OGH 10ObS9/99t

OGH10ObS9/99t9.2.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Gerhard Kriegl und Dr. Johannes Schenk (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Leo W*****, Landwirt, ***** im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Christian Preschitz und Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Heilungskosten, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. September 1998, GZ 8 Rs 176/98f-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19. Februar 1998, GZ 8 Cgs 146/97z-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der am 10. 7. 1939 geborene Kläger leidet seit etwa 20 Jahren unter Kreuzschmerzen und befindet sich in Behandlung eines praktischen Arztes. Im Frühjahr 1997 kam es zu einer deutlichen Verschlimmerung seiner Beschwerden. Die Diagnose lautete rezidivierende Lumboischialgien, Bandscheibenvorfall im Segment L IV/V mit Kontakt zur Wurzel L IV. Der behandelnde praktische Arzt verschrieb eine Infusionsserie mit 10 Stück Neodolpasse Infusionslösung 250 ml.

Am 10. Juni 1997 erließ der beklagte Krankenversicherungsträger einen Bescheid mit folgendem Spruch: "Ihr Antrag vom 4. 4. 1997 auf Neodolpasse Infusionslösung 250 ml 10 Stück wird gemäß § 86 Abs 1 iVm § 83 Abs 2 BSVG abgelehnt." Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 83 Abs 2 BSVG müsse die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein, sie dürfe jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Verschreibung von Heilmitteln und Heilbehelfen sei dann zweckmäßig und wirtschaftlich, wenn die Verschreibung geeignet sei, den größtmöglichen therapeutischen Nutzen zu erzielen und die Behandlungskosten im Verhältnis zum Erfolg und zur Dauer der Behandlung möglichst gering zu halten. Aus dem von dem praktischen Arzt verordneten Rezept sei Lumboischialgie, Spondilopathie und radiculäre Schmerzen als Begründung angegeben. Nachdem der pharmakologische Inhaltsstoff des Neodolpasse auch in anderen Applikationsformen verabfolgt werden könne, deren Verabreichung wirtschaftlicher sei, sei das verordnete Heilmittel abzulehnen. Der Wirkstoff von Neodolpasse - Diclofenac - sei auch in Ampullenform, die mit einer Infusionslösung gemischt werde, frei verschreibbar erhältlich. Von mehreren geeigneten Heilmitteln sei daher nicht das ökonomisch günstigste Heilmittel verordnet worden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage mit dem Begehren, die Beklagte sei schuldig, ihm die Kosten für 10 Stück Neodolpasse Infusionslösung 250 ml zu ersetzen. Dazu führte der Kläger aus, die Behandlung mit einer annähernd die Inhaltsstoffe des beantragten Arzneimittels beinhaltenden selbst gemischten Infusionslösung sei kostenmäßig nur unwesentlich unter dem beantragten Arzneimittel angesiedelt, wobei die selbst gemischte Infusionslösung hinsichtlich der Wirkstoffe diesem noch immer nicht gleichkäme. Bei einem fertig gemischten Produkt sei auch die Arzneimittelsicherheit um vieles größer.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wiederholte ihren im angefochtenen Bescheid eingenommenen Standpunkt.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zum "Ersatz von 10 Stück Neodolpasse Infusionslösung 250 ml an die klagende Partei binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution." Es stellte fest, die vom behandelnden Arzt verschriebene Therapie sei zweckmäßig. Nicht unberücksichtigt dürfe bleiben, daß bei Verwendung von Fertigprodukten gegenüber anderen Applikationsformen, die erst mit einer Infusionslösung vermischt werden müßten, die Gefahr von Sterilitätsfehlern und von Verwechslungen bestehe. Hiezu komme eine kumulative Verrechnung von Rezeptgebühren. Der Ausschluß der Risikofaktoren und die Tatsache, daß das Medikament bei starken Schmerzzuständen die ensprechende Wirkung entfalte, lasse diese Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig erscheinen, wobei das Maß des Notwendigen nicht überschritten werde.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Die beiden Heilmittel, nämlich das Fertigprodukt und die erst herzustellende Mischung seien in ihrer Wirkungsweise als gleich anzusehen, so daß dem billigeren grundsätzlich der Vorrang zu geben wäre. Zu Recht habe aber das Erstgericht Verwechslungs- und Sterilitätsgefahren aufgezeigt, die zu einer sachlichen Rechtfertigung des teureren Medikaments führten. Das Argument der Beklagten, daß die Vermischung nicht vom Patienten selber, sondern vom Arzt oder seinem befugten Hilfspersonal durchgeführt werde und dadurch die Gefahren wegfielen, könne nicht überzeugen. Zwar würden durch den hohen Sorgfaltsmaßstab dieser Personen die genannten Gefahren sicher geringer sein, doch seien sie nicht auszuschließen, so daß die Verwendung von Fertigprodukten zu bevorzugen sei. Weiters sei es auch für Arzt und Patient bequemer, wenn mit einer fertigen Lösung behandelt werden könne. Das Berufungsgericht sprach schließlich aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision ist zulässig und im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 83 Abs 1 BSVG umfaßt die Krankenbehandlung ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. Die Heilmittel umfassen wiederum a) die notwendigen Arzneien und b) die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolges dienen (§ 86 Abs 1 BSVG). Die Kosten der Heilmittel sind vom Versicherungsträger durch Abrechnung mit den Apotheken zu übernehmen; ein Kostenanteil des Versicherten ist nicht einzuheben (§ 86 Abs 2 BSVG). Für den Bezug eines jeden Heilmittels auf Rechnung des Versicherungsträgers ist als Kostenbeteiligung eine Rezeptgebühr zu zahlen (§ 86 Abs 3 erster Satz BSVG). Nimmt der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen der Bauernkrankenversicherung zur Erbringung der Leistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch, so gebührt ihm ein Kostenzuschuß zu einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre (§ 88 Abs 1 erster Satz BSVG). Nach § 80 Abs 1 BSVG werden die Leistungen als Sachleistungen, als Geldleistungen durch Kostenerstattung oder durch Kostenzuschüsse erbracht. Schließlich ist noch darauf zu verweisen, daß nach dem gemäß § 182 BSVG anzuwendenden § 361 ASVG die Leistungsansprüche in der Krankenversicherung von dem Versicherungsträger nur auf Antrag festzustellen sind.

Von dieser Rechtslage ausgehend erweist sich, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht eingeordnet werden kann. Zunächst einmal ist nicht ersichtlich, welchen Antrag der Kläger im Sinne des § 361 ASVG überhaupt bei der beklagten Partei gestellt hat. Feststellungen dazu fehlen. Auch dem vorliegenden Anstaltsakt ist ein solcher angeblich am 4. 4. 1997 gestellter Antrag des Klägers nicht zu entnehmen. Der Wortlaut des angefochtenen Bescheides ("Ihr Antrag.....auf Neodolpasse Infusionslösung..... wird abgelehnt") ließe an sich darauf schließen, daß der Kläger die Gewährung eines Heilmittels als Sachleistung begehrte, was offenbar voraussetzt, daß die Kosten dieses Heilmittels von der Beklagten nicht durch Abrechnung mit einer Apotheke übernommen wurden. Gegen diese Deutung spricht allerdings das vorliegende Klagebegehren, wonach der Kläger die Verurteilung der beklagten Partei anstrebt, ihm "die Kosten für 10 Stück Neodolpasse Infusionslösung 250 ml zu ersetzen". Dieses Klagebegehren kann offenbar nur als solches auf Kostenerstattung aufgefaßt werden, wobei allerdings zu beachten ist, daß der Anspruchsberechtigte solche Kosten grundsätzlich zunächst selbst zu tragen hat (so ausdrücklich § 7 Abs 7 der Krankenordnung der Beklagten, vgl Teschner/Widlar, Die Sozialversicherung der Bauern MGA 26. ErgLfg Anh 2; SSV-NF 10/48 mwN). Daß der Kläger die Kosten dieses Heilmittels selbst getragen hätte, wurde weder behauptet noch festgestellt; dem gerichtsärztlichen Sachverständigen gegenüber erklärte der Kläger vielmehr, er habe bislang für die Medikamente nichts bezahlt, die er erhalten habe (Gutachten ON 3). Mangels vorheriger Kostentragung durch den Kläger wäre dann ein Klagebegehren auf Ersatz dieser Kosten von vornherein unberechtigt. Diese Fragen wurden im bisherigen Verfahren nicht erörtert. Das Erstgericht verurteilte die Beklagte "zum Ersatz" des Heilmittels, ohne die zifferenmäßige Höhe dieses Anspruchs zu erörtern oder festzustellen. Mangels Festsetzung einer vorläufigen Zahlung kann es sich dabei auch nicht um ein Urteil im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG handeln. Andererseits ist zu bedenken, daß nach herrschender Auffassung kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Gewährung von Sachleistungen in der Krankenversicherung besteht (vgl Tomandl Grundriß4 Rz 108a; Selb in Tomandl SV-System 6. ErgLfg 570; Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung 45 ff, 54 ff), daß aber etwa Klagebegehren auf Übernahme von Kosten durch den Krankenversicherungsträger durchaus denkbar sind (Radner, Anstaltspflege 100; SSV-NF 9/65). Ein solches Begehren würde auch dem Wortlaut des oben zitierten § 86 Abs 2 BSVG entsprechen, wonach die Kosten der Heilmittel im Rahmen der Sachleistungsgewährung vom Versicherungsträger durch Abrechnung mit den Apotheken zu übernehmen sind. In einem solchen Fall könnte der Kläger allerdings nicht etwa darauf klagen, daß die Heilmittelkosten an ihn zu zahlen seien und er dann später mit der Apotheke verrechne (so zutreffend Radner aaO hinsichtlich der Pflegegebührensätze bei Anstaltspflege). In der ebenfalls die Krankenversicherung nach dem BSVG betreffenden Entscheidung SSV-NF 10/48 hat der Senat ausgesprochen, daß eine Leistungsklage auf Kostenersatz aus der Krankenversicherung voraussetzt, daß die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen wurden, daß aber Ansprüche, die erst in Zukunft möglicherweise entstehen werden, nicht zum Gegenstand einer Feststellungsklage im Verfahren in Sozialrechtssachen gemacht werden können. Dort war aber klar, daß das zu beurteilende Klagebegehren eine Leistungsklage gerichtet auf Kostenersatz darstellte. All diese Fragen werden im vorliegenden Verfahren zu erörtern sein. Da nach § 120 Abs 1 Z 1 ASVG ebenso wie nach § 76 Abs 1 Z 1 BSVG der Versicherungsfall der Krankheit mit dem Beginn der Krankheit, das ist des regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, der die Krankenbehandlung notwendig macht, als eingetreten gilt, welcher Zeitpunkt allerdings ebenfalls nicht feststeht, wird die Rechtslage zum damaligen Zeitpunkt maßgeblich sein (vgl 10 ObS 252/97z = SozSi 1998, 218 = ZAS 1998, 86 mit Komm. von Binder).

Die Beklagte führt in ihrer Rechtsrüge aus, gemäß § 83 Abs 2 BSVG müsse die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein, dürfe jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Auf das Argument der Bequemlichkeit oder der Vermeidung von Verwechslungs- und Sterilitätsgefahren nehme das Gesetz keinen Bezug; vielmehr sei lediglich zu prüfen, welches von zwei geeigneten Heilmitteln das ökonomisch günstigere sei und dieses sei zu verordnen. Diesen Ausführungen ist vorweg folgendes entgegenzuhalten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (SZ 67/76; SSV-NF 8/44 ua) darf die Zweckmäßigkeit einer Krankenbehandlung auch im Bereich der sozialen Krankenversicherung nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten beurteilt werden, sondern es muß vielmehr auch das Ausmaß der Betroffenheit des Patienten im Einzelfall berücksichtigt werden. Wenngleich die vom praktischen Arzt selbstgemischten Infusionen grundsätzlich die gleiche therapeutische Wirkung aufweisen wie das fertige Präparat Dolpasse Infusion, bedeutet die Anwendung dieses Präparats in Einzelfällen nicht, daß die Krankenbehandlung damit das Maß des Notwendigen überschritten hat. Wie der Senat in einem vergleichbaren Fall aufgrund der dort getroffenen Feststellungen ausführte (10 ObS 2450/96h vom 22. 5. 1997) sind nämlich selbst gemischte Infusionen mit einem wesentlich höheren Kontaminations- und damit Infektionsrisiko behaftet als die fertigen Ampullen, wozu kommt, daß in den Praxen der niedergelassenen Ärzte möglicherweise die personelle, räumliche und zeitliche Infrastruktur fehlt, weshalb zur Vermeidung hygienischer Komplikationen die Verwendung von Fertigpräparaten im Interesse der Patienten vorzuziehen ist. An dieser Auffassung ist grundsätzlich festzuhalten.

Da es zur abschließenden Beurteilung der Sache einer Verfahrensergänzung bedarf, war in Stattgebung der Revision wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

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