OGH 13Os108/04

OGH13Os108/046.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matschegg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerhard K***** wegen der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB aF und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht St. Pölten vom 16. Juni 2004, GZ 24 Hv 5/03h-34, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Gerhard K***** des Verbrechens (richtig der Verbrechen) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 1 (richtig Abs 2) erster Fall StGB a.F. (A), des Verbrechens (richtig der Verbrechen) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (B) und des Vergehens (richtig der Vergehen) der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB schuldig erkannt. Danach hat er in zahlreichen Angriffen in Ennsdorf

A) zu nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten vom Jahre 1975 bis

einschließlich 1983 die am 5. April 1972 geborene, somit (damals) noch unmündige Heidemarie K*****, durch wiederholtes Betasten ihres Geschlechtsteils, das Unterfangen, mit dem Finger in ihre Scheide einzudringen, sowie dadurch, dass er sich von der Genannten oral befriedigen ließ, eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich bis heute andauernde Panikattacken der Heidemarie K*****, somit eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatten;

B) zu nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten bis zum Jahr 1984

mit der zu Punkt A) genannten Unmündigen den Beschlaf unternommen, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich bis heute andauernde Panikattacken der Heidemarie K*****, somit eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatten;

C) durch die zu B) geschilderten Handlungen, mit seiner Schwester den Beischlaf vollzogen.

Diesem Schuldspruch liegt die stimmmehrheitliche Bejahung der angeklagekonform gestellten Hauptfragen I bis III zugrunde.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer nominell auf § 281 Abs 1 Z 6 und § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8, 10a und 11 lit b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Unter Berufung auf § 281 Abs 1 Z 6 StPO (inhaltlich § 345 Abs 1 Z 7 StPO) behauptet der Beschwerdeführer eine Anklageüberschreitung in Bezug auf die im Wahrspruch zu den Hauptfragen II und III inkriminierten, vor 1984 liegenden Tathandlungen. Er übergeht dabei, dass die (schon in der Begründung auf vor 1984 stattgefundene Angriffe abstellende; vgl S 125 ff) Anklage in der Hauptverhandlung im Hinblick auf einen auch vor 1984 liegenden Zeitraum ausgedehnt wurde (S 180).

In der Verfahrensrüge (Z 5) und der inhaltlich in die gleiche Richtung zielenden Fragenrüge (Z 6) bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrags auf Stellung einer Zusatzfrage nach Verjährung, weil aufgrund der 19 bis 28 Jahre zurückliegenden Tatzeit "eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Verjährungsfragen durch das Geschworenengericht unumgänglich scheint". Solcherart wird die Beschwerde mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung der vermissten Zusatzfrage und des eine solche indizierenden Tatsachensubstrats nicht gesetzeskonform ausgeführt (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).

Im Übrigen waren die vom Schuldspruch B erfassten Verbrechen sowohl im Tatzeitpunkt nach § 206 Abs 2 StGB aF als auch nach (dem gemäß § 61 StGB anzuwendenden) § 206 Abs 3 erster Fall StGB idFd StRÄG 1998 mit Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren bedroht. Damit beträgt die Frist zur Verjährung dieser Verbrechen nach § 57 Abs 3 erster Fall StGB zwanzig Jahre. Ungeachtet der mit dem StRÄG 1998 neu eingeführten Fortlaufhemmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB war somit die Verjährungsfrist für die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen zu Beginn des laut Rechtsmittelvorbringen im Jänner 2003 eingeleiteten Strafverfahrens (vgl S 2: 29. Jänner 2003) noch nicht abgelaufen und infolge eingetretener Gerichtsanhängigkeit (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) in ihrem Fortlauf gehemmt. Im Hinblick darauf war aber auch der Ablauf der Verjährungsfrist der im Schuldspruch A und C genannten strafbaren Handlungen gemäß § 58 Abs 2 StGB gehemmt (zur Verjährung bei Idealkonkurrenz vgl unten zur Fragen- und Rechtsrüge).

Soweit der die Vorwürfe vollständig bestreitende Angeklagte eine solche Zusatzfrage zum mit geringerer Strafe bedrohten, früher verjährenden Grundtatbestand nach § 206 Abs 1 StGB mit dem Hinweis auf den (durch eine eingeschränkte Fragebeantwortung nach § 330 Abs 2 StPO) möglichen Wegfall des in der Anklage inkriminierten, in die Hauptfrage II aufgenommenen starfsatzändernden Erschwerungsumstands einer durch die Tat bewirkten schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) reklamiert, unterlässt er prozessordnungswidrig die Bezeichnung eines in der Hauptverhandlung vorgekommenen Tatsachensubstrats, nach dem - dessen Richtigkeit unterstellt - diese Qualifikation wegfallen würde (vgl Schindler, WK-StPO § 313 Rz 18; Ratz, WK-StPO § 345 42). Darüber hinaus war der Beschwerdeführer durch die unterlassene Fragestellung nach Verjährung des Grundtatbestandes angesichts der von Geschworenen uneingeschränkt bejahten Hauptfrage II iSd § 345 Abs 3 StPO nicht benachteiligt (vgl 14 Os 8/99, EvBl 1999/142, 611). Mit dem weiteren Vorbringen (Z 6), wonach eine Zusatzfrage nach Verjährung in Bezug auf das zuletzt eintätig mit dem Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB begangene Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB zu stellen gewesen wäre, wird die Beschwerde nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt:

Die Verjährung einzelner iS einer gleichartigen "Verbrechensmenge" nur pauschal individualisierter Taten (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 84) - wie im vorliegenden Fall die im Schuldspruch C zusammengefassten, Tatzeiträume von nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten bis zum Jahr 1984 betreffenden mehrfachen Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB - kann nämlich nicht reklamiert werden, weil die Bejahung einer Zusatzfrage nach Verjährung des zuletzt begangenen Vergehens und der damit begehrte "Freispruch" am Schuldspruch C nichts ändern würde (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33; 14 Os 107/01, EvBl 2002/47, 193; 13 Os 164/02).

Die einen Freispruch wegen Verjährung in Bezug auf dieses zuletzt verübte Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB urgierende Rechtsrüge (Z 11 lit b) geht schließlich schon deshalb ins Leere, weil die Annahme eines materiellrechtlichen Strafbefreiungsgrundes zwingend die Bejahung einer Zusatzfrage nach § 313 StPO voraussetzt (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 619, 621; Schindler, WK-StPO § 313 Rz 27; 12 Os 11/04; 11 Os 74/03).

Darüber hinaus sind diese Einwände auch inhaltlich unberechtigt. Die vom Beschwerdeführer zitierte frühere Judikatur zu einer unabhängig voneinander zu beurteilenden Verjährung bei tateinheitlich zusammentreffenden strafbaren Handlungen (vgl SSt 59/29) wird in neueren Entscheidungen nicht mehr aufrecht erhalten. Denn nach dem Gesetzeswortlaut des § 57 StGB verjährt nicht eine strafbare Handlung (als rechtliche Kategorie), welche durch eine Tat (ein tatsächliches, historisches Geschehen) begründet wird (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), vielmehr die Strafbarkeit der Tat (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1 und 74; 13 Os 169/99, JBl 2001, 255; 15 Os 62/02; 15 Os 52/02; 13 Os 34/02; 13 Os 36/01). Auch auf der Basis dieser rechtlichen Beurteilung bestand daher keine Veranlassung zu der vom Beschwerdeführer begehrten Zusatzfrage.

In der Instruktionsrüge (Z 8) bemängelt der Rechtsmittelwerber eine fehlende Belehrung der Laienrichter zur Verjährung. Da die Rechtsbelehrung lediglich insofern angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen tatsächlich gestellt wurden (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63; RIS-Justiz RS0101091), geht auch dieses Beschwerdevorbringen ins Leere.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) bekämpft die Qualifikation nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB (Schuldspruch B), indem sie auf die Angaben des Tatopfers über den lediglich zweimal tatsächlich vollzogenen Geschlechtsverkehr verweist. Dabei übergeht der Beschwerdeführer, dass es nach der Aussage der Zeugin Heidemarie K***** über Jahre hindurch mehrfach zu sexuellen Missbräuchen kam (S 202 ff), insbesondere auch in Form von (erfolglos) unternommenen und damit tatbestandsmäßig vollendeten (vgl Schick in WK2 § 206 Rz 10) Beischlafshandlungen (S 204 f). Solcherart zeigt der Rechtsmittelwerber keine sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Wahrspruch zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen auf.

Auf die rein spekulativen Überlegungen zu angeblich unrichtigen Schlussfolgerungen der Laienrichter auf Grund einer durch eine verfehlte Fragestellung erfolgten Verzerrung der Beweisergebnisse war schon mangels Vorbringens eines Anlass zu Bedenken gebenden aktenkundigen Beweismaterials nicht näher einzugehen (vgl 13 Os 43/03; 13 Os 29/03).

Die teils offenbar unbegründete, teils nicht gesetzesgemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO). Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufungen der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig ist (§§ 285i, 344 StPO). Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte