OGH 2Ob213/02s

OGH2Ob213/02s10.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Ulrike P***** und 2.) Michael P*****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Leopold D*****, 2.) ***** Versicherungsunternehmen ***** und 3.) ***** Versicherung*****, alle vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 114.501,65 sA, einer monatlichen Rente von EUR 892,51 und Feststellung (Erstklägerin) und EUR 5.889,33 sA, einer monatlichen Rente von EUR 183,87 und ebenfalls Feststellung (Zweitkläger) infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23. Mai 2002, GZ 4 R 50/02d-40, womit infolge Berufung aller Parteien das Teilzwischenurteil des Landesgerichtes Wels vom 21. Jänner 2002, GZ 28 Cg 141/99z-32, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei der Zurückweisung einer Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Am 19. 1. 1997 ereignete sich gegen 20 Uhr 05 auf der Westautobahn ein Verkehrsunfall, bei dem Maximilian P*****, der Ehegatte der Erstklägerin und Vater des Zweitklägers getötet wurde. Im Revisionsverfahren ist lediglich die Frage des Mitverschuldens von Maximilian P***** strittig.

Das Erstgericht vertrat die Ansicht, der Schaden sei im Ausmaß von 30 zu 70 zu Lasten der beklagten Parteien zu teilen, das Berufungsgericht meinte, dass der Schaden im Verhältnis 1 : 3 zu Lasten der beklagten Parteien aufzuteilen sei. Beide Vorinstanzen lasteten Maximilian P***** eine wesentliche Überschreitung der relativ zulässigen Höchstgeschwindigkeit an; er hätte höchstens 67 km/h fahren dürfen, um innerhalb der vom Abblendlicht seines Fahrzeuges ausgeleuchteten Sichtstrecke stehenbleiben zu können. Diese Geschwindigkeit sei als diejenige zu beurteilen, deren Einhaltung das Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 20 Abs 1 StVO) gefordert hätte. Die von ihm gewählte Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h sei somit überhöht gewesen. Hätte er allerdings eine bessere Sicht auf Grund des vor ihm fahrenden Fahrzeuges gehabt, so wäre ihm eine gleichwertige verspätete Wahrnehmung und Reaktion anzulasten. Diese Sachverhaltsvariante verschiebe nur den Schuldvorwurf, nicht aber das Gewicht seines Mitverschuldens.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, änderte aber diesen Ausspruch über Antrag der klagenden Parteien dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Es begründete diesen Beschluss damit, dass sich der gegenständliche Fall von den von ihm herangezogenen Vergleichsfällen doch soweit unterscheide, dass die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO gegeben seien.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der klagenden Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass ausgesprochen werde, das Klagebegehren bestehe dem Grunde nach zur Gänze zu Recht.

Die beklagten Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.

Das Berufungsgericht hat in seinem Beschluss, mit dem es die ordentliche Revision für zulässig erklärte, keine erhebliche Rechtsfrage dargelegt. Dass der hier zu beurteilende Sachverhalt sich von den vom Berufungsgericht herangezogenen Vergleichsfällen unterscheidet, bewirkt noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage.

Aber auch in der Revision der klagenden Parteien werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan.

Diese vertreten zur Frage der Zulässigkeit ihres Rechtsmittels die Ansicht, der Reaktionsverzug habe bei einer ebenfalls als möglich zu Grunde gelegten Fahrgeschwindigkeit von 120 km/h nur mehr 0,9 sek betragen. Daraus folge, dass das Berufungsgericht von der Rechtsprechung, wonach bei Beurteilung des Verschuldens jeweils von der für den Betroffenen günstigeren Annahme auszugehen ist, abgewichen sei. Dies dadurch, dass es von einer Geschwindigkeit von 100 km/h und einer Reaktionsverspätung von 1,3 sek ausgegangen sei, während bei Einhaltung einer ebenfalls möglichen Fahrgeschwindigkeit von 120 km/h sich nur ein Reaktionsverzug von 1,1 sek ergebe, sodass die Reaktionsverspätung nur 0,9 sek betrage.

Weiters sei das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts abgewichen, ohne eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen und das Gutachten des Sachverständigen neu zu verlesen. Es fehle auch an einer Rechtsprechung, ob überhaupt ein Mitverschulden des Lenkers des Klagsfahrzeuges vorliegt, wenn nicht das querstehende Fahrzeug selbst, sondern nur silberfarbene Radzierkappen auf erstmalige Sicht erkennbar gewesen seien. Eine Verpflichtung zur Reaktionseinleitung habe nach richtiger Auffassung erst bei Erkennbarkeit eines querstehenden Autos bestanden. Weiters sei zu berücksichtigen, dass eine Reaktionsverspätung von unter 1 sek im Verhältnis zum Verschulden des Erstbeklagten zu vernachlässigen sei. Letztlich habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 154/88 die Auffassung vertreten, dem Gebot des Fahrens auf Sicht werde auf Autobahnen bei Dunkelheit auch dann entsprochen, wenn der Kraftfahrer auf unvermutet in Sichtweite auftauchende Hindernisse durch eine gezielte Ausweichbewegung reagieren könne.

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung kommt bloßen Ermessensentscheidungen - wie über die Teilung oder Schwere des Verschuldens - im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (Kodek in Rechberger2, ZPO, § 502 Rz 3 mwN). Dies gilt auch für die Frage, ob ein geringes Verschulden noch vernachlässigt werden kann. Geht man, so wie dies die Kläger in ihrem Rechtsmittel tun, von einer Geschwindigkeit des von Maximilian P***** gelenkten Fahrzeuges von 120 km/h aus, dann wäre ihm jedenfalls die Einhaltung einer weit überhöhten Geschwindigkeit anzulasten. Wäre er nämlich mit 95 km/h gefahren, dann hätte er sein Fahrzeug in einer Wegstrecke von 70 m zum Stillstand bringen können. In dieser Entfernung wäre das Hindernis im Lichtkegel des von ihm fahrenden Fahrzeuges sichtbar gewesen (siehe S 8 der Ausfertigungen des Urteiles des Erstgerichtes). Insoweit liegt daher keine erhebliche Rechtsfrage vor.

Von welchen Feststellungen das Berufungsgericht abgewichen sein soll, wird in der Revision nicht dargelegt.

Was das Fahren auf Sicht betrifft, entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass mit Abblendlicht nur eine solche Geschwindigkeit eingehalten werden darf, die ein Anhalten innerhalb der ausgeleuchteten Straße ermöglicht (RIS-Justiz RS0074769;) ein Kraftfahrer darf auch auf Autobahnen bei Dunkelheit nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig halten kann (RIS-Justiz RS0074680). Auch wenn der in der Revision zitierten Entscheidung 2 Ob 154/88 wurde dargelegt, dass beim Fahren mit Abblendlicht bei Dunkelheit eine Geschwindigkeit einzuhalten ist, die dem Kraftfahrer bei unvermutet auftauchenden Hindernissen innerhalb der überblickbaren Strecke zumindest eine geeignete Ausweichsbewegung erlaubt. Welche Geschwindigkeit dies ist, kann nur auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Eine erhebliche Fehlbeurteilung kann somit in der Ansicht der Vorinstanzen, es läge ein Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO vor, nicht erblickt werden.

Das auf silberne Radzierkappen, die auf der Autobahn bei Dunkelheit liegen, zu reagieren ist, ist evident. Einerseits sind sie ein Indiz für einen vorangegangenen Unfall, andererseits stellen sie selbst eine erhebliche Gefahrenquelle dar.

Daraus folgt, dass das Rechtsmittel des klagenden Partei zurückzuweisen war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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