OGH 10ObS151/93

OGH10ObS151/9328.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Arbeits- und Sozialgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Friederike Grasmuk (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Paul R*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, wegen Krankengeldes infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.April 1993, GZ 32 Rs 39/93-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.Jänner 1993, GZ 5 Cgs 529/92-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

(Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des ASVG.)

Beim Kläger, einem bei einem Wiener Dienstgeber beschäftigten und deshalb beim beklagten Krankenversicherungsträger in der Krankenversicherung pflichtversicherten Dienstnehmer, trat am 12.11.1991 der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein. Aus diesem Versicherungsfall gewährte ihm die Beklagte Krankengeld. Dieses ruhte bis 3.2.1992 zur Gänze und vom 4.2. bis 2.3.1992 zur Hälfte und wurde vom 4.2. bis 2.3.1992 im Ausmaß von 350 S täglich und seit 3.3.1992 im Ausmaß von 700 S täglich ausgezahlt. Als Bemessungsgrundlage nahm die Beklagte den Tageswert der Lohnstufe an, in die der Kläger in dem dem Versicherungsfall zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum 1. bis 31.Oktober 1991 für die Beitragsermittlung eingereiht war, nämlich mit 1.000 S. Dieser Betrag erhöhte sich um 16,66 % Sonderzahlungszuschlag auf 1.166,66 S.

Mit Bescheid vom 27.10.1992 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 7.10.1992, das Krankengeld für das Kalenderjahr 1992 auf Grund der Rechtslage der 50. ASVGNov neu zu bemessen, ab. Die Leistung sei nach der zum Eintritt des Versicherungsfalles am 12.11.1991 geltenden Fassung des § 125 Abs 1 berechnet worden. Die Neufassung dieser Gesetzesstelle durch die zit Nov sei nach § 547 Abs 1 Z 1 erst mit 1.1.1992 in Kraft getreten und mangels einer Übergangsbestimmung für vorher eingetretene und nach dem 31.12.1991 andauernde Versicherungsfälle nicht anzuwenden.

In der auf Zahlung eines täglichen Krankengeldes von 371,01 S statt 350 S für die Zeit vom 4.2. bis 2.3.1992 und von 742,02 S statt 700 S ab 3.3.1992 gerichteten Klage vertritt der Kläger die Rechtsansicht, daß das Krankengeld ab Februar 1992 nach § 125 Abs 1 idF der 50. ASVGNov zu berechnen sei, zumal der den Eintritt des Versicherungsfalles (in der Krankenversicherung) regelnde § 120 im Gegensatz zu dem (den Eintritt des Versicherungsfalles in der Pensionsversicherung regelnden) § 223 nicht auf einen bestimmten Stichtag abstelle.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie blieb bei der Begründung ihres Bescheides und ergänzte, daß das Krankengeld grundsätzlich schon ab 15.11.1991 gebührt habe, an welchem Tag der Anspruch entstanden sei. Daß dieser Leistungsanspruch bis 3.2.1982 zur Gänze und bis 2.3.1992 zur Hälfte geruht habe, mache die seit 1.1.1992 geltende Fassung des § 125 Abs 1 auf den am 12.11.1991 eingetretenen Versicherungsfall nicht anwendbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es teilte die Rechtsansicht der Beklagten.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichter rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge, weil es die Rechtsansicht des Erstgerichtes für zutreffend erachtete.

Rechtliche Beurteilung

Die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder allenfalls aufzuheben, ist berechtigt.

Nach § 361 Abs 1 Z 1 sind die Leistungsansprüche in der Krankenversicherung (KV) von den Versicherungsträgern auf Antrag festzustellen. Bei einem Antrag auf eine Leistung aus der Krankenversicherung hat der Antragsteller eine Bestätigung des Dienstgebers über die Höhe des Entgeltes beizubringen (Abs 3 leg cit). Über den Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Krankenversicherung ist nach § 367 Abs 1 ein Bescheid nur zu erlassen, wenn ... 2. die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt.

Das ASVG nennt den "Stichtag" als sekundäre Leistungsvoraussetzung ausdrücklich nur in der Pensionsversicherung. Dennoch gibt es Stichtagsregelungen überall dort, wo eine Leistung von sekundären oder besonderen Voraussetzungen abhängt, mag auch die ausdrückliche Bezeichnung als solche fehlen. So ist zB bei den Selbstversicherten in der Krankenversicherung die Leistungspflicht nach § 124 Abs 1 grundsätzlich von der Erfüllung einer Wartezeit unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles abhängig. Daraus folgt, daß Stichtag, an dem die sekundäre Voraussetzung der Wartezeit vorliegen muß, der Tag des Eintrittes des Versicherungsfalles ist (so auch Schrammel in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 142).

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 85 iVm § 138 Abs 1 spätestens - s Schrammel in Tomandl aaO 147f - mit dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit und fällt mit diesem Tag auch an (§ 86 iVm § 138 Abs 1).

Der Antrag auf Krankengeld ist keine materielle Voraussetzung für die Entstehung des Anspruches, sondern begründet neben der Zuständigkeit des Versicherungsträgers dessen Leistungspflicht (SSV-NF 6/58 und 80 jeweils mwN).

Daß der Anspruch auf Krankengeld nach § 143 Abs 1 ruht, zB nach Z 1 (solange die Arbeitsunfähigkeit dem Versicherungsträger nicht gemeldet ist) oder Z 3 (solange der Versicherte auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung bestimmter Prozentsätze der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat), berührt den Bestand dieses Anspruches nicht. Das Ruhen sistiert nur die Leistungspflicht des Versicherungsträgers (SSV-NF 5/80 mwN).

Das Krankengeld soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust teilweise und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen (Lohnersatzfunktion) (Binder in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 231).

Nach § 141 wird als gesetzliche Mindestleistung das Krankengeld im Ausmaß von 50 vH der Bemessungsgrundlage (BG) für den Kalendertag gewährt (Abs 1). Ab dem 43.Tag einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung erhöht es sich auf 60 vH der Bemessungsgrundlage (Abs 2). Als satzungsmäßige Mehrleistung kann das Krankengeld von einem durch die Satzung zu bestimmenden Zeitpunkt an erhöht werden, wenn der Versicherte Angehörige hat, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten (Abs 3).

Bemessungsgrundlage für die Barleistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist der Tageswert der Lohnstufe (§ 46 Abs 4), in die der Versicherte auf Grund seines Arbeitsverdienstes für die Beitragsermittlung eingereiht war oder einzureihen gewesen wäre, wenn der Beitrag lohnstufenmäßig ermittelt worden wäre (§ 125 Abs 1 1. HS). Dabei kam es nach der Fassung dieses Halbsatzes vor der 50. ASVGNov auf den Arbeitsverdienst in dem dem Versicherungsfall zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2) an. Die nach § 547 Abs 1 Z 1 mit 1.1.1992 in Kraft getretene Fassung dieses Halbsatzes erklärt hingegen den Arbeitsverdienst in dem dem Ende des vollen Entgeltanspruches zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2) für maßgebend. Kommt ein zuletzt vorangegangener Beitragszeitraum für den Versicherten nicht in Betracht, so tritt an seine Stelle der laufende Beitragszeitraum (2. HS der zit Gesetzesstelle). Wurde der Beitrag für den Versicherten nach Lohnstufen ermittelt und ist im zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum eine Änderung der Lohnstufe eingetreten, so ist für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nur die letzte Lohnstufe maßgebend (2. Satz leg cit). Durch die 50. ASVGNov wurde § 125 Abs 1 folgender (3. Satz) angefügt: "Lohn- und Gehaltserhöhungen auf Grund von Normen kollektiver Rechtsgestaltungen sind zu berücksichtigen."

Die RV zur genannten Nov 284 BlgNR 18. GP, 29 begründete diese Novellierungen damit, daß die alte Rechtslage, nach der sich eine während der Zeit der Entgeltfortzahlung auf Grund des AngestelltenG oder des EntgeltfortzahlungsG eingetretene Lohn- oder Gehaltserhöhung auf die Höhe des Krankengeldes nicht ausgewirkt habe, obwohl vom höheren Entgelt Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden seien, von den Betroffenen als ungerecht empfunden worden sei (so auch Geppert ua, Änderungen im Sozialversicherungsrecht (insb durch die 50. ASVGNov), SozSi 1992, 3 (16), die zutreffend darauf hinweisen, daß nunmehr auch Lohn- und Gehaltserhöhnungen auf Grund von Normen kollektiver Rechtsgestaltung berücksichtigt werden).

Die bisher dargestellte Rechtslage spricht für die Richtigkeit der Rechtsansicht des Klägers.

Nach § 5 ABGB wirken Gesetze nicht zurück; sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluß. Diese Bestimmung legt den zeitlichen Geltungsbereich eines kundgemachten Gesetzes dahin fest, daß nur die nach Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen sind. Vorher geschehene Handlungen (und analog sonstige Sachverhalte) sowie vorher entstandene ("wohlerworbene") Rechte unterliegen weiterhin dem alten, bereits "außer Kraft getretenen" Gesetz. Es ist allerdings auch möglich, diese verbliebene Anwendbarkeit zeitlich zu beschränken oder auch ganz auszuschließen ("zeitlicher Rechtsfolgenbereich"). Das zeitliche Ineinandergreifen verschiedener Gesetze wird häufig durch besondere Übergangsvorschriften geregelt. Der zeitliche Geltungsbereich ist einfach abgrenzbar in bezug auf einmalige Handlungen und Zustände aber auch in bezug auf mehrgliedrige und dauernde Sachverhalte, die zur Gänze in die Geltungszeit eines der Gesetze fallen. Andernfalls gelten für den Dauersachverhalt (zB Miete, Ehe, Kindschaft) die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten. Beim mehrgliedrigen Sachverhalt (zB Übereignung durch Kauf und Übergabe) ist nach der ausdrücklichen Vorschrift der zit Gesetzesstelle das alte Gesetz auf den früherern Sachverhaltsteil weiter anzuwenden (Bydlinski in Rummel2 I § 5 Rz 1 mwN; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts9 I 34 mwN). Die Rückwirkung von Gesetzen, dh ihre Anwendung auf Sachverhalte, die vor ihrem Inkrafttreten verwirklicht waren, wird durch § 5 ABGB verwehrt. Er ist aber nur eine im Zweifel geltende Regel, die durch jede Rückwirkungsanordnung als lex specialis (nicht aber ohne solche) durchbrochen werden kann (Bydlinski aaO Rz 2 mwN).

In diesem Sinn wirken die durch Art I Z 13 und 14 der 50. ASVGNov verfügten und infolge des mit Art V Z 38 dieser Novelle angefügten § 547 Abs 1 Z 1 mit 1.Jänner 1992 in Kraft getretenen Änderungen des § 125 Abs 1 mangels einer Rückwirkungsanordnung nicht zurück. Sie haben daher auf die Bemessungsgrundlage und damit auf die Höhe des Krankengeldes vor dem genannten Tag ihres Inkrafttretens keinen Einfluß.

Seit dem 1.Jänner 1992 richtet sich die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld und damit die Höhe dieser Leistung jedoch ausschließlich nach dem an diesem Tag in Kraft getretenen § 125 Abs 1 idF der 50. ASVGNov.

Dem Revisionswerber ist nämlich darin beizupflichten, daß eine dem § 223 Abs 2 entsprechende Bestimmung, wonach ua für die Feststellung, in welchem Ausmaß eine Leistung (der Pensionsversicherung) gebührt, ein Stichtag bestimmt wird, für die Feststellung der Höhe des Krankengeldes, also einer Leistung der Krankenversicherung, fehlt.

Ähnlich wie bei Dauersachverhalten die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten gelten, richtet sich auch die Höhe des Krankengeldes ab dem Inkrafttreten einer diesbezüglichen Gesetzesänderung nach dem neuen Recht.

Daß Leistungen der Krankenversicherung für bereits eingetretene Versicherungsfälle geändert werden können, ist dem Leistungsrecht der Krankenversicherung nicht fremd. So kann zB nach § 127 durch eine Satzungsänderung für Versicherungsfälle, die bereits eingetreten sind, die satzungsmäßige Mehrleistung erhöht, nicht aber herabgesetzt werden. Auch der die Höhe des Krankengeldes regelnde § 141 sieht in seinem Abs 3 vor, daß das Krankengeld als satzungsmäßige Mehrleistung von einem durch die Satzung zu bestimmenden Zeitpunkt an erhöht werden kann, wenn der Versicherte Angehörige im Sinne des § 123 Abs 2, 4, 7 oder 8 hat, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten. Dazu vertrat der Hauptverband in der SozSi 1957, 472 hinsichtlich der Berücksichtigung von Änderungen im Familienstand während des Bezuges von Geldleistungen die in MGA ASVG 53. ErgLfg 809 FN 7 wiedergegebene Rechtsauffassung, daß die Prüfung des Familienstandes nicht auf den Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles beschränkt sei. Mangels einer gegenteiligen Bestimmung seien diese Leistungserhöhungen auch während eines bereits laufenden Bezuges einer Geldleistung durchzuführen, wenn sich der Familienstand ändere. Anderseits seien bei Wegfall der Voraussetzungen (zB Tod des Angehörigen) die Leistungserhöhungen während des Krankenstandes ... einzustellen.

Aus den dargelegten Erwägungen folgt, daß die Vorinstanzen, die wegen der vom Revisionsgericht nicht geteilten Rechtsansicht die für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 125 idF der 50. ASVGNov und die für die Beurteilung der Dauer des Krankengeldanspruches nach § 139 erheblichen Tatsachen weder erörterten noch feststellten, dies nachzuholen haben. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben; die Rechtssache ist zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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