OGH 2Ob262/06b

OGH2Ob262/06b30.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert B*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Schuster, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Linien GmbH & Co KG, 1030 Wien, Erdbergstraße 202, vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 46.668,76 sA und Feststellung (Streitinteresse EUR 10.000), über die Revisionen beider Parteien und den Rekurs der beklagten Partei gegen das „(Teil‑)Zwischenurteil" samt Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 16. Juni 2006, GZ 3 R 187/05z‑23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 8. Juni 2005, GZ 19 Cg 92/04g‑17, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2006:0020OB00262.06B.1130.000

 

Spruch:

Die Revisionen beider Parteien sowie der Rekurs der beklagten Partei werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekurs‑ und Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit EUR 1.252,26 (hierin enthalten EUR 208,71 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei betreibt ua das Wiener U‑Bahnnetz, zu dem auch die U‑6‑Station Gumpendorfer Straße gehört. Auf der Linie U 6 verkehren einerseits sog „gemischte Züge" und andererseits „neue Züge". Die „gemischten Züge" bestehen aus insgesamt fünf Wagen, wobei vorne zwei Wagen älterer Bauart („E 6" und „C 6"), in der Mitte ein Wagen neuer Bauart („T") und hinten wieder zwei Wagen älterer Bauart („C 6") angeordnet sind. Die „neuen Züge" bestehen ausschließlich aus vier Wagen neuer Bauart („T"). Bei den alten Wagen besteht im Türbereich ein Freiraum von rund 50 bis 60 cm. Dort kann ein Mensch „unter Streifung der Bahnsteigkante beim Aussteigen herunterfallen". Bei den neuen Wagen ist dies aufgrund des geringen Abstandes zwischen Wagen und Bahnsteigkante nicht möglich. Im Kuppelraum zwischen den Wagen ist sowohl bei den „gemischten Zügen" als auch bei den „neuen Zügen" ein Herunterfallen möglich.

Die Geleise beschreiben in der Haltestelle Gumpendorfer Straße in Fahrtrichtung Siebenhirten (Fahrtrichtung des Klägers) einen leichten Linksbogen; der Schienentrog ist ‑ gemessen von der Bahnsteigkante bis zur Oberkante der Schwellen ‑ 52 cm tief.

Der Kläger fuhr am Nachmittag des 15. 2. 2003 in einem „gemischten Zug" der Linie U 6 in Richtung Siebenhirten. Er hatte Alkohol konsumiert. Wie stark er alkoholisiert war, kann nicht festgestellt werden. Er befand sich im vorletzten Wagen. Dabei handelte es sich um einen Wagen der Type „C 6". In der Station Gumpendorfer Straße stieg er aus. Er verließ den Wagen durch den vordersten Ausstieg. Im Zuge des Aussteigens oder unmittelbar danach kam er aus Unachtsamkeit in Verbindung mit seiner Alkoholisierung zu Sturz und fiel entweder direkt neben dem Trittbrett (durch den 50 bis 60 cm breiten Freiraum) oder im Kupplungsbereich zwischen dem von ihm benutzten Wagen der Type „C 6" und dem davor befindlichen Niederflurwagen der Type T" in den Gleistrog. Nachdem sich alle Türen des Zuges automatisch geschlossen hatten, fuhr der Fahrer los, ohne den Vorfall zu bemerken. In der Folge wurde der Kläger vom letzten Wagen der Garnitur erfasst und etwa 20 m weit „mitgeschliffen". Dann blieb er etwa auf Höhe des Ausganges der Station schwer verletzt bewusstlos im Schienentrog liegen. Dass der Kläger nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises war, kann nicht festgestellt werden.

Die von der Beklagten auf der Linie U 6 verwendeten neuen Niederflurwagen der Type „T" weisen zwei Gelenke auf und sind breiter als die im Rahmen der „gemischten Züge" verwendeten, eingelenkig ausgebildeten alten Wagen der Typen „E 6" und „C 6". Aufgrund der unterschiedlichen Konstruktion ist beim Aufenthalt in den Haltestellen jeweils ein unterschiedlicher Freiraum zwischen der rechten Wagenbegrenzung und der Bahnsteigkante gegeben. Während dieser Freiraum bei den neuen „T"‑Wagen 18 bis 20 cm beträgt, beträgt er bei den alten Wagen der Type „E 6" und „C 6" 50 bis 60 cm. Bei den Wagen der Type „E 6" und „C 6" sind vier Ein‑ bzw Ausstiege (Türen) vorhanden, zwei davon jeweils in Bug‑ und Hecknähe. Unmittelbar vor den Ein‑ bzw Ausstiegen sind (fixe) Trittbretter angebracht. Der Niveauunterschied zwischen Trittbrett und Bahnsteigkante (senkrecht gemessen) beträgt 15 cm. Der seitliche Abstand zwischen Trittbrett und Bahnsteigkante (waagrecht gemessen) beträgt 21 cm. Die (neuen) Niederflurwagen der Type „T" weisen hingegen drei Ein‑ bzw Ausstiege auf, je einen im vorderen und hinteren Drittel des Wagens in einer Entfernung von ca 5 m zum Bug bzw Heck und einen in der Mitte. Trittbretter sind dort nicht vorhanden. Ein nennenswerter Niveauunterschied ist beim Ein‑ bzw Aussteigen nicht zu überwinden.

Der Fahrer, der den Vorfall nicht bemerkt hatte, hatte eine sog „selbsttätige Abfertigung" des Zuges durchgeführt, weil er in den vorhandenen Spiegeln und Monitoren den Bahnsteig infolge der Lichtverhältnisse nicht ausreichend sehen konnte. Bei dieser „selbsttätigen Abfertigung" wartet der Fahrer, bis sich alle Türen automatisch geschlossen haben (dies geschieht dann, wenn kein Fahrgast mehr die Tür durchschreitet), und löscht dann die Türfreigabe. Nach der Durchsage „Zug fährt ab!" fährt der Fahrer an. Bei der „manuellen Abfertigung" ist der Fahrer dafür verantwortlich, dass sich beim Schließen der Türen niemand im Türbereich aufhält. Bei der „selbsttätigen Abfertigung" sorgt ein Lichtschranken dafür, dass sich die Türen nicht schließen, solange sich jemand im Gefahrenbereich aufhält. Eine Sicherung dagegen, dass der Zug anfährt, wenn jemand in den Gleistrog fällt oder gefallen ist, besteht nicht. Es gibt diesbezüglich keine technischen Vorschriften oder Vorgaben.

Bei einem „gemischten Zug" (wie dem hier verfahrensgegenständlichen) kann der Fahrer von der Halteposition des Zuges aus auf insgesamt vier Monitoren den gesamten Gleistrog überblicken. Bei hellem Licht, insbesondere bei fallweisem Auftreten der Sonne, wie dies zum Unfallszeitpunkt der Fall war, ist die Erkennbarkeit auf den Monitoren jedoch stark behindert. In den Gleistrog kann der Fahrer bei einem „neuen Zug" gar nicht blicken.

Mit der am 14. 6. 2004 eingebrachten Klage begehrte der Kläger ‑ gestützt auf das EKHG sowie ein die beklagte Partei treffendes „gravierendes Organisationsverschulden" (Fehlen effektiver Warnsysteme, verfrühtes Losfahren des Fahrers, obwohl er bei gehöriger Sorgfalt den Sturz erkennen hätte können und müssen) ‑ die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung seines mit insgesamt EUR 46.668,76 sA bezifferten Schadens (Schmerzengeld, ärztliche Behandlungen und Rehabilitationen) und erhob darüber hinaus auch ein Feststellungsbegehren.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Unfall für sie ein unabwendbares Ereignis darstelle. Der unter Alkoholeinfluss gestandene Kläger habe mit ihr auch keinen Beförderungsvertrag geschlossen und über keinen gültigen Fahrschein verfügt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Sturz des Klägers infolge Trunkenheit sei nur auf dessen eigene Unachtsamkeit zurückzuführen; der Unfall stelle für die Beklagte ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG dar.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung teilweise Folge und änderte die bekämpfte Entscheidung dahin ab, dass es als „(Teil‑)Zwischenurteil" über den Anspruchsgrund „die Haftung der beklagten Partei für den klagsgegenständlichen Zahlungsanspruch dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehend" erkannte, im Übrigen hinsichtlich der Anspruchshöhe und hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens aber das angefochtene Urteil aufhob und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteigt und die ordentliche Revision (gegen das „[Teil‑]Zwischenurteil") sowie der Rekurs (gegen den Aufhebungsbeschluss) an den Obersten Gerichtshof zulässig seien.

Das Berufungsgericht führte wegen Bedenken gegen die erstgerichtlichen Feststellungen zur Bauart und Zusammensetzung des vom Kläger benützten U‑Bahnzuges („gemischt" oder „neu") eine Beweiswiederholung durch, aufgrund derer die hiezu eingangs zusammengefasst wiedergegebenen neuen Feststellungen getroffen wurden.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses. Da im Detail nicht geklärt habe werden können, ob der Kläger im Zuge des Aussteigvorganges oder erst (unmittelbar) danach zu Sturz gekommen und in den Gleistrog gefallen sei, sei zu Lasten der Beklagten davon auszugehen, dass dies schon während des Aussteigvorganges der Fall gewesen und der Kläger neben dem Trittbrett durch den 50 bis 60 cm breiten Freiraum zwischen Wagen und Bahnsteigkante in den Gleistrog gefallen sei. Auch für das Vorliegen der in § 3 EKHG genannten Ausschlusstatbestände treffe die Beweislast den Betriebsunternehmer; den Beweis, dass der Kläger nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises gewesen sei, habe die Beklagte nicht erbracht. Dass somit nicht feststeht, dass es sich um eine Schwarzfahrt gehandelt habe, gehe daher ebenfalls zu ihren Lasten.

Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 EKHG setze voraus, dass Betriebsunternehmer und Betriebsgehilfen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hätten und dass das Unfallgeschehen auch bei Anwendung äußerster und nach den Umständen möglicher Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen sei. Es komme darauf an, ob die Abwendung des Unfalls bei den gegebenen Verhältnissen durch die äußerste Sorgfalt und durch Mittel, deren Anwendung dem Haftpflichtigen vernünftigerweise zugemutet hätten werden können, möglich gewesen sei. Die erhöhte Sorgfaltspflicht, deren Beachtung den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen lasse, setze nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlange, dass von vornherein vermieden werde, in eine Lage zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen könne. Maßgebend sei, ob bestimmte Maßnahmen aufgrund objektiv gegebener Kriterien schon vor dem Unfall, also vorausschauend nach den Umständen des Falles geboten gewesen seien. Wenngleich diese Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden dürfe, seien an sie nicht bloß billige, sondern strengste Anforderungen zu stellen.

Die Beklagte verwende auf der Linie U 6 neben den neuen Niederflurwagen alte Wagen, bei welchen vor allem aufgrund ihrer wesentlich geringeren Breite zur Bahnsteigkante hin schon unmittelbar neben den vor den Ein‑ bzw Ausstiegen befindlichen Trittbrettern ein überaus breiter Freiraum von 50 bis 60 cm vorhanden sei. Das Aus‑ und Einsteigen erfordere hier eine außerordentlich hohe Aufmerksamkeit des Fahrgastes, da schon der geringste Fehltritt einen Sturz in den Schienentrog zur Folge haben könne. Durch die Verwendung der alten Wagen bei den baulich auf die neuen, breiteren Garnituren ausgerichteten Bahnsteigen werde die Gefahr, dass ein Fahrgast, der zu Sturz komme, in den Schienentrog falle, wesentlich erhöht. Eine verlässliche Einrichtung, die bewirken würde, dass der Fahrer einen solchen Vorfall bemerke, sei nicht vorhanden. Die Verwendung der alten, schmäleren Wagen mit außen angebrachten fixen Trittstufen könne offenkundig „nur als Provisorium" gedacht sein, bis alle Züge der Linie U 6 ausschließlich mit den neuen Niederflurwagen ausgestattet seien. Ein überaus sorgfältiger Betriebsunternehmer würde, wenn er sich schon eines solchen „Provisoriums" bediene, zumindest dem mit der Verwendung der alten Wagen verbundenen erhöhten Risiko dadurch vorbeugen, dass er in den Stationen der Linie U 6 einen Bediensteten abstellt, dessen Aufgabe es ist, den Fahrgastwechsel zu beobachten und den Fahrer zu warnen, wenn ein Fahrgast ‑ wie hier ‑ in den Schienentrog gestürzt sei. Da es sich nur um eine vorübergehende Maßnahme handeln würde, bis alle Züge ausschließlich mit den neuen Wagen ausgestattet seien, wäre diese der Beklagten auch nicht unzumutbar. Da die Beklagte somit nicht jede nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet habe, stelle sich der Unfall des Klägers für sie nicht als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG dar, weshalb ihre Haftung dem Grunde nach zu bejahen sei.

Grundsätzlich müsse jeder Fahrgast die aufgrund des unmittelbar neben den Trittstufen beginnenden 50 bis 60 cm breiten Freiraumes gegebene besondere Gefährlichkeit des Aus‑ und Einsteigens erkennen und daher dabei entsprechende Sorgfalt walten lassen. Den gegebenen Umständen nach, wonach der Kläger aufgrund Unachtsamkeit in Verbindung mit seiner Alkoholisierung zu Sturz gekommen sei, sei von einem 50 %igen Mitverschulden auszugehen.

Die Anrufung des Obersten Gerichtshofes ließ das Berufungsgericht zu, „weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage, ob es für den Betriebsunternehmer einer städtischen U‑Bahnlinie ein unabwendbares Ereignis darstellt, wenn ein Fahrgast im Zuge des Aussteigens unbemerkt durch den 50 bis 60 cm breiten Freiraum in den Schienentrog fällt und von der danach anfahrenden U‑Bahn schwer verletzt wird, nicht vorliegt. Angesichts dessen, dass es sich bei der U‑Bahn um ein Massenverkehrsmittel handelt und die alten Wagen der Typen „E 6" und „C 6" notorischerweise nach wie vor auf der Linie U 6 Verwendung finden, kommt der Entscheidung über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu."

Gegen diese Berufungsentscheidung richten sich die auf die Rechtsmittelgründe der Mangelhaftigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision samt Rekurs der beklagten Partei sowie die auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers. Letzterer beantragt die Abänderung der bekämpften Entscheidung im Sinne einer Feststellung der Haftung der beklagten Partei für seine gesamten Schadenersatzansprüche zur Gänze; die beklagte Partei hingegen beantragt eine Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des klageabweislichen Ersturteils, hilfsweise werden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Beide Parteien haben auch Rechtsmittelbeantwortungen erstattet, in denen wechselseitig beantragt wird, dem Rechtsmittel des jeweiligen Gegners keine Folge zu geben; die beklagte Partei beantragt überdies, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Wenngleich sich der Oberste Gerichtshof mit einer Unfallsituation wie der hier verfahrensgegenständlichen noch nicht explizit zu befassen hatte, sind doch beide Rechtsmittel entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

A Zum (weitergehenden) Rechtsmittel der beklagten Partei (Revision und Rekurs):

1. Soweit gegen die vom Berufungsgericht im Rahmen der Beweiswiederholung getroffenen Neufeststellungen beweiswürdigungsmäßig moniert wird, wird übersehen, dass nach dem Gefüge des Instanzenaufbaus der Oberste Gerichtshof ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig wird; dies gilt auch für den Fall, dass ein Gericht zweiter Instanz bei Behandlung einer Beweisrüge nach Beweiswiederholung von den Feststellungen des Erstgerichtes abgeht und so eine neue Tatsachengrundlage schafft (vgl 16 Ok 20/04 = RIS‑Justiz RS0109206 [T6]); auch für diesen Fall sieht § 503 ZPO keine Ausnahmebestimmung vor, welche dem Obersten Gerichtshof (ausnahmsweise) Aufgaben einer Tatsacheninstanz übertragen würde.

2. Auch die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was gemäß § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO an sich keiner weiteren Begründung bedarf.

2.1 Der Vorwurf, das Berufungsgericht hätte betreffend die Feststellung, wonach es sich bei der (Weiter‑)Verwendung älterer Wagen um ein „Provisorium" (mit erhöhter Beobachtungspflicht des Fahrgastwechsels in den Haltestellen) handle, mit den Parteien nach §§ 182, 182a ZPO das diesbezügliche Sach‑ und Rechtsvorbringen erörtern müssen, übergeht den Umstand, dass es sich nach den eigenen Ausführungen im Rechtsmittelschriftsatz beim Einsatz „gemischter Züge" mit teils breiteren, teils schmäleren Wagen samt Abstandsdifferenzen zum jeweiligen Stationsbahnsteig tatsächlich um eine nach derzeitigem Planungsstand noch bis Ende 2008 Platz greifende Maßnahme handelt; ob dies als „Provisorium" (bis zum flächendeckenden Einsatz der breiteren Niederflurwagen) oder „Austausch der Züge nach Ablauf der vorgesehenen Nutzungsdauer" bezeichnet wird, ist rechtlich letztlich irrelevant.

2.2 Soweit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt wird, weil die maßgeblichen und vom Sachverständigen zum Akt gegebenen Konstruktionszeichnungen weder in erster noch in zweiter Instanz erörtert und verlesen worden seien, sodass den Parteien nicht die Möglichkeit zur Äußerung geboten gewesen sei, wird übergangen, dass beiden Parteien weder das Frage‑ noch ein Erörterungsrecht bezüglich des technischen Sachverständigen abgeschnitten war, hiezu eine ausführliche Gutachtensergänzung im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 29. 5. 2006 stattfand (bei welcher die Parteien ebenfalls ihr Fragerecht gemäß § 357 Abs 2 ZPO ungehindert ausüben konnten) und sämtliche erstinstanzlich aufgenommenen Beweisurkunden (einschließlich jener aus dem Strafakt des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien) einvernehmlich im Berufungsverfahren zur Verlesung gelangten, ohne dass eine der Parteien nach dem vollen Beweis liefernden Protokoll hierüber Widerspruch erhoben hätte (§ 281a ZPO; SZ 58/8).

2.3 Der (an sich der Rechtsrüge zuzuordnende) Vorwurf einer fehlenden Feststellung des Vorliegens einer behördlichen Bau‑ und Betriebsbewilligung für die eingesetzten „gemischten Züge" geht fehl, weil dies zufolge ausdrücklicher Außerstreitstellung in der Berufungsverhandlung (Seite 7 in ON 22 = AS 145) ohnedies unstrittig ist und im Übrigen eine (gänzliche) Haftungsbefreiung der beklagten Partei als Betriebsunternehmer nach den strengen Grundsätzen des § 9 EKHG, worauf noch weiter unten näher einzugehen sein wird, nicht zu begründen vermag.

2.4 Auch die Ausführungen im Rahmen des Revisionsgrundes der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zur „Unzumutbarkeit und Untunlichkeit" weiterer Abwehrmaßnahmen in den U‑Bahnstationen (durch Abstellen zusätzlicher Bediensteter) einerseits sowie Erbringung des strengen Sorgfaltsmaßstabes nach dem EKHG andererseits sind der Rechtsrüge zuzuordnen und daher dort zu behandeln.

3. Im Rahmen ihrer Rechtsrüge wird dem Berufungsgericht (zusätzlich) vorgeworfen, die nach dem EKHG gebotene Sorgfalt „gröblich überspannt" zu haben; lege man den Sorgfaltsmaßstab des Berufungsgerichtes an, so wären „zumindest drei Bedienstete pro Bahnsteig vorzusehen, was den täglichen Einsatz von 720 Bediensteten erfordern würde." In Anbetracht des „krassen Verschuldens des Geschädigten" sei die Nichtbeachtung der gebotenen Sorgfalt „derart geringfügig, dass sie zu vernachlässigen" sei. Es müsse genügen, dass ihre Fahrzeuge den Zulassungsvorschriften entsprochen hätten. Schließlich wirke sich die Negativfeststellung zum Besitz eines gültigen Fahrausweises durch den Kläger zu dessen Lasten aus.

Auch hiemit wird keine erhebliche Rechtsfrage berührt.

3.1 Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass sich der Unfall „beim Betrieb" ihrer Eisenbahn im Sinne des § 1 EKHG ereignet hat. Sie kann sich daher von der Haftung nach diesem Bundesgesetz nur dann befreien, wenn sie unter Beweis stellt, dass ein unabwendbares Ereignis vorliegt (RIS‑Justiz RS0058926; 2 Ob 260/04f = ZVR 2006/90; Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 16/20). Zweifel darüber, ob der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, gehen zu Lasten des Halters bzw Betriebsunternehmers (RIS‑Justiz RS0058979); bei mehreren möglichen Versionen des Unfallgeschehens ist im Zweifel wegen der den Halter treffenden Beweislast von der für den Geschädigten günstigsten bzw für den Fahrzeughalter (Eisenbahnbetriebsunternehmer) ungünstigsten Voraussetzung auszugehen (2 Ob 260/04f = ZVR 2006/90). Bleibt ungeklärt, ob ein im Rahmen des § 9 EKHG zu berücksichtigender Umstand für die Entstehung des Unfalles ursächlich war, so geht dies ebenfalls zu Lasten des Halters/Betriebsunternehmers (RIS‑Justiz RS0058926).

Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 EKHG setzt voraus, dass Betriebsunternehmer und Betriebsgehilfe jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben und dass das Unfallgeschehen auch bei Anwendung äußerster und nach den Umständen möglicher Sorgfalt nicht zu vermeiden war (RIS‑Justiz RS0058206). Die erhöhte Sorgfaltspflicht, deren Beachtung den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen lässt, setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, dass von vorneherein vermieden wird, in eine Lage zu kommen, aus der Gefahr entstehen kann (RIS‑Justiz RS0058411). Die Sorgfalt, deren Außerachtlassung den Halter/Betriebsunternehmer der Rechtswohltat der Befreiung von der Gefährdungshaftung verlustig gehen lässt, ist nicht die normale Verkehrssorgfalt, sondern umfasst eine besonders weitgehende Sorgfalt, deren Beobachtung den Unfall als geradezu unvermeidbar erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0058278).

Vergegenwärtigt man sich, dass im vorliegenden Fall

- die beklagte Partei bei ihren weiterverwendeten alten schmäleren Wagentypen mit außen angebrachten fixen Trittstufen bei den baulich bereits auf die neuen, breiteren Garnituren ausgerichteten Bahnsteigen auf der Trasse der U 6 aufgrund ihrer damit einhergehenden wesentlich geringeren Breite zur Bahnsteigkante hin trotzdem einen Freiraum von 50 bis 60 cm beließ, woraus folgt, dass das Ein‑ und Aussteigen eine hohe Aufmerksamkeit des Fahrgastes erfordert, da schon der geringste Fehltritt einen Sturz jedenfalls schmal gewachsener Passagiere in den Schienentrog zur Folge haben kann;

- bei der vom Fahrer des unfallbeteiligten Zuges durchgeführten sog „selbsttätigen Abfertigung" eine Lichtschranke lediglich dafür sorgt, dass sich niemand im Gefahrenbereich der Türen befindet, hiedurch jedoch nicht der beschriebene Spaltbereich zum Gleistrog abgedeckt wird;

- es eine Sicherheit dagegen, dass der Zug anfährt, wenn jemand in den Gleistrog fällt oder gefallen ist, nicht gibt;

- der Fahrer trotz der vorhandenen vier Monitore samt Spiegeln aufgrund der nachmittägigen Lichtverhältnisse (Sonnenstand, wohl aber auch aufgrund des bogenförmigen Verlaufes der Station) den Bahnsteig nicht ausreichend übersehen konnte,

so ist die Schlussfolgerung des Berufungsgerichtes, die beklagte Partei habe nicht die äußerste und nach den Umständen mögliche Sorgfalt obwalten lassen, keine gemäß § 502 Abs 1 ZPO zu korrigierende Fehlbeurteilung. Ob im Hinblick auf ihr schon früher bekanntgewordene Unglücksfälle eine raschere Nachrüstpflicht für flächendeckende Niederflurwagen bestünde (vgl zu dieser Thematik etwa 2 Ob 262/03y = ZVR 2005/34), kann damit ebenso dahingestellt bleiben wie die von der beklagten Partei angestellten Berechnungsmodelle betreffend zusätzliche Bedienstete für eine Sichtkontrolle ein- und aussteigender Fahrgäste bis zur endgültigen Umrüstung auf die gefahrloseren Niederflurwagen. Die behördliche Genehmigung allein entbindet ebenfalls nicht von dieser strikten, allein auf die Betriebsgefahr der Eisenbahnanlage abstellenden Gefährdungshaftung.

3.2 Die Beweislast für sämtliche Ausschlusstatbestände des § 3 EKHG (und damit auch dessen Z 1: Schwarz[mit]fahrt) liegt beim haftpflichtigen Betriebsunternehmer (ZVR 1999/38; Danzl, EKHG7 E 1 b zu § 3; Schauer in Schwimann, ABGB³ Rz 17 zu § 3 EKHG). Die hiezu getroffene Negativfeststellung wirkt sich daher ebenfalls zu Lasten der beklagten Partei aus.

3.3 Zur Frage der Vernachlässigbarkeit gegenüber dem (Mit)Verschulden des Klägers wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen.

B Zur Revision des Klägers:

Dieser beschwert sich darüber, dass ihm das Berufungsgericht nicht zufolge der erheblichen Betriebsgefahr und der gravierenden („gröbsten") Sorgfaltswidrigkeit des Betriebsunternehmers einerseits sowie seines nur als geringfügig zu qualifizierenden Verschuldens andererseits nicht vollständigen Ersatz zuerkannt habe. Schließlich plakatiere und werbe die beklagte Partei sogar damit, alkoholisierte Fahrgäste (ebenso wie Kranke, Alte, Gebrechliche und Schwangere) sicher ans Ziel zu bringen.

Ob eine bestimmte Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei welcher im Allgemeinen - von einer gravierenden Fehlbeurteilung und damit krassen Verkennung der Rechtslage abgesehen - eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (ebenfalls) nicht zu lösen ist (Danzl, aaO E 18a zu § 7; RIS‑Justiz RS0087606; 2 Ob 306/04w; 2 Ob 155/05s); dies gilt auch für die Frage, ob ein geringes Verschulden noch vernachlässigt werden kann (2 Ob 213/02s; 7 Ob 40/04i; 2 Ob 65/05f). Im vorliegenden Fall steht jedenfalls fest, dass der Kläger „aus Unachtsamkeit in Verbindung mit seiner Alkoholisierung" zu Sturz kam und in den Gleistrog fiel. Diese Feststellung indiziert eine jedenfalls höhergradige Sinnesbeeinträchtigung durch Alkoholeinfluss. Gegen die vom Berufungsgericht angenommene Schadensteilung bestehen daher keine als erhebliche Rechtsfrage aufzugreifende Bedenken.

Beide Rechtsmittel waren damit als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 41, 50 ZPO. Lediglich die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen und damit Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung.

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