OGH 1Ob150/73

OGH1Ob150/733.10.1973

SZ 46/93

 

 

Spruch:

Der Ausschluß des Gegners eines Beschwerdeführers von der Beteiligung am Rechtsmittelverfahren nach § 30 Abs. 4 EisbEG hat die Nichtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichtes zur folge, es sei denn, der Gegner habe in einem von ihm selbst erhobenen Rekurs bereits zum Rechtsmittel des anderen Teiles Stellung genommen

 

OGH 3. Oktober 1973, 1 Ob 150/73 (1 Ob 152 - 155/73) (KG Ried im Innkreis R 82, 188-191/73; BG Braunau am Inn 1 Nc 6, 68, 69, 72/70, 1 Nc 113/71)

 

Begründung:

Mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 7. August 1969 und vom 2. Juli 1971 wurden zum Ausbau der Innviertler Bundesstraße gemäß §§ 12 bis 15 des Bundesstraßengesetzes in Verbindung mit den entsprechenden Vorschriften des Eisenbahnenteignungsgesetzes auch Grundstücke der Antragsteller enteignet und hiefür Entschädigungssummen festgestellt.

Die Antragsteller begehrten hierauf beim Erstgericht, über die Höhe der Entschädigungen zu entscheiden. Das Erstgericht setzte diese mit Beschluß vom 15. Jänner 1973 fest.

Über Rekurs der Antragsgegnerin - der Republik Österreich - hob das Rekursgericht diesen Beschluß des Erstgerichtes auf und erteilte ihm den Auftrag, nach Durchführung weiterer Erhebungen über die Enteignungsentschädigungen der Antragsteller neuerlich zu entscheiden. Die Antragsteller wurden mit ihren Rekursen auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Oberste Gerichtshof hob über Rekurs der Antragsteller, den er aus den in seiner Entscheidung SZ 33/73 ausführlich dargelegten Gründen für zulässig hielt, den Beschluß des Rekursgerichtes auf und wies die Sache an dieses zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht hat die Rekurse der Antragsteller und der Antragsgegnerin sogleich dem Rekursgerichte vorgelegt; dieses hat darüber entschieden, ohne den Parteien Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu den gegnerischen Rechtsmitteln zu geben. Die gegen den Beschluß über die Feststellung der Enteignungsentschädigung vom Gesetz vorgesehenen Rechtsmittel sind als zweiseitige Rechtsmittel eingerichtet, denn nach § 30 Abs. 4 EisbEG ist eine Ausfertigung des Rekurses dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen, dem es gestattet ist, seine Äußerung binnen 14 Tagen zu überreichen. Unterbleibt die Zustellung einer Ausfertigung des Rekurses an den Gegner des Beschwerdeführers, so wird diesem durch einen ungesetzlichen Vorgang die Möglichkeit zu einer Stellungnahme hiezu entzogen und damit der Anspruch auf rechtliches Gehör im Rechtsmittelverfahren verletzt. Das weitere Verfahren und vor allem der Beschluß des Rekursgerichtes ist in einem solchen Fall mit einer Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO behaftet (5 Ob 209/70; ebenso 7 Ob 232/56 in einem gleichgelagerten Fall nach § 16 Abs. 3 NotwegeG; vgl. auch EFSlg. 14.578). Der Oberste Gerichtshof vertrat zwar die Ansicht, daß der Mangel des rechtlichen Gehörs im Außenstreitverfahren in erster Instanz dadurch behoben wird, daß Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs zu vertreten (EFSlg. 16.707; 1 Ob 53/73). Dieser Grundsatz kann aber dann nicht angewendet werden, wenn das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör in wesentlichen Punkten verletzt wurde (7 Ob 20/72). Dies ist der Fall, wenn eine Partei in einem nach Sonderbestimmungen zweiseitigen Rechtsmittelverfahren völlig ausgeschlossen oder, wie hier, sogar bewußt vom Rechtsmittelgericht übergangen wurde. Das gesetzwidrige Abschneiden von Vorbringen im Rechtsmittelverfahren der Unterinstanz kann und muß nicht durch Nachholung dieses Vorbringens im Revisionsrekurs geheilt werden. Die gegenteilige Auffassung wäre nicht nur mit dem Zweck der Sonderbestimmung des § 30 Abs. 4 EisbEG unvereinbar (vgl. hiezu auch Fasching IV, 397), sie würde auch dem Grundsatz widersprechen, daß der Oberste Gerichtshof im Fall der Nichtigkeit des Verfahrens bzw. der Entscheidung der zweiten Instanz nicht die Erneuerung des nichtigen Verfahrens (Entscheidung) der Unterinstanz anzuordnen hat, sondern sofort selbst eine Entscheidung in sachlicher Hinsicht treffen kann. Der gesetzwidrige Ausschluß der Parteien an der Beteiligung am Rechtsmittelverfahren nach § 30 Abs. 4 EisbEG liegt selbst dann vor, wenn von sämtlichen Parteien Rekurse eingebracht wurden, aber keiner der Parteien die Gelegenheit gegeben wurde, zu den Rechtsmitteln der Gegenseite Stellung zu nehmen. Das eigene Rechtsmittel vermag nur dann die Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO zu heilen, wenn in einem solchen Rechtsmittel ausdrücklich auf jenes der Gegenseite Bezug genommen wird, was hier nicht zutrifft.

Die bewußte Nichtbeachtung der Bestimmung des § 30 Abs. 4 EisbEG begründet entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes auch dann die Nichtigkeit der Rekursentscheidung, wenn diese auf Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses lautet, weil das Rekursgericht, wie ausgeführt, zu einer Sachentscheidung bzw. zur Aufhebung des Beschlusses des Erstgerichtes nach dessen Überprüfung in sachlicher Hinsicht nach der Verfahrenslage noch nicht berechtigt war.

Die bloß vom Antragsteller Dipl.-Ing. K gerügte Nichtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichtes hat nicht nur zur Aufhebung des ihn betreffenden Teiles der Entscheidung zu führen, sondern des gesamten rekursgerichtlichen Beschlusses, weil im außerstreitigen Verfahren Nichtigkeiten im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittels unter Berücksichtigung der allenfalls eingetretenen Teilrechtskraft auch von Amts wegen wahrzunehmen sind.

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