Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung
Nach der anlässlich der Scheidung ihrer Eltern geschlossenen, vom Pflegschaftsgericht genehmigten Vereinbarung kam die Obsorge über zwei minderjährige Kinder der Mutter allein zu. Am 10. Dezember 2002 beantragte der Vater, ihm die Obsorge zu übertragen. Die Mutter sprach sich dagegen aus.
In Abänderung der Entscheidung erster Instanz ordnete das Rekursgericht mit (unangefochten rechtskräftig gewordenem) Beschluss vom 16. Oktober 2003 (ON 158) die von diesem beschlossene volle Erziehung durch Unterbringung in einer Einrichtung der freien Jugendwohlfahrt als bloß vorläufige Maßnahme an. Nach einem Zwischenaufenthalt in einem österreichischen Kinderdorf wurden beide Kinder am 19. November 2003 in der "Einrichtung" einer Familie in Deutschland untergebracht, zu der die Fahrzeit vom Gerichtsort etwa 1 ¼ Stunden beträgt.
Aufgrund von widerstreitenden Anträgen der Eltern hatte das Erstgericht dem Vater, dessen Lebensgefährtin und der Mutter der Kontakt mit der mj. Nathalie vorläufig nur insofern gestattet, als dieser unter Aufsicht der jeweiligen Einrichtung stattfand, in der sie untergebracht war (Beschluss vom 24. Oktober 2003 ON 162). Mit seinem Beschluss vom 10. November 2003 ON 172 wies das Erstgericht die Anträge der Mutter ab, einerseits ihre Kinder nicht in Deutschland unterzubringen, andererseits, sie in ihren Haushalt zurückzuführen.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Gericht zweiter Instanz den gegen die Beschlüsse ON 162 und ON 172 gerichteten Rekursen der Mutter nicht Folge und sprach aus, der (ordentliche) Revisionsrekurs sei nicht zulässig.
Das Rekursgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und sah die vorläufigen Maßnahmen wegen einer konkreten Gefährdung der Kinder im Haushalt und Umfeld der Mutter als gerechtfertigt und notwendig an. Die Gründe des Erstgerichts für die Auswahl des konkreten Heims in Deutschland seien überzeugend. Die Unterbringung in Deutschland sei zulässig, auch dort seien sie dem Einfluss der österreichischen Behörden nicht entzogen, diese seien nach wie vor verpflichtet, die Unterbringung zu überwachen und notfalls einzugreifen. Auch die Beaufsichtigung der Kontakte mit den Kindern sei vorläufig notwendig, um die Kinder zur Ruhe kommen zu lassen und Beeinflussungsversuche der Eltern zu verhindern. Ausreichende Gründe, dem Vater und dessen Lebensgefährtin den Kontakt überhaupt zu untersagen, lägen nicht vor.
Erhebliche Rechtsfragen seine nicht zu beantworten, weil es sich um eine von den konkreten Tatumständen abhängige Einzelfallentscheidung handle.
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs vermag die Mutter Rechtsfragen iSd § 14 Abs 1 AußStrG nicht aufzuzeigen.
Rechtliche Beurteilung
Überwiegend stehen - wie schon vom Rekursgericht zutreffend dargelegt - die Umstände des Einzelfalls im Vordergrund. Die Behauptung, dem Vater werde ein Kontakt mit Nathalie ohne Aufsicht gewährt, spricht keineswegs gegen die bekämpfte Entscheidung die solches gerade nicht zulassen will. Sollte die Behauptung zutreffen, wäre es Sache des Erstgerichts, solches Zuwiderhandeln gegen die Einschränkung der Besuchskontakte durch geeignete Maßnahmen zu verhindern. Allenfalls könnte bei Gefahr für die Minderjährige eine völlige Untersagung von Besuchen erforderlich werden.
Entgegen der emotionellen Formulierung der Mutter kann keine Rede von einer "Abschiebung" der Kinder ins Ausland sein. Nach § 58 FremdenG können Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar ist, von der Behörde zur Ausreise verhalten werden. Die hier getroffene Maßnahme der Heimunterbringung ist damit nicht zu vergleichen. Konkrete Normen, die die vorläufige Unterbringung von in ihrem Wohl gefährdeten österreichischen Kindern in einem deutschen Heim verbieten würden, kann sie nicht nennen; solche gibt es auch nicht.
Zur angeblich "absoluten Unzuständigkeit österreichischer Gerichtsbehörden außerhalb des österreichischen Staatsgebiets" und zur behaupteten Unmöglichkeit für österreichische Behörden, die Unterbringung zu überprüfen ist Folgendes klarzustellen:
Das Erstgericht ist nach § 109 JN zuständiges Pflegschaftsgericht und bleibt es gemäß § 29 JN weiterhin, inländische Gerichtsbarkeit bestand und besteht nach § 110 Abs 1 JN. Von einem Absehen von der Fortsetzung des weiteren Verfahrens iSd § 110 Abs 2 JN war bisher keine Rede, daher ist darauf nicht weiter einzugehen. Auch das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA), dem auch Deutschland angehört, sichert die Durchführung der österreichischen Maßnahmen in Deutschland (Art 4, 5). Daher wird den Kindern durch den Aufenthalt in Deutschland keineswegs der Schutz der österreichischen Gesetze entzogen. Dass gerade auf Grund des MSA keine Bedenken gegen die Unterbringung eines österreichischen Kindes bei einer Pflegefamilie in Deutschland bestehen wurde vom Obersten Gerichtshof bereits zu 2 Ob 584/87 = IPRE 2/167 = EFSlg 55.658 ausgesprochen. Entgegen den Behauptungen im Rechtsmittel wurde in ON 215 die vorläufige Unterbringung der Kinder in einer Einrichtung der "freien" Jugendwohlfahrt bewilligt. Die Argumentation, das deutsche Heim sei privat, geht daher ins Leere. Dass die Betrauung eines ausländischen Trägers nicht zulässig sei, wird nicht dargelegt. Ein "Ausländergesetz" gibt es in Österreich nicht; im Übrigen waren Verstöße gegen ein solches (allenfalls in Deutschland existierendes) Gesetz weder Gegenstand der Anträge der Mutter noch der Entscheidungen der Vorinstanzen, dasselbe gilt für die Frage einer vorzeitigen Umsetzung der vom Rekursgericht abgeänderten Entscheidung ON 144.
Gemäß Art 8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff bewirkt eine Verletzung dieses Grundrechts, wenn er nicht gemäß Art 8 Abs 2 EMRK im nationalen Recht gesetzlich vorgesehen und, als in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz eines der in dieser Bestimmung genannten Ziele notwendig, gerechtfertigt ist. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind durch den Eingriffsvorbehalt des Abs 2 jedenfalls gedeckt. Die Gefährdung des Kindeswohls ist nach deren vom Obersten Gerichtshof nicht zu prüfenden Tatsachenfeststellungen im Verfahren über die Fremdunterbringung so schwer, dass die Trennung von der Mutter auch unter den Kriterien des Art 8 EMRK erforderlich war. Jede Entscheidung, die auf einer wohlverstandenen Abwägung des Kindeswohls beruht, ist nämlich unter dem Gesichtspunkt des Abs 2 leg cit zu rechtfertigen (1 Ob 623/95 = SZ 69/20; 8 Ob 368/97v). Die Wahl der Unterbringung erfolgte aus rein sachlichen Gründen. Eine bloß aus der Unterbringung in Deutschland, einem Nachbarstaat mit derselben Staatssprache und vergleichbarem kulturellen, sozialen und wirtschaftlichem Standard, resultierende Menschenrechtsverletzung ist nicht zu sehen.
Insgesamt sind daher erhebliche Rechtsfragen nicht zu beantworten. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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