OGH 1Ob103/07i

OGH1Ob103/07i26.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Antonio G*****, vertreten durch Dr. Helga Neuberger, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen EUR 2,089.752,50 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 2,126.088,92), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2007, GZ 14 R 175/06t-48, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. August 2006, GZ 33 Cg 19/96y-43, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 9.989,45 des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger nahm am 13. 9. 1993 in Wien an einer Demonstration für die Rückgabe der „Federkrone Montezumas" an Mexiko auf dem Wiener Heldenplatz teil. Im Zuge der Auflösung dieser Demonstration durch die Polizei wurde er vorübergehend festgenommen und misshandelt. Gegen diese Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erhob er Beschwerde an den UVS Wien, die abgewiesen wurde. Daraufhin rief der Kläger zu B 1947/95 den Verfassungsgerichtshof an.

Mit seiner am 13. 9. 1996 erhobenen Amtshaftungsklage begehrte er den Ersatz diverser materieller und immaterieller Schäden, die ihm durch die rechtswidrige Demonstrationsauflösung und Festnahme entstanden seien, sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftig entstehende Schäden aus dem erwähnten Polizeieinsatz.

Die beklagte Partei wendete ein, es liege weder rechtswidriges, noch schuldhaftes oder schadenkausales Verhalten der Polizeiorgane vor.

In der Tagsatzung vom 10. 7. 1997 wurde der Amtshaftungsprozess „bis zur Erledigung der Beschwerde B 1947/95 des Verfassungsgerichtshofs" unterbrochen, wobei die Fortsetzung nur auf Antrag stattfinden sollte. Dieser Beschluss erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Mit Urteil vom 4. 3. 1998 sprach der Verfassungsgerichtshof zu B 1947/95 aus, dass der Kläger durch den angefochtenen Bescheid des UVS Wien weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden sei, und trat die Beschwerde zur Beurteilung, ob der Kläger in seinem sonstigen Recht verletzt wurde, an den Verwaltungsgerichtshof ab. Diese Entscheidung wurde den Parteien noch 1998 zugestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach letztendlich mit Urteil vom 24. 5. 2005, Zl. 2004/01/0489, aus, dass die am 13. 9. 1993 erfolgte Auflösung der vom Kläger geleiteten Versammlung, dessen dabei erfolgte Festnahme - insbesondere im Hinblick darauf, dass er dabei getreten wurde - sowie seine anschließende Anhaltung rechtswidrig waren. Dieses Erkenntnis wurde den Parteien Mitte Juni 2005 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 27. 4. 2006, ON 36, beantragte der Kläger die Fortsetzung des unterbrochenen Amtshaftungsverfahrens. Die beklagte Partei wandte darauf hin Verjährung wegen nicht ordnungsgemäßer Fortsetzung des Verfahrens ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Die dreijährige Verjährungsfrist für Amtshaftungsansprüche habe bereits am 13. 9. 1993 begonnen. Trotz der Unterbrechungswirkung der rechtzeitig eingebrachten Klage sei die Forderung des Klägers iSd § 1497 ABGB verjährt, weil der erst Ende April 2006 gestellte Fortsetzungsantrag einer gehörigen Fortsetzung nicht entspreche. Die Ablaufhemmung des § 6 Abs 1 zweiter Halbsatz AHG komme dem Kläger nicht zugute, weil er seine Ansprüche aus unabänderlichen Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ableite.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück; es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Zwar habe die Verjährungsfrist am 13. 9. 1993 zu laufen begonnen und sei die Klage nicht gehörig fortgesetzt worden. Im Gegensatz zur Beurteilung des Erstgerichts sei aber davon auszugehen, dass dem Kläger die in § 6 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz AHG normierte Ablaufhemmung zugutekomme, weil diese Bestimmung ausdehnend dahin ausgelegt werde, dass bei Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf die Rechtskraft der Erledigung einer rechtzeitig erhobenen Beschwerde an den UVS abzustellen sei. Es sei kein Grund für eine verjährungsrechtliche Schlechterstellung von Opfern einer faktischen Amtshandlung gegenüber solchen eines rechtswidrigen Bescheids zu erkennen. Auch hier bestehe eine Bindung des Amtshaftungsgerichts an ein allfälliges Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs in einem Verfahren über eine Beschwerde nach § 67a Abs 1 Z 2 AVG, auch wenn die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs durch das Amtshaftungsgericht nach § 11 Abs 1 AHG nicht stattzufinden habe. Damit sei die Verjährungsfrist aber erst ein Jahr nach Zustellung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. 5. 2005 abgelaufen und der Fortsetzungsantrag noch innerhalb der Verjährungsfrist gestellt worden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

1. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 AHG verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 AHG in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung. Auslösend für den Beginn der Verjährungsfrist ist die Kenntnis des Schadens, selbst wenn nicht die gesamten Schadensfolgen und - im Gegensatz zu § 1489 ABGB - auch nicht die Person des Schädigers bekannt sind, weil nach der berichtigenden Auslegung des § 6 Abs 1 AHG durch den Obersten Gerichtshof die Kenntnis der Schadensverursachung durch (irgend)ein Organ des Rechtsträgers ausreicht (RIS-Justiz RS0050338; RS0050355). Maßgeblich ist jener Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden irgendeines Organs des Rechtsträgers schließen konnte (SZ 57/171; RIS-Justiz RS0050355). Der Geschädigte darf mit der Klagsführung nicht so lange zuwarten, bis er im Rechtsstreit zu gewinnen glaubt. Jeder Kläger muss damit rechnen, dass sich seine scheinbare Kenntnis des Schadens und des Ersatzpflichtigen als irrig herausstellt (1 Ob 151/00p).

Mit den Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass die Verjährungsfrist im hier vorliegenden Fall bereits mit Auflösung der Demonstration und Festnahme des Klägers im September 1993 zu laufen begann. Der Argumentation des Klägers in dessen Berufung, dass der Beginn der Verjährung deshalb zu verschieben sei, weil die „negative Entscheidung" des UVS - auch ohne Bindungswirkung - zur Abweisung der Amtshaftungsklage geführt hätte und es daher im vorliegenden Fall nicht um die „völlige Gewissheit eines Prozesserfolgs", sondern bis zur für den Kläger positiven Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs um die „völlige Gewissheit des Unterliegens" gegangen sei, kann nicht näher getreten werden, würde doch damit wieder der von der Judikatur abgelehnte Zeitpunkt völliger Gewissheit über den Ausgang eines allfälligen Amtshaftungsverfahrens als den Verjährungsbeginn auslösendes Ereignis angenommen werden.

2. Der (ohnehin) im September 1996 eingebrachten Amtshaftungsklage käme - gehörige Fortsetzung vorausgesetzt - Unterbrechungswirkung iSd § 1497 ABGB zu.

Hier wurde aber das Amtshaftungsverfahren im Juli 1997 „bis zur Erledigung der Beschwerde B 1947/95 des Verfassungsgerichtshofs" unterbrochen. Selbst wenn man davon ausginge, dass diese Unterbrechung auch bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die diesem vom Verfassungsgerichtshof abgetretene Beschwerde zu diesem Aktenzeichen, die den Parteien Mitte Juni 2005 zugestellt wurde, währen sollte, wäre der Ende April 2006, mithin mehr als zehn Monate später gestellte Fortsetzungsantrag des Klägers verspätet. Auch im Amtshaftungsverfahren ist nach der Judikatur zu § 1497 ABGB, die eine unverzügliche Fortsetzung des Verfahrens nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes verlangt (RIS-Justiz RS0034612), diese Zeitspanne zu lange und wurden triftige Gründe für ein derartiges Zögern mit der Fortsetzung des Prozesses nicht ins Treffen geführt (vgl RIS-Justiz RS0034648).

3. Ersatzansprüche für Schäden, die auch durch Rechtsmittel nicht mehr abgewendet werden können, verjähren nach § 6 Abs 1 AHG „keinesfalls von einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung". Die Ergreifung von Rechtsmitteln und die Beschwerde an den Verfassungs(Verwaltungs-)gerichtshof bewirken, dass die Verjährungsfrist jedenfalls nicht vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft bzw Unabänderlichkeit der den Schaden verursachenden Entscheidung oder Verfügung endet, unabhängig davon, ob der Schaden durch einen derartigen Rechtsbehelf noch abgewendet werden konnte ( SZ 61/173; Schragel, AHG³ RZ 225). Die Jahresfrist steht dem Geschädigten unter allen Umständen zu. Sie gilt nicht nur für die kurze Verjährungszeit des § 6 Abs 1 erster Satz, sondern auch für die zehnjährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 zweiter Satz AHG. Solange die Frage der Rechtswidrigkeit eines Bescheides im Verwaltungsverfahren durch die zuständigen Verwaltungsbehörden, bei subsidiärer Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde durch den VfGH oder den VwGH, noch überprüft wird, soll es dem Geschädigten möglich sein, diese Klärung in dem dafür vorgesehenen Verfahren herbeizuführen, ohne Gefahr zu laufen, dass seine Amtshaftungsansprüche verjähren könnten (SZ 61/173). Der Begriff der „Rechtskraft" im Hemmungstatbestand ist nach herrschender Ansicht weit auszulegen. Es kommt nicht auf die formelle Rechtskraft, sondern darauf an, wann über eine bekämpfte Entscheidung endgültig abgesprochen wurde, weshalb auch die Möglichkeit eines außerordentlichen Rechtsmittels an den OGH und die Anrufung von VfGH und VwGH zu berücksichtigen sind.

§ 6 Abs 1 Satz 1 AHG spricht aber ausdrücklich von der Rechtskraft rechtsverletzender Entscheidungen oder Verfügungen. Seit der B-VG-Novelle 1988, BGBl Nr. 685, entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes (Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG; § 67a Abs 1 Z 2 AVG). Der UVS hat den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen ist. Er erkennt daher über die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes mit Bescheid, wogegen die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist (Art 130 Abs 1 lit a B-VG).

Die Einführung dieses Verwaltungsrechtszuges hat den Gesetzgeber bislang weder dazu veranlasst, § 11 Abs 1 AHG (Unterbrechung des Verfahrens zur Einholung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Rechtswidrigkeit des entscheidungswesentlichen Bescheides) auf die Überprüfung von Maßnahmen unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auszudehnen, noch eine Änderung der Textierung des hier zu beurteilenden § 6 Abs 1 Satz 1 AHG vorzunehmen. Die Rechtswidrigkeit faktischer Amtshandlungen haben die zur Entscheidung in Amtshaftungssachen berufenen ordentlichen Gerichte daher weiterhin von sich aus zu beurteilen; ein Verfahren nach § 11 Abs 1 AHG ist in solchen Fällen nicht einzuleiten (RIS-Justiz RS0050239; ecolex 2002/95 = 1 Ob 262/01p). Ist aber während eines Amtshaftungsverfahrens ein Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof zur Klärung der Rechtswidrigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anhängig, so ist das Amtshaftungsverfahren nach § 190 Abs 1 ZPO zu unterbrechen, weil das Amtshaftunsgericht an die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, die inhaltlich einer solchen nach § 11 Abs 1 AHG entspricht, gebunden ist (Schragel aaO Rz 275).

Mangels erkennbarer planwidriger Lücke (Schragel aaO) ist im Rahmen des § 6 Abs 1 AHG weiterhin davon auszugehen, dass von der Ablaufhemnung in dessen Satz 1 nur solche verwaltungsbehördliche Entscheidungen und Verfügungen erfasst sind, die der Rechtskraft fähig sind, daher nicht Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Dies folgt auch aus der Überlegung, dass die Entscheidung des VwGH bei Überprüfung der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt inhaltlich eine Entscheidung nach § 11 Abs 1 AHG gleichkommt. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Rechtswidrigkeit eines Bescheides nach § 11 Abs 1 AHG greift nach der Konzeption dieser Bestimmung gerade nicht in die allfällige Rechtskraft des beurteilten Bescheides ein, sondern hat lediglich für den Amtshaftungsprozess feststellende und bindende Wirkung (Schragel aaO Rz 280). Aus diesem Grund kann eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Rechtmäßigkeit eines Akts unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht einer Entscheidung iSd § 6 Abs 1 Satz 1 AHG, auf die die Ablaufhemmung Anwendung fände, gleichgesetzt werden.

4. Die Unanwendbarkeit des § 6 Abs 1 zweiter Halbsatz AHG auf Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt hat zur Folge, dass die Ansprüche des Klägers mangels gehöriger Fortsetzung des Verfahrens verjährt sind.

Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Dem Rekurs der Beklagten ist daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wider herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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