Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die 34-jährige Klägerin erlitt am 26. 3. 2003 bei einem Sturz aus 2 m Höhe einen Bruch der 6. linken Rippe und des Ellenhakens. Im Krankenhaus der Beklagten, das sie unverzüglich aufsuchte, wurde eine relativ gute Beugung im Ellbogen diagnostiziert, aber ein etwas taubes Gefühl im Bereich der gesamten Hand ohne motorische Defizite. Der Ellbogen war stark geschwollen und wies kleine Abschürfungen auf. Der bei der Beklagten beschäftigte Unfallchirurg erklärte der Klägerin, dass sie einen Ellenhakenbruch habe und dies operiert werden müsse. Bei der Operation, die der Unfallchirurg darstellte, würden auch Bohrdrähte und Drahtschlingen verwendet. Auf die Frage der Klägerin, ob etwas zurückbleiben werde, erwiderte der Unfallchirurg, dass es normalerweise wieder gut werde, eventuell könnte es zu Einschränkungen der Beweglichkeit kommen. Über weitere Risken der Operation klärte er die Klägerin nicht auf. Im Zuge der Aufklärung durch den Anästhesisten wurde auch ein Formular unterfertigt. In diesem werden als allgemeine Nebenwirkungen und Komplikationen etwa festgehalten:
„... selten Schädigung von Nerven mit Gefühlsstörungen und Lähmungen durch Druck oder Zerrung bei der für die Operation erforderlichen Lagerung.
...
Spezielle Nebenwirkungen und ernste Komplikationen bei
Regionalanästhesie:
...
- selten Verletzung und Schädigung der Nerven durch Injektionsnadel, Blutergüsse, Infektionen oder Medikamente;
...
- äußerst selten Nervenschäden mit bleibenden Lähmungen durch Verletzung des Rückenmarks (zB Querschnittlähmung), vorübergehende Hörminderung, Sehstörung oder vorübergehende Potenzstörung (Kaudalanästhesie)."
Bei der Operation erfolgte die Versorgung des Ellenhakenbruches über einen radialseitigen Zugang am Ellbogen in unauffälliger Plexusanästhesie. Die relativ schwierige Stabilisierung der nochmals in sich gebrochenen Elle erfolgte mit Zuggurtungsosteosynthese, wobei die Stifte ca 3 bis 4 cm distal der Gelenksmitte ellseitig in den Weichteilbereich hervorragten. In dieser Höhe lag auch die querverlaufende Bohrung für den angebrachten 1,5 mm starken Zuggurtungsdraht. Entweder durch die angespitzten Bohrstifte, viel wahrscheinlicher aber durch Durchdringen des Bohrers bei Anbringen des Bohrlochs für den Zuggurtungsdraht kam es zu einer Teildurchtrennung des ulnaren Nervs (nervus ulnaris), der in diesem Bereich 5 bis 15 mm vom Knochen entfernt verläuft. Diese Nervenverletzung war während der Operation nicht zu sehen, weil sie auf der vom Operationszugang abgewandten Seite lag. Die Verletzung des ulnaren Nerves bei einer Zuggurtungsoperation wegen eines Ellenhakenbruchs ist ein unbekanntes Risiko. Die statistische Wahrscheinlichkeit dieser Nevenverletzung liegt bei gleich Null. Die Teildurchtrennung war vom Operateur nicht vermeidbar. Die genaue Bestimmung der Position des Nervs ist mit keinem medizinisch technischen Hilfsmittel perioperativ möglich. Ein Vordringen des Bohrers 5 bis 15 mm über den Knochen hinaus in das Weichteilgewebe kann bei den derzeitigen medizinischen Bohrmaschinen bei aller Sorgfalt nicht verhindert werden. Wenngleich bei Operationen wie der vorliegenden ein sorgfältiger Unfallchirurg den Patienten generell über das Risiko von Nervenverletzungen aufklärt, erfolgt dies hinsichtlich der konkreten Art der Verletzung nicht, da diese Verletzung für die Operation untypisch ist.
Eine Behandlungsalternative gab es bei dem vorliegenden Ellenhakenbruch nicht. Bei einer konservativen Behandlung wäre eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit des Armes geblieben. Wäre die Klägerin aufgeklärt worden, dass eine Nervenverletzung ein Operationsrisiko ist, hätte sie die Operation nicht in dem Krankenhaus der Beklagten durchführen lassen, sondern in einem anderen Krankenhaus, da ihr bekannt war, dass dort Spezialisten für derartige Operationen arbeiten.
Bei der Klägerin traten nach den unmittelbar postoperativen Schmerzen Gefühlsstörungen am kleinen Finger und am Ringfinger sowie eine Einschränkung der Beweglichkeit dieser Finger auf. In weiterer Folge entwickelte es sich eine ausstrahlende Dysästhesie, welche auch die Nachtruhe stört. Jede Bewegung führt zu einem schmerzhaften Elektrisieren. Daraus entwickelten sich im Einzelnen festgestellte Schmerzperioden und Einschränkungen der Fähigkeit der Klägerin zur Verrichtung von Haushaltstätigkeiten.
Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, den Ersatz der Kosten der Haushaltshilfe und Babysitter, Fahrtkosten aber auch sonstige Kosten und Verdienstentgang. Ferner begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden oder Nachteile aus der Nervenschädigung hafte. Sie stützt dies zusammengefasst darauf, dass die Beklagte für das Verschulden ihrer Ärzte an der Verletzung des Nervs hafte und die Klägerin auch über das Risiko der Nervenverletzung nicht aufgeklärt worden sei. Wäre ihr das Risiko bekannt gewesen, hätte sie auch noch andere Meinungen eingeholt und die Operation woanders durchführen lassen. Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein, dass die Behandlung lege artis erfolgt sei. Die Verletzung sei ein atypisch schicksalhaftes letztlich nicht vermeidbares Ereignis, für das die Beklagte nicht hafte. Die Klägerin sei auch ordnungsgemäß über die typischen Operationsrisken aufgeklärt worden. Es sei ihr auch bewusst gewesen, dass es sich nicht um eine dringende Operation gehandelt habe und es ihr offen gestanden wäre, weitere ärztliche Meinungen einzuholen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging rechtlich davon aus, dass die Klägerin einen Behandlungsfehler nicht habe nachweisen können, ebenso wenig eine Verletzung der Aufklärungspflicht. Handle es sich doch bei der vorliegenden Nervenverletzung um ein atypisches Risiko.
Das Berufungsgericht gab dem Zahlungsbegehren weitgehend und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt, wies jedoch das Rentenbegehren ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und ging rechtlich davon aus, dass die Frage, ob ein Risiko für eine Operation typisch oder nicht sei, keine Tatfrage, sondern eine ausgehend von den in den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage ist. Da nach den Feststellungen der hier relevante nervus ulnaris rund 5 bis 15 mm vom Knochen verlaufe und während der Operation nicht zu sehen sei, weil er auf der anderen Seite des Operationszuganges liege und das Vordringen des Bohrers um 5 bis 15 mm über den Knochen hinaus bei aller Sorgfalt nicht vermieden werden könne, stelle das Operationsrisiko ein typisches Risiko dar. Insoweit habe aber die Beklagte eine entsprechende Aufklärung nicht nachweisen können. Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da die Frage, inwieweit Risken als typische Operationsrisken anzusehen seien, in der Rechtsprechung einerseits als Rechtsfrage andererseits aber auch als Tatfrage beurteilt werde und insoweit eine einheitliche Rechtsprechung nicht vorliege. Auch sei noch abzuklären, wie es sich auswirke, wenn der Patient bei ausreichender Aufklärung bei einem anderen Arzt die Heilbehandlung hätte durchführen lassen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes (vgl RIS-Justiz RS0042392) nicht zulässig, muss die erhebliche Rechtsfrage doch auch konkret releviert werden (vgl RIS-Justiz RS0102059 mwN).
Die Revision macht geltend, dass das Berufungsgericht den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt habe, da es ohne Beweiswiederholung von den Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen sei und dass es die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Typizität eines Operationsrisikos missachtet habe. Der erstgenannte Vorwurf der Revision trifft schon insoweit nicht zu, als das Berufungsgericht gerade davon ausgegangen ist, dass es sich bei der Frage, ob ein Operationsrisiko typisch ist oder nicht, eben nicht nur um eine Tatfrage, sondern auch um eine Rechtsfrage handelt, die auf Grund der vorgenommenen Feststellungen zu lösen ist. Der Oberste Gerichtshof hat zur ärztlichen Aufklärungspflicht schon wiederholt ausgesprochen, dass es die Aufgabe der ärztlichen Aufklärung ist, den in den Eingriff einwilligenden Patienten in Stand zu setzen, die Tragweite seiner Einwilligung zu überschauen (vgl RIS-Justiz RS0026413 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zuletzt etwa 7 Ob 129/06f). Auch wurde wiederholt festgehalten, dass die Frage, in welchem Umfang im konkreten Fall der Arzt aufzuklären hat, eine Rechtsfrage ist (vgl RIS-Justiz RS0026763 mwN zuletzt etwa 6 Ob 240/06x). Dabei wurde regelmäßig davon ausgegangen, dass der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht nicht alle nur denkbaren Folgen der Behandlung umfasst (vgl RIS-Justiz RS0026529 mwN etwa 9 Ob 76/06a) jedoch bei Vorliegen einer typischen Gefahr verschärft ist. Diese Typizität ergibt sich entgegen den Ausführungen der Beklagten nicht nur aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei der Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreien Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist (vgl dazu zahlreiche Entscheidungen zu RIS-Justiz RS0026340 mwN). Genau dies hat hier das Berufungsgericht aber in vertretbarer Weise angenommen. Ist es doch ganz offensichtlich, dass dann, wenn einerseits der Nerv in einem bestimmten Abstand zum Knochen zu vermuten ist und andererseits bei der Durchbohrung nicht vermieden werden kann, dass in diesem Bereich hineingebohrt wird, diese Gefahr eine solche ist, über die der Patient gerade bei einer Operation, bei der keine unmittelbare Dringlichkeit besteht, aufgeklärt werden muss. Dies entspricht auch dem allgemeinen Rechtssatz, dass es sich um Gefahren handeln muss, die unabhängig von der statistischen Wahrscheinlichkeit auch bei einem sorgfältigen Vorgehen des Arztes nicht vermieden werden können (vgl RIS-Justiz RS0026581 mwN etwa 4 Ob 132/06z). Im Übrigen gehört es nach den Feststellungen durchaus zum Standard, dass über das Risiko von Nervenverletzungen aufgeklärt wird.
Im Ergebnis vermögen die konkreten Ausführungen der Revision jedenfalls keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
Da die Klägerin dies nicht geltend gemacht hat, haben die beiden Parteien die Kosten jeweils selbst zu tragen.
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