OGH 10ObS135/07m

OGH10ObS135/07m18.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Univ.-Prof. DI Hans Lechner und Dr. Peter Krüger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef H*****, Pensionist, *****, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1031 Wien, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Betriebsrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juli 2007, GZ 8 Rs 62/07k-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Jänner 2007, GZ 31 Cgs 204/06s-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 11. 6. 1952 geborene Kläger, ein Nebenerwerbslandwirt, erlitt am 24. 1. 2004 bei Holzarbeiten in seinem landwirtschaftlichen Betrieb einen Arbeitsunfall.

Mit Bescheid vom 14. 3. 2005 sprach ihm die Sozialversicherungsanstalt der Bauern zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalls ab 24. 1. 2005 eine vorläufige Betriebsrente unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 vH zu. Mit Bescheid vom 11. 5. 2005 gewährte die Pensionsversicherungsanstalt dem Kläger befristet vom 1. 3. 2005 bis 31. 7. 2006 die Invaliditätspension.

Mit Bescheid vom 13. 6. 2005 stellte die Sozialversicherungsanstalt der Bauern fest, dass die gewährte Betriebsrente gemäß § 148i BSVG für den Zeitraum vom 1. 3. 2005 bis 31. 7. 2006 wegfalle. Dagegen erhob der Kläger zu 30 Cgs 103/05d des Landesgerichtes ***** als Arbeits- und Sozialgericht Klage; das Verfahren ist noch nicht rechtskräftig beendet. Ein Dauerrentenbescheid wurde von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern bis zum 24. 1. 2006 nicht erlassen.

Mit Bescheid vom 17. 7. 2006 gewährte die Pensionsversicherungsanstalt dem Kläger die bis 31. 7. 2006 befristete Invaliditätspension für den Zeitraum vom 1. 8. 2006 bis 31. 7. 2008 weiter.

Mit Bescheid vom 28. 7. 2006 stellte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern fest, dass die dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 24. 1. 2004 gewährte Betriebsrente gemäß § 148i Abs 1 BSVG für den Zeitraum vom 1. 8. 2006 bis 31. 7. 2008 weiterhin wegfalle.

Soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung begehrt der Kläger die Auszahlung der ihm zuerkannten Versehrtenrente ab 1. 7. 2007 mit dem wesentlichen Vorbringen, der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 19. 6. 2006, G 16/06, ausgesprochen, dass die in § 148i Abs 1 BSVG genannte Wortfolge „geminderte Arbeitsfähigkeit bzw."

mit Ablauf des 30. 6. 2007 als verfassungswidrig aufgehoben werde. Der entscheidende Tatbestand sei nach Aufhebung der genannten Wortfolge verwirklicht worden, sodass ab 1. 7. 2007 ein Leistungsanspruch bestehe.

Mit Urteil vom 23. 1. 2007 wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass auf die vor der Aufhebung einer Bestimmung als verfassungswidrig (hier mit Ablauf des 30. 6. 2007) verwirklichten Tatbestände - mit Ausnahme des Anlassfalls - das Gesetz weiterhin anzuwenden sei, sofern der Verfassungsgerichtshof nichts Gegenteiliges ausspreche. Da für den Anspruch auf Betriebsrente auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls (hier: Arbeitsunfall vom 24. 1. 2004) abgestellt werden müsse, sei für den Kläger § 148i BSVG in der alten Fassung des BGBl I Nr. 140/1998 weiterhin anzuwenden.

Das Berufungsgericht gab mit Urteil vom 18. 7. 2007 der Berufung des Klägers teilweise Folge und sprach aus, dass der Anspruch auf Gewährung einer Betriebsrente als Dauerrente für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 24. 1. 2004 ab 1. 7. 2007 im Ausmaß von 25 vH dem Grunde nach zu Recht bestehe (die Abweisung des klägerischen Mehrbegehrens auf Betriebsrente auch für den Zeitraum vom 1. 8. 2006 bis 30. 6. 2007 ist rechtskräftig). Der beklagten Partei wurde eine vorläufige Zahlung von 440 EUR ab 1. 7. 2007 aufgetragen. Infolge der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 19. 6. 2006, G 16/06, vorgenommenen Aufhebung der Wortfolge „geminderten Arbeitsfähigkeit bzw." im ersten Satz des § 148i Abs 1 BSVG und der Wortfolge „der geminderten Arbeitsfähigkeit bzw." im zweiten Satz dieser Bestimmung mit Ablauf des 30. 6. 2007 habe der Kläger ab 1. 7. 2007 „Anspruch auf die gewährte Betriebsrente".

Nach ständiger Rechtsprechung habe das Rechtsmittelgericht auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden seien. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2006, G 16/06-8, sei mit BGBl I 2006/111 kundgemacht worden. Aus der Kundmachung ergebe sich ebenfalls, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. 6. 2007 in Kraft trete. Übergangsbestimmungen, die die Anwendbarkeit des § 148i Abs 1 BSVG in der ab 1. 7. 2007 gültigen Fassung auf Sachverhalte einschränken würden, in denen der Versicherungsfall nach dem 1. 7. 2007 eingetreten sei, fänden sich nicht. Auch eine rückwirkende Anwendbarkeit der Bestimmung sei nicht normiert worden. Daraus ergebe sich für den Kläger, dass auch für die Beurteilung seines Anspruchs auf Weiterzahlung der Betriebsrente § 148i Abs 1 BSVG in der nunmehr gültigen Fassung anzuwenden sei. Somit könne der Bezug der befristeten Invaliditätspension ab 1. 7. 2007 nicht mehr zum Wegfall der Betriebsrente führen.

Die Revision sei zulässig, weil der Frage, ob § 148i Abs 1 BSVG in der ab 1. 7. 2007 geltenden Fassung auch dann anzuwenden ist, wenn der Versicherungsfall vor dem genannten Zeitpunkt eingetreten sei, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beizumessen sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Das Revisionsvorbringen der beklagten Partei lässt sich dahin zusammenfassen, dass der Gesetzgeber ganz allgemein im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung den Eintritt des Versicherungsfalles als den relevanten vor der Aufhebung einer Gesetzesbestimmung verwirklichten Tatbestand iSd Art 140 Abs 7 B-VG ansehe, sofern nicht durch anders lautende Übergangsbestimmungen Gegenteiliges normiert werde. Im Hinblick auf den Eintritt des Versicherungsfalles am 24. 1. 2004 sei der Anspruch des Klägers auf Betriebsrente weiterhin nach § 148i BSVG idF BGBl I 1998/140 zu prüfen. Zum gleichen Ergebnis komme man, wenn man für den verwirklichten Tatbestand iSd Art 140 Abs 7 B-VG auf das Entstehen des Anspruchs des Klägers auf Invaliditätspension abstelle. Beide hier in Betracht kommenden Daten (1. 3. 2005 oder 1. 8. 2006) lägen vor dem 1. 7. 2007.

Dazu hat der Senat erwogen:

Gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO kann auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Aufgrund des Eintritts der Wirkung der Aufhebung der Wortfolge „geminderten Arbeitsfähigkeit bzw" in § 148i Abs 1 BSVG idF der 22. BSVG-Novelle, BGBl I 1998/140, durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH 19. 6. 2006, G 16/06 = DRdA 2007/17, 208 [Schrammel]) mit Ablauf des 30. 6. 2007 ist aufgrund der zwar (in der Regel) nicht für die Vergangenheit, wohl aber für die Zukunft wirksamen Aufhebung eine - wie noch zu zeigen ist - nicht nur auf den Anlassfall des VfGH-Erkenntnisses bezogene Änderung der Rechtslage eingetreten. Auf eine solche hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in dritter Instanz (10 ObS 261/01g = SSV-NF 15/118; RIS-Justiz RS0106868) Bedacht zu nehmen, wobei grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen ist, ob und inwieweit die Gesetzesänderung in einem zum Zeitpunkt des Eintritts der Gesetzesänderung bereits laufenden Verfahren zu beachten ist (RIS-Justiz RS0031419). In Betracht kommen eine gesetzliche Übergangsbestimmung, aber auch der Ausspruch des VfGH (vgl 4 Ob 71/03z = wobl 2004/8, 25 [Arnold]).

Der Verfassungsgerichtshof hat in dem schon genannten Erkenntnis vom 19. 6. 2006 ausgesprochen, dass in § 148i Abs 1 des BSVG idF der 22. BSVG-Novelle (BGBl I 1998/140) im ersten Satz die Wortfolge „geminderten Arbeitsfähigkeit bzw." und im zweiten Satz die Wortfolge „der geminderten Arbeitsfähigkeit bzw" als verfassungswidrig aufgehoben werden, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. 6. 2007 in Kraft tritt und dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Über die Weiteranwendbarkeit des § 148i BSVG auf Versicherungsfälle, die bereits vor dem 1. 7. 2007 eingetreten sind, enthält der Spruch des Erkenntnisses keine Aussage. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 23/02h (SSV-NF 16/16 = SZ 2002/37) ausführlich mit der Auswirkung einer Gesetzesaufhebung durch den VfGH auf eine Dauerleistung auseinandergesetzt, der ein bereits vor der Aufhebung eingetretener Versicherungsfall zugrunde liegt. Er hat die Gesetzesaufhebung unter Hinweis auf 10 ObS 151/93 (SSV-NF 7/101 = SZ 66/135) wie eine Änderung der Rechtslage behandelt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich bei Dauerrechtsverhältnissen der Anspruch bis zur Änderung der Rechtslage nach altem Recht und danach nach neuem Recht beurteilt, sofern dem der Änderung der Rechtslage zugrunde liegenden Erkenntnis des VfGH keine andere Rechtsfolgenanordnung zu entnehmen ist (ebenso 10 ObS 125/02h = ARD 5399/11/2003).

Diese Grundsätze sind auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, der ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, dass weder dem VfGH-Erkenntnis noch den Übergangsbestimmungen des SRÄG 2007 (32. BSVG-Novelle, BGBl I 2007/31) eine Aussage über die Wirkung des Erkenntnisses auf Dauersachverhalte zu entnehmen ist (dies gilt auch für die Gesetzesmaterialien, AB 110 BlgNR 23. GP). Nach § 307 Abs 1 BSVG tritt § 148i Abs 1 erster und zweiter Satz BSVG idF BGBl I 2007/31 mit 1. 7. 2007 in Kraft; eine Bezugnahme auf das Datum des Versicherungsfalles findet sich (in § 307 Abs 5 BSVG) nur in Bezug auf die hier nicht relevante Bestimmung des § 149d Abs 1 Z 2 und Abs 1 vorletzter Satz BSVG.

Daraus folgt, dass für den Betriebsrentenanspruch des Klägers ab 1. 7. 2007 weder das Datum des Eintritts des Versicherungsfalls noch dasjenige des Anfalls der Pensionsleistung (die vor dem 1. 7. 2007 zum Wegfall des Anspruchs auf Betriebsrente geführt hatte) eine Rolle spielt.

Die beklagte Partei leitet jedoch eine auch auf den vorliegenden Fall anzuwendende gesetzliche Übergangsregelung aus dem Umstand ab, dass der Gesetzgeber als Reaktion auf die jeweils zu Gesamtrentenbildungen ergangenen Entscheidungen 10 ObS 23/02h und 10 ObS 125/02h im Zuge der 60. ASVG-Novelle für die Anwendung des § 210 ASVG in § 593 Abs 3a ASVG eine „Stichtagsregelung" geschaffen hat (wonach der letzte Versicherungsfall vor einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten sein muss); daraus sei zu schließen, dass bei Dauerleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung der Eintritt des Versicherungsfalles generell für die Beurteilung von Leistungsansprüchen entscheidend sei. Allerdings kann aus der - auch nach ihrer Diktion - sehr punktuellen, auch nach den Gesetzesmaterialien (RV 1183 BlgNR 21. GP 29) explizit nur auf die Gesamtrentenbildung nach § 210 ASVG Bezug nehmenden Regelung des § 593 Abs 3a ASVG nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ganz allgemein die Rechtslage zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles auf Dauerleistungen versteinert haben will. Auch der Entscheidung 10 ObS 150/04p = SSV-NF 18/92 ist solches nicht zu entnehmen. Gegen eine Verallgemeinerbarkeit des § 593 Abs 3a ASVG sprechen im Übrigen auch die Übergangsbestimmungen des SRÄG 2007 (32. BSVG-Novelle), in denen nur in Bezug auf § 149d Abs 1 Z 2 und Abs 1 vorletzter Satz BSVG auf das Datum des Versicherungsfalles abgestellt wird, nicht aber in Bezug auf § 148i Abs 1 BSVG.

Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

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