OGH 10Ob27/07d

OGH10Ob27/07d6.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Daniel S*****, vertreten durch den Vater Günther S*****, ebenda, dieser vertreten durch Mag. Michael Tinzl und Mag. Albert Frank, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land Tirol, 6020 Innsbruck, Landhausplatz 1, vertreten durch Dr. Walter Heel und Dr. Christof Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 5.025 EUR sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. November 2006, GZ 3 R 261/06p-30, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 14. Juli 2006, GZ 5 C 1347/04i-26, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 499,39 EUR (davon 83,23 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Die Beklagte ist Halterin und Eigentümerin der Bundesstraße 171 und deren Unterführung „A*****" in H*****.

An seinem neunten Geburtstag am ***** 2003 begab sich der Kläger, der bei der Unterführung auf eine Mitschülerin wartete, - nicht von der Bundesstraße herkommend - auf den schneebedeckten, freizugänglichen Wiesenstreifen zwischen der Leitschiene auf der Bundesstraße und der Mauer des südseitigen Treppenaufgangs der Unterführung. Er formte einen Schneeball, rutschte aus, konnte sich noch kurz an der Mauer halten, die ohne Geländer war, ehe er drei Meter in die Tiefe stürzte, mit dem Gesicht auf den untersten Stufen aufschlug und sich dabei schwer verletzte.

Das Erstgericht gab dem Schmerzengeldbegehren des Klägers teilweise und seinem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Es bejahte die Haftung der Beklagten nach § 1319a ABGB.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil wegen Bejahung eines Mitverschuldens des Klägers von einem Viertel teilweise ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Eine Haftung der Beklagten nach § 1319a ABGB sei ausgeschlossen, weil die hiefür notwendige grobe Fahrlässigkeit nicht vorliege. Es sei jedoch ihre Haftung gemäß § 1319 ABGB zu bejahen. Die Beklagte habe an der Fußgängerunterführung ein eigenes Interesse, weil sie gemäß § 7 Abs 1 Bundesstraßengesetz 1971 die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten habe und unter diesem Blickwinkel von der Fußgängerunterführung profitiere. Der Verkehr könne dadurch nämlich ungehindert fließen. Ein Zebrastreifen samt Ampelregelung wäre die schlechtere Alternative. Die Mauer sei ein Werk iSd § 1319 ABGB und die Beklagte deren Halter. Wegen Fehlens einer Absturzsicherung bei einer Höhe von drei Metern sei die Stützmauer als mangelhaft beschaffen anzusehen. Da sich im unmittelbaren Nahbereich der Fußgängerunterführung eine Bushaltestelle an der Bundesstraße befinde und zahlreiche schulpflichtige Kinder diese Unterführung auf dem Weg zur und von der Schule benützten, sei ein Unfall wie der des Klägers vorhersehbar gewesen. Die Beklagte hätte eine Absturzsicherung anbringen müssen. Ihr sei der Beweis, dass sie alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet habe, nicht gelungen. Dem Kläger sei ein Mitverschulden anzulasten. Von ihm habe erwartet werden können, dass ihm die Gefährlichkeit seiner Handlungsweise, nämlich sich bei rutschigen Bodenverhältnissen an den Rand einer drei Meter hohen Stützmauer zu begeben, um nach einer anderen Schülerin einen Schneeball zu werfen, bewusst sein hätte müssen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil noch nicht vom Vorliegen einer ständigen Judikatur in Bezug auf die Abgrenzung der Haftung nach § 1319 ABGB zu jener nach § 1319a ABGB ausgegangen werden könne, wenn Bauwerke Bestandteil einer bestehenden Weganlage seien. Insbesondere fehle eine ständige Rechtsprechung dazu, wie sich die Interessenlage des Weghalters an solchen Bauwerken darstellen müsse, um zu einer Haftung nach § 1319 ABGB zu führen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene, vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes bindet den Obersten Gerichtshof nicht (§ 508a Abs 1 ZPO) - nicht zulässig. Der Oberste Gerichtshof ist in jüngerer Zeit von der Rechtsprechung abgegangen, dass zwischen den §§ 1319 und 1319a ABGB grundsätzlich auch im Fall der Interessenneutralität des Wegehalters Anspruchkonkurrenz bestehe. In der Entscheidung SZ 70/71 wurde dargelegt, dass dann, wenn der Wegehalter (§ 1319a ABGB) gleichzeitig als Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden Anlage iSd § 1319 ABGB zu werten sei, § 1319a ABGB als Spezialnorm § 1319 ABGB verdränge. Spätere Entscheidungen legen dar, dass dies nur dann nicht gelte, wenn ein besonderes Interesse des Wegehalters am betreffenden Werk bestehe (2 Ob 158/03d mwN; 2 Ob 79/04p). Ob der Wegehalter an einem im Zug des Weges befindlichen Objekt ein eigenes Interesse hat, ist eine Frage des Einzelfalls und in der Regel keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage (2 Ob 79/04p; 2 Ob 158/03d). Von der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage hängt die Entscheidung nicht ab. Ob die Beklagte ein besonderes eigenes Interesse an der Fußgängerunterführung hat, ist für die Entscheidung unerheblich. Der Schaden des Klägers ist nämlich nicht nach der Sonderregelung des § 1319a ABGB zu beurteilen. § 1319a ABGB gilt nur für die Haftung des Wegehalters gegenüber Benützern des Weges (SZ 55/179, die gegenteilige Entscheidung SZ 52/27 ablehnend; Reischauer in Rummel3, ABGB § 1319a Rz 22; Posch, Marginalien zur Wegehalterhaftung, JBl 1977, 281 [293]). Wer daher durch einen Weg (seine Anlagen, zB Stützmauern [§ 1319a Abs 2 ABGB]) geschädigt wird, ohne diesen, eine ihn kreuzende, unterführende Verkehrsfläche usw zu benutzen, kann Ersatz nach den allgemeinen und besonderen Vorschriften, auch den nach § 1319 ABGB verlangen (SZ 55/179; RIS-Justiz RS0030067; Reischauer aaO § 1319a Rz 22). Der Kläger wurde aber nicht bei der Benutzung des Weges (der Treppe zur Unterführung) geschädigt, sondern bei der Benutzung der zwischen der Bundesstraße und dem Treppenaufgang gelegenen Wiesenfläche, mag er auch auf den Mauerrand getreten sein.

Der Revisionswerber zeigt auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage auf:

Dass eine Stützmauer ein „Werk" iSd § 1319 ABGB ist, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits ausgesprochen (2 Ob 599/92 = EvBl 1994/8). Diese Beurteilung des Berufungsgerichts stellt die Revisionswerberin ebensowenig in Abrede wie, dass sie „Besitzer" des Werkes ist, weil sie die Verfügungsgewalt über die Sache hat (vgl SZ 70/71 mwN).

Sie wendet sich nur gegen die Annahme einer mangelhaften Beschaffenheit des Werkes, der Vorhersehbarkeit der Gefahr und gegen die Beurteilung, dass den Kläger nicht das Alleinverschulden treffe. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass zum Begriff der mangelhaften Beschaffenheit iSd § 1319 ABGB Analogie zulässig ist und jede Schadensverursachung durch typische Gefahren eines Werkes unter diese Bestimmung zu subsumieren sind (2 Ob 357/97g = JBl 1998/715 [Koziol]). Um eine solche typische Gefahr handelt es sich aber, wenn auf der gegenüber dem angrenzenden Gelände nicht ausreichend hohen Mauerumrandung des Abgangs zu einer Straßenunterführung eine Absturzsicherung fehlt, insbesondere wenn selbst nur ein Teil der Umrandung, sei es auch nur bei entsprechender Schneelage niveaugleich mit dem angrenzenden Gelände ist (vgl 2 Ob 599/92).

§ 1319 ABGB stellt auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab. Maßgeblich ist, welche Schutzvorkehrungen und Kontrollen ein sorgfältiger Eigentümer getroffen hätte. Die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfaltspflicht setzt aber jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch Voraussehbarkeit der Gefahr voraus (5 Ob 150/06d; RIS-Justiz RS0030049; RS0023525; RS0030035; RS0029874). Der Sache nach bestreitet die Revisionswerberin mit ihren gegen die Annahme der mangelhaften Beschaffenheit des Werks ins Treffen geführten Umständen die Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht. Ob Erkennbarkeit oder Voraussehbarkeit der Gefahr gegeben ist, hängt ganz von den Umständen des Einzelfalls ab und bildet daher in der Regel keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage. Wenn das Berufungsgericht beim festgestellten Sachverhalt davon ausging, der Beklagten sei wegen Voraussehbarkeit der Gefahr eine Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht anzulasten, so stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Dass die Leitschienen das Betreten der Böschungswiese verhindern, trifft nicht zu. Der Kläger musste nach den Feststellungen keine Leitschiene übersteigen, um auf den Wiesenstreifen zu gelangen. Das Gebot für Fußgänger, die Unterführung zu benützen (§ 52 Z 18 StVO), bezweckt, dass die Fußgänger die Bundesstraße nicht überqueren, ist aber kein Verbot, sich auf der Wiese aufzuhalten.

Zum Mitverschulden Unmündiger existiert eine umfangreiche Rechtsprechung, zu deren Änderung oder Ergänzung kein Anlass besteht und deren Heranziehung im vorliegenden Fall keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Wenn das Berufungsgericht das Mitverschulden des am Unfallstag neunjährigen Klägers als mit einem Viertel bewertbar ansah, so überschritt es bei der Beurteilung der Umstände des Einzelfalls die Grenzen des ihm zustehenden Spielraums nicht.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Sie liegt nicht vor, und insoweit ist auch keine erhebliche Rechtsfrage gegeben. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger wies in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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