Liegenschaft entgegen. § 38 Satz 1 BundesimmobilienG ist als Übergangsbestimmung zu sehen, welche die nach dem BIG-G 1992 bestehenden Unklarheiten über die Person des Haftungspflichtigen bei Unfällen vor dem Rechtserwerb durch die Beklagte und Geltendmachung der Ansprüche nach diesem Zeitpunkt beseitigte (AB 347 BlgNR 21. GP ). Klargestellt werden soll die Passivlegitimation im Verhältnis zu schadenersatzberechtigten Dritten (wie die im Ausschussbericht beispielsweise genannten Parteien, die in einem Korridor stürzen). Dass § 38 Satz 3 BundesimmobilienG auf die Haftungstatbestände der §§ 1319 und 1319a ABGB verweist, rechtfertigt keinen Ausschluss des Haftungsprivilegs des § 333 ASVG: Diese Haftungsbeschränkung schließt - wie bereits erwähnt - im Verhältnis zu Dienstnehmern nämlich sämtliche andere ersatzrechtlichen Rechtsnormen aus (Neumayr aaO Rz 6; RIS-Justiz RS0028584; zu § 1319a ABGB: RS0122877). § 1319a ABGB wäre hier schon deshalb nicht anzuwenden, weil bei einem nicht der Öffentlichkeit zugänglichen Teil des Polizeigebäudes das Merkmal des „Rechts zur Benützung durch jedermann unter den gleichen Bedingungen" fehlt (vgl 1 Ob 236/07y mwN).

Die Beklagte kann sich daher mit Erfolg auf die Haftungsbeschränkung des § 333 Abs 1 ASVG berufen, was ohne weitere Überlegungen zu allfälligen Schutzwirkungen aus dem Mietvertrag zur Abweisung des Klagebegehrens führt.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagten sind für die kurze Mitteilung im Schriftsatz vom 26. 7. 2007 nur Kosten nach TP 1 RATG zuzusprechen. Der Nebenintervenientin steht entgegen ihrem Kostenverzeichnis kein Streitgenossenzuschlag nach § 15 RATG zu; der Beklagten, auf deren Seite sie dem Verfahren beigetreten ist, steht nur eine Partei (die Klägerin) gegenüber (vgl auch RIS-Justiz RS0112657 [T1]; RS0072290 [T1]). Bemessungsgrundlage für die Kosten des Revisionsverfahrens ist nicht - wie von der Beklagten angenommen - der Ausspruch des Berufungsgerichts, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteigt. Dieser Ausspruch ist nur für die Rechtsmittelzulässigkeit relevant, nicht aber für die Bemessungsgrundlage nach §§ 3 f RATG.

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