OGH 10ObS149/06v

OGH10ObS149/06v24.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Alexander B*****, vertreten durch Mag. Martin Karbiener, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Anfall der Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Juni 2006, GZ 11 Rs 42/06k-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. November 2005, GZ 17 Cgs 183/05y-6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 14. 2. 1947 geborene Kläger hat das Studium der Chemie im Jahr 1973 mit dem Doktorat abgeschlossen. Seine letzte Angestelltentätigkeit liegt in der Zeit von März 1983 bis September 1995; in dieser Zeit war er als Leiter der Abteilung Labor/Qualitätssicherung in einer Gesellschaft eines Papierindustriekonzerns beschäftigt. Seine Tätigkeit war die eines Verfahrenstechnikers in der Papiertechnologie. Der Aufgabenbereich im Unternehmen umfasste die Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung im Bereich der Papier- und Prozesstechnologie, wobei unter Berücksichtigung der Kundenwünsche die Entwicklung und Produktoptimierung, die Durchführung und Verbesserung der Produktionsabläufe sowie qualitätsverbessernde Maßnahmen durchzuführen waren. Dazu musste der Kläger andere Betriebsstätten des Konzerns besuchen und führte dort vor Ort vor allem direkte Inspektionen der Anlagen durch. Insbesondere musste er dabei auch über Leitern und Gerüste auf Maschinen steigen, um dann die bei den Schwesterunternehmen gewonnenen Erkenntnisse an die spezifischen Produktionsbedingungen in dem Unternehmen, in dem er beschäftigt war, anzupassen. Der Kläger war in die Verwendungsgruppe VI des anzuwendenden Kollektivvertrages für Angestellte in der Papierindustrie eingestuft.

Im Februar 1996 nahm der Kläger eine selbständige Tätigkeit auf; er eröffnete ein „Technisches Büro für technische Chemie" an seinem Wohnsitz. Bis etwa Mitte oder Ende 2002 führte er dabei - nunmehr jedoch auf selbständiger Basis - seine bisherige Tätigkeit und seine bisherigen Aufgabenstellungen (insbesondere auch für seinen früheren Arbeitgeber) praktisch unverändert weiter. Diese Tätigkeit war jedenfalls kalkülüberschreitend. Zumindest ab Beginn 2003 änderte sich der Schwerpunkt seiner selbständigen Tätigkeit weitgehend: Im Vordergrund stand nun eine Handelstätigkeit mit Chemikalien zur Papierherstellung in Verbindung mit Produktberatung. Diese Handels- und Beratungstätigkeit war nicht leistungskalkülüberschreitend und wurde vorwiegend im Sitzen von einem Büro aus ausgeübt. Die Tätigkeit als Verfahrenstechniker in der Papiertechnologie wurde jedoch nicht vollständig aufgegeben: Im Zeitraum Ende 2003 bis zumindest Ende August 2004 erbrachte der Kläger mit seinem Technischen Büro für die Firma A*****, die Reinigungsmittel herstellt, technische Beratungsleistungen, wofür er zumindest drei Rechnungen in einem Gesamtbetrag von etwas über EUR 15.000,-- legte. Aufgabe des Klägers war die Selektierung eines möglichst geeigneten Produkts aus der vorhandenen Produktpalette des Auftraggebers für die Harzbekämpfung in der Zellstoffindustrie. Die Tätigkeit spielte sich überwiegend in den vorhandenen Labors der Firma A***** ab. Der Kläger musste dabei keine Leitern und Gerüste besteigen, die Tätigkeit war überwiegend sitzend und nicht kalkülüberschreitend. Den Gewerbeschein legte er mit 30. 6. 2005 zurück.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. 4. 2005, 17 Cgs 158/04w-28, hat das Landesgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht die beklagte Pensionsversicherungsanstalt schuldig erkannt, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 9. 2003 zu gewähren. Weiters wurde im Urteil ausgesprochen, dass sich der Anfall der Leistung nach § 86 Abs 3 Z 2 ASVG richte (Aufgabe der schädigenden Tätigkeit als Verfahrenstechniker in der Papiertechnologie). Nach diesem Urteil ist dem Kläger seine letzte Tätigkeit als Angestellter nicht mehr möglich, ebenso wenig die Ausübung von ausreichend vorhandenen Verweisungsberufen in der Gruppe VI oder V des anzuwendenden Kollektivvertrags. Diese Berufsunfähigkeit beruht auf orthopädischen Gründen: Der Kläger leidet an einem Zustand nach Fersenbeintrümmerfraktur beiderseits und einer Arthrose im linken unteren Sprunggelenk, weiters an einem Spreizfuß beiderseits, Krallenzehen beiderseits und einem Patella-Spitzensyndrom rechts. Dadurch ist der Kläger beim Stehen und Gehen beeinträchtigt. Möglich sind ihm noch leichte sowie mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnden Körperhaltungen. Rein stehende Tätigkeiten sind ausgeschlossen. Gehende Tätigkeiten sollen das Ausmaß von 50 % der Arbeitszeit nicht überschreiten. Zumindest zu 50 % muss der Kläger sitzend arbeiten; sitzende Tätigkeiten sind nicht limitiert. Auszuschließen sind Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten in Zwangshaltungen und gebückter Stellung sowie Arbeiten auf unebenem Untergrund. Im Bereich der kognitiven Fähigkeiten liegen keinerlei Einschränkungen vor. Insofern ist der Kläger auch auf hohem Niveau uneingeschränkt einsetzbar. Mit Bescheid vom 5. 7. 2005 hat die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Berufsunfähigkeitspension ab 1. 9. 2003 anerkannt und ausgesprochen, dass laut Urteil aufgrund der ausgeübten Tätigkeit die Pension nicht anfalle.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei „dem Kläger die ab 1. 9. 2003 dem Grunde nach zugesprochene Berufsunfähigkeitpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 2005 zu bezahlen. Das Klagemehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Berufsunfähigkeitspension bereits ab 1. 9. 2003 auszuzahlen", wurde abgewiesen. Nach § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG sei für den Anfall einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit zusätzlich die Aufgabe der Tätigkeit erforderlich, aufgrund welcher der Versicherte als berufsunfähig gelte. Dies bedeute die vollständige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit und erfordere eine formale Lösung des Arbeitsverhältnisses. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Tätigkeit in unselbständiger oder selbständiger Form ausgeübt werde. Die vom Kläger seit Ende 2002 ausgeübte Tätigkeit sei zwar nicht kalkülüberschreitend gewesen, sie habe aber auch Tätigkeiten umfasst, die der Berufsgruppe der Verfahrenstechniker in der Papiertechnologie zuzurechnen seien. Der Kläger habe für die Firma A***** eine verfahrenstechnische Frage, wenn auch bloß labormäßig und nicht anlagentechnisch, gelöst. Erst aufgrund der Zurücklegung des Gewerbescheins mit 30. 6. 2005 falle die Pension mit 1. 7. 2005 an. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die beklagte Partei verpflichtete, dem Kläger die ab 1. 9. 2003 dem Grunde nach zugesprochene Berufsunfähigkeitspension ab 1. 9. 2004 auszuzahlen und dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von EUR 1.100,-- monatlich zu erbringen Das Mehrbegehren auf Auszahlung der Berufsunfähigkeitspension bereits ab 1. 9. 2003 wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht sah die Mängelrüge nicht als berechtigt an und stellte seiner rechtlichen Beurteilung voran, dass der vorliegende Fall insofern besonders gelagert sei, als der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension nach dem ASVG habe, obwohl er vor dem Stichtag zuletzt selbständig tätig gewesen sei. Es sei daher zu prüfen, inwieweit die zu § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG ergangene, ausschließlich auf unselbständige Dienstnehmer abgestellte Rechtsprechung auf zuletzt selbständig tätig gewesene Personen übertragbar sei. Entgegen der Ansicht des Klägers liege die von ihm behauptete Gleichheitswidrigkeit zwischen Selbständigen und Unselbständigen nicht vor: Von einem Selbständigen werde keinesfalls verlangt, gleichzeitig mit der Antragstellung auf Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension seine Gewerbeberechtigung zurückzulegen und jegliche Beschäftigung aufzugeben. Vielmehr sei es ebenso gut möglich (wie sich gerade im Fall des Klägers zeige), die Gewerbeberechtigung erst nach rechtskräftiger Entscheidung über den Pensionsanspruch zurückzulegen. In dieser Zeit sei der Kläger nicht nur sozialversichert, sondern auch versorgt. Dass er dann jedoch nicht noch eine zusätzliche Leistung aus der Pensionsversicherung bekommen solle, lasse keine Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Unselbständigen erkennen. Zudem sei der Begriff der Erwerbsunfähigkeit an strengere Voraussetzungen geknüpft als der Begriff der Invalidität in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Begriff der Berufsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Angestellten, weil bei der Erwerbsunfähigkeit die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, vorliegen müsse und sich der Versicherte auf jede wie immer geartete (selbständige oder unselbständige) Tätigkeit auf dem gesamten Arbeitsmarkt verweisen lassen müsse. Zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens bestehe daher kein Anlass. Durch die Bestimmung des § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG solle verhindert werden, dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt werde. Die Norm bezwecke offenbar, Versicherte vom Leistungsbezug auszuschließen, die zwar objektiv nicht mehr in der Lage seien, ihrer versicherten Tätigkeit nachzugehen, aber auf Kosten ihrer Gesundheit oder aus Entgegenkommen ihres Arbeitgebers ihre bisherige Berufstätigkeit fortsetzten. Unter „Aufgabe der Tätigkeit" sei die vollständige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit, aufgrund welcher der Versicherte als vermindert arbeitsfähig gelte, zu verstehen; hiezu sei eine formale Lösung des Arbeitsverhältnisses (also eine Beendigung des Dienstverhältnisses) oder die Ausübung einer anderen Tätigkeit im gleichen Betrieb erforderlich. Das bisherige Beschäftigungsverhältnis dürfe jedenfalls insoweit nicht weiter bestehen, als es eine idente Tätigkeit zum Gegenstand habe.

Im GSVG werde der Anfall der Leistungen differenzierter geregelt. Bei Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG (keine geregelte Erwerbstätigkeit am Arbeitsmarkt mehr möglich) sei die Aufgabe jeder selbständigen pflichtversicherten GSVG-Erwerbstätigkeit erforderlich; bei (milderer) Erwerbsunfähigkeit mit eingeschränkter Verweisung auf andere Erwerbstätigkeiten (§ 133 Abs 2 und 3 GSVG) sei jene pflichtversicherte Erwerbstätigkeit aufzugeben, die für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgebend gewesen sei. Eine solche wäre beim Kläger (aufgrund der von ihm erfüllten Voraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG) bei einer fiktiven Anwendung des GSVG zu erwägen. Das vom Erstgericht herangezogene formale Kriterium der Zurücklegung der Gewerbeberechtigung stelle in den Fällen der Erwerbsunfähigkeit nach §§ 133 Abs 2 und 3 GSVG kein taugliches Instrumentarium dar. Auch in der Rechtsprechung zu § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG sei das formale Erfordernis schon relativiert worden.

Entgegen der Ansicht der beklagten Partei lägen den Bestimmungen des § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG und des § 255 Abs 4 ASVG unterschiedliche Intentionen des Gesetzgebers zugrunde: Bei der Auslegung der Wortfolge „einer Tätigkeit" in § 255 Abs 4 ASVG sei es die ausdrücklich erklärte Absicht des Gesetzgebers, Härtefälle durch die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu vermeiden, was eine nicht so strikte Auslegung der Formel „einer Tätigkeit" verlange. Die Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung des Versicherten könne daher dazu führen, dass die „Einheitlichkeit" einer Tätigkeit auch dann bejaht werde, wenn die vom Versicherten verrichtete Arbeit durch technische Hilfsmittel leichter und damit die körperliche Beanspruchung reduziert werde. Die zwangsläufig oder typischerweise eintretenden Veränderungen der Arbeitsaufgaben dürften nicht zum Verlust der Begünstigung führen. Demgegenüber bezwecke § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG, Versicherte vom Leistungsbezug auszuschließen, die zwar objektiv nicht mehr in der Lage seien, ihrer Versichertentätigkeit nachzugehen, aber auf Kosten ihrer Gesundheit oder aus Entgegenkommen ihres Arbeitgebers ihre bisherige Berufstätigkeit fortsetzten. Zudem führe eine spätere Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht mehr zum Wegfall der Leistungen. Der Begriff der „einen Tätigkeit" nach § 255 Abs 4 ASVG müsse sich daher nicht zwangsläufig mit dem Begriff der „Tätigkeit, aufgrund welcher der Versicherte als berufsunfähig gilt" decken. Selbst wenn der Kläger in den letzten zehn Jahren „eine Tätigkeit" ausgeübt habe, bedeute dies nicht gleichzeitig, dass dies exakt die Tätigkeit sei, aufgrund der er berufsunfähig erkannt worden sei.

Nach der Judikatur werde der Anfall der Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit auch dadurch verhindert, dass der Versicherte die Tätigkeit, aufgrund welcher er als invalid gelte, als geringfügig Beschäftigter weiter ausübe. Es möge zwar sein, dass der Kläger mit seiner Beratungstätigkeit für die Firma A***** sein Leistungskalkül nicht überschritten habe; dennoch habe er damit seine zuvor ausgeübte Tätigkeit als Verfahrenstechniker in der Papiertechnologie nicht vollständig aufgegeben. Als bloße Handelstätigkeit mit Produktberatung könne diese Tätigkeit nicht qualifiziert werden. Eine andere Beurteilung verstieße gegen die Rechtskraftwirkung des Urteils im Vorverfahren 17 Cgs 158/04w des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht. Nach § 89 Abs 2 ASVG sei nämlich mit der Feststellung des Bestehens des Anspruchs (auf eine Pensionsleistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum maßgeblichen Stichtag) dem Grunde nach gleichzeitig auszusprechen, dass die Leistung erst anfalle, wenn der Kläger diese konkret zu bezeichnende Tätigkeit aufgebe. Erst mit dem ab September 2004 ausschließlich betriebenen Handel mit Chemikalien und Produktberatung liege eine Aufgabe der Tätigkeit, deretwegen der Kläger als berufsunfähig gelte, vor. Die Pension falle daher erst mit 1. September 2004 an.

Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig, da zur Frage, ob der Anfall einer Berufsunfähigkeitspension durch eine gleichartige selbständige Tätigkeit verhindert werde, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im gänzlich klagsstattgebenden Sinn abzuändern.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, dass ein Selbständiger (im Gegensatz zu einem Unselbständigen, der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen oder eine andere Erwerbstätigkeit im gleichen Betrieb ausüben könne) gezwungen sei, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Pensionsantrag ein Einkommen zu erzielen, um seinen Verpflichtungen gegenüber der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft nachkommen zu können und seine eigene Existenz abzusichern. Da ein Selbständiger zumeist keine Möglichkeit habe, eine andere Tätigkeit auszuüben als diejenige, in welcher er Qualifikationen erworben habe, müsse er, wenn auch eingeschränkt, zumindest in gewisser Weise sein bisheriges Tätigkeitsfeld beibehalten. Hätte der Kläger ab dem Zeitpunkt, zu dem er objektiv zur Ausübung seiner Tätigkeit nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Arbeiten eingestellt und die Gewerbeberechtigung zurückgelegt, hätte er zumindest bis zur Entscheidung des Landesgerichtes Wels vom 20. 4. 2005, 17 Cgs 158/04w, kein Einkommen erzielt und wäre unversichert gewesen. Ein solches Vorgehen wäre für den Kläger unzumutbar gewesen, § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG sei daher verfassungswidrig.

Die grundsätzliche Problematik des vorliegenden Falles liegt unter anderem in den - für den Kläger nach seinem Vorbringen ungünstigen - Konsequenzen des Prinzips der Leistungszuständigkeit (siehe dazu etwa Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 285):

Wechselt ein Versicherter im Laufe seines Berufslebens von einem Versicherungszweig in einen anderen, wird ein einheitlicher Versicherungsverlauf angenommen und ein einziger Versicherungsträger bestimmt, der die volle Pension zu ermitteln und auszuzahlen hat. Die Zuordnung erfolgt zu jenem Versicherungszweig, bei dem der Versicherte in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag die größere Zahl von Versicherungsmonaten erworben hat. Die Ansprüche des Versicherten sind dann nach dem für den leistungszuständigen Versicherungsträger geltenden Recht zu beurteilen, im konkreten Fall nach dem im Prinzip auf unselbständige Erwerbstätigkeiten zugeschnittenen ASVG. Ganz allgemein betrachtet widerspricht es allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht dem Gleichheitssatz, wenn der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgeht (zB VfSlg 3595, 5318, 8457, 11615 uva) und dabei auch eine pauschalierende Regelung trifft, insbesondere wenn dies der Verwaltungsökonomie dient (VfSlg 9258, 10089). Ein Gesetz wird also nicht schon deshalb gleichheitswidrig, weil bei seiner Anwendung Härtefälle entstehen (zB VfSlg 9908, 10276, 15819).

Vor der 51. ASVG-Novelle (BGBl 1993/335) war Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 (§ 271 Abs 1) ASVG für die Gewährung der Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension, dass der Versicherte grundsätzlich weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig ist (10 ObS 340/92 = SSV-NF 7/9 uva). Somit konnte bei Erwerbstätigkeit ein Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit weder entstehen noch anfallen. Durch die 51. ASVG-Novelle wurden die Bestimmungen über die Invaliditäts- und die Berufsunfähigkeitspension unter anderem dahingehend abgeändert, dass die Anspruchsvoraussetzung des Fehlens einer Pflichtversicherung am Stichtag beseitigt wurde. Gleichfalls aufgehoben wurden §§ 255a und 273a ASVG, wonach bei Bestehen einer Pflichtversicherung, die einer Zuerkennung einer Pension entgegengestanden wäre, ein Antrag auf Feststellung der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit gestellt werden konnte. Durch die Reform sollte der Gedanke der Ersatzfunktion der Pension für das weggefallene Erwerbseinkommen stärker zum Ausdruck gebracht werden. Zur Vermeidung von Missbräuchen, nämlich zur Verhinderung der Möglichkeit, neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die bisherige Tätigkeit weiter auszuüben (RV 72 BlgNR 20. GP 247;

Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG 94. ErgLfg 520/6), wurde mit dem

Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl 1996/201) die Regelung des § 86

Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG eingeführt, dass für den Anfall einer Pension

aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit

zusätzlich die Aufgabe der Tätigkeit, aufgrund welcher der

Versicherte als invalid bzw berufsunfähig gilt, erforderlich ist. In

den Gesetzesmaterialien heißt es dazu, dass verhindert werden soll,

dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der

geminderten Arbeitsfähigkeit „die bisherige Tätigkeit weiterhin

ausgeübt wird" (RV 72 und Zu 72 BlgNR 20. GP 254 f). Ganz

offensichtlich verfolgt die Neuregelung also den Zweck, Versicherte

vom Leistungsbezug auszuschließen, die zwar objektiv nicht mehr in

der Lage sind, ihrer versicherten Tätigkeit nachzugehen, aber auf

Kosten ihrer Gesundheit oder aus Entgegenkommen ihres Arbeitgebers

ihre bisherige Berufstätigkeit fortsetzen (10 ObS 30/02p = SZ 2002/84

= SSV-NF 16/68; RIS-Justiz RS0116850). Vergleichbare Regelungen

wurden auch in das BSVG (§ 51 Abs 2 Z 2: Aufgabe der nach dem BSVG versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit) und das GSVG aufgenommen. Nach § 55 Abs 2 Z 2 lit b GSVG ist bei der Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 Abs 2 und 3 GSVG die Aufgabe der die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit, „die für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgeblich war", erforderlich. Choholka/Juch/Rudda/Souhrada/Sulzbacher (Strukturanpassungsgesetz 1996 - Änderungen im Sozialversicherungsrecht, SozSi 1996, 471 [478]) bringen zum „milderen" Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach § 133 Abs 2 GSVG das Beispiel, dass bei einem Gewerbetreibenden, der gleichzeitig ein Gastgewerbe und eine Trafik betreibe, die Erwerbsunfähigkeitspension dann anfalle, wenn er die Gastgewerbeberechtigung, wegen der er erwerbsunfähig sei, zurücklege; der Weiterbetrieb der Trafik hindere nicht den Anfall der Erwerbsunfähigkeitspension.

Der Leistungsanfall beim Kläger ist allerdings nicht nach dem GSVG, sondern nach § 86 Abs 3 Z 2 ASVG zu beurteilen. Demnach „... ist zusätzlich die Aufgabe der Tätigkeit, auf Grund welcher der (die) Versicherte als invalid (berufsunfähig, dienstunfähig) gilt, erforderlich". Dazu wurde von Choholka ua, SozSi 1996, 478, die Ansicht vertreten, dass zB bei einem Angestellten, der als Computertechniker berufsunfähig sei, die Berufsunfähigkeitspension erst ab dem Zeitpunkt anfalle, ab dem er seine Arbeitstätigkeit als Computertechniker vollständig aufgegeben habe; die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit (zB als Buchhalter) hindere nicht den Anfall der Berufsunfähigkeitspension.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 30/02p (SZ 2002/84 = SSV-NF 16/68; Forstfacharbeiter) ausgesprochen, dass die Invaliditätspension „mit Aufgabe der Tätigkeit als Forstfacharbeiter" anfalle; der Anfall sei aber zu verneinen, solange dies wegen des aufrechten Dienstverhältnisses des Klägers, dessen Gegenstand seine bisherige Tätigkeit sei, aufgrund der er als invalid gelte, nicht der Fall sei (ebenso 10 ObS 309/01s = DRdA 2003/15, 164 [Weißensteiner]). In der Entscheidung 10 ObS 152/02d (SZ 2002/105 = SSV-NF 16/90) wurde für den Anfall der Invaliditätspension eine formale Lösung eines Arbeitsverhältnisses oder die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit, wenn auch im gleichen Betrieb gefordert (Änderungskündigung; ebenso 10 ObS 314/02b = SSV-NF 16/121). Dieser Standpunkt wurde in der Entscheidung 10 ObS 317/02v (SSV-NF 16/122 = ZAS 2003/37, 226 [Nocker]) präzisiert, als das Beschäftigungsverhältnis, um „anfallunschädlich" zu sein, nur insoweit nicht weiterbestehen darf, als es eine idente Tätigkeit wie diejenige zum Gegenstand hat, aufgrund derer der Versicherte als invalid gilt. Auch eine geringfügige Beschäftigung mit identem Inhalt wie die aufzugebende verhindert den Anfall (10 ObS 173/03v = SSV-NF 18/89).

Aus dieser Judikatur ergibt sich, dass für den Anfall der Leistung letztlich die vollständige Aufgabe einer bestimmten Tätigkeit entscheidend ist; das Anknüpfen an das aufrechte Dienstverhältnis hat - wie die Bezugnahme auf Änderungskündigungen zeigt - die Bedeutung, dass bei unverändertem Aufrechtbleiben des Dienstvertrages keine Gewähr besteht, dass die bisherige Tätigkeit nicht weiterhin verrichtet wird bzw sogar verrichtet werden muss. Die Lösung eines Arbeitsverhältnisses wird von der Judikatur nur dann nicht gefordert, wenn sich das Tätigkeitsfeld so ändert, dass keine kalkülsüberschreitenden Tätigkeiten mehr zu verrichten sind. Einen solchen von der Judikatur geforderten Schritt, mit dem die Fortsetzung der bisherigen Berufstätigkeit ausgeschlossen wird, hat der Kläger allerdings nicht gesetzt. Er hat zwar seine Tätigkeit anders gestaltet, um kalkülsberschreitende Belastungen zu vermeiden, jedoch weiterhin die frühere Berufstätigkeit als „Verfahrenstechniker in der Papiertechnologie", wie es im Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. 4. 2005 heißt, ausgeübt. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte die Berufsunfähigkeitspension daher erst mit 1. 9. 2004 anfallen, nachdem der Kläger diese zuletzt bei der Firma A***** ausgeübte Berufstätigkeit aufgegeben hatte; der Umstand, dass bereits ab 1. 9. 2003 keine kalkülsüberschreitenden Arbeiten mehr ausgeführt wurden, reicht nicht aus, wie auch der aus den Gesetzesmaterialien hervorgehende Zweck zeigt: Demnach „soll verhindert werden, dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt wird." (RV 72 und Zu 72 BlgNR 20. GP 254 f). Selbst der vom Kläger erbrachte Beweis, dass er ab Anfang 2003 keine kalkülsüberschreitenden Arbeiten mehr verrichtet hat, kann die vom Gesetzgeber für den Anfall der Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit geforderte Aufgabe der früheren, zumindest in abstracto zur weiteren Schädigung geeigneten Erwerbstätigkeit nicht ersetzen.

Der weiteren Argumentation des Klägers ist entgegenzuhalten, dass er nicht eine Alterspension, sondern eben eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit begehrt; es ist keineswegs unsachlich, dass der Gesetzgeber daran strengere Anspruchs- und Anfallsvoraussetzungen als an eine Alterspension knüpft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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