OGH 1Ob252/06z

OGH1Ob252/06z19.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1) Marlies K*****, geboren am *****, und 2) Marleen K*****, geboren am *****, infolge ordentlichen Revisionsrekurses der Kinder, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger des Landes Niederösterreich, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 6. September 2006, GZ 23 R 191/06w-U19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 30. Juni 2006, GZ 3 P 73/03z-U13, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erhöhte den Geldunterhalt für die am 16. 2. 1990 geborenen Zwillinge von bisher je 220 EUR monatlich auf je 340 EUR monatlich ab 1. 3. 2005.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es den Geldunterhalt für beide Kinder mit je 265 EUR monatlich ab 1. 3. 2005 bestimmte und das Mehrbegehren je Kind von 75 EUR monatlich ab 1. 3. 2005 abwies. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es zu. Es gründete das Ergebnis dieser Entscheidung auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, es führte jedoch gegen deren Richtigkeit in einer ausführlichen - hier kurz zusammengefassten - Argumentation ins Treffen, bei einem - wie im Anlassfall - bereits in Pension befindlichen Unterhaltspflichtigen könne von der Ermöglichung eines „'wirtschaftlichen Neustarts'" durch den Abzug der nach einem Zahlungsplan zu leistenden Raten von der Bemessungsgrundlage keine Rede sein. Ein Neustart werde in Wahrheit nicht dem Unterhaltspflichtigen, sondern - nach zwei Ehescheidungen - seiner nunmehrigen Ehegattin ermöglicht, die in seinem vormaligen Geschäftslokal „nach Beseitigung der wirtschaftlichen 'Altlasten'" wieder eine Trafik betreibe. Demnach könne der Unterhaltspflichtige „zu Lasten seiner 'alten' Familie der 'neuen' Familie eine entsprechende Existenzgrundlage schaffen". Die berufsbildende höhere Schulen besuchenden Unterhaltsberechtigten seien 16 Jahre alt. Deren Ausbildung werde bei Erfüllung des Zahlungsplans 2011 voraussichtlich beendet sein. Sie trügen daher „die Last der Sanierung mit, ohne an deren Früchten partizipieren zu können". Die „unkritische Berücksichtigung der Zahlungsplanraten" ohne Bedachtnahme auf die Ursachen für die eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Unterhaltspflichtigen verkehre einen vom Obersten Gerichtshof selbst erwähnten „'ehernen Grundsatz'" des Unterhaltsrechts „geradezu ins Gegenteil". Hier habe sich der Schuldner gegenüber seinen „allgemeinen Gläubigern" überdies zu mehr verpflichtet, „als sie von ihm im Wege der Exekution bzw des Abschöpfungsverfahrens hätten erreichen können". Deshalb führe der Abzug der Zahlungsplanraten von der Unterhaltsbemessungsgrundlage - verglichen mit der Anwendung der Differenzmethode nach den maßgebenden Unterhaltsexistenzminima - „zu einem für die Unterhaltsberechtigten wesentlich ungünstigeren Ergebnis". „Konsequenterweise" müsste „vor Eröffnung des Privatkonkurses bei exekutiv betriebenen Forderungen" - gleichviel welchen Usprungs - ebenso „ein Abzug von der Bemessungsgrundlage erfolgen oder zumindest die Differenzmethode angewendet werden", verliere doch der Unterhaltspflichtige diesfalls auch die freie Verfügung über sein Einkommen. Dann werde aber die Frage aufgeworfen, weshalb ein Schuldner, der sich redlich bemühe, seine Schulden „pünktlich zu bedienen", schlechter gestellt sein solle als einer, der sich um nichts mehr kümmere und mit Exekutionen bis aufs Existenzminimum belastet sei. Letztlich zeitige die vom Obersten Gerichtshof vollzogene Judikaturwende das Ergebnis, dass „die Unterhaltspflichtigen auf Kosten der Unterhaltsberechtigten über ihre Verhältnisse leben ... und sich ihren eigenen Lebenswandel zu Lasten der nächsten Generation finanzieren" könnten. Der Anlassfall verdeutliche die negativen Auswirkungen der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf den Unterhaltsanspruch von Kindern „besonders plastisch". Diese sei indes noch nicht „völlig" gefestigt. Überdies fehle es an einer Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs dazu, ob "Zahlungsplanraten selbst dann in voller Höhe zu berücksichtigen" seien, „wenn durch die Ratenhöhe das Existenzminimum für allgemeine Forderungen unterschritten" werde. Der Revisionsrekurs der Kinder ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Entscheidung 1 Ob 86/04k (= SZ 2004/77) sind die Verbindlichkeiten eines Unterhaltsschuldners aus dem in einem Schuldenregulierungsverfahren erwirkten Zahlungsplan von der Unterhaltsbemessungsgrundlage grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abzuziehen, weil durch dessen Erfüllung die volle Leistungsfähigkeit des Schuldners zur Deckung von Unterhaltspflichten wiederhergestellt wird. Das widerspreche nicht dem „'ehernen Grundsatz des Unterhaltsrechts'", dass Schulden des Geldunterhaltspflichtigen die Bemessungsgrundlage an sich nicht minderten. Diese Sicht der Rechtslage wurde in den Entscheidungen 1 Ob 176/04w, 7 Ob 279/05p, 7 Ob 289/05h, 7 Ob 291/05b, 7 Ob 298/05g und 6 Ob 52/06z fortgeschrieben. In der Entscheidung 7 Ob 291/05b bezeichnete der Oberste Gerichtshof diese Praxis als „nunmehr herrschend". Nach Annahme des Zahlungsplans eines unterhaltspflichtigen Schuldners und Aufhebung des Schuldenregulierungsverfahrens sei jedoch die Differenzberechnung der Existenzminima nach § 291b Abs 2 und § 291a EO für die Unterhaltsbemessung nicht mehr von Bedeutung, von der Bemessungsgrundlage abzuziehen seien allerdings die Verbindlichkeiten aus dem Zahlungsplan (ebenso 6 Ob 52/06z; 1 Ob 186/05t). Diese Rechtsprechung ist gefestigt. Die Rechtsmittelwerber machen sich die kritischen Ausführungen des Rekursgerichts zu Eigen. Sie bilden für den erkennenden Senat indes, wie tieferstehend zu begründen sein wird, keinen Anlass für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung. Die Kritik daran lässt sich im Kern auf die Ansicht zurückführen, dass die Finanzierung des aufwändigen Lebensstils von Unterhaltspflichtigen durch die Begründung von Schulden nicht deren Kinder im Weg einer Kürzung der Unterhaltsansprüche belasten dürfe.

2. Das Rekursgericht stellte fest, dass der Vater in dem mit der Mutter der Unterhaltsberechtigten geschlossenen Vergleich über die Scheidungsfolgen Kredite von fast 5,9 Mio ATS (= 428.769,72 EUR) „zur Alleinzahlung" übernahm und weder dem Vergleich noch dem Pflegschaftsakt zu entnehmen sei, ob es sich dabei um private oder geschäftliche Schulden handle und ob diese bereits vor der Eheschließung der Eltern oder erst während deren Ehe begründet worden seien. Ohne Vorliegen eines konkreten Tatsachensubstrats folgt aus dem angefochtenen Beschluss im Übrigen nur noch, dass der Stand der Verbindlichkeiten des Vaters „trotz der Folgen zweier Scheidungen in Anbetracht der gut florierenden Trafik nicht nachvollziehbar" sei, sodass seine weiteren, für die Insolvenz ursächlichen Verbindlichkeiten „nicht primär" notwendige geschäftliche Schulden „zur Schaffung einer Erwerbsquelle" gewesen seien. Allein solche Tatsachen erlauben noch nicht den Schluss, dieser Unterhaltspflichtige sei ein Schuldner, der in der Vergangenheit leichtfertig Kredit in Anspruch genommen habe, um seinen aufwändigen eigenen Lebenswandel - vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs - letztlich „zu Lasten der nächsten Generation" zu finanzieren. Auf dieser Ebene mangelt es somit hier an einem Bedürfnis, für leichtfertige Unterhaltsschuldner entsprechend dem vom Rekursgericht entworfenen Szenario eine Ausnahme von der unter 1. erläuterten Rechtslage zu begründen. Bei der Kritik an der erörterten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird vor allem nicht darauf Bedacht genommen, dass es im Privat- und im Geschäftsleben auch ein durch unerfüllte - wenngleich objektiv nicht immer realistische - Erwartungen verursachtes, einigermaßen redliches Scheitern mit den daraus notwendig folgenden wirtschaftlichen Problemen gibt (vgl in diesem Kontext etwa die Hindernisse für die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens nach § 201 Abs 1 KO). Diese Art des Scheiterns ist aber der Regelfall. Weshalb deshalb zahlungsunfähig gewordenen Geldunterhaltsschuldnern nicht die Möglichkeit eröffnet werden soll, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die Erfüllung eines im Schuldenregulierungsverfahren gerichtlich bestätigten Zahlungsplans wiederherzustellen, wenngleich das auch eine temporäre Einschränkung der Ansprüche von Unterhaltsberechtigten innerhalb der Schicksalsgemeinschaft Familie mit sich bringt, ist nicht zu erkennen.

3. Der Oberste Gerichtshof verwies in der Entscheidung 7 Ob 279/05p darauf, dass die Möglichkeit zur Entschuldung des Unterhaltspflichtigen nach den Normen über das Schuldenregulierungsverfahren nicht nur für diesen, sondern auch für seine unterhaltsberechtigten Kinder eine „Chance" sei, „die ein pflichtbewusster Unterhaltsschuldner zu ergreifen in der Regel zweifellos sogar verpflichtet sein" werde, weil ein solches Verfahren für Schuldner „in einer Vielzahl der Fälle" der einzige Weg sei, jemals wieder über ein unbelastetes Einkommen zu verfügen, um damit auch wieder Unterhaltspflichten „in einem befriedigenden Maß" nachkommen zu können. Maßgebend sei ferner, dass sich die aus der Erfüllung des Zahlungsplans resultierenden finanziellen Beschränkungen „in aller Regel auch auf die im Haushalt eines solchen pflichtbewussten und rechtsgetreuen Unterhaltspflichtigen lebenden Kinder auswirken werden". Nicht nur der Unterhaltspflichtige selbst, sondern auch dessen Familie müsste „sich eben 'nach der Decke strecken'". Angesichts dessen mangle es an einer Rechtfertigung dafür, ein nicht im Haushalt des geldunterhaltspflichtigen Elternteils lebendes Kind zu bevorzugen und diesem gegenüber die Belastungen aus der Erfüllung des Zahlungsplans zu ignorieren. Schulden des Unterhaltspflichtigen, deren Begründung letztlich der Erhaltung und Steigerung seiner Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit gedient hätten, seien schon bisher „berücksichtigungswürdig" gewesen. Gerade dieses Ziel solle auch durch die Erfüllung des Zahlungsplans erreicht werden.

Es ließe sich mit dem vom Rekursgericht - in einem anderen Zusammenhang - erörterten Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbaren, Unterhaltsberechtigte einer intakten "neuen" Familie, die die mit der Erfüllung eines Zahlungsplans durch den Unterhaltspflichtigen verbundenen wirtschaftlichen Einschränkungen solidarisch mittragen müssen, gegenüber Unterhaltsberechtigten aus dessen „alten" Familie zu benachteiligen. Bei der vom Obersten Gerichtshof angestrebten Balance geht es - anders als die Wertung des Rekursgerichts nahelegt - nicht um die Frage der Schaffung einer Existenzgrundlage für die „neue" Familie zu Lasten der „alten" Familie, sondern um eine solidarische Aufteilung der erörterten wirtschaftlichen Einschränkungen auf alle Unterhaltsberechtigten in der durch familiäre Bande begründeten Schicksalsgemeinschaft.

4. Es ist auch kein Grund dafür zu erkennen, weshalb einem - wie hier - bereits in den Ruhestand getretenen Geldunterhaltsschuldner durch die Erfüllung eines Zahlungsplans kein „wirtschaftlicher Neustart" mit den unter 1. beschriebenen Rechtsfolgen für Unterhaltsansprüche ermöglicht werden sollte. Ist der Pensionsbezug nach Erfüllung des Zahlungsplans entlastet, so hat ein solcher Unterhaltsschuldner seine volle finanzielle Leistungsfähigkeit auch zur Deckung von Unterhaltspflichten wiedererlangt. Nicht von Belang ist daher, ob den Leistungen auf Grund eines Zahlungsplans eine Erwerbstätigkeit oder ein Pensionsbezug zugrunde liegt.

Die Ansicht, eine Unterhaltsbemessung nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs werde nicht dem Geldunterhaltspflichtigen, sondern - nach zwei Ehescheidungen - seiner nunmehrigen Ehegattin einen „Neustart" ermöglichen, gründet sich auf Spekulationen. Es mangelt in diesem Punkt an Feststellungen, dass bestimmte Kreditmittel als Ursache der Zahlungsunfähigkeit des Unterhaltspflichtigen seiner nunmehrigen Ehegattin zugute gekommen seien, um dieser einen durch eigene Schulden unbelasteten Start in das Geschäftsleben mit einer gut gehenden Trafik zu eröffnen.

5. Das Rekursgericht verweist darauf, dass die 16-jährigen Töchter des Geldunterhaltsschuldners berufsbildende höhere Schulen besuchen und daher bei Erfüllung des Zahlungsplans 2011 voraussichtlich selbsterhaltungsfähig sein werden, demzufolge also „die Last der Sanierung" mittrügen, „ohne an deren Früchten partizipieren zu können". Dem ist zu entgegnen, dass die solidarische Aufteilung von Lasten innerhalb der Familie als Schicksalsgemeinschaft nicht davon abhängen darf, ob einzelnen Unterhaltsberechtigten wegen der von ihnen temporär mitgetragenen wirtschaftlichen Einschränkungen später noch ein wirtschaftlicher Vorteil erwachsen kann. Im Übrigen entbehrt auch die Annahme, die beiden Töchter des Unterhaltspflichtigen würden 2011 voraussichtlich selbsterhaltungsfähig sein, einer verlässlichen Grundlage. Die Kinder könnten ein weiterführendes Studium aufnehmen, die Geldunterhaltspflicht deren Vaters könnte aber auch aus vielen anderen Gründen nach 2011 andauern.

6. Der Einwand, es dürfe ein Schuldner, der sich redlich bemühe, seine Schulden „pünktlich zu bedienen", nicht schlechter gestellt werden als einer, der sich um nichts mehr kümmere und mit Exekutionen bis aufs Existenzminimum belastet sei, verfehlt den Problemkern. Die zu 1. referierte Rechtsprechung bezweckt nicht, Geldunterhaltsschuldner, die nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen leistbare Verbindlichkeiten nicht erfüllen, im Fall von Exekutionen zu begünstigen, sie soll vielmehr Schuldnern, die aus den unter 2. erörterten Gründen zahlungsunfähig wurden, eine baldige - auch für Unterhaltsgläubiger nützliche - wirtschaftliche Erholung ermöglichen.

7. Verpflichtete sich ein Geldunterhaltsschuldner in einem bestätigten Zahlungsplan zu mehr als „allgemeine Gläubiger" bei ihm im Weg der Exekution oder des Abschöpfungsverfahrens hätten einbringlich machen können, so dürfen der Ernst und die Redlichkeit eines solchen Schuldners, sich im Interesse einer rascheren Entschuldung selbst mit etwas weniger als dem allgemeinen Existenzminimum zu begnügen, im Verfahren zur Unterhaltsbemessung nicht zu seinem Nachteil ausschlagen, liegt doch eine raschere Wiederherstellung der vollen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines solchen Schuldners grundsätzlich auch im Interesse der Unterhaltsberechtigten.

8. Aus allen bisherigen Erwägungen folgt, dass die Entscheidung über den Revisionsrekurs nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG abhängt. Bei Erledigung dieses Rechtsmittels kann sich der Oberste Gerichtshof daher gemäß § 71 Abs 3 AußStrG auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Stichworte