OGH 6Ob258/07w

OGH6Ob258/07w24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. Jörg H*****, vertreten durch Gheneff - Rami - Sommer Rechtsanwälte KEG in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. Gerald P*****, 2. S*****, beide vertreten durch Dr. Ulrich Polley, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung (Gesamtstreitwert 22.200 EUR, Streitwert im Provisorialverfahren 17.520 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 12. September 2007, GZ 6 R 153/07b-9, womit die einstweilige Verfügung des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. Juli 2007, GZ 20 Cg 110/07i-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:

„Der Antrag der klagenden Partei, den beklagten Parteien aufzutragen, es ab sofort zu unterlassen, die wörtliche und/oder sinngemäße Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten, der Kläger hätte im Zusammenhang mit dem „Hypo-Rohbericht der Nationalbank" und seiner dazu angekündigten Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Beihilfe zur Vertuschung zu verantworten, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 734,58 EUR (darin 122,43 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 917,92 EUR (darin 152,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 1.101,08 EUR (darin 183,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Landeshauptmann von K*****. Der Erstbeklagte ist Landesgeschäftsführer der Zweitbeklagten, der Landesorganisation K***** der SPÖ.

Informationen über den Inhalt des Rohberichts der Oesterreichischen Nationalbank über die Hypo-Alpe-Adria-AG gelangten in die Öffentlichkeit. Daraufhin kündigte der Kläger die Erstattung einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien an und brachte diese in der Folge auch ein.

Der Erstbeklagte reagierte darauf mit folgender APA-OTS Aussendung vom 20. 6. 2007, 14.21 Uhr, von der Zweitbeklagten verbreitet wurde:

„Hypo: [Erstbeklagter] wirft [Kläger] Beihilfe zur Vertuschung vor.

Utl.: SPK-LGF: Mauer des Schweigens durchbrechen.

Klagenfurt (SP-KTN) - Im Zusammenhang mit dem Hypo-Rohbericht der Nationalbank warf heute der Landesgeschäftsführer der [Zweitbeklagten, der Erstbeklagte, dem Kläger] Beihilfe zur Vertuschung vor, nachdem dieser eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft angekündigt hatte. [Dem Kläger] sei jedes Mittel recht, um die laut Prüfbericht „dubiosen" Geschäfte seiner Hypo-Freunde zu verschleiern und nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Aufgabe der Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene werde sein, diese Mauer des Schweigens zu durchbrechen, so [der Erstbeklagte]: „[Der Kläger], B*****, K***** und Co. haben sich gegenseitig zum Schweigen verpflichtet, wie es halt in bestimmten Organisationsstrukturen der Brauch ist.".

In der „Neuen Kärntner Tageszeitung" vom 21. 6. 2007 erschien auf Seite 3 unter der Überschrift „Hypo-Bericht schlägt Wellen" ein Bericht im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Rohberichts der Nationalbank zur Situation in der „Hypo". Unter anderem wird in diesem Artikel ausgeführt, dass die Zweitbeklagte auf den Gang des Klägers zur Staatsanwaltschaft reagiert habe. Der Erstbeklagte werfe dem Kläger Beihilfe zur Vertuschung vor, weil diesem jedes Mittel recht sei, um die laut Prüfbericht „dubiosen" Geschäfte seiner Hypo-Freunde zu verschleiern.

Über das Bestreben des BZÖ, den Tätigkeitsumfang des Untersuchungsausschusses möglichst eng zu gestalten, berichtete die „Kleine Zeitung" schon am 31. 5. 2007 unter dem Titel „Hypo-U-Ausschuss nur 'Papiertiger'. Darin heißt es ua:

... „Die finanziellen Auswirkungen der strategischen Partnerschaft Hypo-Bayern LB für das Land zu überprüfen. Die SPÖ wollte vielmehr die Vorgänge, wie es zum Deal gekommen ist, durchleuchtet wissen. Trotz Grüner und FPÖ-Unterstützung gab es aber keine Mehrheit für den Antrag. ..."

... „Die SPÖ prangerte „die mangelnde Transparenz" (Gaby Schaunig) beim Verkauf an. „Das größte Landesvermögen wurde ans Ausland verscherbelt", kritisierte Clubchef Peter Kaiser. Den nunmehrigen U-Ausschuss, der sich nach der Landtagsitzung konstituierte, sehen die Roten als „Vertuschungs- und Jubelausschuss", andere sprachen von „Papiertiger", denn das Dramatische, „der Verkaufs-Vorgang wird nicht geprüft" (Schaunig)."

Auch in der fortgesetzten Berichterstattung wurde der Ausdruck „Vertuschung" thematisiert. So erklärte der Vorsitzende des vom Nationalrat eingesetzten Bankenuntersuchungsausschusses, Martin Graf, in einer Aussendung vom 20. 6. 2007 zum selben Thema:

„Der [Kläger] solle in der Hypo-Alpe-Adria-Bank-Affäre zur Aufklärung beitragen, statt den Vertuschern das Wort zu reden, fordert der Vorsitzende des Bankenausschusses Martin Graf (F). Der Abgeordnete zeigte sich am Mittwoch in einer Aussendung „verwundert" über [des Klägers] Ankündigungen, der Anklagebehörde eine Sachverhaltsdarstellung zur Publikation des Nationalbank-Berichts zukommen zu lassen. ..."

.... „Statt nunmehr die Staatsanwaltschaft zu bemühen, so Graf, wäre

[der Kläger] gut beraten, seine früheren Ankündigungen wahr zu machen

und zur Aufklärung fragwürdiger Geschäftsverbindungen und Geldflüsse

beizutragen. ..."

... „Bleibt [der Kläger] bei seiner neuen Taktik, muss er sich den

Vorwurf des Verschleierungsgehilfen gefallen lassen. ..."

Gestützt auf diesen Sachverhalt beantragte der Kläger die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, worin den Beklagten aufgetragen werde, es ab sofort zu unterlassen, die Behauptung aufzustellen, der Kläger hätte im Zusammenhang mit dem „Hypo-Rohbericht der Nationalbank" und seiner dazu angekündigten Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Beihilfe zur Vertuschung zu verantworten. Die von den Beklagten aufgestellten und verbreiteten Behauptungen, wonach der Kläger Beihilfe zur Vertuschung zu verantworten habe, seien unwahr, ehrenbeleidigend und kreditschädigend im Sinne des § 1330 Abs 1 und 2

ABGB.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Sowohl der Begriff der Tatsache gemäß § 1330 Abs 2 ABGB als auch der Begriff der Ehrenbeleidigung gemäß § 1330 Abs 1 ABGB seien nach ständiger Rechtsprechung weit auszulegen (4 Ob 82/92 = MR 1993, 17). Im Anlassfall liege eine Tatsachenbehauptung, kein Werturteil vor. Der Vorwurf der Beihilfe zur Vertuschung sei auf die Wahrheit hin objektiv überprüfbar. Die Beklagten würden dem Kläger Beihilfe zur Vertuschung im Zusammenhang mit einer angekündigten und danach eingebrachten Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien vorwerfen. Das Ankündigen oder die Einbringung einer Strafanzeige wegen des Verdachts von strafbaren Handlungen stehe jedoch jedermann bei begründetem Verdacht zu. Dieser begründete Verdacht des Vorliegens von strafbaren Handlungen im Sinne des § 310 StGB sei jedoch sachlich gerechtfertigt gewesen, weil nur ein Rohbericht der Nationalbank vorgelegen sei, der nicht hätte veröffentlicht werden dürfen. Die eingebrachte Sachverhaltsdarstellung des Klägers selbst wäre auch gar nicht geeignet gewesen, irgendeinen Sachverhalt, der in dem Rohbericht ersichtlich ist, „zu vertuschen", weil der Rohbericht vor dem 20. 6. 2007 veröffentlicht wurde. Schließlich sei diese Maßnahme auch nicht geeignet gewesen, „dubiose Geschäfte" der behaupteten Freunde des Klägers zu verschleiern.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Frage, ob etwas vertuscht worden sei, könne genauso überprüft werden wie die Frage, ob jemand an einer Vertuschungstätigkeit im Sinne einer Beihilfe mitgewirkt habe. Es gebe kein Recht der freien Meinungsäußerung

aufgrund unwahrer Tatsachenbehauptungen (4 Ob 82/92 = EvBl 1993/134 =

MR 1993, 17 = ÖBl 1993, 84; 4 Ob 6/93 = MR 1993, 101; 6 Ob 109/00y =

SZ 73/181 uva); auch Urteile, die auf entsprechende Tatsachen schließen ließen, würden als Tatsachenmitteilung gelten, sodass das Erstgericht die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen habe. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 20.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Parteien ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte räumt der Meinungsäußerungsfreiheit im Zusammenhang mit einer politischen Auseinandersetzung und in Fragen des öffentlichen Interesses breiten Raum ein. Seine Rechtsprechung hat auch bereits wiederholt Eingang in die österreichische Judikatur gefunden (vgl RIS-Justiz RS0115541; 6 Ob 296/02a; 6 Ob 159/06k = MR 2006, 363).

Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes im Allgemeinen weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil sich Politiker unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, besonders wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 149/01g = SZ 74/117, RIS-Justiz RS0115541). In einer politischen Auseinandersetzung muss es den Opponenten in einer demokratischen Gesellschaft gestattet sein, wertende gegensätzliche Standpunkte auch in scharfer Form zu formulieren und Argumente, die für den eigenen Standpunkt sprechen, darzulegen. Eine politische Wertung, die nicht den Vorwurf eines persönlich unehrenhaften Verhaltens des politischen Gegners enthält, ist nicht tatbildlich im Sinne des § 1330 Abs 1 oder Abs 2 ABGB (6 Ob 2059/96d).

Ob im politischen Meinungsstreit eine den politischen Gegner treffende Äußerung noch im Sinne des Art 10 MRK gerechtfertigt erscheint, ist vor allem an der politischen Bedeutung der die eigene Sicht und Haltung ausdrückenden Stellungnahme, insbesondere im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten des Betroffenen, an der dem Anlassfall und der Bedeutung des Aussageinhalts angepassten Form und Ausdrucksweise sowie an dem danach zu unterstellenden Verständnis der Erklärungsempfänger zu messen (RIS-Justiz RS0054830). Das Recht auf freie Meinungsäußerung findet freilich in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung seine Grenze in einer unwahren Tatsachenbehauptung (6 Ob 273/05y). Für die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil ist entscheidend, ob sich der Bedeutungsinhalt der Äußerung auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 159/06k). Allerdings dürfen auch Werturteile, die eine konkludente Tatsachenbehauptung enthalten, nicht schrankenlos geäußert werden. Diese sind vielmehr nur dann durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden können und die Äußerung nicht exzessiv gebraucht wird (RIS-Justiz RS0032201 [T11, T15, T16]). Hierbei sind allerdings angesichts der heutigen Reizüberflutung selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (6 Ob 159/06k).

Aus dem Gesamtzusammenhang der inkriminierten Äußerung ergibt sich

zweifellos, dass sich die „Vertuschung" auf die vom Kläger

angekündigte Erstattung einer Sachverhaltsdarstellung bei der

Staatsanwaltschaft bezog. Die bloße Anzeigeerstattung als solche

begründet - als jedermann grundsätzlich zustehendes Recht (§ 80 Abs 1

StPO) - aber naturgemäß keinen Vorwurf. Daraus ergibt sich eindeutig,

dass bei der Bezeichnung dieses Verhaltens durch die Beklagten als

„Vertuschung" dessen Bewertung im Vordergrund steht, insoweit mithin

ein Werturteil vorliegt. Diese Qualifikation schließt freilich eine

Tatbildlichkeit im Sinne des § 1330 ABGB nicht aus. Vielmehr ist nach

dem Gesagten darauf abzustellen, ob damit konkludent weitere - der

Überprüfung zugängliche - Tatsachenbehauptungen erhoben werden, die

den Tatbestand des § 1330 Abs 1 bzw Abs 2 ABGB erfüllen. Dies ist

jedoch nicht der Fall:

Der Begriff der „Beihilfe" ist zwar insbesondere aufgrund der damit

umschriebenen Täterschaftsform des § 12 StGB negativ besetzt. Dieser

Begriff reicht jedoch als solcher noch nicht aus, ein strafrechtlich

relevantes Verhalten zu unterstellen. Mit der behaupteten „Vertuschung" wird dem Kläger zwar gleichfalls ein nach Auffassung der Beklagten zu missbilligendes Verhalten vorgeworfen. So umschreibt Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache2 VIII, „vertuschen" mit „etwas, wovon man nicht möchte, dass es bekannt wird, verheimlichen, geheimhalten, geflissentlich verbergen" und führt als Beispiel etwa an, „einen Skandal vertuschen; der Betrug ließ sich nicht vertuschen". Ähnlich formuliert Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch (1984) VI, die Bedeutung von „vertuschen" als „verheimlichen, zu verschweigen suchen, das Bekanntwerden verhindern" und bringt als Beispiel die Vertuschung einer peinlichen Angelegenheit oder eines unangenehmen Vorfalls. Damit kommt zwar auch dem Wort „vertuschen" eine negative Konnotation zu; die Vertuschung erfüllt aber weder für sich genommen noch mit dem von den Beklagten gebrauchten Zusatz „Beihilfe" den Vorwurf eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend von dem der Entscheidung 6 Ob 271/07g zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem der - auch strafrechtlich relevante - Vorwurf der „Bilanzfälschung" bzw „Bilanzmanipulation" zu beurteilen war.

Im Lichte der eingangs dargelegten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der darauf aufbauenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt damit ein Wertungsexzess im angeführten Sinne nicht vor; die Grenzen der in der politischen Auseinandersetzung zulässigen Kritik werden durch die beanstandete Äußerung nicht überschritten.

Dem Revisionsrekurs war daher spruchgemäß Folge zu geben. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 393 EO.

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