OGH 3Nc19/07k

OGH3Nc19/07k22.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner und Hon. Prof. Dr. Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nathalie L*****, geboren am 16. Februar 1994, und Florian L*****, geboren am 21. Dezember 1995, anhängig beim Bezirksgericht Reutte zu AZ 1 P 37/02d, infolge Delegierungsantrags der Mutter Manuela P*****, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag, für diese Pflegschaftssache anstelle des Bezirksgerichts Reutte das Bezirksgericht St. Pölten als zuständig zur Verhandlung und Entscheidung zu bestimmen wird abgewiesen.

Text

Begründung

Nach der anlässlich der Scheidung ihrer Eltern geschlossenen, vom Pflegschaftsgericht genehmigten Vereinbarung kam die Obsorge über zwei minderjährige Kinder der Mutter allein zu. Am 10. Dezember 2002 beantragte der Vater, ihm die Obsorge zu übertragen. Die Mutter sprach sich dagegen aus.

In Abänderung der Entscheidung erster Instanz ordnete das Rekursgericht mit (unangefochten rechtskräftig gewordenem) Beschluss vom 16. Oktober 2003 (ON 158 des Pflegschaftsakts) die von diesem beschlossene volle Erziehung durch Unterbringung in einer Einrichtung der freien Jugendwohlfahrt als bloß vorläufige Maßnahme an. Nach einem Zwischenaufenthalt in einem österreichischen Kinderdorf wurden beide Kinder am 19. November 2003 in der „Einrichtung" einer Familie in Deutschland untergebracht, zu der die Fahrzeit vom Gerichtsort etwa 1 ¼ Stunden beträgt. Das Bezirksgericht Reutte ist nach § 109 JN zuständiges Pflegschaftsgericht und bleibt es gemäß § 29 JN weiterhin, inländische Gerichtsbarkeit bestand und besteht nach § 110 Abs 1 JN (3 Ob 49/04h).

Die Mutter stellt - wenige Wochen nach Abweisung ihres Delegierungsantrags mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 7. Mai 2007, AZ 3 Nc 8/07t - erneut den Antrag, das Pflegschaftsverfahren nach § 31 JN dem Bezirksgericht St. Pölten zu übertragen. Darin bestreitet sie wiederum u.a. die örtliche Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichts, weil die Kinder ihren ordentlichen inländischen Wohnsitz am mütterlichen Hauptwohnsitz in Niederösterreich hätten. Dieses behandle Anträge nicht und lege Fristsetzungsanträge nicht vor. Auch aus Sicht des § 111 JN läge die Übertragung im dringenden Interesse ihrer Kinder; so schütze das Pflegschaftsgericht die Tochter nicht vor deren Vater, bei dem die Kinder alle Ferien verbringen dürften, obwohl die betreffende Entscheidung, die ihr erst mit mehrmonatiger Verzögerung zugestellt worden sei, nicht rechtskräftig sei; dagegen verweigere man ihr und den leiblichen Geschwistern der Kinder den persönlichen Kontakt. Dadurch hätten die Kinder schwere psychische Schäden davongetragen. Es bedeute auch eine schwere psychische Belastung der Kinder, von ihren bei ihr wohnenden Geschwistern getrennt zu leben. Weder der Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlicher Vertreter der Pflegebefohlenen (ON 204 des Pflegschaftsakts) noch der Vater äußerten sich innerhalb der ihnen gesetzten Frist zum Antrag. Der zuständige Richter sprach sich gegen eine Delegierung aus. Der Delegierungsantrag ist nicht berechtigt.

Die Mutter macht ganz überwiegend schon in der Vorentscheidung als nicht stichhältig erkannte Gründe geltend, weshalb ihr im Wesentlichen dasselbe wie in jener entgegenzuhalten ist.

Rechtliche Beurteilung

Für die grundsätzlich zulässige (4 Nd 510/89) Übertragung der Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte nach § 31 Abs 1 JN an ein anderes Gericht aus Zweckmäßigkeitsgründen ist wie im Fall der Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN stets das Wohl des Kindes entscheidend (SZ 42/86 = EvBl 1969/410 u.a., RIS-Justiz RS0046319). Wiederum kann die Mutter, abgesehen davon, dass die Delegierung von einem unzuständigen Gericht vor Klärung der Zuständigkeit nicht erfolgen dürfte (EvBl 1956/27 u.v.a., RIS-Justiz RS0046196, RS0109369), keine schlüssigen Argumente gegen den Fortbestand der vom Obersten Gerichtshof bereits bejahten Zuständigkeit des derzeit befassten Pflegschaftsgerichts vorbringen. Auch andere Gründe für eine Delegierung kann die Mutter nicht aufzeigen. Allfällige - wohl wegen der vielfachen Eingaben der Mutter sowohl an das Pflegschaftsgericht als auch an sonstige Behörden, die jeweils zu Stellungnahmen und Verfahrensschritten des Vorstehers nötigen, nicht leicht vermeidbare - Verfahrensverstöße des zuständigen Gerichts - hier etwa die verspätete Zustellung einer Entscheidung an die Mutter - sind keine Delegierungsgründe (Mayr in Rechberger³ § 31 JN Rz 4 mwN). Auch nach § 111 JN ist aber maßgebend, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Aufenthaltsort des Mündels und dem Pflegschaftsgericht als im Interesse jenes gelegen angesehen wird (Mayr aaO § 111 JN Rz 2 mwN). Schon dieser Umstand spricht gegen die Übertragung der Zuständigkeit an ein Gericht, das hunderte Kilometer weiter vom Unterbringungsort der Kinder entfernt ist, den auch der Pflegschaftsrichter wiederholt aufsuchen muss (zuletzt am 7. März 2007), ebenso die örtliche Entfernung des Dienstorts der mit den Umständen seit Jahren vertrauten Vertreter des teilweise obsorgeberechtigten Jugendwohlfahrtsträgers vom Sitz des von der Mutter gewünschten Gerichts, in dessen Sprengel sie seit Kurzem offenbar erstmals auch wohnt.

Der erneute, ohne aktenmäßige Grundlage geäußerte Verdacht eines sexuellen Missbrauchs gegen den Vater ist letztlich ebenfalls nicht geeignet, die begehrte Delegierung an ein anderes Bezirksgericht zu begründen. Die vorliegenden (bis in die jüngste Zeit reichenden) Verfahrensergebnisse - insbesondere das Gutachten eines Kinder-, Jugend- und Familienpsychologen vom 21. Mai 2007 ON 537 - geben weder in diesem Zusammenhang noch sonst Anlass für die Annahme, der derzeitige Zustand (Heimunterbringung, Ferienbesuchsrecht des Vaters) beeinträchtige das Wohl der Kinder in irgendeiner Weise. Das erforderliche Interesse der Pflegebefohlenen an der beantragten Bestimmung eines anderen Gerichts für die vorliegende Pflegschaftssache, die ja nur im Ausnahmefall zu erfolgen hat und die gesetzliche Zuständigkeitsordnung nicht faktisch durchbrechen soll (4 Nd 510/89; Mayr aaO § 31 Rz 4 mwN), ist damit nach wie vor zu verneinen.

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