OGH 8Ob368/97v

OGH8Ob368/97v16.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Fatih K*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter Fadime K*****, vertreten durch Dr.Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Krems a.d.Donau als Rekursgericht vom 9.Oktober 1997, GZ 2 R 158/97s-69, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 3 AußStrG iVm § 528a und § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt ebensowenig vor wie die geltendgemachte Mangelhaftigkeit (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Öffentlichkeitsgebot des Art 6 Abs 1 MRK gilt nur nach Maßgabe des Vorbehalts vom 5.8.1958 (abgedruckt in Klecatsky/Morscher, MTA8 B-VG, 363), den Österreich anläßlich der Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention zu deren Art 6 erklärt hat. Danach bleibt der Gesetzesvorbehalt in Art 90 B-VG unberührt, weshalb der Oberste Gerichtshof bereits in 4 Ob 236/97b ausgesprochen hat, die Tatsache, daß im Außerstreitgesetz die öffentliche Verhandlung nicht zwingend angeordnet sei, sei im österreichischen Vorbehalt gedeckt und widerspreche nicht Art 6 MRK. Daran ist ebenso festzuhalten, wie an der ständigen Rechtsprechung, daß im Außerstreitverfahren das rechtliche Gehör der Partei auch dann gewahrt ist, wenn sie sich nur schriftlich äußern konnte (SZ 46/93; SZ 54/124; RdW 1988, 9; EFSlg 49.985; 3 Ob 89/97b).

Die Revisionsrekurswerberin hat bereits im Verfahren zweiter Instanz die Tatsache, daß sie zum Schriftsatz ON 63 keine Äußerung habe erstatten können als Nichtigkeit gerügt. Das Rekursgericht hat das Vorliegen des behaupteten Nichtigkeitsgrundes der Verletzung des rechtlichen Gehörs mit dem zutreffenden Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, es reiche aus, wenn der Partei die Möglichkeit geboten werde, im Rekurs ihren Standpunkt zu vertreten (SZ 46/93; SZ 54/124; ÖA 1988, 24; NZ 1989, 154; SZ 69/20; 9 Ob 103/97f u.v.a.), verneint. Auch im Außerstreitverfahren kann eine vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht mehr mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden (SZ 65/84; 5 Ob 145/97b u.a.).

Gem. Art 3 des Haager Übereinkommens vom 25.Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl 512/1988, müssen die dort in lit.a) und lit.b) genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen, um das "Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes" als widerrechtlich zu qualifizieren. Voraussetzung für die Anwendung des Art 3 ist daher nicht nur das Vorliegen eines Obsorge- oder Mitobsorgerechts, sondern darüberhinaus, daß dieses tatsächlich ausgeübt wurde. Dies ergibt sich klar aus dem Text des Übereinkommens und wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen (SZ 63/131; 2 Ob 596/91; ÖA 1997, 209). In der letztgenannten Entscheidung ÖA 1997, 209 hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, daß die in Art 3 lit.b) des Übereinkommens geforderte Voraussetzung der tatsächlichen Ausübung des Rechts bei einer Trennung der Eltern in der Regel nur von jenem Elternteil erfüllt werde, bei dem das Kind wohnt. Die Ausübung eines bloßen Umgangs(Besuchs)rechts genüge nicht. Das in Art 21 des Übereinkommens behandelte Recht auf persönlichen Verkehr könne Rückführungsmaßnahmen, wie in Art 3 angeordnet, nicht rechtfertigen. An dieser Auslegung ist festzuhalten und ergänzend auszuführen, daß nach dem Wortlaut des Art 3 lit.b) des Übereinkommens das tatsächlich ausgeübte Sorgerecht im "Entführungszeitpunkt" bestanden haben muß (ÖA 1997, 209). Daran vermögen auch die Ausführungen der Revisionsrekurswerberin, daß sie mit Gewalt daran gehindert worden sei, sich in Österreich um den Minderjährigen zu kümmern, nichts zu ändern, weil das Übereinkommen nicht der Durchsetzung - aus welchem Grund immer - nicht ausgeübter Elternrechte, sondern ausschließlich dem Schutz des Lebensgleichgewichts des Kindes und damit dem Kindeswohl dient (vgl ÖA 1997, 171; Jorzik, Das neue zivilrechtliche Kindesentführungsrecht, 33). Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung (SZ 63/165; 1 Ob 623/95; 8 Ob 2282/96p) ein Eingriff in die Elternrechte durch Art 8 Abs 2 MRK gerechtfertigt.

Auch das Übereinkommen vom 5.Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiete des Schutzes von Minderjährigen, BGBl 446/1975 (Haager Minderjährigenschutzabkommen, MSA), dient dem Schutz des Minderjährigen und ist nicht auf die Wahrung von Elternrechten ausgerichtet (EvBl 1988/120). Die Revisionsrekurswerberin bekämpft die Feststellung der Vorinstanzen nicht, daß der Minderjährige nun ständig in der Türkei wohne und dort die Volksschule mit gutem Erfolg besuche. Selbst bei unrechtmäßigem Aufenthaltswechsel des Kindes kann aber das Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts im Neustaat nicht mehr verneint werden, wenn der Aufenthalt über einen entsprechenden Zeitraum gedauert hat und eine soziale Integration des Kindes insoweit erfolgt ist, daß es sich im Neustaat eingelebt hat (JBl 1976, 236; EvBl 1988/120; SZ 60/212; IPRAX 1992, 176). Diese Über- legungen müssen umso mehr gelten, wenn es sich beim "Neustaat" um den Heimatstaat handelt, dessen Sprache der Minderjährige nach den Feststellungen perfekt beherrscht, zumal die Maßnahmen der Heimatbehörden jene des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts verdrängen (Art 4 Abs 4, Art 5 Abs 3 MSA; 5 Nd 513/96). Da unbestrittenermaßen öster- reichische Behörden keine Schutzmaßnahmen gesetzt haben, haben die Vorinstanzen zu Recht das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit verneint (JBl 1984, 153; SZ 60/212; IPRAX 1992, 176).

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