OGH 10ObS160/06m

OGH10ObS160/06m20.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Markus Kaspar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schleinbach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Reinhard H*****, Pressesprecher, *****, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenerstattung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2006, GZ 8 Rs 35/06k-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. November 2005, GZ 9 Cgs 138/05w (9 Cgs 212/05b)-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision des Klägers sind weitere Verfahrenskosten. Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 15. 7. 1951 geborene Kläger leidet unter den Folgen eines Nierentumors, bei dem Leber- und Hirnmetastasen aufgetreten sind. Der Tumor führt auch zu wiederholten Phasen der Hyperkalziämie (abnorm hoher Kalziumspiegel im Blut). Nach einer Ganzhirnbestrahlung mit hochenergetischen Gammastrahlen kam es zu einem völligen Verlust der Kopfhaare. Die Haare sind später nachgewachsen, doch konnte das frühere äußere Erscheinungsbild des Klägers nicht mehr wiederhergestellt werden. Derzeit besteht ein Zustand nach Effluvium diffusum der Kopfhaut mit Betonung der androgenetischen Areale. „M-Haarwasser 3" ist eine magistrale Rezeptur, in der der Wirkstoff Minoxidil in 5 %-iger Konzentration gelöst ist. Die 5 %-ige Zubereitung von Minoxidil ist eine gängige, etablierte und durch zahlreiche klinische Studien untermauerte Lokaltherapie des androgenetischen bzw diffusen Effluviums. Die Therapie ist geeignet und zweckmäßig, wirkt jedoch nur solange sie angewendet wird. Bei Beendigung der Anwendungen kommt es zum Rezidiv, das heißt zum neuerlichen Haarverlust. Eine Alternative könnte die systemische Therapie mit einem 5-alpha-Reduktase-Hemmer bilden, ein Medikament, das zur Therapie der benignen Prostatahypertrophie zugelassen ist. Die Anwendung von „Gelacet" und „Biotin" ist weit weniger gut durch entsprechende Studien untermauert. Keines dieser Mittel hat bisher einen wissenschaftlich validen Wirknachweis erbracht. Das Mittel „Gelacet" wird vor allem bei gestörtem Nagelwachstum, nicht jedoch bei Haarausfall empfohlen. Als möglicher Wirkungsmechanismus von „Biotin" auf Haarwachstum und Haarqualität in pharmakologischen Dosen wird ein Eingreifen in die Stoffwechselprozesse der Matrixzellen des Haarbulbus sowie eine Verbesserung der Stärke der Matrixproteine vermutet.

Beim Kläger liegt weder ein anatomisches noch ein funktionelles Defizit vor; die Beeinträchtigung ist optischer Natur. Das Krankheitsbild wird durch die Behandlung nicht beseitigt, sondern nur für den Zeitraum behandelt, solange die Behandlung durchgeführt wird. Mit Bescheid vom 8. 3. 2005 hat die beklagte Gebietskrankenkasse den Antrag des Klägers auf Gewährung des Präparates „M-Haarwasser 3" laut Verordnung des Prim. Dr. Klaus G***** vom 24. 1. 2005 abgelehnt. Mit weiterem Bescheid vom 9. 6. 2005 wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung des Präparates „Gelacet-Kaps. + Biotin" laut Verordnung vom 12. 5. 2005 abgelehnt.

In seinen dagegen erhobenen Klagen brachte der Kläger vor, dass sein Haarausfall nicht etwa Folge einer hormonellen Störung, sondern einer Bestrahlung nach einer Hirnblutung (Nieren-Metastase im Schädel) sei und demnach das Haarwasser bzw das Präparat nicht als kosmetische, sondern als therapeutische Mittel anzusehen seien. Weiters brachte der Kläger vor, dass er sich ohne Haare „psychisch krank fühle". Das Erstgericht wies das (allerdings nicht eindeutig als solches erkennbare) Begehren auf Kostenerstattung für die beiden Präparate ab. Gemäß § 133 Abs 3 ASVG würden kosmetische Behandlungen nur dann als Krankenbehandlung gelten, wenn sie zur Beseitigung anatomischer oder funktioneller Krankheitszustände dienten. Andere kosmetische Behandlungen könnten als freiwillige Leistungen gewährt werden, wenn sie der vollen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit förderlich oder aus Berufsgründen notwendig seien. Haarwuchsmittel seien zwar Arzneimittel und nicht kosmetische Mittel, dennoch sei ihr Einsatz als kosmetische Behandlung nicht vom Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst. Der in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeitete sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff decke sich nicht mit dem medizinischen. Bei der Beurteilung der Kostenerstattung sei eine Abwägung zwischen den Interessen des Individuums und denen der versicherten Gemeinschaft vorzunehmen. Beim Haarausfall von Männern handle es sich um eine weit verbreitete Erscheinung, die gesellschaftlich akzeptiert werde, ohne dass die Gründe von Belang seien. Wenn es auch für den Kläger aus durchaus nachvollziehbaren Gründen besonders unangenehm und schmerzhaft sein möge, an Haarausfall zu leiden, ändere dies nichts am gesellschaftlichen Grundkonsens, Haarausfall als schicksalshaft hinzunehmen. Sei der Kläger aus beruflichen Gründen (nachvollziehbarerweise) auf seine Haartracht angewiesen, falle dies gemäß § 133 Abs 3 zweiter Satz ASVG in den Bereich der freiwilligen Leistungen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Eine Erörterung des Klagebegehrens sei nicht erforderlich, da ein Anspruch auf Kostenerstattung bereits dem Grunde nach zu verneinen sei. Zur Regelwidrigkeit und Behandlungsbedürftigkeit als den beiden Elementen des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffes sei zum Vergleich das Leitbild eines „gesunden Menschen" heranzuziehen, der zur Ausübung normaler körperlicher und psychischer Funktionen in der Lage sei; regelwidrig und damit typischerweise auch behandlungsbedürftig sei eine erhebliche Abweichung von dieser Norm. Weitgehend herrsche auch Übereinstimmung darüber, dass alle zum natürlichen Ablauf des menschlichen Lebens gehörenden Zustände oder Prozesse - wie ein altersbedingter Verfall der Kräfte - aus dem Krankheitsbegriff ausscheiden würden. Vor dem Hintergrund dieses Krankheitsbegriffes sei es ganz eindeutig, dass ein alters- und/oder hormonell bedingter Haarausfall bei Männern nicht als Krankheit anzusehen sei. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes könne aber auch ein Haarausfall als Nebenwirkung einer Krankenbehandlung (hier: Bestrahlungstherapie) nicht als eine behandlungsbedürftige Erkrankung angesehen werden, weil der regelwidrige Zustand keinerlei gesundheitliche Nachteile oder funktionelle Einschränkungen bewirke. Auch die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, werde durch den Verlust des Kopfhaares nicht beeinträchtigt. Mangels eines Behandlungsbedarfes iSd § 133 Abs 2 ASVG stelle eine Maßnahme zur Beseitigung oder Linderung des Haarverlustes keine Krankenbehandlung gemäß § 133 Abs 2 ASVG dar. Anders als der „natürliche" Haarverlust, der bereits als nicht regelwidriger Körperzustand aus dem Krankheitsbegriff ausscheide, sei allerdings die Behandlung eines bestrahlungsbedingten Haarverlustes als kosmetische Behandlung iSd § 133 Abs 3 ASVG anzusehen, die jedoch nur dann als Krankenbehandlung und damit als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung gelte, wenn sie zur Beseitigung anatomischer oder funktioneller Krankheitszustände diene. Da der Haarverlust keine anatomischen oder funktionellen Beeinträchtigungen bewirke, könne seine Behandlung nur als „andere kosmetische Behandlung" iSd § 133 Abs 3 zweiter Satz ASVG angesehen werden, die vom Krankenversicherungsträger unter den dort genannten Voraussetzungen als freiwillige Leistung gewährt werden könne. Im Ergebnis könne dem Kläger auch nicht gefolgt werden, wenn er eine Kostenerstattung für die gegenständlichen Präparate zur Behandlung einer psychischen Erkrankung begehre. Wohl handle es sich bei seelischen Leiden grundsätzlich um einen regelwidrigen Geisteszustand und damit um eine psychische Krankheit, gleichgültig, welche Ursache sie im konkreten Fall haben mögen. Wenn sich der Kläger aber trotz festgestellter Anwendung der Präparate und teilweisem Nachwachsen der Haare psychisch krank fühle, sei das begehrte Präparat zur Behandlung einer allfälligen psychischen Erkrankung nicht geeignet. Offensichtlich leide der Kläger darunter, dass seine Kopfbehaarung nicht wieder vollständig und so dicht wie früher nachgewachsen sei, was jedoch auch mit den begehrten Präparaten nicht zu erreichen gewesen sei.

Darüber hinaus habe der Oberste Gerichtshof in den jüngsten Entscheidungen vom 7. 3. 2006 (10 ObS 12/06x und 10 ObS 22/06t) ausgeführt, dass erst ein tatsächlich eingetretener regelwidriger Geisteszustand den Versicherungsfall der Krankheit mit Behandlungsbedürftigkeit verwirklichen könne, nicht jedoch die bloße Möglichkeit des Umschlagens einer psychischen Belastung in eine psychische Störung mit Krankheitswert. Da die bloße Gefahr einer psychischen Erkrankung keine Krankheit sei, könnten die Haarwuchsmittel nicht als „prophylaktische Behandlung" gegen eine mögliche psychische Erkrankung bei völligem Haarverlust angesehen werden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Qualifikation eines bestrahlungsbedingten Haarverlustes als behandlungsbedürftige Erkrankung iSd Sozialversicherung gebe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Weiters wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen im Wesentlichen geltend, dass sein erstinstanzliches Vorbringen, dass er aufgrund des Haarverlustes an einer psychischen Erkrankung leide, die durch die begehrten Präparate gemildert bzw überhaupt hintangehalten werden könne, von den Vorinstanzen mit einer unzutreffenden Begründung negiert worden sei. Die Verabreichung der Präparate diene der Wiederherstellung, Festigung und Besserung seiner psychischen Gesundheit.

Diesen Ausführungen kommt im Sinne der beschlossenen Aufhebung Berechtigung zu.

Nach § 116 Abs 1 Z 2 ASVG trifft die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit. Aus diesem Versicherungsfall nennt § 117 Z 2 ASVG als zu erbringende Leistung der Krankenversicherung unter anderem die Krankenbehandlung. Nach der Definition in § 120 Abs 1 Z 1 ASVG ist Krankheit ein „regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht". Ziel der Krankenbehandlung ist es, die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern (§ 133 Abs 2 ASVG). Die Krankenbehandlung soll ausreichend und zweckmäßig sein, darf aber das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Kosmetische Behandlungen gelten nach § 133 Abs 3 ASVG als Krankenbehandlung, wenn sie zur Beseitigung anatomischer oder funktioneller Krankheitszustände dienen. Andere kosmetische Behandlungen können als freiwillige Leistungen gewährt werden, wenn sie der vollen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit förderlich oder aus Berufsgründen notwendig sind. Während in der Medizin die Krankheit als Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens, somit als eine Abweichung von der Norm „Gesundheit" definiert wird, wird in der Krankenversicherung ein Leiden nur bei Behandlungsbedürftigkeit als Krankheit anerkannt (Binder in Tomandl, SV-System 17. ErgLfg 202 f mwN; 10 ObS 81/89 = SSV-NF 3/69 ua; RIS-Justiz RS0084692). Auf die Ursache der Krankheit kommt es nicht an (Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 161). Da das Gesetz weder die „Regelwidrigkeit" noch die „Behandlungsbedürftigkeit" näher determiniert, wurden in der Lehre verschiedene Versuche unternommen, den Krankheitsbegriff zu definieren. Nach Schrammel (Veränderung des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht, ZAS 1986, 145 ff [149]) ist ein Zustand regelwidrig, wenn aus der Sicht des Versicherten aufgrund störender Symptome das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung besteht, aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Therapie erforderlich ist und der Versicherte nach allgemeiner Auffassung auf Kosten der Versichertengemeinschaft behandelt werden soll. Auch nach Mazal (Krankheitsbegriff und Risikoabgrenzung [1992] 64, 122 ff und 213 ff) liegt eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vor, wenn das Krankenversicherungsrecht eine entsprechende Leistung zur Behebung dieses Zustandes vorsieht und der Zustand unter Bedachtnahme auf die Ziele der Krankenbehandlung und im Hinblick auf ihre Notwendigkeit nach einem sozialen Konsens auch behandelt werden soll. Nach diesen in der Lehre herausgearbeiteten Kriterien, auf die sich auch die Rechtsprechung - zum Teil mit unterschiedlicher Gewichtung -

immer wieder berufen hat (etwa 10 ObS 113/94 = ZAS 1994/18, 203

[Tomandl]; 10 ObS 311/00h = ZAS 2002/10, 84 [K. Posch]), beeinflusst

daher auch das gesellschaftliche Grundverständnis das krankenversicherungsrechtliche Leistungsrecht. Unter Berücksichtigung dieses Kriteriums gelangte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 227/03k (SZ 2004/112 = SSV-NF 18/65 = ZAS 2006/14, 88 [Pfeil]) zu dem Ergebnis, dass die gesetzliche Krankenversicherung dem damaligen Kläger bei wertender Betrachtung des Begriffs der „Krankheit" keine Erstattung der Kosten für Medikamente zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion, die die Folge einer behandlungsbedürftigen Grunderkrankung (Diabetes) war, schulde. Der Oberste Gerichtshof begründete diese Auffassung im Wesentlichen damit, dass es sich nach den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen in den Bereichen, in denen Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Sphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten - so wie bei den aus diesem Bereich stammenden Funktionsstörungen (Erektionsfähigkeit des Mannes) - nicht um „lebenswichtige persönliche Bedürfnisse" handle, deren Ermöglichung § 133 Abs 2 ASVG für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Heilmittelgewährung voraussetze. Es wurde daher in dem damals zu beurteilenden Fall eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung schon deshalb verneint, weil nach dem gesellschaftlichen Grundverständnis, welches auch im Gesetz seinen Niederschlag gefunden habe, eine erektile Dysfunktion nicht auf Kosten der Sozialversicherung beseitigt bzw vorübergehend behoben werden solle.

In der Folge hat der Oberste Gerichtshof in den Aufhebungsbeschlüssen 10 ObS 12/06x (JBl 2006, 597) und 10 ObS 22/06t (ARD 5697/17/2006) ausgesprochen, dass dann, wenn eine erektile Dysfunktion als Auslöser einer gesellschaftlich anerkannten psychischen Krankheit in Frage kommt, die Verabreichung von Potenzmitteln auch als notwendige Krankenbehandlung der psychischen Störung mit Krankheitswert gesehen werden kann, sofern davon ausgegangen werden kann, dass mit erfolgreicher Behandlung der erektilen Dysfunktion auch die psychischen Probleme des Versicherten behoben oder verbessert werden können. Dagegen stellt die bloße Möglichkeit des Umschlagens einer psychischen Belastung in eine psychische Störung mit Krankheitswert noch keine Krankheit und damit auch noch nicht den Versicherungsfall iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG dar, weil in einem solchen Fall noch kein regelwidriger Geisteszustand eingetreten ist und ein Leistungsanspruch für Krankheitsverhütung nur für die in § 156 ASVG aufgezählten Maßnahmen vorgesehen ist, worunter auch der vorliegnede

Fall nicht zu subsumieren ist (siehe 10 ObS 115/98d = SSV-NF 12/82 =

DRdA 1999/27, 222 [Enzlberger]; 10 ObS 200/02p = SSV-NF 16/76).

Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargestellt hat, scheidet ein „natürlicher" (altersbedingter) Haarverlust erwachsener männlicher Versicherter schon als nicht regelwidriger Körperzustand aus dem Krankheitsbegriff aus (vgl Höfler in KassKomm § 27 SGB V Rz 35 mwN). Bejaht man demgegenüber bei einem bestrahlungsbedingten Haarverlust die Regelwidrigkeit, wird durch eine Behandlung (in Form der Förderung des Haarwuchses) in erster Linie ein störender optischer Zustand beseitigt. Eine Behandlung kann daher iSd § 133 Abs 3 ASVG nur dann als Krankenbehandlung gelten, wenn dadurch „anatomische oder funktionelle Krankheitszustände" beseitigt werden, wie etwa bei einer entstellenden Wirkung des Aussehens. Nach den Feststellungen ist ein solcher Zustand zu verneinen. Allerdings hat sich der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren - wenn auch in laienhaften Worten - auch auf das Vorliegen einer (durch den Haarausfall bewirkten) psychischen Erkrankung berufen. Vom Versicherungsfall der Krankheit werden nicht nur rein seelische Leidenszustände, sondern auch aus körperlichen und seelischen Komponenten zusammengesetzte Krankheitsbilder erfasst (vgl Binder, Psychotherapie und sozialversicherungsrechtlicher Krankheitsbegriff, SozSi 1999, 1173 [1186]). Löst das durch eine Tumorbehandlung verursachte Fehlen der Kopfbehaarung, wie dies vom Kläger für sich behauptet wird, psychische Probleme mit Krankheitswert aus und kann davon ausgegangen werden, dass mit erfolgreicher Behandlung des Haarausfalls auch die psychischen Probleme des Versicherten behoben oder verbessert werden können, kann die Verabreichung von Haarwuchsmitteln auch als notwendige Krankenbehandlung der psychischen Erkrankung gesehen werden (Ettmayer/Posch, Gedanken zum Krankheitsbegriff - Erkenntnisse zur Potenz, DRdA 2006, 199 [202 f] zur Frage der Behandlung psychischer Probleme als Folge der erektilen Dysfunktion). Eine Kostenübernahme für Haarwuchsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung kommt demnach in Betracht, wenn der Haarausfall zu einem psychischen Leiden führt, das seinerseits als eigenes Grundleiden die Krankenbehandlung erforderlich macht. In diesem Sinn erweist sich das Verfahren entsprechend den in der Entscheidung 10 ObS 12/06x (JBl 2006, 597) dargelegten Grundsätzen als ergänzungsbedürftig, weil von den Tatsacheninstanzen die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, er leide an einer psychischen Erkrankung, die durch geeignete Behandlung mit einem Haarwuchsmittel behoben oder verbessert werden könne, nicht überprüft wurde. Dabei wird vom Kläger im Hinblick auf die zahlreichen für das Vorliegen einer psychischen Störung mit Krankheitswert denkbaren Ursachen und die dabei zumeist bestehenden komplexen Ursachenkombinationen der Nachweis erbracht werden müssen, dass im konkreten Fall ein regelwidriger Körperzustand, nämlich ein aufgrund der Auswirkungen der Krebserkrankung hervorgerufener Haarverlust, der einzige Grund

für den Eintritt der psychischen Erkrankung war (vgl 10 ObS 115/98d =

SSV-NF 12/82 = DRdA 1999/27, 222 [Enzlberger]).

Zur Behandlung des Versicherungsfalles der Krankheit (und damit auch

zur Beseitigung bzw Linderung von psychischen Leidenszuständen mit

Krankheitswert) sieht § 133 Abs 1 ASVG ärztliche Hilfe, Heilmittel

und Heilbehelfe vor, wobei die Krankenbehandlung nach Abs 2 dieser

Gesetzesstelle ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß

des Notwendigen nicht überschreiten darf, und die aufgezählten

Leistungen der Krankenbehandlung entweder als Sachleistung oder in

Form der Kostenerstattung zur Verfügung gestellt werden. Nach den

maßgeblichen Rechtsvorschriften hat ein Versicherter hiebei (nur)

Anspruch auf eine seinem Leidenszustand adäquate (ausreichende und

zweckmäßige) Behandlung, wobei grundsätzlich alle medizinisch

gebotenen Behandlungsmethoden zum Leistungskatalog gehören (10 ObS

115/98d = SSV-NF 12/82 = DRdA 1999/27, 222 [Enzlberger] mwN). Die

Leistungsberechtigten haben im Rahmen der für die Krankenbehandlung

allgemein geltenden Grundsätze auch Anspruch auf Beistellung der

ärztlich verordneten notwendigen Arzneien und der sonstigen

Heilmittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur

Sicherung des Heilerfolges dienen (§ 136 Abs 1 ASVG). Während

Arzneien Heilmittel sind, die im wesentlichen auf den inneren

Organismus wirken, indem sie diesem in geeigneter Weise (zB durch

Einnehmen oder Einspritzen) zugeführt werden oder zur Beeinflussung

örtlicher Erkrankungen der Haut oder der Schleimhäute (zB Salben)

verwendet werden (vgl auch die Begriffsbestimmung für „Arzneimittel"

in § 1 Abs 1 Arzneimittelgesetz, BGBl 1983/185 idgF), zählen zu den

sonstigen Heilmitteln jene Mittel, die keine notwendigen Arzneien

sind, aber wie diese zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit

oder zur Sicherung des Heilerfolges dienen (vgl 10 ObS 62/89 = SZ

62/103 = SSV-NF 3/68 = ZAS 1990/22, 170 [Mazal]; Tomandl, Grundriss5

Rz 175 ua). In diesem Sinne wurde in der Rechtsprechung des Obersten

Gerichtshofes auch ein Desinfektionsmittel, das der Beseitigung oder

Linderung einer bestehenden Krankheit (Hausstauballergie) diente, als

(sonstiges) Heilmittel qualifiziert (10 ObS 62/89 = SZ 62/103 =

SSV-NF 3/68 = ZAS 1990/22, 170 [Mazal]. Wie der Oberste Gerichtshof

ebenfalls bereits mehrfach ausgesprochen hat (eingehend zuletzt 10 ObS 12/06x = JBl 2006, 597) schränkt der Erstattungskodex das Recht des Versicherten auf die für eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung notwendigen Heilmittel (Arzneimittel) nicht ein. Der Versicherte hat allerdings keinen Anspruch auf Beistellung eines jeden (von ihm gewünschten oder ihm vom Arzt verschriebenen) Heilmittels, es steht ihm nur das im konkreten Fall notwendige und wirtschaftlichste Heilmittel zu. Es soll mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand ein möglichst großer Heilerfolg erzielt werden. In erster Linie sollen die Wirksamkeit des Mittels und das Wohl des Kranken ausschlaggebend sein; stehen jedoch mehrere gleich wirksame Heilmittel zur Verfügung, soll das ökonomisch günstigste verschrieben werden. Bei der Beurteilung dieser Fragen wird neben der Wirksamkeit der vom Kläger verwendeten Heilmittel auch zu berücksichtigen sein, dass zur Behandlung der durch einen regelwidrigen Körperzustand ausgelösten psychischen Erkrankung im Regelfall primär andere Therapien, wie vor allem die Psychotherapie oder eine medikamentöse Behandlung, von der Krankenversicherung zur Verfügung gestellt werden. Es wird daher bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Heilbehandlung iSd § 133 Abs 2 Satz 1 ASVG darauf Bedacht zu nehmen sein, dass durch die beim Kläger (laufend notwendige) Förderung des Haarwuchses nur ein Symptom, also eine Begleiterscheinung der eigentlichen Erkrankung, behandelt, nicht aber die Ursache der behaupteten psychischen Erkrankung beseitigt wird. Es entspricht jedoch herrschender Ansicht, dass im Regelfall eine „ärztliche" Behandlung des Grundleidens der reinen Symptombehandlung vorzuziehen ist (10 ObS 320/97z = SSV-NF 12/20 = DRdA 1999/12, 112 [Binder] = ZAS 1999/5, 50 [Risak]).

Da somit die bisherigen Verfahrensergebnisse zu einer abschließenden Beurteilung der behaupteten psychischen Erkrankung und der Notwendigkeit, der Zweckmäßigkeit und des Ausmaßes ihrer Behandlung noch nicht ausreichen, sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine ergänzende Verhandlung und neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Im Übrigen ist mit dem Kläger auch die Fassung seines Klagebegehrens zu erörtern. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargestellt hat, setzt eine Leistungsklage auf Kostenerstattung voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen werden. Den bisherigen Verfahrensergebnissen ist nicht zu entnehmen, ob der Kläger Kosten für die gegenständlichen Präparate getragen hat. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung von Sachleistungen besteht in der gesetzlichen Krankenversicherung jedenfalls nicht (10 ObS 9/99t = SSV-NF 13/12; RIS-Justiz RS0111541; vgl Tomandl, Grundriss5 Rz 159; Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 45 ff, 54 ff). Möglich wäre ein Klagebegehren auf Übernahme von Kosten durch den Krankenversicherungsträger (10 ObS 151/95 = SSV-NF 9/65).

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Rechtsmittelkosten des Klägers gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung, dass die beklagte Partei die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen hat, beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG, weil sich kein Hinweis darauf ergeben hat, dass der Kläger der beklagten Partei die Kosten der Revisionsbeantwortung durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung verursacht hätte (§ 77 Abs 3 ASGG).

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