OGH 2Ob33/06a

OGH2Ob33/06a2.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erwin *****, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in Fieberbrunn, gegen die beklagten Parteien 1. Sadet B*****, 2. U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Josef-Michael Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 11.320 sA und Feststellung (Streitwert EUR 3.000), über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse EUR 9.820 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2005, GZ 2 R 178/05a-23, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 21. April 2005, GZ 12 Cg 50/04i-15, in der Hauptsache bestätigt und im Kostenpunkt abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 732,23 (darin enthalten EUR 122,04 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger wurde am 24. 12. 2003 auf der Zufahrtsstraße zum Haus M***** in T***** durch den von der Erstbeklagten gelenkten und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW schwer verletzt. Am Unfallstag bat Gordana K***** den Kläger um Starthilfe für ihr Fahrzeug. Der Kläger schleppte dieses Fahrzeug mit seinem eigenen PKW ab, wobei mangels eines Abschlepphakens das Seil vorne an der Achse des abgeschleppten Fahrzeuges befestigt war. Nachdem der Motor des abgeschleppten Fahrzeuges angesprungen war, brachte der Kläger sein Fahrzeug am linken Fahrbahnrand auf der Zufahrtsstraße zum Stillstand, um das Abschleppseil zu entfernen. Der Abstand der Fahrzeuge zum rechten Fahrbahnrand war so schmal, dass ein anderes Fahrzeug nur äußerst langsam und vorsichtig kollisionsfrei vorbeifahren konnte.

Als der Kläger aus seinem Wagen ausstieg, kam ihm das Beklagtenfahrzeug entgegen, das vor dem PKW des Klägers stehen blieb. Der Kläger hob seine rechte Hand, deutete der Erstbeklagten das „Stoppzeichen" und weiters, dass er das Abschleppseil aushängen wolle. Die Erstbeklagte verstand das Handzeichen des Klägers, wonach sie stehen bleiben solle und nach Entfernung des Seiles weiterfahren könne.

Der Kläger löste zuerst das Abschleppseil an seinem Fahrzeug. Um das Seil beim abgeschleppten Fahrzeug zu lösen, musste der Kläger zum Teil unter das Fahrzeug kriechen, wobei er auf dem Rücken lag und sein linkes Bein ausgestreckt in die freie Fahrbahnhälfte ragte. Gordana K***** stand währenddessen ca 1 bis 1,5 m entfernt mit dem Rücken zu ihm zwischen den beiden Fahrzeugen. Ohne Wissen und Willen des Klägers winkte sie der Erstbeklagten, diese könne am Fahrzeug des Klägers vorbeifahren. Daraufhin fuhr die Erstbeklagte mit Schrittgeschwindigkeit am Fahrzeug des Klägers und an Gordana K***** vorbei. Beide achteten nicht auf den Kläger. Das rechte Vorderrad des Beklagtenfahrzeuges überrollte den linken Fuß des Klägers, was eine offene Wadenbeinfraktur zur Folge hatte.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob dem Kläger als Halter eines Schleppzuges das Verschulden Gordana K*****s zuzurechnen ist. Das von den Beklagten angerufene Berufungsgericht verneinte aufgrund der nicht mehr bestehenden Seilverbindung die Eigenschaft des Klägers als Halter des Schleppzuges. Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision änderte es auf Antrag der Beklagten dahin ab, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Zur Begründung führte es aus, dass eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt nicht vorliege.

Die Beklagten bekämpfen in ihrer Revision das Urteil des Berufungsgerichtes mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren von EUR 9.820 sA abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm vom Berufungsgericht freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042392) Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Der Begriff „Betrieb" iSd § 1 EKHG ist dahin zu verstehen, dass entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeugbetrieb eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges bestehen muss (RIS-Justiz RS0022592). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls entschieden werden und geht daher über die Bedeutung des Einzelfalls nicht hinaus (2 Ob 67/04y; RIS-Justiz RS 0111365).

In der Judikatur wurde mehrfach ausgesprochen, dass die Haftung für einen bei einem Abschleppmanöver entstandenen Unfall nicht den Halter des betriebsunfähig gewordenen abgeschleppten Kraftfahrzeuges trifft, sondern jenen des schleppenden Kraftfahrzeuges (RIS-Justiz RS0058334 [T1]; ZVR 1982/278; ZVR 1971/84; ZVR 1960/88). Ein aus einem schleppenden und einem abgeschleppten Kfz bestehender Schleppzug wurde während bestehender Seilverbindung als Einheit gesehen, und zwar auch dann, wenn der Motor des geschleppten Fahrzeuges in Gang gebracht wurde (ZVR 1975/160; weitere Nachweise bei Danzl, EKHG7 § 1 E 65). In der älteren Judikatur wurde zur Frage einer unfallkausalen Betriebsgefahr des abgeschleppten Fahrzeuges teilweise dahin differenziert, ob das abgeschleppte Fahrzeug mit Motorkraft den Abschleppvorgang unterstützt (SZ 51/176). Nur bei Einsatz der eigenen Motorkraft des abgeschleppten Fahrzeuges oder beim Abschleppen zur Starthilfe (ZVR 1965/288) wurde das abgeschleppte Fahrzeug als im Betrieb iSd § 1 EKHG gewertet. Dieser rein maschinentechnische Standpunkt lässt sich mit der (teils) neueren Judikatur zu der Betriebsgefahr durch Kraftfahrzeuge, die sich nicht in Bewegung befinden und deren Motor abgestellt ist (zB Ladetätigkeit: 2 Ob 67/04y; ZVR 2000/42; ZVR 1984/326; Apathy, EKHG § 1 Rz 29 f; Tankvorgang: ZVR 1971/198) oder die sich ohne Motorkraft in Bewegung setzen (SZ 23/104) nicht in Einklang bringen.

Der Revision ist einzuräumen, dass für die Beurteilung, ob der Unfall beim Betrieb des abschleppenden Fahrzeuges zustande gekommen ist, die aufrechte Verbindung zwischen den Fahrzeugen nicht jedenfalls ausschlaggebend ist. Wurde die Verbindung (durch Abschleppstange oder -seil) vor der Schadensverursachung durch das abgeschleppte Fahrzeug (zB wegen Weiterrollens oder Zurückrutschens) unterbrochen, liegt der Fall nicht anders, als wenn sich ein Anhänger auf solche Weise „selbstständig" gemacht hätte (1 Ob 42/04i = ZVR 2005/86). Diese auch in der Revision zitierte Entscheidung stützt aber den Standpunkt der Beklagten deshalb nicht, weil sie eine „eigene" Betriebsgefahr des nach Bruch der Verbindung auf das Schleppfahrzeug aufgefahrenen, abgeschleppten Fahrzeuges bejahte (Apathy aaO Rz 39; Schauer in Schwimann³ VII § 1 EKHG Rz 39, 40; Geigel, Der Haftpflichtprozess 24, Kap 25 Rz 62).

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 2 Ob 14/97s = ZVR 1998/62 den Lenker eines selbständig gelenkten, mit einem Seil abgeschleppten Fahrzeuges mangels Einheit mit dem schleppenden Fahrzeug als nicht in der für das schleppende Fahrzeug bestehenden Haftpflichtversicherung mitversicherte Person (§ 1 Abs 2 AKHB 1988) qualifiziert, weil er bei der Verwendung des abgeschleppten Fahrzeuges tätig war. Der Begriff „Verwendung eines Fahrzeuges" ist zwar nicht enger auszulegen als der Begriff „Betrieb" iSd § 1 EKHG (RIS-Justiz RS0088978), maßgeblich ist aber auch dabei die von einem Kraftfahrzeug ausgehende typische Gefahr als Schadensursache (RIS-Justiz RS0088978 [T10]).

Der Kläger müsste sich an sich ein Verschulden seiner Betriebsgehilfen anrechnen lassen (RIS-Justiz RS0058406; vgl Fucik/Hartl/Schlosser, Handbuch des Verkehrsunfalles VI 95, Rz II/98)

Der Abschleppvorgang war hier aber faktisch abgeschlossen, sein Zweck, nämlich die Starthilfe war erreicht. Eine unmittelbar auf die Triebkraft des schleppenden Fahrzeuges zurückzuführende Betriebsgefahr (1 Ob 42/04i) konnte sich aufgrund der bereits gelösten Seilverbindung nicht mehr verwirklichen. Vielmehr hat die Lenkerin des abgeschleppten Fahrzeuges nach Beendigung des eigentlichen Abschleppmanövers das letztlich unfallkausale „Vorbeiwinken" des Beklagtenfahrzeuges „ohne Wissen und Willen" des Klägers vorgenommen.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, ihre Stellung als Betriebsgehilfin des Klägers sei zu verneinen, begründet unter diesen Umständen keine auffallende, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmende Fehlbeurteilung. Das Fehlen einer Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt kann das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 ZPO nicht begründen, weil andernfalls die ordentliche Revision im Zulassungsbereich nahezu immer zulässig wäre (RIS-Justiz RS0102181, RS0110702).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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