OGH 8ObA42/05t

OGH8ObA42/05t8.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Georg Eberl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Martin L*****, vertreten durch Dr. Charlotte Lindenberger, Rechtsanwältin in Steyr, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Thomas Watzenböck, Dr. Christa Watzenböck, Rechtsanwälte in Kremsmünster, wegen EUR 942,89 brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. April 2005, GZ 11 Ra 16/05k-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26. Mai 2004, GZ 27 Cga 3/04w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 266,69 (darin enthalten EUR 44,45 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der vorweg bereits vom 26. 8. 2003 bis 26. 9. 2003 bei dem beklagten Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen beschäftigte Kläger beendete sein erstes Dienstverhältnis einvernehmlich, weil ihm die Fahrt von seinem Wohnort zum Arbeitsort zu lange war. Etwa zwei bis drei Wochen nach dieser Beendigung bot ihm jedoch die Beklagte neuerlich ein Dienstverhältnis an und die Parteien vereinbarten mit 14. 10. 2003 das neue Arbeitsverhältnis, das jedoch mit Schreiben der Beklagten vom 20. 10. 2003 unter Hinweis auf eine Auflösung in der Probezeit mit 17. 10. 2003 beendet wurde. Während seines ersten Dienstverhältnisses arbeitete der Kläger als Metallschleifer in seinem erlernten Beruf als Gas-, Wasser- und Zentralheizungsinstallateur in seinem zweiten Dienstverhältnis als Hilfsarbeiter beim Zuschneiden von Kunststofffensterahmen, was nicht seiner beruflichen Qualifikation entsprach. Auf das Arbeitsverhältnis zur Beklagten kommt der Kollektivvertrag für Arbeitskräfteüberlasser zur Anwendung.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage zuletzt EUR 942,89 brutto, und zwar im Wesentlichen an Urlaubsersatzleistung sowie Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 23. 10. 2003 bis 7. 11. 2003. Er stützt dies zusammengefasst darauf, dass die Beklagte nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag keine Probezeit in Anspruch nehmen könne, da beide Dienstverhältnisse zusammenzurechnen seien.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass sie berechtigt während des Probemonates das Dienstverhältnis mit sofortiger Wirkung gelöst habe. Eine Zusammenrechnung der beiden Dienstverhältnisse habe im Hinblick auf die einvernehmliche Auflösung des ersten Dienstverhältnisses und mangels vorliegender entsprechender Vereinbarungen nicht stattzufinden. Der Kläger habe in den beiden Dienstverhältnissen auch eine unterschiedliche Tätigkeit verrichtet. Die Auflösung sei wegen der mangelnden Krankenstandsmeldung des Klägers erfolgt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei rechtlich zusammengefasst davon aus, dass nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag der Arbeitskräfteüberlasser das erste Monat eines Dienstverhältnisses ein Probemonat sei, während dessen eine Auflösung des Dienstverhältnisses jederzeit erfolgen könne. Es sei grundsätzlich zulässig bei einem neuen Dienstverhältnis eine weitere Probezeit zu vereinbaren, wenn diese sachlich gerechtfertigt sei. Hier komme hinzu, dass das erste Dienstverhältnis über Initiative des Klägers beendet wurde. Der Kläger sei in den verschiedenen Dienstverhältnissen auch an unterschiedlichen Einsatzorten und bei unterschiedlichen Firmen eingesetzt gewesen. Die im Kollektivvertrag vorgesehene Zusammenrechnungsregel für Arbeitsverhältnisse, für Ansprüche der Arbeitnehmer bei Arbeitsverhältnissen, die nicht länger als 60 Tage unterbrochen wurden, sei hier nicht anzuwenden.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es stützte sich im Wesentlichen darauf, dass nach dem Text des Kollektivvertrages klar und eindeutig von der Zusammenrechnungsregel nur dienstzeitabhängige Ansprüche des Arbeitnehmers erfasst seien, aber nicht Ersatzansprüche auf Grund einer behaupteten unzulässigen Auflösung des Dienstverhältnisses während eines Probemonates. Der Kollektivvertrag sehe als Schutz gegen die Überwälzung des Beschäftigungsrisikos auf die Arbeitnehmer auch nicht nur eine Verlängerung der Kündigungsfristen vor, sondern auch, dass das Ende einer Überlassung nicht der Grund für eine Kündigung sein dürfe. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Auflösung seien nicht zu erkennen.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht im Hinblick auf die klare und eindeutige Regelung des Kollektivvertrages als nicht zulässig.

Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision ist entgegen den den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig. Kommt der Auslegung von Kollektivvertragsbestimmungen doch regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Bedeutung zu (vgl RIS-Justiz RS0109942). Es wäre nur dann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO anzunehmen, wenn die Auslegung völlig klar und eindeutig wäre (vgl OGH 25. 6. 2003, 9 ObA 74/03b). Davon kann aber hier auch im Hinblick auf die von der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes abweichende, ausführlich begründete Literaturmeinung nicht ausgegangen werden (vgl Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-Kollektivvertrag, 73).

Die Revision ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Kollektivvertrages lauten wie folgt:

„IV: Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses

1.) Der erste Monat gilt als Probemonat. Während des Probemonates kann das Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Kündigungsfrist gelöst werden.

2.) ...

3.) Nach Ablauf der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen und unter Einhaltung nachstehender Kündigungsfristen zum Ende der Arbeitswoche gelöst werden. Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis aber nicht wegen des Endes einer Überlassung und frühestens am 5. Arbeitstag nach deren Ende kündigen; entgegenstehende Kündigungen sind rechtsunwirksam. ..

V.) Betriebszugehörigkeit

1.) Für alle Ansprüche des Arbeitnehmers, die von der ununterbrochenen Dauer eines Arbeitsverhältnisses abhängen, sind Dienstzeiten, die nicht länger als 60 Tage unterbrochen wurden, zusammenzurechnen.

2.) Der Anspruch auf Zusammenrechnung entfällt, wenn das vorhergehende Arbeitsverhältnis durch Arbeitnehmerkündigung, verschuldete Entlassung oder durch Austritt ohne wichtigen Grund beendet wurde.

3.) Karenzen ..."

Schindler (aaO, 73 vertritt nun unter Hinweis auf den Wortlaut des Art IV Z 1 des KV - „der erste Monat" - und Bezugnahme auf § 11 Abs 2 Z 4 AÜG die Rechtsansicht, dass nur das erste Monat der „erstmaligen" Beschäftigung bei einem bestimmten Überlasser gemeint sei. Bei einer neuerlichen Beschäftigung - unabhängig von der Dauer der Unterbrechung - könne nicht neuerlich ein Probemonat vereinbart werden. Jedenfalls sei aber dann, wenn nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein neues Arbeitsverhältnis begründet werde, ein neuerliches Probemonat nur auf Grund einer Vereinbarung möglich und sei auch die Zusammenzurechnungsregel des Abschnittes V des Kollektivvertrages - Zusammenrechnung bei einer Unterbrechung von bloß 60 Tagen - zu beachten.

§ 11 Abs 2 Z 4 AÜG sieht zwar nun vor, dass es unzulässig ist, ein Arbeitsverhältnis ohne sachliche Rechtfertigung zu befristen. Dies bezieht sich aber nicht auf die Probezeit und auch nicht auf den Kollektivvertrag, sondern - wie sich schon aus der Überschrift des § 11 ergibt - auf „vertragliche" Vereinbarungen.

Wesentlich ist also die Auslegung des vorliegenden Kollektivvertrages. Diese ist entsprechend den §§ 6 und 7 ABGB wie bei einem Gesetz nach dem objektiven Inhalt, wie ihn der Leser des Textes entnehmen kann, vorzunehmen (vgl RIS-Justiz RS0008807 sowie RIS-Justiz RS0010088 jeweils mwN, zuletzt etwa OGH 8 ObA 30/04a). Grundsätzlich ist dabei den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten und bei mehreren in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener den Vorzug zu geben, der diesen Anforderungen am meisten entspricht (vgl RIS-Justiz RS0008828 mwN, ähnlich RIS-Justiz RS0008897 mwN, zuletzt etwa 8 ObA 124/04z). Das Ergebnis der Verhandlungen der Kollektivvertragsparteien stellt auch regelmäßig einen Kompromiss beim Ausgleich der gegenläufigen Interessen dar (vgl zuletzt OGH 17. 3. 2005, 8 ObA 126/04v). So wie in der Gesetzgebung ist es auch hier dann, wenn einer Seite die getroffene Regelung nicht als befriedigend erscheint, nicht Sache der Rechtsprechung dies zu ändern, sondern Aufgabe der Kollektivvertragsparteien (vgl RIS-Jusitz RS008880 mwN, zuletzt OGH 8 ObS 13/03z).

Eine Einschränkung des Probemonates auf ein „erstes" Arbeitsverhältnis findet sich jedoch im Kollektivvertrag in der Bestimmung des Art IV Z 1 nicht. Vielmehr ergibt sich schon aus den folgenden Ziffern dieses Kollektivvertrages - wie etwa der Verpflichtung zur Ausfolgung eines Dienstzettels, dass dies wohl bei jedem neuen Arbeitsverhältnis zum Tragen kommt. Die folgende Z 3 zeigt auch, dass sich die Kollektivvertragsparteien offensichtlich des Problems der Beendigung von Arbeitsverhältnissen bewusst waren und hier eben nur für die Frage der Kündigung eine Regelung getroffen haben.

Was nun die Bestimmung des Art V Z 1 der KV anlangt, so stellt diese auf die „Ansprüche des Arbeitnehmers" ab. Die Frage, ob aber nun ein Probemonat bei einem weiteren Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommt, ist keine Frage bloß eines „Anspruches" des Arbeitnehmers, sondern berechtigt ja sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zur Auflösung. Wörtlich genommen könnte die Rechtsansicht, dass Art V Z 1 KV über die Zusammenrechnung der Dienstzeiten für „Ansprüche" des Arbeitnehmers auch für die Anwendbarkeit der Regelungen über den Probemonat heranzuziehen sei, bedeuten, dass dem Arbeitnehmer dann nicht der im KV durch den Probemonat festgelegte Anspruch zustünde, das Arbeitsverhältnis während der Probezeit aufzulösen. Genau dies ist aber offensichtlich mit dieser Bestimmung nicht beabsichtigt. Dies zeigt sich doch aus der folgenden Z 2 des Art V des KV, wonach die Zusammenrechnung dann zu entfallen hat, wenn eine vom Arbeitnehmer „verschuldete" Auflösung vorliegt - etwa eine verschuldete Entlassung.

Insgesamt ist also davon auszugehen, dass sich die Bestimmung des Art V Z 1 des KV (Zusammenrechnungsregel) auf dienstzeitabhängige „Ansprüche des Arbeitnehmers", nicht aber auf die Frage, für welche Arbeitsverhältnisse der KV ein Probemonat festlegt (vgl Art IV Z 1 des KV), bezieht.

Inwieweit eine Vorgehensweise, bei der der Arbeitgeber systematisch Arbeitsverhältnisse in der Probezeit auflöst, um sie dann erneut zu begründen, gegen § 879 ABGB verstößt, bedarf hier keiner Erörterung, weil der Kläger das erste Arbeitsverhältnis ja von sich aus gelöst hat und im Übrigen auch in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt wurde.

Im Ergebnis war daher der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 50 und 41 ZPO.

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