OGH 2Ob292/04m

OGH2Ob292/04m20.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kordula L*****, vertreten durch Dr. Johannes Hochleitner, Rechtsanwalt in Eferding, gegen die beklagten Parteien 1. Johann A*****, und 2. A*****, vertreten durch Dr. Manfred Lirk und DDr. Karl Robert Hiebl, Rechtsanwälte in Braunau, wegen (ausgedehnt) EUR 122.896,68 sA (Revisionsinteresse EUR 58.100 sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 28. September 2004, GZ 12 R 15/04v-41, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 16. April 2004, GZ 30 Cg 77/03m-33, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 zweiter Satz ZPO abgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Es entspricht der ständigen, auch von der Lehre gebilligten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass zwar die Bemessung eines Schadenersatzanspruches - wie etwa des Schmerzengeldes - nach § 273 ZPO einen Akt der rechtlichen Beurteilung darstellt und daher auch im Revisionsverfahren mit Rechtsrüge bekämpft werden kann (Rechberger in Fasching/Konecny² Rz 13 zu § 273; Danzl/Gutièrrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8 226 - jeweils mwN), die Höhe des angemessenen Schmerzengeldes jedoch eine Frage des Einzelfalles ist, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu begründen vermag (RIS-Justiz RS0042887). Lediglich im Falle einer eklatanten Fehlbemessung des Schmerzengeldes, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fiele (RIS-Justiz RS0031075; zuletzt 2 Ob 180/04s = ZVR 2004/113), wäre zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung durch die Rechtsprechung (6 Ob 317/02i) und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Revision dennoch ausnahmsweise zulässig (ausführlich Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, aaO 226 f).

Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen hat die Nachricht vom tödlichen Arbeitsunfall ihres 31-jährigen Mannes am 1. 3. 2001 bei der am 5. 3. 1970 geborenen Klägerin und Mutter zweier 1994 und 1996 geborener Kinder eine krankheitswertige psychische Störung ausgelöst, die diagnostisch als Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion klassifiziert wird. Diese Störung wird durch einen anhaltenden depressiven Zustand als Reaktion auf eine Belastungssituation beschrieben, der nicht länger als zwei Jahre dauert. Bei der Klägerin lag eine zumindest mittelgradig ausgeprägte depressive Störung für die Dauer eines Jahres vor. Das Ausmaß dieser psychischen Störung ging über eine normale Trauerreaktion hinaus und hatte Krankheitswert. Sie erhielt etwa ein Monat lang unregelmäßig Beruhigungsmittel verabreicht und ab April 2001 ein Antidepressivum, welches in der Folge geringer dosiert und im November 2001 auf ihren Wunsch überhaupt abgesetzt wurde. Daraufhin kam es zwar bis März 2001 zunächst zu einer Verschlechterung der affektiven Symptomatik mit zunehmender Antriebshemmung, Selbstinsuffizienzgefühlen, Todeswünschen und konkreten Suizidgedanken; mit Beginn einer Psychotherapie im März 2002 kam es jedoch zur affektiven Besserung; Todeswünsche und Suizidgedanken verschwanden, der bis Therapiebeginn eingetretene Gewichtsverlust von insgesamt 23 kg kam zum Stillstand und es kam in der Folge wieder zur Gewichtszunahme. Während andauernder Psychotherapie konnte die Klägerin ab Sommer 2002 ein Leben führen, das trotz gelegentlicher affektiver Schwankungen keine Anzeichen mehr für eine klinisch relevante depressive Störung zeigte. Im März 2003 trat zwar erneut ein Stimmungstief auf und kam es nach dessen Besserung im Sommer/Herbst 2003 nochmals zu einer kurzen Stimmungsverschlechterung, deren Ursache jedoch in (sonstigen) Unglücksfällen in der Familie der Klägerin lag (Krebserkrankung einer Nichte und unklarer plötzlicher Tod des Gatten einer Cousine). Seit Sommer 2003 hat die Klägerin wieder eine intime Beziehung zu einem Mann. Anlässlich der Befundaufnahme des psychiatrischen Sachverständigen am 18. 11. 2003 waren der psychopathologische Befund und neurologische Status unauffällig. Gerafft lagen bei der Klägerin insgesamt 10 Wochen starke, 8 Monate mittelgradige und 4 Monate leichtgradige seelische Schmerzen vor. Die Klägerin meidet noch immer bestimmte Räume ihres Hauses, etwa den Dachboden, wo sie zuletzt mit ihrem Mann viel gearbeitet hatte. Den Unfallort hat die Klägerin nie aufgesucht; im Straßenverkehr empfindet sie neben einem LKW (weil ihr Mann beim Entladen eines solchen durch einen umstürzenden Sattelzug erdrückt worden war) nach wie vor ein Beklemmungsgefühl und verspürt Angst vor dem Rückfahrsignal solcher Fahrzeuge.

Die Klägerin begehrte (nach Ausdehnung) zuletzt ein Schmerzengeld - alle übrigen Schadenspositionen bilden im Revisionsverfahren keinen Streitpunkt mehr - in Höhe von EUR 83.100, welchen Betrag sie auch in ihrer außerordentlichen Revision aufrecht erhält. Demgemäß hielten die Vorinstanzen ein solches in Höhe von EUR 25.000 gemäß § 1325 ABGB für angemessen.

Die dagegen ins Treffen geführten Argumente - Fehlen vergleichbarer Rechtsprechung, Nichtbeachtung der von der Judikatur "ausgearbeiteten Schmerzengeldsätze", völlige und schlagartige Zunichtemachung der gesamten gemeinsamen Lebensplanung mit ihrem Ehegatten und damit nicht ausreichende Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalles als junge Frau und Mutter, die durch ihre enorme Gewichtsabnahme auch körperliche Schäden erlitten habe - vermögen keine gravierende Fehlbemessung dieses Schmerzengeldbetrages aufzuzeigen. Der Oberste Gerichtshof hatte sich, wie schon das Berufungsgericht zutreffend hinwies, bereits in mehreren Entscheidungen auch mit Fragen der Höhe von Schmerzengeldern für Schockschäden (mit Krankheitswert) bzw Trauerschmerzengelder (ohne Krankheitswert) Angehöriger nach Mitteilung einer Todesnachricht zu befassen (2 Ob 136/00i = ZVR 2001/72: Zuspruch S 100.000 = EUR 7.267,28 an die Mutter eines unfallgetöteten Lenkers mit chronifizierter, voraussichtlich zeitlebens andauernder schwerer Depression samt Somatisierungszeichen und intensiver psychischer Behandlungsnotwendigkeit; 2 Ob 186/03x = ZVR 2004/6 = JBl 2004, 448: Zuspruch EUR 65.000 an einen Mann, der durch einen Verkehrsunfall seine gesamte nächste Familie, nämlich Frau und drei Kinder, verlor und hiedurch in eine schwere andauernde psychische Beeinträchtigung bis zur Berufsunfähigkeit und Suizidgedanken verfiel; 2 Ob 141/04f = ZVR 2004/86: Angemessenheit eines Betrages von EUR 13.000 bei 40-jährigem Mann, den mit seiner ebenfalls bei einem Unfall getöteten Mutter ein besonders enges und intensives familiäres Verhältnis verbunden hatte, ohne Auslösung eines krankheitswertigen Schockschadens für den Fall eines noch zu prüfenden - im hier vorliegenden Fall aber nicht geltend gemachten - groben Verschuldens).

Gerade ein Vergleich mit der Entscheidung 2 Ob 186/03x zeigt - bei aller Tragik auch des vorliegenden Falles - die Unhaltbarkeit der von der Klägerin geforderten, weit überhöhten Summe. Soweit in der Revision neben dem seelischen Beschwerdebild auch körperliche Schäden ins Treffen geführt werden, entfernt sich die Rechtsmittelwerberin von der maßgeblichen erstinstanzlichen Tatsachengrundlage und bringt damit ihre Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Ausführung. Dass sog Schmerzengeld(tages)sätze stets nur Bemessungshilfe, jedoch keine Berechnungsmethode sind, entspricht ebenfalls der herrschenden Meinung in Lehre (Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, aaO 87 ff, insb 90 ff) und Rechtsprechung (1 Ob 94/00f; 2 Ob 15/02y; 7 Ob 296/02h).

Da demnach ein tauglicher Grund für die Zulassung der Revision im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben ist, ist das außerordentliche Rechtsmittel der Klägerin nach den im Spruch zitierten Gesetzesstellen zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO):

Die Kostenentscheidung beruht auf § 508a Abs 2 zweiter Satz ZPO, weil die beklagten Parteien ihre Revisionsbeantwortung ohne Freistellungsmitteilung erstattet haben.

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