Spruch:
Zulässigkeit des Rekurses gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes, mit der die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung einer Pflegschaftssache an ein anderes Gericht nicht genehmigt wird.
Entscheidung vom 4. Juni 1969, 5 Ob 151/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Pflegschaft über die mj. Evelyn V. ist seit 6. September 1961 beim Bezirksgericht D. anhängig. Mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS. Wien vom 24. November 1961 wurde die Ehe der Eltern der Minderjährigen rechtskräftig aus dem Verschulden des beklagten Ehemannes geschieden. Eine Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes im Sinne des § 142 ABGB. wurde bisher nicht begehrt. Wohl aber beantragte die Mutter bereits am 23. November 1962, ihr ein Besuchsrecht bei dem in einem Internat untergebrachten Kind einzuräumen. Diesen Antrag zog sie später zurück. Am 22. Mai 1968 wiederholte sie diesen Antrag jedoch mit der Begründung, daß es ihr unmöglich gemacht werde, mit dem Kind im Internat Kontakt aufzunehmen. Obwohl die Mutter die Entscheidung über diesen Antrag mehrfach betrieb, wurde bisher noch nicht darüber entschieden. Mit Eingabe vom 13. September 1968 beantragte der Vater, die Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt - Wien zu überweisen, weil er im Sprengel dieses Gerichtes seinen Wohnsitz habe.
Mit Beschluß vom 13. September 1968 übertrug das Bezirksgericht Döbling die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN. an das Bezirksgericht Innere Stadt - Wien, das die Übernahme jedoch mit Beschluß vom 19. September 1968 ablehnte. Darauf legte das Bezirksgericht Döbling die Akten dem Oberlandesgericht Wien "zur Entscheidung über das zur Weiterführung der Pflegschaft zuständige Gericht vor". Mit Beschluß vom 24. Jänner 1969 genehmigte das Oberlandesgericht Wien die Übertragung der Zuständigkeit nicht, weil eine solche gemäß § 111 JN. nur in Ausnahmefällen und nur dann angeordnet werden dürfe, wenn dies im überwiegenden Interesse des Kindes gelegen sei. Diesfalls seien solche Gründe nicht angeführt worden.
Der Oberste Gerichtshof erklärte den Rekurs des ehelichen Vaters für zulässig, jedoch für unberechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 111 (1) JN. kann das zur Besorgung der vormundschafts- oder kuratelsbehördlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit zur Gänze oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Mundels oder Pflegebefohlenen gelegen erscheint, namentlich wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Gemäß Abs. 2 dieses Gesetzes (in der Fassung der 1. GEN.) wird die Übertragung wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt. Im Falle der Weigerung des anderen Gerichtes bedarf die Übertragung zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des beiden Gerichten gemeinsamen Oberlandesgerichtes und, wenn die Übertragung an ein Gericht eines anderen Oberlandesgerichtssprengels stattfinden soll, der Genehmigung des Obersten Gerichtshofes.
Aus dem Wortlaut des Gesetzes ist somit für die Frage der Anfechtbarkeit des Genehmigungsbeschlusses nichts zu gewinnen. Es kann allerdings nicht zweifelhaft sein, daß die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes, durch die ein Antrag auf Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht abgelehnt wird, im Rahmen der Vorschriften der §§ 9 bis 16 AußStrG. angefochten werden kann, wobei die Frage, welches Gericht als Rechtsmittelgericht einzuschreiten hat, keine Schwierigkeiten bereiten kann. Um den Parteien die Möglichkeit der Anfechtung zu geben, muß also der Übertragungsbeschluß des Pflegschaftsgerichtes ausgefertigt und den Parteien zugestellt werden. Wie in der Entscheidung 1 Ob 752/55 = JBl. 1956 S. 367 ausgeführt wurde, beginnt ebenso wie in allen anderen Fällen auch hier die Rekursfrist mit der Zustellung des Beschlusses. Ist der Übertragungsbeschluß des zunächst zuständigen Pflegschaftsgerichtes rechtskräftig, sind die Akten dem Gericht zu übermitteln, dem die Pflegschaft übertragen werden soll. Sofern dieses zur Übernahme bereit ist, hat es die Parteien davon zu verständigen, da auch gegen diese Entscheidung der Rechtsmittelzug offensteht (vgl. SZ. XII 157). Ist dagegen das Gericht, dem die Pflegschaft übertragen werden soll, zur Übernahme nicht bereit, hat über die Genehmigung der Übertragung nach der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes unter Übergehung der allenfalls mit der Sache bereits befaßten Rekursgerichte das beiden Gerichten gemeinsame Oberlandesgericht und, falls die Übertragung an ein Gericht eines anderen Oberlandesgerichtssprengels stattfinden soll, der Oberste Gerichtshof zu entscheiden. Die Entscheidung der zuletzt genannten Gerichtshöfe ist keine Rechtsmittelentscheidung, da sie in jedem Fall, also auch ohne Antrag einer Partei einzuholen ist, wenn das Gericht, dem die Pflegschaft übertragen werden soll, die Übernahme ablehnt. Es handelt sich aber immerhin bei diesem Genehmigungs- bzw. Versagungsbeschluß um eine im Außerstreitverfahren ergehende Entscheidung, gegen die das Gesetz ein Rechtsmittel zumindest nicht ausschließt. Da es im Außerstreitverfahren nur dort keine Anfechtungsmöglichkeit gibt, wo dies durch ausdrückliche Bestimmung des Gesetzes oder durch den Hinweis auf die anzuwendenden Prozeßgesetze geboten ist (vgl. EvBl. 1956 Nr. 74), erscheint die Annahme, daß gegen den Genehmigungsbeschluß des gemeinsamen Obergerichtes ein Rechtsmittel grundsätzlich nicht zulässig sei, unbegrundet. Allerdings wird in den Erläuternden Bemerkungen zur 1. GEN. (537 der Beilagen zu den sten. Prot. des Abgeordnetenhauses, XXI. Session, S. 42 ff., ähnlich der DchfErl. vom 2. Juni 1914 JMVBl. Nr. 43) als Zweck der neuen Vorschrift angeführt, daß diese die rascheste Übertragung der Zuständigkeit aller oder einzelner Pflegschaftsgeschäfte an ein anderes Gericht ermöglichen soll. Die aufgezeigte vielfache Anfechtungsmöglichkeit der zur Übertragung einer Pflegschaft notwendigen Beschlüsse des zu entlastenden und des neuen Pflegschaftsgerichtes, auf die selbst die Erläuternden Bemerkungen zur 1. GEN. hinweisen, läßt jedoch nicht den Schluß zu, daß nach dem Willen des Gesetzgebers der die Übertragung bewilligende oder versagende Beschluß des gemeinsamen Obergerichtes unanfechtbar sein soll. Es besteht auch kein Grund diesfalls den Rechtsmittelzug gegenüber dem Verfahren nach § 31 JN. zu verkürzen. Hier besteht aber kein Zweifel, daß gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichtes, mit denen über Delegierungsanträge entschieden wird, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist (vgl. Fasching Komm. I S. 234, Anm. 7 zu §§ 30, 31 JN., Neumann Komm. I S. 83 unter Berufung auf Gem. Ber. S. 23, Materialien II S. 339, ebenso 6 Ob 35/68).
Dieser Rekurs ist somit wohl zulässig, er ist aber nicht begrundet.
Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, müssen für die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN. besondere Gründe vorliegen. Entscheidend, ob eine solche Übertragung zu bewilligen ist, kann ebenso wie im Falle einer Delegierung nach § 31 JN. allein das Wohl des Kindes sein (ebenso 6 Ob 35/68, 6 Nd 190/65 u. a.). Solche Gründe hat der Antragsteller aber nicht einmal behauptet, der Übertragung der Zuständigkeit wurde daher mit Recht die Genehmigung versagt.
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